Zur Bedeutung des Vorrangs des eigenwirtschaftlichen Verkehrs bei der Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrages für Verkehrsdienstleistungen (OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 24.01.2017 – 11 Verg 1/16)
Das OLG Frankfurt a.M. hatte sich in seiner Entscheidung u.a. mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die Missachtung des im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) normierten Grundsatzes des Vorrangs eigenwirtschaftlicher Verkehre eine Bestimmung des Vergaberechts i.S.d. § 97 Abs. 7 GWB a.F. darstellt, auf die sich der betroffene Bieter im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens berufen kann. Das Gericht verneinte dies und kam folgerichtig zu dem Ergebnis, dass die Antragstellerin hinsichtlich der Geltendmachung dieses Verstoßes nicht antragsbefugt sei.
§§ 101a Abs. 1 a.F., 107 Abs. 3 a.F., 178 S. 3 GWB; §§ 8a, 12 Abs. 6, 42 PBefG; Art. 7 Abs. 2 VO (EG) 1370/2007
Leitsätze
- Der Grundsatz des Vorrangs eigenwirtschaftlicher Verkehre im öffentlichen Personennahverkehr ist keine Bestimmung des Vergaberechts i.S.d. § 97 Abs. 7 GWB a.F.
- Der Verstoß gegen diesen Grundsatz begründet keinen Schadensersatzanspruch eines im Vergabeverfahren unterlegenen Bieters, wenn der Zuschlag bereits an den Bestbieter erteilt worden ist.
- Ob der Antrag auf Erteilung einer Genehmigung für einen eigenwirtschaftlichen Verkehr innerhalb der in § 12 Abs. 5, 6 PBefG festgelegten Fristen gestellt wurde, ist nicht Gegenstand des Vergabenachprüfungsverfahrens, sondern allein durch die zuständige Verwaltungsbehörde bzw. im dafür vorgesehenen Verwaltungsrechtsweg zu überprüfen. Hierzu gehört auch die Frage, ob eine veröffentlichte Vorabbekanntmachung nach § 8a Abs. 2 PBefG, Art. 7 Abs. 2 VO (EG) 1370/2007 trotz formaler und/oder inhaltlicher Mängel geeignet ist, die Drei-Monats-Frist des § 12 Abs. 6 PBefG auszulösen.
Sachverhalt
Gegenstand der Entscheidung war die Ausschreibung von Verkehrsdienstleistungen im Buspersonennahverkehr. Die Antragsgegner machten mit Vorinformation vom 28. Oktober 2014 europaweit ihre Absicht bekannt, im offenen Verfahren sieben Linienbündel ab dem Jahr 2017 vergeben zu wollen. Zu diesen Linienbündeln gehörten auch die Linienbündel Stadt1/Stadt2, die die Antragstellerin (eine Arbeitsgemeinschaft zweier Busverkehrsunternehmen) aufgrund einer im Jahr 2008 erteilten Liniengenehmigung eigenwirtschaftlich betrieben hatte.
Mit Auftragsbekanntmachung vom 26. September 2015 schrieben die Antragsgegner Dienstleistungen für vier der Linienbündel losweise aus, wobei das Los 3 das Linienbündel Stadt1/Stadt2 betraf. Als einziges Zuschlagskriterium war die Höhe der angebotenen Preise angegeben.
Mit Schreiben vom 30. November 2015 teilten die Antragsgegner der Antragstellerin mit, dass der Zuschlag auf das Angebot der A GmbH erteilt werden solle, da dieses als das wirtschaftlichste Angebot bewertet worden sei.
Die Antragstellerin rügte mit Schreiben vom 07. Dezember 2015, dass die Vorabbekanntmachung fehlerhaft sei, da sie nicht die erforderlichen Angaben nach Art. 7 Abs. 2 VO (EG) 1370/2007 enthalte und zudem ein Hinweis auf § 12 Abs. 6 PBefG fehle. Hieraus folge, dass die Vorabbekanntmachung keine präkludierende Wirkung auf eigenwirtschaftliche Anträge entfalte. Sie beabsichtige, fristgerecht einen eigenwirtschaftlichen Antrag zu stellen.
Nachdem die Antragsgegner die Vorabinformation zunächst zurückzogen, verwiesen sie mit Schreiben vom 18. Dezember 2015 auf eine neue Bieterinformation vom selbe Tage, wonach die Vorabbekanntmachung korrigiert worden sei. Die Korrekturbekanntmachung betraf nicht das Linienbündel Stadt1/Stadt2.
Mit Schreiben vom 11. Januar 2016 teilten die Antragsgegner der Antragstellerin mit, dass der Zuschlag frühestens am 22. Januar 2016 der A GmbH erteilt werden solle und die Rüge vom 07. Dezember 2015 unbegründet sei. Mit Nachprüfungsantrag vom 19. Januar 2016 begehrte die Antragstellerin, u.a. den Antragsgegnern zu untersagen, den Zuschlag auf das Linienbündel Stadt1/Stadt2 zu erteilen. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass es an der Vergabereife fehle. Diese liege erst vor, wenn die Antragsfrist für mögliche eigenwirtschaftliche Anträge, die gemäß § 12 Abs. 6 PBefG durch eine Vorabbekanntmachung ausgelöst werde, abgelaufen sei und mindestens eine erste Entscheidung der zuständigen Genehmigungsbehörde vorliege. Die erfolgte Vorabbekanntmachung sei unwirksam, da sie elementare Angaben nicht enthalte.
Die Vergabekammer hat mit Beschluss vom 21. Januar 2016 entschieden, den Nachprüfungsantrag nicht zu übermitteln, da er offensichtlich unbegründet sei und ernstliche Zweifel an der Zulässigkeit vorlägen. Am 22. Januar 2016 erteilten die Antragsgegner der A GmbH den Zuschlag.
Am 28. Dezember 2015 hatte die Antragstellerin beim zuständigen Regierungspräsidium die Erteilung einer Genehmigung für den Weiterbetrieb eines Linienverkehrs mit Kraftfahrzeugen nach § 42 PBefG für das Linienbündel Stadt1/Stadt2 beantragt. Das Regierungspräsidium lehnte den Antrag mit Beschluss vom 19. Februar 2016 ab und verwies darauf, dass die Drei-Monats-Frist für den Antrag nach § 12 Abs. 6 Satz 1 PBefG abgelaufen sei. Selbst wenn man von einer Unwirksamkeit der Vorabbekanntmachung ausgehen würde, seien eigenwirtschaftliche Anträge nach § 12 Abs. 5 Satz 1 PBefG bis zum 1. Dezember 2015 zu stellen gewesen. Sowohl der eingelegte Widerspruch als auch der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung blieben erfolglos.
In Unkenntnis des bereits erteilten Zuschlags legte die Antragstellerin am 25. Januar 2016 gegen den Beschluss der Vergabekammer sofortige Beschwerde ein, mit der sie das Begehren des Nachprüfungsantrags weiterverfolgte. Nachdem ihr der bereits erteilte Zuschlag mitgeteilt worden war, stellte sie ihr Begehren auf die Feststellung um, dass sie durch die Entscheidung der Vergabekammer in ihren Rechten verletzt worden sei. Sie habe ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse, weil die Entscheidung des Vergabesenats zur Vergabereife und damit zur Genehmigungsfähigkeit von gemeinwirtschaftlichen Verkehren von zentraler Bedeutung für eine Auseinandersetzung auf dem Verwaltungsrechtsweg sei. Zudem bestehe eine Wiederholungsgefahr, da die Antragsgegner von der Richtigkeit ihres Handelns überzeugt seien.
Die Entscheidung
Das OLG Frankfurt a.M. sah den Fortsetzungsfeststellungsantrag als unzulässig an, da erhebliche Zweifel an der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags bestünden; jedenfalls fehle es aber an dem notwendigen Fortsetzungsfeststellungsinteresse.
Die Rügen, in der Vorabbekanntmachung vom 28. Oktober 2014 seien die betroffenen Dienste und Gebiete nicht ordnungsgemäß nach § 8a Abs. 2 PBefG i.V.m. Art. 7 Abs. 2 der VO (EG) 1370/2007 bezeichnet gewesen, die Vorabbekanntmachung habe keinerlei Angaben zu Fahrplan, Beförderungsentgelten und (weiteren) Standards nach § 8a Abs. 2 Satz 3 PBefG enthalten und es fehle ein Hinweis in der Vorabbekanntmachung auf die Drei-Monats-Frist des § 12 Abs. 6 Satz 1 PBefG, seien allesamt präkludiert. Die genannten vermeintlichen Vergaberechtsverstöße seien der Antragstellerin allesamt aus der Vorabbekanntmachung bekannt gewesen. Zudem seien die geltend gemachten Mängel nicht kausal dafür gewesen, dass diese nicht das wirtschaftlichste Angebot abgegeben habe. Insoweit fehle es auch an der Antragsbefugnis nach § 107 Abs. 2 Satz 2 GWB a.F.
Bezüglich der Rüge, die Antragsgegner hätten bei einer Einleitung des Vergabeverfahrens den in §§ 8 Abs. 5, 8a Abs. 1 PBefG normierten Grundsatz des Vorrangs eigenwirtschaftlicher Verkehre missachtet, sei die Antragstellerin nach § 107 Abs. 2 Satz 1 GWB a.F. nicht antragsbefugt. Zur Begründung führte das Gericht aus, dass es sich bei diesem Grundsatz nicht um eine Bestimmung des Vergaberechts i.S.d. § 97 Abs. 7 GWB a.F. handle. Die Beachtung dieses Grundsatzes sei der Entscheidung des Aufgabenträgers über die Durchführung eines Vergabeverfahrens vorgelagert. Eine öffentliche Ausschreibung unter Verletzung des Vorrangs der Eigenwirtschaftlichkeit führe möglicherweise zu einer Verletzung der subjektiven Rechte desjenigen, der einen eigenwirtschaftlichen Verkehr anbieten wolle, nicht aber zur Verletzung der Rechte der Bieter, die sich an der Ausschreibung beteiligen. Die Doppelrolle der Antragstellerin könne nicht dazu führen, dass sie Rechte, die ihr möglicherweise als Interessentin eines eigenwirtschaftlichen Verkehrs zustehen, in ihrer Rolle als Bieterin im Nachprüfungsverfahren geltend machen könne.
Eine Missachtung des Grundsatzes des Vorrangs der Eigenwirtschaftlichkeit und der zur dessen Wahrung erlassenen Vorschriften (insbesondere Art. 7 Abs. 2 VO (EG) 1370/2007, § 8a Abs. 1 und 2 PBefG) sei zwar insoweit für das Vergabeverfahren relevant, als dessen Durchführung hiervon beeinflusst werden könnte. Der diesbezüglichen Rüge stünden jedoch wiederum die Vorschriften des § 107 Abs. 2 und 3 GWB a.F. entgegen. Die Nichteinhaltung des in Art. 7 Abs. 2 VO (EG) 1370/2007 festgelegten Mindestzeitraums zwischen Vorabbekanntmachung und Einleitung des Vergabeverfahrens sei aus der Vorabbekanntmachung erkennbar gewesen. Zudem sei ein Schaden durch die Verkürzung der Frist nur dann denkbar, wenn innerhalb der 12 Monate ein Antrag auf Genehmigung von eigenwirtschaftlichem Verkehr gestellt worden wäre. Dies sei jedoch nicht der Fall gewesen.
Zudem ist nach Auffassung des Gerichts die Rüge des Fehlens des Hinweises in der Vorabbekanntmachung auf die dreimonatige Antragsfrist nach § 12 Abs. 6 PBefG ebenfalls verfristet. Auch spreche viel dafür, dass Vergabereife aufgrund der Frist des § 12 Abs. 5 PBefG spätestens am 11. Dezember 2015 und damit vor Einleitung des Nachprüfungsverfahrens eingetreten sei, so dass es auf die Ingangsetzung der Frist nach § 12 Abs. 6 PBefG durch die Vorabbekanntmachung nicht ankomme. Dementsprechend sei die Antragsbefugnis unter dem Gesichtspunkt der Vergabereife ebenfalls zu verneinen. Weiterhin führte das Gericht aus, dass die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags letztlich offen bleiben könne, weil die Antragstellerin jedenfalls kein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung einer Rechtsverletzung schlüssig dargelegt habe.
Ein Schadensersatzanspruch sei nicht ersichtlich. Der von der Antragstellerin vorgebrachte Aspekt der nutzlosen Aufwendungen für ihr Angebot sei dadurch entfallen, dass das Vergabeverfahren tatsächlich durch Zuschlagserteilung abgeschlossen wurde und die Antragstellerin nur deshalb nicht zum Zuge gekommen sei, weil sie nicht das wirtschaftlichste Angebot abgegeben habe. Zudem sei die Entscheidung des Senats über eine etwaige Verletzung vergaberechtlicher Vorschriften durch die Antragsgegner nicht präjudiziell für die Entscheidung der Verwaltungsbehörden bzw. Verwaltungsgerichte hinsichtlich des Antrags der Antragstellerin auf Genehmigung eines eigenwirtschaftlichen Linienverkehrs nach § 42 PBefG. Denn nach den Ausführungen des Regierungspräsidiums und des Verwaltungsgerichts Gießen komme es auf die Wirksamkeit der Vorabbekanntmachung für die Genehmigung des Antrags nicht an. Weiterhin sei das Genehmigungsverfahren nach § 11 PBefG allein Sache der zuständigen Behörden. Die vergaberechtlichen Nachprüfungsinstanzen hätten nur zu überprüfen, ob Mängel der Vorabbekanntmachung Einfluss auf das Vergabeverfahren hätten.
Schließlich sei eine Wiederholungsgefahr nicht gegeben, da kein Grund zu der Annahme bestehe, dass die Antragsgegner erneut in der antragstellerseits beanstandeten Weise gegen Rechtsvorschriften verstoßen würden. Denn die Antragsgegner hätten nicht geltend gemacht, dass die Vorabbekanntmachung allen rechtlichen Anforderungen entsprach.
Rechtliche Würdigung
Die Entscheidung des OLG Frankfurt a.M. macht deutlich, dass streng zwischen der Verletzung des in §§ 8 Abs. 4, 8a Abs. 1 PBefG normierten Grundsatzes des Vorrangs eigenwirtschaftlicher Verkehre und der Verletzung subjektiver Rechte nach § 97 Abs. 7 GWB a.F. zu unterscheiden ist. Ein Unternehmen, das sich auf subjektive Rechte, die ihm als Interessent eines eigenwirtschaftlichen Verkehrs im Rahmen des PBefG zustehen, berufen kann, kann diese Rechte nicht auch im Rahmen eines Vergabenachprüfungsverfahrens geltend machen. Denn die Beachtung des Grundsatzes des Vorrangs der Eigenwirtschaftlichkeit ist dem Vergabeverfahren vorgelagert und kann daher nicht Rechte des Bieters an einem Vergabeverfahren verletzen.
Darüber hinaus hebt die Entscheidung hervor, dass ein verwaltungsrechtliches Genehmigungsverfahren (hier der Antrag auf Erteilung einer Genehmigung für einen eigenwirtschaftlichen Verkehr) allein von den zuständigen Verwaltungsbehörden durchzuführen ist und grundsätzlich nicht Gegenstand des Vergabenachprüfungsverfahrens sein kann. Ein Mangel im Genehmigungsverfahren wird nur dann zum Gegenstand eines Vergabenachprüfungsverfahrens, wenn dieser Einfluss auf das Vergabeverfahren haben kann. Ein solcher Einfluss konnte vom Gericht im vorliegenden Fall jedoch verneint werden.
Schließlich ist der Entscheidung die überragende Bedeutung der Präklusionsvorschriften im Vergaberecht zu entnehmen. Zahlreiche Rügen der Antragstellerin führten bereits deshalb nicht zum Erfolg, weil das OLG Frankfurt a.M. sie als präkludiert ansah.
Praxistipp
Die Vergabestellen sollten vor der Ausschreibung von Verkehrsdienstleistungen stets prüfen, ob die Jahresfrist nach der nach Art. 7 Abs. 2 VO (EG) 1370/2007 erforderlichen Vorabbekanntmachung abgelaufen ist. Denn die Nichteinhaltung dieser Frist kann zu einer fehlenden Vergabereife und infolgedessen zu einem Vergaberechtsverstoß führen, wenn die Durchführung des ausgeschriebenen Verkehrs durch den Bestbieter verhindert wird, weil einem Dritten vorrangig eine Genehmigung zum eigenwirtschaftlichen Verkehr zu erteilen ist.
Zudem ist Bietern dringend anzuraten, erkannte Vergabeverstöße sofort zu rügen und nicht bis zu dem Zeitpunkt abzuwarten, in dem die Vergabestelle mitteilt, dass ein anderer Bieter den Zuschlag erhalten soll.