Produktneutralität und Transparenz der Zuschlagskriterien im Unterschwellenbereich (VK Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 21.09.2016 – 3 VK LSA 27/16)
Die Pflicht zur produktneutralen Ausschreibung gilt auch im Unterschwellenbereich. Das Vorliegen einer Ausnahme ist zu begründen und zu dokumentieren. Zuschlagskriterien müssen nach Ansicht der VK auch im Unterschwellenbereich in sämtlichen Ausschreibungen bekanntgemacht werden.
§§ 2, 7 Abs. 2, 12 a Abs. 4 VOB/A 2016
Sachverhalt
Der Auftraggeber schrieb einen Bauauftrag zur Erneuerung verschiedener elektrotechnischer Systeme unterhalb der europäischen Schwellenwerte öffentlich aus. Im Leistungsverzeichnis waren für sämtliche Einzelpositionen bestimmte Produkte mit dem Zusatz oder gleichwertig vorgeschrieben, weil die vorgegebenen Produkte Leitprodukte zur Absicherung der Ausführungsqualität seien und nur durch qualitativ gleichwertige Produkte zu ersetzen seien, wenn dies erforderlich sei.
Für die Bereiche Systemsicherheit und Firewall waren die vorgeschriebenen Produkte hingegen zwingend zu verwenden. Inwieweit dies jeweils gerechtfertigt war, wurde in der Vergabeakte nicht begründet oder dokumentiert. Zuschlagskriterien waren in den Vergabeunterlagen zunächst nicht genannt. Diese wurden erst denjenigen Bietern bekannt gegeben, die in die engere Auswahl gekommen waren und daher zu einer abschließenden wertungsrelevanten Präsentation ihres Angebots aufgefordert wurden.
Die Entscheidung
Die nach § 19 Abs. 3 des Landesvergabegesetzes Sachsen-Anhalt auch im Unterschwellebereich zuständige VK Sachsen-Anhalt, hat dem Nachprüfungsantrag vollumfänglich stattgegeben.
Der Auftraggeber habe bereits gegen die Pflicht zur produktneutralen Ausschreibung aus § 7 Abs. 2 VOB/A verstoßen. Ein Verweis auf bestimmte Produkte sei nur zulässig, wenn dies durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt sei (Ausnahme 1) oder der Auftragsgegenstand andernfalls nicht hinreichend genau und allgemein verständlich beschrieben werden könne (Ausnahme 2). In letzterem Fall sei der Zusatz oder gleichwertig anzufügen. Die Entscheidung, welcher Gegenstand mit welcher Beschaffenheit und welchen Eigenschaften beschafft werden soll, obliege zwar dem Auftraggeber. Die Bestimmungsfreiheit des Auftragsgebers finde aber ihre Grenze an der Verpflichtung zur produktneutralen Ausschreibung. Diese sei eingehalten, wenn die Bestimmung durch den Auftragsgegenstand sachlich gerechtfertigt sei, der Auftraggeber dafür nachvollziehbare objektive und auftragsbezogene Gründe angegeben habe und die Bestimmung somit willkürfrei getroffen worden sei. Diese Gründe müssten zudem tatsächlich vorhanden (notfalls bewiesen) sein und die Bestimmung dürfe andere Wirtschaftsteilnehmer nicht diskriminieren. Die Grenze habe der Auftraggeber überschritten, indem er für alle Leistungspositionen Leitprodukte angegeben und hinsichtlich der Systemsicherheit und Firewall vorgegebene Produkte verlangt und dies weder begründet noch dokumentiert habe.
Weiterhin habe der Auftraggeber gegen die auch im Unterschwellenbereich geltende Transparenzpflicht verstoßen. Aus den allgemeinen vergaberechtlichen Geboten der Gleichbehandlung und Transparenz und aus dem Rechtsstaatsgebot ergebe sich, dass auch bei Vergaben im Unterschwellenbereich der Zuschlag nur anhand zuvor bekannt gegebener und eindeutig formulierter Kriterien ergehen dürfe. Der Auftraggeber habe dagegen verstoßen, indem er zunächst gar keine Zuschlagskriterien genannt und anschließend Zuschlagskriterien nur einer begrenzten Zahl von Bietern, welche eine engere Auswahl erreicht hatten, bekanntgemacht hatte.
Rechtliche Würdigung
Die Auftragsbekanntmachung fand nach dem 18. April 2016 statt, sodass insoweit die neuere VOB/A 2016 zur Anwendung kam.
Die Vergabekammer wendet zunächst die für Auftraggeber tendenziell eher niedrigen Anforderungen des OLG Düsseldorf an das Gebot der produktneutralen Ausschreibung auch im Unterschwellenbereich an. Dies ist nachvollziehbar, weil kein Grund besteht im Unterschwellenbereich strengere Anforderungen an das Gebot der produktneutralen Ausschreibung zu stellen, als im Oberschwellenbereich. Aber auch diese niedrigen Anforderungen hatte der Auftraggeber im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Hinsichtlich der Systemsicherheit und Firewall durften hier im vorliegenden Fall ausschließlich die vorgegebenen Produkte verwendet werden. Dies ist nur nach der ersten Ausnahme des § 7 Abs. 2 S. 1 VOB/A (§ 7 Abs. 2 Nr. 1 VOB/A n.F.) zulässig, wenn dies durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt ist. Ob ein besonderes Vertrauen des Auftraggebers in bestimmte Produkte bei sicherheitsrelevanten Anlagenbestandteilen einen ausreichenden sachlichen Grund darstellen kann, musste die Vergabekammer hier nicht entscheiden. Denn der Auftraggeber hatte auf jegliche Begründung oder Dokumentation dieser Entscheidung verzichtet. Aus dem gleichen Grund war auch der Verweis auf bestimmte Leitprodukte bei den übrigen Leistungsteilen unzulässig. Aus dem Oberschwellenbereich ist bekannt, dass eine mangelnde Dokumentation der Rechtfertigung eine mangelnde Abwägung des Auftraggebers in der Sache nahelegen kann (Vgl. OLG Celle, Beschl. v. 22.5.2008 – 13 Verg 1/08; OLG Jena, Beschl. v. 26.6.2006 – 9 Verg 2/06).
Die Vergabekammer stellt zwar klar, dass eine strenge Vorgabe der Bekanntmachung von Zuschlagskriterien im Bereich unterhalb der Schwellenwerte gesetzlich nicht vorgeschrieben sei. Leitet sodann jedoch aus den allgemeinen vergaberechtlichen Geboten (Transparenz und Gleichbehandlung) und dem Rechtsstaatsgebot ab, dass Zuschlagskriterien dennoch bei sämtlichen Auftragsvergaben auch unterhalb der Schwellenwerte bekanntzumachen seien. Dies verwundert, weil der BGH erst kürzlich anders entschieden hat (BGH, Beschl. v. 10.05.2016 – X-ZR 66/15). Gleichwohl ist die Entscheidung der VK überzeugend und begrüßenswert. Denn eine transparente und diskriminierungsfreie Vergabe wird ohne die Bekanntgabe der maßgeblichen Zuschlagskriterien kaum zu erreichen sein (Vgl. Schröder, Vergabeblog.de vom 31/07/2016, Nr. 26827).
Praxistipp
Wenn der Auftraggeber bestimmte Produkte in der Leistungsbeschreibung angeben möchte, muss er begründen warum eine der genannten Ausnahmen erfüllt ist und dies dokumentieren. Mit dem Verweis oder gleichwertig kann sich der Auftraggeber seiner Begründungs- und Dokumentationspflicht nicht entziehen.
Zur rechtssicheren Gestaltung einer Ausschreibung sollten die maßgeblichen Zuschlagskriterien auch im Unterschwellenberiech spätestens in den Vergabeunterlagen angegeben werden. Wenn keine Zuschlagskriterien genannt werden sollen, sollte dies zumindest mit Verweis auf die Wertungskriterien des § 16 d Abs. 1 Nr. 3 VOB/A genauestens begründet und dokumentiert werden.
Kontribution
Dieser Beitrag wurde von Frau RA´in Marieke Schwarz in Zusammenarbeit mit ihrem Kollegen, Herrn RA Alexander Falk, verfasst.
Alexander Falk
Der Autor Alexander Falk ist Rechtsanwalt bei Orth Kluth Rechtsanwälte in Düsseldorf. Als Mitglied der dortigen Praxisgruppe Öffentliches Recht und Vergaberecht berät und begleitet er bundesweit öffentliche Auftraggeber und Bieter bei verschiedensten Ausschreibungen.