Wertung nach dem Schulnotensystem: Der BGH soll es nun richten (OLG Dresden, Beschl. v. 02.02.2017 – Verg 7/16)

EntscheidungDas OLG Dresden ist der Auffassung, dass eine Angebotswertung am Maßstab von Schulnoten hinreichend transparent ist. Es sei demnach weder notwendig noch praktikabel, jedem einzelnen Wertungsaspekt im Vorhinein einen konkreten Punktwert zuzuordnen oder sprachliche Umschreibungen zu finden, die eine solche Zuordnung dann nur noch als eine bloße Rechenoperation erscheinen lassen würden. Das OLG Dresden schließt sich damit der Auffassung des EuGH in der Sache TNS Dimarso (Urt. v. 14.07.2016, Rs. C-6/15) an, steht mit dieser Auffassung aber im Gegensatz zu der bisherigen Spruchpraxis des OLG Düsseldorf (Beschl. v. 16.12.2015 Verg 25/15 und v. 15.06.2016 Verg 49/15) und legt die Sache dem BGH im Rahmen der Divergenzvorlage zur Entscheidung vor.

§§ 127, 179 GWB; § 524 Abs. 2 ZPO

Leitsatz

  1. Ein Schulnotensystem ist nicht von vorneherein intransparent. Aufgrund der Abweichung von der Entscheidung des OLG  Düsseldorf vom 16.12.2015 wird die Sache dem Bundesgerichtshof vorgelegt.
  2. Die Frist, innerhalb deren die auch im Vergabenachprüfungsverfahren statthafte Anschlussbeschwerde in zulässiger Weise eingelegt werden kann, bemisst sich in Anlehnung an § 524 Abs. 2 ZPO nach der dem Gegner zur Erwiderung gesetzten Frist.

Sachverhalt

Der Entscheidung lag ein Vergabeverfahren für Postdienstleistungen zugrunde. Der Zuschlag sollte auf das wirtschaftliche Angebot erteilt werden, das nach dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis zu ermitteln war. Preis und Qualität der Leistungserbringung sollten mit jeweils 50 % in die Gesamtwertung eingehen. Die Bewertung des Preises sollte anhand eines vorab bekanntgemachten Punktesystems mit maximal 50 Punkten erfolgen. Die Bewertung der Qualität der Leistungserbringung sollte anhand der vorab bekanntgemachten leistungsbezogenen Unterkriterien nach dem Maßstab des Schulnotensystems erfolgen.
Dieses Wertungssystem wurde von der Antragstellerin im Vergabeverfahren gerügt. Zum einen sei die für die Bewertung des Preises vorgesehene Bewertungssystematik vergaberechtswidrig, da der Angebotspreis letztlich nur untergeordnete Berücksichtigung finden würde. Zum anderen lasse das für die Bewertung der Qualität der Leistungserbringung vorgesehene Schulnotensystem Spielraum für Manipulationen und Willkür, da für die Bieter nicht erkennbar sei, welche Angaben für die Erlangung einer bestimmten Benotung erwartet würden. Nachdem der Rüge nicht abgeholfen wurde, stellt die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag bei der zuständigen Vergabekammer.
Die Vergabekammer stellte zugunsten der Antragstellerin bezüglich einzelner Unterkriterien zur Bewertung der Qualität der Leistungserbringung fest, dass für die Bieter nicht nachvollziehbar sei, welche Leistung für welchen Punktwert erwartet werde. Daher begegne die Wertungssystematik vergaberechtlichen Bedenken. Die vorgesehene Bewertung des Preises sei nach Auffassung der Vergabekammer dagegen nicht zu beanstanden. Hiergegen wendete sich die Antragstellerin mit der sofortigen Beschwerde. Die Antragsgegnerin wendete sich ihrerseits mit der Anschlussbeschwerde dagegen, dass die Anwendung des Schulnotensystems in der gegebenen Konstellation vergaberechtswidrig sei.

Die Entscheidung

Die Antragstellerin hatte mit ihrer sofortigen Beschwerde keinen Erfolg, da das OLG Dresden der Auffassung ist, dass die Regelungen zur Preiswertung in der Ausschreibung vergaberechtlich nicht zu beanstanden sei. Zwar sei nach der bekanntgegebenen Bewertungsmethode eine Umrechnung von Preisen in Punktwerte vorgesehen. Bei geringen Preisabständen der Angebote würde die rechnerisch mögliche Spanne von einem Punkt bis zu maximal 50 Punkten nicht ausgeschöpft. Allerdings ist aus Sicht des OLG Dresden kein Grund erkennbar, der die Vergabestelle dazu anhalten würde, ein Punktesystem so auszugestalten, dass der durch die höchstmögliche und die denkbar niedrigste Punktzahl abgesteckte Rahmen unter allen Umständen ausgeschöpft werden kann. Es trifft zu, dass bei eher kleinen Punktdifferenzen im Preis den Qualitätsmerkmalen entscheidende Bedeutung zukommt, was allerdings vergaberechtlich nicht zu beanstanden ist.
Dagegen hatte die Antragstellerin mit ihrer Anschlussbeschwerde insoweit Erfolg, als dass sich das OLG Dresden deren Auffassung anschließt, die Sache jedoch dem Bundesgerichtshof im Rahmen der Divergenzvorlage zur Entscheidung vorgelegt. Weder die in Rede stehenden Qualitätsmerkmale seien intransparent noch gelte dies für das Schulnotensystem als Wertungssystem. Anders als das OLG Düsseldorf ist das OLG Dresden der Auffassung, dass es nicht erforderlich ist, dass den Bietern für jeden Punktwert erkennbar sein müsse, welcher Erfüllungsgrad („Zielerreichungsgrad“) jeweils erreicht sein muss. Das OLG Dresden sieht sich im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, der an noch weniger präzisen Wertungsvorgaben keinen Anstoß genommen hat. Es sei weder notwendig noch überhaupt praktisch handhabbar, jedem einzelnen Wertungsaspekt im Rahmen eines Unterkriteriums im Vorhinein einen konkreten Punktwert zuzuordnen oder auch nur sprachliche Umschreibungen zu finden, die eine solche Zuordnung dann nur noch als eine bloße Rechenoperation erscheinen lassen würden.

Rechtliche Würdigung

Das Vorgehen des OLG Dresden ist zu begrüßen, da mit der Entscheidung durch den BGH zu dem sehr praxisrelevanten Thema der Wertung dann mehr Rechtssicherheit besteht.
Kritisch ist die Auffassung des OLG Dresden zur Bewertung des Preises zu sehen. Eine Umrechnung von Preisen in Punkte birgt grundsätzlich die Gefahr, dass es zu Verzerrungen kommt und die preislichen Abstände der einzelnen Angebote nicht hinreichend in der Wertung abgebildet sind (vgl. dazu auch VK Südbayern, Beschl. v. 30.08.2016 Z3-3-3194-1-28-07/16 und VK Baden-Württemberg, Beschl. v. 18.10.2016 1 VK 41/16). Ungeachtet dessen ist es erforderlich, dass den Bietern bekannt gegeben wird, welche Methodik zur Anwendung kommt (vgl. OLG Brandenburg, Beschl. v. 28.03.2017 6 Verg 5/16).
Mehr Spielraum dürfte die Auffassung des OLG Dresden zur Wertung leistungsbezogener Kriterien eröffnen. Allerdings hat der öffentliche Auftraggeber stets darauf zu achten, dass sämtliche wertungsrelevanten Informationen wie z.B. Unterkriterien bekannt gemacht wurden (vgl. OLG Brandenburg, Beschl. v. 28.03.2017 6 Verg 5/16). Ein offenes Bewertungssystem wie das Schulnotensystem führt im Übrigen zu höheren Anforderungen an die Dokumentation der Wertungsentscheidung des öffentlichen Auftraggebers, der die Ausübung seines Beurteilungsspielraums hinreichend nachvollziehbar begründen und dokumentieren muss (vgl. VK Südbayern, Beschl. v. 19.01.2017 Z3-3-3194-1-47-11/16).

Praxistipp

Aus Gründen der Rechtssicherheit sollte eine Preiswertung ohne Umrechnung in Punkten erfolgen, sondern durch Bildung eines Preis-/ Leistungsverhältnisses. Bei der Wertung von leistungsbezogenen Kriterien nach dem Schulnotensystem ist ein erweiterter Spielraum für öffentliche Auftraggeber in Sicht. Dennoch haben öffentliche Auftraggeber so detailliert wie möglich zu beschreiben, wie die einzelnen Punkte vergeben werden sollen und daher die einzelnen Punktestufen zu definieren. Dazu gehören auch Hinweise zum Schwerpunkt der Leistung und die hinreichend konkrete Beschreibung von Unterkriterien, um den Bietern ein Bild davon zu vermitteln, was erwartet wird. Die Anwendung des Schulnotensystems führt dazu, dass Wertungsentscheidungen detaillierter begründet und dokumentiert werden müssen. Interessanterweise hat aktuell auch das OLG Düsseldorf allerdings ausdrücklich zur alten Vergaberechtslage (!) die Anwendung des Schulnotensystems für zulässig erklärt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 08.03.2017 VII-Verg 39/16). Es bleibt abzuwarten, wie der BGH in der Sache entscheiden wird.


Update!: Der BGH hat es gerichtet und inzwischen entschieden: Die Angebotswertung nach Schulnoten ist zulässig! (BGH, Beschluss vom 04.04.2017 – X ZB 3/17), siehe Vergabeblog.de vom 10/05/2017, Nr. 31526.