Alle Jahre wieder – Informationsschreiben über die Feiertage (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 05.10.2016 – VII-Verg 24/16)

EntscheidungDie Anwendung von § 134 GWB führt nach wie vor zu Praxisproblemen. Die Wartefrist nach § 134 GWB kann laut OLG Düsseldorf nur durch Information an alle nicht berücksichtigte Bieter verlängert werden. Eine derartige Information nur an einen Bieter ist wirkungslos. Erfolgt die Information kurz vor Feiertagen, welche die Warte- und Prüfungsfrist erheblich auf nur noch 4-5 Werktage verkürzt, läuft die Wartefrist nicht an. Ein nach der ursprünglichen Wartefrist eingelegter Nachprüfungsantrag ist insofern zulässig. Auch die Rügepflicht bezüglich des Inhalts der Information entfällt.

§ 134 GWB n. F. (§ 101 a GWB a. F.)

Leitsatz

  1. Eine verbindliche Zusage des Auftraggebers nach Erhalt einer Rüge, dass er den Zuschlag erst später als zu dem im Bieterinformationsschreiben mitgeteilten frühesten Zuschlagstermin erteilen werde, führt nicht automatisch zur Unwirksamkeit eines entgegen dieser Zusage doch erteilten Zuschlags.
  2. Die 10-tägige Wartefrist nach § 101a Abs. 1 GWB a.F. (§ 134 Abs. 1 GWB n. F.) wird nicht wirksam in Lauf gesetzt, wenn die Frist so über (Oster-)Feiertage und Wochenenden gelegt wird, dass einem Bieter für die Entscheidung über eine Nachprüfungsantrag praktisch nur vier bis fünf Tage verbleiben.

Sachverhalt

Im Rahmen einer europaweiten Ausschreibung erhielt Bieter A am 23.03.2016 (das war der Mittwoch vor Ostern) mit entsprechender Begründung per Telefax die Information, dass Bieter B am 04.04.2016 der Zuschlag erteilt werde. A rügte am 31.03.2016 (das war der Donnerstag nach Ostern) gegenüber dem Auftraggeber den ausgebliebenen Ausschluss von B aus formalen Gründen. Am 01.04.2016 teilte der Auftraggeber „verbindlich“ mit, dass er am 04.04.2016 keinen Zuschlag erteilen, er die Rüge prüfen und sich deshalb die Wartefrist verlängern werde.

Gleichwohl versandte der Auftraggeber angeblich „versehentlich“ am 04.04.2016 ein Zuschlagsschreiben an B. Am 06.04.2016 wies der Auftraggeber die Rüge von A zurück und kündigte die Zuschlagserteilung für den 11.04.2016 an. Zugleich informierte der Auftraggeber den B über die Rüge von A und erklärte, dass der Zuschlag vom 04.04.2016 vorbehaltlich bis zur Aufklärung des Sachverhalts sei. Am 08.04.2016 reichte A einen Nachprüfungsantrag ein. Nach Auffassung des Auftraggebers ist dieser Nachprüfungsantrag unzulässig, weil er nach Erteilung des Zuschlags am 04.04.2016 eingereicht worden sei.

Die Entscheidung

Nach Meinung des OLG Düsseldorf ist der Zuschlag unwirksam. Es galt zunächst eine Wartefrist von 10 Tagen wegen der Übermittlung der Information per Fax. Demnach wäre die Wartefrist am Samstag, den 02.04.2016, abgelaufen. Der Zuschlag hätte somit am Montag, den 04.04.2016 erteilt werden können. Die Wartefrist wurde nach Auffassung des OLG durch die Schreiben vom 01./06.04.2016 jedoch nicht wirksam bis zum 11.04.2016 verlängert. Unabhängig davon, ob der Lauf einer gesetzlichen Frist, wie der Wartefrist nach § 101a Abs. 1 GWB a. F. (§ 134 GWB n. F. ) durch gewillkürte Erklärung des Auftraggebers überhaupt verlängert werden könne, sei die Fristverlängerung lediglich dem A bekannt gegeben worden, nicht aber allen Bietern, deren Angebot von einem Zuschlag ebenfalls ausgenommen bleiben sollten.

Obwohl die Frist nicht verlängert worden sei, läge kein wirksamer Vertrag vor.  Denn die Wartefrist sei durch Absendung der Information vor den Osterfeiertagen so drastisch auf im Ergebnis nur noch vier bis fünf Werktage verkürzt worden, dass effektiver Rechtsschutz  i. S. d. EU-Rechtsmittelrichtlinie nicht mehr gewährleistet gewesen sei. Die Frist sei deshalb überhaupt nicht in Gang gesetzt worden. Ein Zuschlag sei wegen des zwischenzeitlichen Nachprüfungsantrags folglich ohne Verstoß gegen das gesetzliche Zuschlagsverbot des § 115 Abs. 1 GWB a.F. (§ 169 Abs. 1 n. F.) nicht zustande gekommen. Der Nachprüfungsantrag sei somit zulässig (und im Übrigen begründet).

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung ist in zweifacher Hinsicht interessant. Zunächst ist bemerkenswert, dass nach Auffassung des OLG das erste Informationsschreiben vom 23.03.2016 nicht durch die weiteren Schreiben vom 01./06.04.2016 ersetzt wurde (wie es die erste Instanz noch gesehen hatte, vgl. VK Bund, B. v. 20.05.2016, VK 1-24/16). Immerhin wurde in diesen Schreiben verbindlich mitgeteilt, dass ein Zuschlag nicht am 04.04., sondern erst nach Prüfung der Rüge bzw. am 11.04.2016 erfolgen sollte. Offensichtlich meint das OLG, aus § 134 GWB ergäbe sich eine Pflicht zur Information an alle nicht berücksichtigte Bieter und somit auch eine Pflicht zur Korrektur einer Information gegenüber all diesen Bietern, damit der Inhalt dieser Änderung bindend wird. Das wirkt zunächst konsequent. Allerdings ist Sinn und Zweck der Informationspflicht der Rechtsschutz des jeweils betroffenen Bieters. Deshalb folgt die Unwirksamkeit des Vertrags bei Missachtung der Informationspflicht nur bei Einlegung eines Nachprüfungsantrags eines bestimmten Bieters. Der individuelle Rechtsschutz wird erschwert, wenn sich der Bieter nicht auf eine ihm gegenüber erklärte Verlängerung verlassen darf und zur Einlegung eines Antrags gezwungen wird. Teilweise wurde dem Auftraggeber bereits zugebilligt, die vom ihm selbst gesetzte Frist verbindlich zu verlängern und dies vertrauensschöpfend einem Bieter mitzuteilen (vgl. OLG Jena, B. v. 14.02.2005, Verg 1/05; Dreher, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2014, GWB § 101a, Rn. 57). Es wäre schön, wenn sich die Rechtsprechung hier zu einer einheitlichen, dem Rechtsschutz dienenden Auffassung durchringen könnte.

Der zweite Aspekt ist zwar bereits vom OLG schon einmal in 2014 festgestellt worden (vgl. OLG Düsseldorf, B. v. 05.11.2014, Verg 20/14). Es lohnt aber, angesichts der erneuten Beschlussfassung und vor den Feiertagen nochmals darauf ausdrücklich darauf hinzuweisen. Wenn eine Information ersichtlich kurz vor den Oster- oder Weihnachtsfeiertagen platziert wird, z. B. am Gründonnerstag oder 23.12. um 17:00 Uhr, dann wird wegen der zwangsläufigen Auswirkungen auf die Prüfungs- und Rechtsmittelfrist keine Wartefrist ausgelöst, sogar eine Rüge ist laut OLG entbehrlich. Der betroffene Bieter kann direkt und ohne Beachtung einer Wartefrist zur Vergabekammer schreiten mit der Folge der Unwirksamkeit eines zwischenzeitlichen Zuschlags.

Praxistipp

Bieter, die per Informationsschreiben einen bestimmten Zuschlagstermin mitgeteilt bekommen haben und gegen die Vergabeentscheidung rügen, können sich nicht auf ein Schreiben der Vergabestelle verlassen, wonach der Zuschlag nicht zum angekündigten Termin sondern später erfolgt. Diese Änderung ist nur relevant, wenn sie der Auftraggeber gegenüber allen nicht für den Zuschlag vorgesehenen Bietern übermittelt hat. Im Zweifel ist der fragliche Bieter gezwungen, zur Vermeidung eines rechtswirksamen Zuschlags die Vergabekammer anzurufen.

Auftraggeber wiederum sollten derartiges nicht provozieren, sondern alle Bieter entsprechend § 134 GWB über die Verlängerung der Wartefrist informieren und die Tatsache der allseitigen Information ebenfalls im Verlängerungsschreiben mitteilen. Außerdem haben Auftraggeber gerade in der kommenden Weihnachtszeit darauf zu achten, dass die „Weihnachtsbotschaft“ am 23.12. an nicht berücksichtigte Bieter nach § 134 GWB keineswegs den erhofften Effekt hat, dass sich die Wartefrist über die Feiertage folgenlos erledigt. Vielmehr wird die Wartefrist nicht in Gang gesetzt, was die Gefahr erhöht, dass die „Neujahrsbotschaft“ in Gestalt eines Nachprüfungsantrags daher kommt. Besser sollte die Information im neuen Jahr oder deutlich vor den Feiertagen übermittelt werden.