Zum Rechtsschutz unterhalb der Schwellenwerte bei fehlerhafter Zurückversetzung des Verfahrens (LG Frankfurt/M. , Urt. v. 21.12.2016, 2-04 O179/16)

EntscheidungAuch unterhalb der Schwelle hat der Bieter einen Unterlassungsanspruch, wenn der Auftraggeber Schutzpflichten aus dem vorvertraglichen Schuldverhältnis verletzt. Die Tatsache, dass Bieter am Submissionstermin nicht teilnehmen können, ist kein beachtlicher Fehler, der eine Zurückversetzung des Verfahrens erfordert.

§§ 241 Abs. 2, 280, 311 Abs. 2 BGB; § 14 Abs. 1, S. 1 VOB/A 2016

Leitsätze

  1. Durch die Beteiligung an einer öffentlichen Ausschreibung kommt zwischen Bieter und Auftraggeber ein vorvertragliches Schuldverhältnis zustande, das wechselseitige Schutz- und Rücksichtnahmepflichten begründet.
  2. Verletzt der Auftraggeber Schutzpflichten aus diesem vorvertraglichen Schuldverhältnis, steht dem Bieter ein Unterlassungsanspruch zu, der im Bereich des Unterschwellenvergaberechts im Wege einer einstweiligen Verfügung durchgesetzt werden kann.
  3. Der Auftraggeber verletzt seine gegenüber dem Bieter bestehende Schutzpflicht, ein ordnungsgemäßes Vergabeverfahren durchzuführen, wenn er das Verfahren nach der ersten Submission vergaberechtswidrig zurückversetzt und wiederholt.
  4. Dass die Bieter an dem Submissionstermin nicht teilnehmen können, ist kein beachtlicher Fehler, der eine Zurückversetzung des Verfahrens erfordert.

Sachverhalt

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte einen Bauauftrag gemäß VOB/A unterhalb der Schwelle öffentlich ausgeschrieben. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Drei Bieter hatten ein Angebot abgegeben und wollten an der Submission teilnehmen, wobei ihnen ein nicht informierter Wachdienst am Eingang den Zugang verwehrte, sie an der Öffnung der Angebote daher nicht teilnehmen konnten. Bieter A hatte das preisgünstigste Angebot abgegeben. Bieter B legte darauf Widerspruch gegen den Submissionstermin ein, worauf der AG die Ausschreibung in den Stand vor Angebotsabgabe zurückversetzte. Bieter A rügte dies, gab ein neues Angebot ab und war in der zweiten Wertungsrunde zweitgünstigster Bieter. Auf Antrag des A erließ darauf das Landgericht (LG) eine einstweilige Verfügung, mit der dem AG untersagt wurde, im Rahmen der Ausschreibung einen Vertrag abzuschließen. Dagegen wehrte sich der AG mit einem Widerspruch.

Die Entscheidung

Das LG gibt hier Bieter A Recht. A hat hier gegen den AG aus vorvertraglichem Schuldverhältnis gem. §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 BGB einen Verfügungsanspruch auf Unterlassen eines vergaberechtswidrigen Vertragsschlusses. Die hier vorliegende Tatsache, dass die Vergabestelle die Bieter an der Teilnahme am Submissionstermin gehindert hat, stellt keinen vergaberechtlichen Fehler dar, weil eine solche nicht notwendig und die Einsichtnahme in die Niederschriften der Submission erfolgt war.

Rechtliche Würdigung

Ein Unterlassungsanspruch aus §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 BGB besteht, wenn Schutzpflichten aus einem vorvertraglichem Schuldverhältnis verletzt werden. Der AG hat diese Schutzpflicht gegenüber A, ein ordnungsgemäßes Vergabeverfahren nach den Regeln der VOB/A durchzuführen, verletzt, indem er das Verfahren nach der ersten Submission vergaberechtswidrig zurückversetzt und wiederholt hat. Ein Aufhebungsgrund nach § 17 VOB/A, welcher für die Zurückversetzung entsprechend gilt und eine solche rechtfertigen kann, liegt nicht vor. Insbesondere besteht kein schwerwiegender Grund im Sinne von § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A. Für die Annahme eines schwerwiegenden Grundes ist ein strenger Maßstab anzusetzen. Nicht jedes rechtlich oder tatsächlich fehlerhafte Verhalten der Vergabestelle reicht dafür aus. Vielmehr muss der Fehler von so großem Gewicht sein, dass ein Festhalten des öffentlichen Auftraggebers an dem fehlerhaften Verfahren mit Gesetz und Recht schlechterdings nicht zu vereinbaren ist. Eine Nicht-Teilnahme der Bieter am Submissionstermin kann lediglich dann einen schwerwiegenden Verfahrensfehler begründen, wenn die Vergabestelle die Bieter an der Teilnahme hindert oder sie ihnen gar nicht erst ermöglicht. Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. In der Nicht-Teilnahme der Bieter an dem Submissionstermin liegt mangels Notwendigkeit der Teilnahme sowie der erfolgten Einsichtnahme in die Niederschriften der Submission bereits kein vergaberechtlicher Fehler vor, dessen Behebung durch Zurückversetzung des Verfahrens erforderlich gewesen ist. Die Verwirklichung des Unterlassungsanspruchs des A gegen den AG, keinen vergaberechtswidrigen Vertrag zu schließen, ist dadurch gefährdet, dass es dem AG seit dem zweiten Submissionstermin jederzeit möglich ist, einen Vertragsabschluss mit dem neuen Bestbieter oder einem anderen Bieter herbeizuführen. Letzterer würde die Zuschlagserteilung und damit die Beendigung des Vergabeverfahrens bedeuten. A hat hier durch seine Rüge der Zurückversetzung und Wiederholung des Verfahrens noch vor dem zweiten Submissionstermin rechtzeitig die ihm drohende Verletzung angezeigt. Insbesondere ist sein zu sicherndes Recht, das sich aus Abgabe des ersten Angebots ergibt, nicht durch Abgabe des neuen Angebots im zweiten Submissionsverfahren erloschen.

Praxistipp

Eine auch insofern interessante Entscheidung, als sie einen Fall des Rechtsschutzes unterhalb der Schwellenwerte betrifft. Entscheidend war hier, dass Bieter A umgehend vor dem zweiten Submissionstermin gerügt und noch vor dem Zuschlag im zweiten Verfahren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gestellt hat. Das LG hat hier deutlich festgestellt, dass mit der Nichtteilnahmemöglichkeit am Submissionstermin zwar ein Fehler des AG vorlag, aus diesem jedoch die Bieter keinen bieterschützenden Anspruch ableiten können. Dies hat der AG hier verkannt und mit der Zurückversetzung und Wiederholung des Verfahrens die Angelegenheit insoweit verschlimmbessert, als nun tatsächlich eine Vergaberechtswidrigkeit vorlag, die dem Bieter A einen durchsetzbaren Unterlassungsanspruch gab.