Paukenschlag aus Düsseldorf: Auch laufende Aufträge sind gültige Referenzen! (OLG Düsseldorf, 22.02.2017 – VII-Verg 29/16)

EntscheidungÖffentliche Auftraggeber müssen bei der Wertung von Referenzen auch Aufträge berücksichtigen, die noch nicht abgeschlossen sind. Sonst verstoßen sie gegen das Gleichbehandlungsgebot. Die gängige Wertungsmethode der Bundesagentur für Arbeit (BA) ist damit in weiten Teilen vergaberechtswidrig.

§ 97 Abs. 2 GWB, § 4 Abs. 2 S. 2-4 VgV a.F., § 16 SGB II, §§ 76 ff. SGB III

Sachverhalt

Die BA schrieb im März 2016 Maßnahmen der Berufsausbildung in einer außerbetrieblichen Einrichtung im kooperativen Modell gemäß § 76 ff. SGB III i.V.m. § 16 Abs. 1 SGB II national öffentlich aus.

Wie üblich, bewertete sie die Angebote neben ihrem Preis anhand einer fünfstufigen Wertungsmatrix: Die Wertungsbereiche I bis IV betrafen die Qualität der einzureichenden Konzepte. Im Wertungsbereich V wurden die bisherigen Erfolge und Qualität der Bieter in vergleichbaren Maßnahmen nach den folgenden Kriterien bewertet:

V.1 Eingliederungsquote in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung

V.2 Eingliederungsquote in sozialversicherungspflichtige Ausbildung

V.3 Abbruchquote.

Die BA stellte mehrere Bedingungen auf, unter denen frühere Aufträge eines Bieters berücksichtigt wurden:

Sie berücksichtigte zum einen nur solche Maßnahmen, für die der Grundvertrag oder eine Verlängerung bis zum 30.04.2015 endeten.

Zum anderen betrachtete sie nur Erfolge, die im Bezirk des Jobcenters oder der Arbeitsagentur erzielt wurden, für die die jetzige Maßnahme ausgeschrieben wurde.

Schließlich sollten frühere Aufträge nur berücksichtigt werden, wenn mindestens zehn Teilnehmer betreut wurden. Allerdings spaltete die BA die Leistungen aus abgeschlossenen Aufträgen zu statistischen und Abrechnungszwecken in mehrere Teilaufträge auf. Die Referenz eines Bieters zerfiel dadurch in mehrere Teile, von denen keiner mehr die zehn Teilnehmer erreichte. Deshalb und weil der Grundvertrag erst nach dem 30.04.2015 endete, wurde der einzige Referenzauftrag eines Bieters nicht berücksichtigt.

Hiergegen setzte sich der Bieter mit Rüge und Nachprüfungsverfahren zur Wehr. Während er bei der Vergabekammer noch unterlag, hatte die Beschwerde Erfolg!

Die Entscheidung

Das OLG Düsseldorf stellte klar: Das Bewertungssystem der BA ist diskriminierend und wettbewerbswidrig. Zwar durfte die BA gemäß § 4 Abs. 2 S. 2-4 VgV a.F. auch eignungsbezogene Aspekte wie Referenzen werten. Bei der Festlegung der Zuschlagskriterien hat sie aber ihre Bestimmungsfreiheit überschritten und gegen das vergaberechtliche Gleichbehandlungsgebot nach § 97 Abs. 2 GWB verstoßen.

Indem sie nur Aufträge berücksichtigte, die seit mindestens einem Jahr abgeschlossen waren, benachteiligte sie zahlreiche Bieter. Denn selbst wenn wie hier die aktuelle Maßnahme weitgehend abgeschlossen und die vorgesehenen Quoten bereits übererfüllt wurden, bleiben ihre Erfolge über Jahre und damit über mehrere Ausschreibungen hinweg unberücksichtigt. Auch das Interesse der BA, nachlassende Erfolge am Ende einer Maßnahme zu berücksichtigen, rechtfertigt diese Benachteiligung nicht. Eine verwertbare Eingliederungsquote lässt sich bereits 18 Monate nach Maßnahmenbeginn errechnen, so der Vergabesenat.

Hier zeigt sich ein grundlegender Unterschied zwischen Dienst- und Bauleistungsaufträgen: Der öffentliche Auftraggeber kann einen Dienstleistungsauftrag bereits lange vor dem vollständigen Abschluss des Auftrags bewerten. Denn Dienstleistungen werden laufend erbracht und für sich genommen laufend abgeschlossen (bestes Beispiel: Post- oder Reinigungsdienstleistungen). Ob ein Bauunternehmer ein Bauwerk in der Vergangenheit erfolgreich errichtet hat, lässt sich dagegen erst beurteilen, wenn das Bauwerk fertiggestellt ist

Der Vergabesenat hält auch die Beschränkung der Referenzen auf regionale, im Bezirk des Bedarfsträgers erbrachte Maßnahmen für vergaberechtswidrig. Denn sie benachteiligt ortsfremde Bieter in unzulässiger Weise (Vgl. hierzu: Soudry, in: Vergabeblog vom 29.01.2017, Nr. 28933). Auch insoweit hat die BA ihre Bestimmungsfreiheit überschritten. Die regionalen Verschiedenheiten der jeweiligen Arbeitsmärkte könnten nämlich auch durch Zu- oder Abschläge bei der Wertung einfließen.

Außerdem kippte das Gericht eine weitere diskriminierende Praxis: Die Forderung einer Mindestaustrittsquote von zehn Personen ist zwar nicht grundsätzlich zu beanstanden. Wird ein einheitlich vergebener Auftrag aber nachträglich statistisch so in mehrere Teilaufträge zerlegt, dass die Austrittsquoten für jeden Teilauftrag unter die Zehn-Personen-Marke fällt und die Erfolge des Bieters dadurch insgesamt unberücksichtigt bleiben, ist das vergaberechtswidrig.

Zu guter Letzt deutet das OLG Düsseldorf an, dass die BA sich schon dadurch wettbewerbswidrig verhalten könnte, dass sie bisherige Maßnahmeerfolge überhaupt berücksichtigt. Angesichts der bundesweiten Tätigkeit der BA und ihrer Monopolstellung könnte das Gericht in einem künftigen Verfahren prüfen, ob Newcomern noch ausreichende Möglichkeiten des Marktzutritts verbleiben.

Rechtliche Würdigung

Innerhalb kurzer Zeit hat das OLG Düsseldorf die Vergabepraxis der BA zwei Mal deutlich kritisiert und ihr Grenzen aufgezeigt. Ob das Modell der Wertung bisheriger Erfolge und Leistungen (§§ 58 Abs. 2 S. 2 Nr. 2, 65 Abs. 5 S. 2 VgV) überhaupt noch eine Zukunft hat, ist damit fraglicher denn je.

Es spricht außerdem einiges dafür, die hier dargestellten Grenzen der Bestimmungsfreiheit auch bei der Eignungsprüfung nach § 122 Abs. 4 S. 1 GWB anzuwenden.

In dem Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer und dem Vergabesenat hat der Autor die Antragstellerin vertreten.

Anmerkung der Redaktion
Dieser Beitrag ist Teil der Serie Arbeitsmarktdienstleistungen. Weitere Beiträge der Serie finden Sie hier.