Addition von Planungsleistungen bei der Auftragswertberechnung: Funktionale Betrachtung entscheidend (OLG München, Beschl. v. 13.03.2017 – Verg 15/16)
Die Praxis der Vergabe von Planungsleistungen steht vor einem Paradigmenwechsel. Im Zentrum steht die kontrovers diskutierte Frage, ob Planungsleistungen unterschiedlicher Leistungsbilder für die Berechnung des Auftragswerts zusammenzurechnen sind. Das OLG München hat als erstes deutsches Obergericht entschieden, dass die Leistungen der Objektplanung, der Tragwerksplanung und der Planung der technischen Gebäudeausrüstung für ein einheitliches Bauvorhaben grundsätzlich als gleichartige Leistungen anzusehen und damit für die Schwellenwertberechnung zu addieren sind.
VgV 2016, § 3 Abs. 7 S. 2; SektVO 2016, § 2 Abs. 7 S. 2
Hintergrund
Bereits in den Jahren vor der Reform des europäischen Vergaberechts zum 18. April 2016 bewegte die Praxis der Vergabe von Planungsleistungen verstärkt die Frage, ob Planungsleistungen unterschiedlicher Leistungsbilder bei der Schwellenwertberechnung zu addieren sind.
Ausgangspunkt im deutschen Recht ist die Vorschrift des § 3 Abs. 7 S. 2 VgV (inhaltsgleich: § 2 Abs. 7 S. 2 SektVO), wonach die Werte gleichartiger Planungsleistungen zusammenzurechnen sind. Die alte Rechtslage stellte in § 3 Abs. 7 S. 3 VgV a.F. noch auf Teilaufträge derselben Leistung ab und ließ sich daher eher im Sinne einer leistungsbezogenen Betrachtung (entsprechend der Leistungsbilder der HOAI) interpretieren.
Sachverhalt
Der Auftraggeber schrieb die stufenweise Beauftragung der Leistungen für die Tragwerksplanung für den Neubau des Verwaltungsgebäudes eines Energieversorgungsunternehmens aus. In der Auftragsbekanntmachung war angegeben, dass die Planungsdisziplinen der Tragwerksplanung, der technischen Ausrüstung, der thermischen Bauphysik und der Objektplanung lückenlos aufeinander abgestimmt und optimiert werden müssten.
Die Antragstellerin rügte im Verfahren vor der Vergabekammer verschiedene Vergaberechtsverstöße. Die Vergabekammer verwarf den Nachprüfungsantrag bereits als unzulässig, weil der Auftragswert den Schwellenwert nicht erreichte. Gegen den Beschluss wendete sich die Antragstellerin mit sofortiger Beschwerde. Der Schwellenwert sei überschritten, weil alle für den Bau erforderlichen Dienstleistungsaufträge zu addieren seien.
Die Entscheidung
Mit Erfolg. Das OLG München stellte fest, dass unterschiedliche Planungsleistungen für ein einheitliches Bauvorhaben grundsätzlich als gleichartige Leistungen anzusehen und für die Schwellenwertberechnung zu addieren sind. Im entschiedenen Fall bedurfte es zwar keiner abschließenden Entscheidung, weil bereits der Auftraggeber in der Bekanntmachung auf die funktionale, wirtschaftliche und technische Einheit der Planungsleistungen ausdrücklich hingewiesen hatte.
Der Senat nimmt in den Entscheidungsgründen umfassend und instruktiv dazu Stellung, nach welchen Kriterien die Gleichartigkeit der Planungsleistungen im Sinne des § 3 Abs. 7 S. 2 VgV und des § 2 Abs. 7 S. 2 SektVO zu beurteilen ist.
Zunächst verweist das Gericht auf die bislang herrschende Ansicht, wonach die Planungsleistung der Objektplanung, der Tragwerksplanung und der Planung der technischen Gebäudeausrüstung unterschiedliche Leistungsbilder darstellen. Für diese Auslegung spreche der Wortlaut, der auf die Gleichartigkeit und nicht auf eine wirtschaftliche oder technische Funktion der Planungsleistung abstelle. Außerdem sei eine frühere Gesetzesfassung, die auf den funktionalen Zusammenhang abstellte noch in die jetzige Fassung geändert worden.
Das OLG München lässt jedoch deutlich erkennen, dass erhebliche Bedenken bestehen, ob eine leistungsbezogene Betrachtung (entsprechend der Leistungsbilder der HOAI) mit europarechtlichen Vorgaben im Einklang stehe. Entscheidende Bedeutung komme der amtlichen Begründung der Vorschrift des § 3 Abs. 7 S. 2 VgV zu (vgl. BT-Drs. 18/7318, S. 210). Denn bei der Bewertung, ob Planungsleistungen gleichartig sind, sei ein funktionaler Zusammenhang entscheidend:
Satz 2 stellt deklaratorisch fest, dass nur die Werte solcher Planungsleistungen zusammenzurechnen sind, die gleichartig sind. Bei der Bewertung, ob Planungsleistungen gleichartig sind, ist die wirtschaftliche oder technische Funktion der Leistungen zu berücksichtigen.
Auch die Rechtsprechung des EuGH spreche für eine funktionale Betrachtungsweise (vgl. EuGH, Urt. v. 15.03.2012 C-574/10 Autalhalle Niedernhausen). Der Gerichtshof lege in den Urteilsgründen dar, dass Bau- und Dienstleistungsaufträge bei der Berechnung des Auftragswertes grundsätzlich gleich zu behandeln sind. Eine Addition unterschiedlicher Planungsleistungen sei dann angezeigt, wenn die Leistungen vorhabenbezogen in einem funktionalen Zusammenhang stehen, also eine innere Kohärenz zueinander aufweisen.
Dasselbe Verständnis wie der EuGH vertrete auch die EU-Kommission im Rahmen eines inzwischen eingestellten Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland in der Sache Freibad Stadt Elze: Planungsleistungen seien auch dann zu addieren, wenn die jeweiligen Leistungen eine unterschiedliche Spezialisierung erfordern und unterschiedlichen Preisregeln unterlägen (vgl. Aufforderungsschreiben Vertragsverletzung Nr. 2015/4228 C (2015) 8759 final).
Rechtliche Würdigung
Die Entscheidung des OLG München stellt klar, dass jedenfalls bei einer funktionalen, wirtschaftlichen und technischen Einheit von Planungsleistungen eine Addition der Auftragswerte für die Schwellenwertberechnung erfolgen muss. Für diese Rechtsauffassung spricht die amtliche Begründung des Normgebers der Regelung des § 3 Abs. 7 Satz 2 VgV (inhaltsgleich: § 2 Abs. 7 Satz 2 SektVO). Auch die Rechtsprechung des EuGH und die Rechtsauffassung der EU-Kommission weisen eindeutig in Richtung einer funktionalen Betrachtungsweise. Ausgehend von einer funktionalen Betrachtungsweise wäre die Anwendbarkeit des Europäischen Vergaberechts bei der Vergabe von Planungsleistungen erheblich ausgeweitet.
Praxistipp
Besondere Vorsicht müssen kommunale Auftraggeber insbesondere bei der Gewährung von Fördermitteln walten lassen. Unterbleibt die Durchführung eines europaweiten Vergabeverfahrens, drohen Risiken nämlich nicht nur während des Vergabeverfahrens durch nicht berücksichtigte Wettbewerber. Risiken ergeben sich auch noch lange nachdem das Vergabeverfahren und ggf. die Maßnahme insgesamt abgeschlossen ist. Denn bei Vergaberechtsverstößen droht eine (Teil-)Zurückforderung gewährter Zuwendungen. Hinzuweisen ist außerdem darauf, dass insbesondere EU-Fördermittel (Beispiel: EFRE) besondere Zuwendungsvoraussetzungen enthalten.
Anmerkung der Redaktion:
Der Beitrag ist Teil einer umfassenden Serie zur Vergabe von Planungsleistungen und freiberuflichen Leistungen (vgl. auf der Homepage des Vergabeblog unter Serien Planungsleistungen und freiberufliche Leistungen).