Der Fall Toll Collect – Oder: Wie gestalte ich selbst die Voraussetzungen für eine spätere Direktvergabe? (VK Bund, Beschl. v. 18.02.2016 – VK 2-137/15)
Zu der Frage, wann aufgrund von Ausschließlichkeitsrechten exklusiv mit dem bestehenden Vertragspartner über eine Leistungserweiterung verhandelt werden kann, hat die VK Bund entschieden, dass eine Direktvergabe an den bisherigen Betreiber aufgrund von Ausschließlichkeitsrechten auch dann zulässig ist, wenn der Auftraggeber diese Ausschließlichkeitsrechte selbst vertraglich mit dem bestehenden Betreiber vereinbart hatte.
§ 3 EG Abs. 4 lit. C) VOL/A, § 104 Abs. 2 GWB
Sachverhalt
Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) verhandelte exklusiv mit der Toll Collect GmbH (Toll Collect) über die Ausdehnung der LKW-Mautpflicht auf alle Bundesstraßen. Das derzeit von der LKW-Maut erfasste und von Toll Collect betriebene Streckennetz beläuft sich auf ca. 13.000 Kilometer Autobahn und Bundesstraßen. Die Verhandlungen hatten die Erweiterung auf sämtliche Bundesstraßen zum Gegenstand, was einem zusätzlichen Streckennetz von ca. 37.000 Kilometern entspricht.
Ziel des BMVI war ausweislich des Vergabevermerks die Errichtung eines einheitlichen Mautsystems für alle Autobahnen und Bundesstraßen. Da Toll Collect auf Grundlage des bestehenden Betreibervertrags über verschiedene ausschließliche Rechte an dem bestehenden System (u.a. notwendige Patente, Schutzrechte an Software und Datenbanken) verfügt, sah das BMVI die Voraussetzungen für ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb mit einem einzigen Bieter als gegeben an.
Dagegen wandte sich die österreichische Kapsch TrafficCom AG mit einem Nachprüfungsantrag. Sie trug vor, technisch ebenfalls in der Lage zu sein, auf Basis des bestehenden Mautsystems eine Erweiterung auf alle Bundesstraßen gewährleisten zu können. Ausschließliche Rechte würden dem nicht entgegenstehen, da Toll Collect als Monopolist kartellrechtlich verpflichtet sei, einen Anschluss an das bestehende eigene System zu dulden. Des Weiteren enthalte der Vertrag eine sog. Call Option, bei deren Ausübung dem Bund alle Rechte aus dem Vertrag zufallen würden. Zur Gewährleistung von Wettbewerb sei der Bund schon jetzt verpflichtet, diese Option auszuüben. Darüber hinaus laufe der bestehende Vertrag 2018 sowieso ab, so dass auch gleich der Betrieb des Gesamtsystems neu hätte ausgeschrieben werden können.
Die Entscheidung
Die VK Bund hat den Nachprüfungsantrag zurückgewiesen, da die Durchführung eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb als zulässig anzusehen sei. Die VK Bund beschäftigt sich in ihrer Entscheidung dabei dezidiert mit den bestehenden Schutzrechten und der Frage, ob diese tatsächlich Toll Collect in die Lage versetzen, einen Anschluss Dritter an das bestehende System zivilrechtlich zu verhindern. Ob Toll Collect kartellrechtlich einen Anschluss Dritter hinnehmen muss, lässt die VK Bund im Ergebnis jedoch offen. Denn diese Frage betreffe Ansprüche der Wettbewerber untereinander, die in einem Vergabenachprüfungsverfahren nach § 104 Abs. 2 GWB nicht zu prüfen seien. Nach § 104 Abs. 2 GWB prüfe die Vergabekammer nur Ansprüche gegen öffentliche Auftraggeber.
Darüber hinaus sei der Bund aber auch weder verpflichtet gewesen, die Call Option auszuüben, noch alternativ den Betrieb des Gesamtsystems anstatt einer bloßen Erweiterung auszuschreiben. Denn der Auftraggeber habe ein Leistungsbestimmungsrecht. Könne er sachliche und auftragsbezogene Gründe für seine Beschaffungsentscheidung Erweiterung des bestehenden Systems anführen, so sei diese hinzunehmen. Die Vergabekammer könne ihm dann keine anderen Lösungen aufoktroyieren. Es sei hier jedenfalls nicht zu beanstanden, dass der Bund sich dagegen entschieden habe, das Gesamtsystem neu auszuschreiben, um die Gefahr von Anlaufschwierigkeiten bei Inbetriebnahme eines neuen Systems und damit einhergehenden Mautausfällen zu umgehen. Die Ausübung der Call Option hätte zwar die Ausschließlichkeitsrechte aufgehoben. Sie wäre aber mit zahlreichen weiteren Rechtsfolgen für den Bund verbunden gewesen, wie z.B. der Übernahme des Risikos für Mautausfälle.
Es sei dem Bund auch nicht vorzuwerfen, dass er den ursprünglichen Betreibervertrag nicht so gestaltet habe, dass ihm alle Nutzungsrechte an der Soft- und Hardware zustehen. Denn auch insoweit habe der Bund ein Leistungsbestimmungsrecht. Da der vollständige Erwerb der Nutzungsrechte regelmäßig deutlich teurer sei als der bloße Einkauf der Dienstleistung, könne nicht beanstandet werden, wenn der Auftraggeber darauf verzichte.
Rechtliche Würdigung
Die Entscheidung der VK Bund ist im Wesentlichen nachvollziehbar und steht im Kontext zu zahlreichen anderen Gerichtsentscheidungen zu dem Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers. Es reicht hiernach aus, wenn ein sachlicher und auftragsbezogener Grund für die Beschaffung eines bestimmten Produkts angeführt werden kann. Solche Gründe lagen hier zweifellos vor.
Etwas merkwürdig ist allerdings, dass ein sachlicher Grund hier in gewisser Weise durch die Vergabestelle selbst herbeigeführt wurde, indem Toll Collect durch den ursprünglichen Betreibervertrag alle Nutzungsrechte zugesprochen wurden. Die Konsequenz, dass bei Erweiterungen dann aufgrund der Ausschließlichkeitsrechte immer mit dem bisherigen Betreiber exklusiv verhandelt werden kann, hat die Vergabekammer zwar erkannt, aber als hinnehmbar abgetan. Im Ergebnis dürfte sie damit auch richtig liegen: Denn wenn diese Wettbewerbsbeschränkung bereits in dem vorhandenen Vertrag angelegt ist, hätte ein Wettbewerber eben im Rahmen der erstmaligen Ausschreibung gegen diese vertragliche Regelung vorgehen müssen.
Praxistipp
Auftraggeber können durchaus ihre Verträge so gestalten, dass dadurch Ausschließlichkeitsrechte entstehen, die bei Erweiterungen oder Verlängerungen exklusive Verhandlungen mit dem aktuellen Betreiber ermöglichen. Dabei ist aber der Wettbewerbsgrundsatz als Grundprinzip des Vergaberechts zu beachten. Dieser verbietet es, solche Gestaltungen gerade in der Absicht zu wählen, künftig das Vergaberecht umgehen zu können.