EuGH zum Bieterwechsel bei Insolvenz eines BiGe-Mitglieds (EuGH, Urt. v. 24.05.2016 – C-396/14 MT Hojgaard und Züblin)
Zur Wahrung eines fairen und transparenten Vergabewettbewerbs ist es grundsätzlich unzulässig, nach Angebotsabgabe die Identität des Bieters zu ändern: Zum Inhalt eines Angebotes zählt nicht nur die Beschaffenheit der Leistung, sondern auch die Person des Leistenden (so schon OLG Düsseldorf, Beschl. v. 24.05.2005 – VII-Verg 28/05). Besondere Bedeutung kommen hierbei Änderungen der Zusammensetzung einer Bietergemeinschaft (BiGe) zu. Sie können vor allem vorliegen, wenn ein BiGe-Mitglied durch ein anderes BiGe-Mitglied ersetzt wird oder einzelne BiGe-Mitglieder aus der BiGe ausscheiden.
Der Gerichtshof hatte in einem dänischen Sachverhalt darüber zu entscheiden, ob nach der Auflösung einer BiGe an deren Stelle ein verbliebenes BiGe-Mitglied alleine an einem Verhandlungsverfahren weiter teilnehmen, anbieten und letztlich bezuschlagt werden durfte.
Art. 36 Abs. 1 RL 2014/25/EU (bzw. Art. 10 RL 2004/17/EG), Art. 18 Abs.1 RL 2014/24/EU (bzw. Art. 2 RL 2004/18/EG); § 97 Abs. 2 GWB
Leitsatz
Die Frage, ob ein Auftraggeber einen Wirtschaftsteilnehmer, der zu einer Gemeinschaft zweier Unternehmen gehört, die in der Vorauswahl berücksichtigt worden ist und das erste Angebot in einem Verhandlungsverfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrages abgegeben hat, nach Auflösung dieser Gemeinschaft nicht im eigenen Namen an diesem Verfahren weiter teilnehmen lassen darf (Rdnr. 34), fällt in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten (Rdnr. 35). Bestehen insoweit keine spezifischen Bestimmungen, so ist die Frage nach Maßgabe der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts, u.a. des Gleichbehandlungsgrundsatzes und der sich daraus ergebenden Transparenzpflicht, sowie der Ziele des Unionsrechts im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe zu prüfen (Rdnr. 36).
Sachverhalt
Das Vorabentscheidungsersuchen betraf ein Verhandlungsverfahren mit vorherigem Teilnahmewettbewerb zum Bau einer neuen Eisenbahnstrecke nach Kopenhagen. Nach den Ausschreibungsbedingungen sollten die ausgewählten Bewerber zu drei aufeinanderfolgenden Angeboten aufgefordert werden. Die ersten beiden Angebote sollten verhandelt werden, in der dritten Angebotsrunde sollten keine Verhandlungen mehr erfolgen.
Die ausschreibende Stelle forderte die favorisierten Bewerber, u.a. eine zweigliedrige Bewerbergemeinschaft, zur ersten Angebotsabgabe auf. Über das Vermögen eines Mitglieds der Bewerbergemeinschaft wurde allerdings das Insolvenzverfahren eröffnet. Trotz der Insolvenzeröffnung gab die BiGe ein erstes Angebot ab. Das verbliebene BiGe-Mitglied übernahm zudem 50 Arbeitnehmer des insolventen BiGe-Mitglieds. Die Vergabestelle entschied daraufhin, dass das nicht insolvente BiGe-Mitglied allein an dem Verfahren teilnehmen dürfe. Das BiGe-Mitglied reichte daher ein zweites und drittes Angebot im eigenen Namen ein. Die Angebotsauswertung ergab schließlich, dass das nun allein teilnehmende BiGe-Mitglied bestbietend war. Die ausschreibende Stelle informierte die nichtberücksichtigten Bieter entsprechend vorab. Gegen die Vergabeentscheidung wandte sich die unterlegene BiGe MT Hojgaard und Züblin. Sie monierte Verstöße gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und Transparenz, weil das BiGe-Mitglied anstelle der BiGe an dem Verfahren teilgenommen hat.
Die Entscheidung
Der Gerichtshof führt aus, dass das europäische Vergaberecht keine spezifischen Vorgaben über die Änderung der Zusammensetzung einer Gemeinschaft von Wirtschaftsteilnehmern enthält, die als Bieter eines öffentlichen Auftrages in einem Teilnahmewettbewerb berücksichtigt wurde. Die Regelung eines solchen Sachverhaltes fällt in den Zuständigkeitsbereich der Unionstaaten (Rdnr. 35).
Bestehen insoweit wie in Dänemark – keine mitgliedstaatlichen Bestimmungen, sind die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts maßgeblich, insbesondere der Gleichbehandlungsgrundsatz und die sich daraus ergebende Transparenzpflicht. Hierbei sind auch die Ziele des europäischen Vergaberechts zu berücksichtigen (Rdnr. 36).
Der Grundsatz der Gleichbehandlung der Bieter, der die Entwicklung eines gesunden und effektiven Wettbewerbs zwischen den sich um einen öffentlichen Auftrag bewerbenden Unternehmen fördern soll, gebietet, dass alle Bieter bei der Abfassung ihrer Angebote die gleichen Chancen haben: Die Angebote aller Wettbewerber müssen den gleichen Bedingungen unterworfen sein (Rdnr. 38).
Eine strikte Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes würde dazu führen, dass nur die Wirtschaftsteilnehmer, die als solche im Teilnahmewettbewerb berücksichtigt wurden, Angebote einreichen und den Zuschlag erhalten können (Rdnr. 39). Dies setzt eine rechtliche und tatsächliche Identität zwischen dem im Teilnahmewettbewerb berücksichtigten Wirtschaftsteilnehmern und denjenigen voraus, die ein Angebot abgegeben haben (Rdnr. 40).
Die Anforderung einer rechtlichen und tatsächlichen Identität kann jedoch gesenkt werden, um in einem Verhandlungsverfahren einen angemessen Wettbewerb zu gewährleisten (Rdnr. 41).
Ein Auftraggeber verstößt daher nicht gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung sämtlicher Bieter, wenn er es einem der beiden Wirtschaftsteilnehmer einer BiGe, die zur Angebotsabgabe aufgefordert wurde, gestattet, nach der Auflösung dieser BiGe an deren Stelle zu treten und im eigenen Namen an dem Verhandlungsverfahren teilzunehmen, soweit das BiGe-Mitglied die vom Auftraggeber festgelegten (Eignungs-)Anforderungen selbst erfüllt und seine Teilnahme die Wettbewerbssituation der übrigen Bieter nicht beeinträchtigt (Rdnr. 44).
Im entschiedenen Fall war der Gerichtshof davon überzeugt, dass das allein teilnehmende BiGe-Mitglied im Rahmen des Teilnahmewettbewerbs auch dann berücksichtigt worden wäre, hätte es sich alleine beworben (Rdnr. 45). Ob die Übernahme von Arbeitnehmern des insolventen BiGe-Mitglieds dem im Wettbewerb verbliebenen BiGe-Mitglied einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den restlichen Bietern verschafft hat, ließen die Luxemburger Richter hingegen offen (Rdnr. 47).
Rechtliche Würdigung
Das Urteil des Gerichtshofs wäre nach deutscher Rechtslage wohl anders ausgefallen. Zwar ist die Rechtsprechung zu den Folgen einer Änderung der Zusammensetzung einer BiGe uneinheitlich (einerseits OLG Celle, Beschl. v. 05.09.2007 13 – Verg 9/07, andererseits OLG Hamburg, Beschl. v. 31.03.2014 – 1 Verg 4/13, OLG Düsseldorf, Beschl. v. 24.05.2005 – VII-Verg 28/05). Anders als in Dänemark hält das BGB aber eine Regelung für die Änderung der Zusammensetzung einer regelmäßig als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) einzuordnenden BiGe bereit: § 728 Abs. 2 Satz 1 BGB bestimmt, dass die GbR durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Gesellschafters aufgelöst wird. Damit besteht grundsätzlich eine Identitätsänderung. Ein bereits eingereichtes Angebot der (aufgelösten) BiGe ist zwingend auszuschließen. Wegen der bestehenden mitgliedstaatlichen Regelung bei der Insolvenz eins BiGe-Mitglieds sind die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts, insbesondere des Gleichbehandlungs- und Transparenzgrundsatzes, regelmäßig nicht weiter bedeutsam.
Praxistipp
Eine BiGe kann die Rechtsfolge des § 728 Abs. 2 Satz 1 BGB vermeiden, wenn gesellschaftsvertraglich eine Fortsetzung der BiGe im Falle der Insolvenz eines Gesellschafters vereinbart wird. Allerdings ist dies nicht möglich, wenn die BiGe aus lediglich zwei Gesellschaftern besteht: Scheidet ein Gesellschafter aus, endet die GbR, die Identität der der GbR bleibt nicht gewahrt (Sprau, in: Palandt, § 736 Rdnr. 9).
Der Auftraggeber muss bei einer Fortsetzung der BiGe allerdings bewerten, ob sie trotz Ausscheidens des insolventen Gesellschafters weiterhin geeignet ist. Die Insolvenz alleine genügt jedenfalls nicht, die Fachkunde und Leistungsfähigkeit der BiGe in Abrede zu stellen.