Eine gelungene und eine misslungene gesteuerte Ausschreibung (VK Bund, Beschl. v. 16.03.2015 – VK 2-9/15 und VK Sachen-Anhalt, Beschl. v. 19.03.2015 – 2 VK LSA 01/15)

EntscheidungProduktneutrale Ausschreibung versus Bestimmungsrecht des Auftraggebers.

Die VK Bund hebt eine Ausschreibung zur Lieferung von Sport- und Therapiegeräten wegen Verletzung des Grundsatzes der produktneutralen Ausschreibung auf: Der Auftraggeber habe nicht darlegen können, dass eine (untergeordnete) Leistungsposition, die Hanteln, in der vom Auftraggeber ohne sachlichen Grund gewünschten Abstufung von 1,25 kg von mehr als einem Hersteller angeboten würden. Nach der VK Sachsen-Anhalt ist hingegen nicht zu beanstanden, wenn das Mindest- und Höchstgewicht eines zu beschaffenden Hubschraubers und eine bestimmte Zulassung vorgegeben werden, auch wenn nur ein Hersteller einen solchen Hubschrauber anbietet. Gebe es nachvollziehbare Gründe für die Beschränkungen, sei der Auftraggeber nicht einmal verpflichtet, andere Lösungskonzepte zu prüfen.

§ 8 EG Abs. 7 VOL/A

Leitsatz

VK Bund, Beschluss vom 16.03.2015, VK 2-9/15:

  1. Die Entscheidung, welcher Gegenstand mit welcher Beschaffenheit und mit welchen Eigenschaften beschafft werden soll, obliegt dem öffentlichen Auftraggeber. Dieser ist in der Auswahl der von ihm zu beschaffenden Gegenstände grundsätzlich frei. Grenze des Bestimmungsrechts des öffentlichen Auftraggebers ist aber die Verpflichtung zur produktneutralen Ausschreibung.
  2. In technischen Anforderungen darf nicht auf eine bestimmte Produktion oder Herkunft oder ein besonderes Verfahren oder auf Marken, Patente, Typen eines bestimmten Ursprungs verwiesen werden, wenn dadurch bestimmte Unternehmen oder bestimmte Produkte begünstigt oder ausgeschlossen werden, es sei denn, dies ist durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt.
  3. Gegen Verpflichtung zur produktneutralen Ausschreibung wird nicht nur dann verstoßen, wenn ein Leitfabrikat offen und explizit in der Leistungsbeschreibung benannt worden ist, sondern auch dann, wenn durch die Vielzahl der Vorgaben verdeckt ein Leitfabrikat ausgeschrieben wurde, weil nur ein einziges Produkt allen Vorgaben gerecht werden kann.

VK Sachen-Anhalt, Beschluss vom 19.03.2015, 2 VK LSA 01/15:

  1. Es ist grundsätzlich Sache des Auftraggebers, seinen Beschaffungsbedarf festzulegen. Diese Entscheidung ist dem Vergabeverfahren zeitlich und sachlich vorgelagert. Gleichwohl hat der Auftraggeber die Festlegung des Beschaffungsbedarfs nachvollziehbar und plausibel zu begründen, soweit es hierdurch zu einer erheblichen Einschränkung des potenziellen Teilnehmerkreises kommt.*)
  2. Der Auftraggeber ist bei der Bestimmung des Beschaffungsgegenstands nicht gehalten, andere in Betracht kommende Lösungen zur Erfüllung der Aufgaben zu prüfen und auszuschließen. Der Prozess der Bestimmung des Beschaffungsbedarfs würde zu sehr verrechtlicht und es würde in die Kompetenzen des Auftraggebers zu sehr eingegriffen.

Sachverhalt

VK Bund

Der Auftraggeber schreibt einen Rahmenvertrag über die Lieferung und Wartung von Sport- und Therapiegeräten aus. Die Ausschreibung umfasst mehr als 60 Sport- und Trainingsgeräte. Zur Vorbereitung der Ausschreibung hatte der Auftraggeber einen großangelegten sechsmonatigen Praxistest durchgeführt, für die ein Hersteller (nachfolgend: Sponsor) die erforderlichen Geräte, u. a. Hanteln mit einer Abstufung von 1,25 kg, sponserte. Entsprechend schrieb der Auftraggeber aus. Die Abstufung von 1,25 kg rechtfertigte er damit, dass die Probanden sie als angenehm empfunden hatten. Dies fand im Abschlussbericht zum Praxistest aber keine Stütze. Der Auftraggeber konnte nicht nachweisen, dass auch andere Hersteller außer dem Sponsor Hanteln in dieser Abstufung anbieten. Alle Bieter hatten Hanteln des Sponsors im Angebot.

Auf die Rüge des Antragstellers hatte der Auftraggeber die Vorgabe genauer Maßangaben für die Sport- und Therapiegeräte durch ca. Angaben ersetzt. Auf dieser Grundlage wollte der Auftraggeber auch Abweichungen von 50 % im Angebot des Antragstellers akzeptieren.

VK Sachsen-Anhalt

Der Auftraggeber schreibt Polizeihubschrauber aus. Aufgrund der Aufgabenstellung müssten diese ein gewisses Mindestabfluggewicht (geschätztes Leergewicht zzgl. erforderlicher Zuladung) haben. Um Treibstoff zu sparen, beschränkt e der Auftragsteller auch das Maximalgewicht. Die für diese Gewichtsklasse erforderliche Zulassung wird ebenfalls vorausgesetzt. Das aufwendige Zulassungsverfahren dauert drei Monate. Es ist streitig, ob nur ein Hersteller, die Beigeladene, diese Anforderungen erfüllen kann. Der Antragsteller kann nur leichtere oder schwerere Hubschrauber anbieten.

Die Entscheidungen

Abgestufte Hanteln verletzen das Gebot der produktneutralen Ausschreibung, ein nach Zulassung und Gewicht spezifizierter Hubschrauber nicht.

Die VK Bund war der Auffassung, dass die Ausschreibung gegen den Grundsatz der Produktneutralität verstoße, § 8 EG Abs. 7 VOL/A. Die ausgeschriebenen Hanteln stelle nur ein Unternehmen her, jedenfalls habe der Auftraggeber keinen weiteren Hersteller nennen können. Diese faktische Eingrenzung auf ein Produkt sei nicht gerechtfertigt. Die angegebene Begründung, dass diese Abstufung von den Probanden des Praxistest als angenehm empfunden wurde, ergebe sich aus dem Abschlussbericht nicht, die Probanden seien danach gar nicht gefragt worden.

Außerdem verletzte die Ausschreibung das Transparenzgebot. Bei ca. Angaben dürfte nach der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf (Beschl. v. 25.04.2012, Verg 61/11) eine Abweichung von 10 % im Rahmen liegen. Der Auftraggeber gehe aber offenbar davon aus, dass auch Abweichungen von 50 % zulässig seien. Dies sei intransparent.

Die Beschränkung des Mindest- und Maximalgewichts eines Hubschraubers sah die VK Sachsen-Anhalt hingegen als gerechtfertigt an, auch wenn nur ein Hersteller einen solchen Hubschrauber liefern könnte. Leichtere Hubschrauber würden den vorgegebenen Einsatzzwecken nicht gerecht. Die Beschränkung des Maximalgewichts zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit nachvollziehbar. Dass schwerere Hubschrauber wegen geringerer Anschaffungs- und Wartungskosten trotz höherer Treibstoffkosten wirtschaftlicher sein können, wie der Antragsteller vortrug, sei hypothetisch und vom Auftraggeber nicht zu prüfen. Andere Lösungsmöglichkeiten muss ein Auftraggeber nicht in Betracht ziehen.

Rechtliche Würdigung

Zwei mutmaßlich gesteuerte Ausschreibungen, zwei unterschiedliche Ergebnisse. Der rechtliche Rahmen für die Rechtfertigung produktspezifischer Ausschreibungen ist vergleichsweise klar und wird in den Entscheidungen richtig wiedergegeben: Der Auftraggeber darf den Auftragsgegenstand frei bestimmen, muss aber produktneutral ausschreiben. Eine Ausschreibung ist auch dann nicht produktneutral, wenn das Produkt durch abstrakte Vorgaben spezifiziert wird. Ausnahmsweise darf ein Produkt spezifiziert werden, wenn dies sachlich gerechtfertigt ist.

Wann aber ist eine Spezifikation sachlich gerechtfertigt? Muss ein Auftraggeber tatsächlich die gewünschte Abstufung von Hanteln im Rahmen eines Großauftrags für Sport- und Fitnessgeräte schriftlich rechtfertigen? Muss er sich erkundigen, wie viele Unternehmen das ausgeschriebene Produkt herstellen?

Diese Fragen problematisiert die VK Bund erst gar nicht. Sie zieht für ihr Ergebnis die Kenntnisse aus dem Vergabeverfahren heran, die dem Auftraggeber aber bei der Ausschreibung noch gar nicht vorliegen konnten. Von einer Markterkundungspflicht geht sie stillschweigend aus, wenn sie darauf abstellt, dass auch der Auftraggeber keinen anderen Hersteller nennen konnte. Im Ergebnis dürfte dies richtig sein. Zwar dürfte den Auftraggeber bei der Bestellung von Hanteln grundsätzlich keine Markterkundungspflicht treffen. Im entschiedenen Fall hat der Auftraggeber seine Beschaffungsabsicht aber anhand der von einem Hersteller gesponserten Geräte konkretisiert. In einem solchen Fall muss der Auftraggeber besonders sensibel darauf achten, nicht im Zweifel unwissentlich Produkte so zu beschreiben, dass sie nur der Sponsor liefern kann. Wenn ein solches Sponsoring überhaupt zulässig ist, trifft den Auftraggeber jedenfalls eine besondere Pflicht, die Ausschreibung unabhängig von dem Sponsor zu gestalten. Insoweit ist § 6 Abs. 7 EG VOL/A jedenfalls entsprechend anwendbar.  Man kann nur vermuten, dass das Sponsoring die VK Bund bei ihrer Entscheidung beeinflusst hat. Sonst hätte sie einen Großauftrag über Sportgeräte nicht an Hanteln scheitern lassen, die alle Bieter beim Hersteller beziehen konnten. Die Aufhebung erfolgte auch wegen des Sponsorings zu Recht, aber das hätte die VK Bund auch offenlegen können.

Großzügiger verfährt die VK Sachsen-Anhalt. Sie lässt Gewichtsbeschränkungen zu, da sie einigermaßen gut begründet waren. Die Entscheidung hätte aber auch anders ausfallen können. So ist es keineswegs schlüssig, das Gesamtgewicht zu begrenzen, wenn das Spritsparen im Vordergrund steht. Hier hätte richtiger Weise unmittelbar auf den Kraftstoffverbrauch abgestellt werden können. Auch ein Mindestabfluggewicht festzulegen ist nicht unbedingt erforderlich: Von der Aufgabe her war lediglich die Angabe einer Mindestzuladung erforderlich. Hätte der Hersteller des angestrebten Hubschraubers den Auftraggeber zuvor gesponsert, wäre die Entscheidung vielleicht anders ausgefallen.

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Praxistipp

1. Ein Auftraggeber kann, wie die entschiedenen Fälle zeigen, sehr wohl Ausschreibungen steuern –  nur nicht erkennbar. Er muss nachvollziehbare Gründe dafür anführen können, warum er welche Anforderungen an ein Produkt stellt. Diese Gründe sollte er nachvollziehbar und widerspruchsfrei zur Vergabeakte nehmen.

2. Problematisch ist es, vor der Ausschreibung, nur ein Produkt auszutesten und die Ausschreibung allein danach auszurichten. Mögliche Vorteile des Herstellers dieses Produkts sind auszugleichen.  Nicht empfehlenswert ist es, sich diese Produkte auch noch sponsern zu lassen.