eVergabe: Licht und Schatten des Rechtsrahmens zur elektronischen Kommunikation im Vergabeverfahren (Teil 2)
Mit dem Beitrag im Vergabeblog am 18.4.2017 unter dem Titel „eVergabe: Heute zündet die 2. Stufe der Umsetzungspflicht für Zentrale Vergabestellen“ wurde über die die grundsätzliche Verpflichtung zur eVergabe durch Zentrale Beschaffungsstellen ab dem 18.4.2017 berichtet (Vergabeblog.de vom 18/04/2017, Nr. 30786). Bereits ein Jahr zuvor wurde die 1. Stufe mit Inkrafttreten des neuen oberschwelligen Vergaberechts im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, der Vergabeverordnung (VgV), der Sektorenverordnung (SektVO) und der Konzessionsvergabeverordnung (KonzVgV) gezündet.
In diesem zweiten Teil des Beitrages werden die Schritte 4) “Angebotsabgabe”, 5) “Bieterkommunikation” und 6) “Annahme des Angebots” beleuchtet. Den ersten Teil, in dem die Schritte 1) bis 3) vorgestellt werden, finden Sie hier: .
Schritt 4) Angebotsabgabe
Pauschal: Der erste zentrale Kommunikationsschritt im üblichen Vertragsanbahnungsprozess durch Abgabe einer Willenserklärung durch die Bieter (§ 145 BGB). Im BGB als Antrag bezeichnet nennt man eine auf einen Vertragsschluss gerichtete empfangsbedürftige Willenserklärung, die so gestaltet ist, dass das Zustandekommen des Vertrages nur vom Einverständnis (= Annahme) des anderen abhängt.
Konkret umgesetzt:
- Elektronische Form und Übermittlung von Angeboten
Die Form und Übermittlung von Angeboten ist zusammen mit der Form und Übermittlung von Interessenbekundungen, Interessenbestätigungen und Teilnahmeanträgen in § 53 VgV geregelt (Schritt 3).
Die Unternehmen sind demnach gem. § 53 Abs. 1 VgV verpflichtet, auch ihre Angebote in Textform nach § 126b BGB mithilfe elektronischer Mittel zu übermitteln. Damit stellt sich durch die Normadressierung an die Unternehmen – wie zuvor in Schritt 3 – auch die Frage nach dem deklaratorischen Charakter dieser Regelung und nach dem „Herrn des Verfahrens“ im Vergabeprozess. Erst im Abs. 2, der die Ausnahmen von der elektronischen Angebotsabgabe regelt, wird der öffentliche Auftraggeber als eigentlicher Normadressat erkennbar, der aus bestimmten Gründen von seiner Verpflichtung, die Einreichung von Angeboten mithilfe elektronischer Mittel zu verlangen, entbunden wird. Die Gründe für den möglichen Verzicht sind hingegen nicht im Kontext zu den Form- und Übermittlungsvorschriften für Angebote, sondern durch Verweis auf § 41 Abs. 2 Nr. 1-3 VgV mit den Ausnahmen für die elektronische Bereitstellung der Vergabeunterlagen geregelt. Dies liegt daran, dass die VRL in den Art. 22 Abs. 1 UAbs. 2 und 53 Abs. 1 UAbs. 2 für beide Sachverhalte dieselben Ausnahmetatbestände gelten lässt (siehe hierzu auch die näheren Ausführungen zu Schritt 2).
Obwohl die Form- und Übermittlungsvorschriften für Interessenbekundungen, Interessenbestätigungen, Teilnahmeanträge und Angebote identisch geregelt sind, sind die Ausnahmeregelungen von der elektronischen Übermittlung nur auf Angebote beschränkt, d.h. für die Übermittlung von Interessenbekundungen, Interessenbestätigungen und Teilnahmeanträgen gibt es in Falle des § 53 VgV keine Ausnahmen von der elektronischen Übermittlung. Das ist in der Sektorenverordnung (SektVo) und Konzessionsvergabeverordnung (KonzVgV) anders geregelt.
- Abweichende Ausnahmeregelungen in VgV, SektVo und KonzVgV
Die Ausnahmen vom Grundsatz der elektronischen Kommunikation in Vergabeverfahren nach der SektVO beschränken sich – im Gegensatz zur VgV – nicht nur auf die Angebotsabgabe, sondern erstrecken sich zusätzlich auf die Teilnahmeanträge, Interessenbekundungen und Interessenbestätigungen. Auch die KonzVgV beschränkt den Anwendungsbereich nicht auf die Angebotsabgabe, sondern umfasst auch die Einreichung von Teilnahmeanträgen. Damit werden sämtliche vergaberelevanten Antragsverfahren im Vertragsanbahnungsprozess nach SektVO und KonzVgV erfasst, die in ihrer Gesamtheit in den Richtlinien auch als „Einreichungsverfahren“ bezeichnet werden.
Auf den ersten Blick ist dies nicht nachvollziehbar, da der zugrundeliegende Art. 40 Abs. 1 UAbs. 2 der RL 2014/25/EU (Sektorenrichtlinie – SRL) ebenso wie Art. 22 Abs. 1 UAbs. 2 der VRL die Ausnahmen nur auf die Angebotsabgabe (Einreichung von Angeboten) beschränkt und die KonzVgV den Grundsatz der elektronischen Kommunikation im Vergabeverfahren aus VgV und SektVO übernimmt. Hintergrund dürfte ein Übersetzungsfehler in den deutschsprachigen Richtlinien an dieser Stelle sein. Während die englischsprachige Version der beiden Richtlinien in den Art. 22 Abs. 1 UAbs. 2 VRL und 40 Abs. 1 UAbs. 2 SRL den Begriff „submission process“ verwendet, was übersetzt nichts anderes als „Einreichungsverfahren“ bedeutet, wurde dies in den deutschsprachigen Richtlinien mit „Angeboten“ übersetzt und betrifft damit nur einen Teil des Einreichungsverfahrens. Dass es sich ganz offensichtlich um einen Übersetzungsfehler handelt, der lediglich von der SektVO und der KonzVgV berücksichtigt wurde, ergibt sich insbesondere aus den Erwägungsgründen im Zusammenhang mit den geregelten Ausnahmen von der elektronischen Kommunikation. Dort heißt es:
„Es sollte klargestellt werden, dass die Verpflichtung zur Verwendung elektronischer Mittel in allen Phasen des Verfahrens zur Vergabe öffentlicher Aufträge nicht angemessen wäre, wenn die Nutzung elektronischer Mittel besondere Instrumente oder Dateiformate erfordern würde, die nicht allgemein verfügbar sind, oder wenn die betreffende Kommunikation nur mit speziellen Bürogeräten bearbeitet werden könnte. Öffentliche Auftraggeber sollten daher nicht verpflichtet werden, in bestimmten Fällen die Nutzung elektronischer Kommunikationsmittel im Einreichungsverfahren zu verlangen; diese Fälle sollten erschöpfend aufgelistet werden (Erwägungsgründe 53 Satz 3 und 4 VRL, 64 Satz 3 und 4 2014/25/EU).
- Obligatorische Verhältnismäßigkeitprüfung auf den evtl. Einsatz elektronischer Signaturen aufgrund erhöhter Sicherheitsanforderungen an die Datenübermittlung
Wird jedoch die Verwendung elektronischer Mittel vorgegeben, hat der Auftraggeber zu prüfen, ob die zu übermittelnden Daten erhöhte Anforderungen an die Sicherheit stellen, die bei Bejahung den Auftraggeber berechtigen soll, nicht nur für die Abgabe elektronischer Angebote, sondern für das gesamte Einreichungsverfahren (d.h. zusätzlich für Interessenbekundungen, Interessenbestätigungen und Teilnahmeanträgen) fortgeschrittene oder qualifizierte elektronische Signaturen oder entsprechende Siegel zu verlangen. Die Festlegung dieses Sicherheitsniveaus muss das Ergebnis einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung zwischen den zur Sicherung einer richtigen und zuverlässigen Authentifizierung der Datenquelle (durch Identifizierung) und der Unversehrtheit der Daten erforderlichen Maßnahmen einerseits und von den potenziellen Gefahren aus unberechtigten Datenquellen oder von fehlerhaften Daten andererseits sein. Der Verordnungsgeber macht in der Begründung zu § 53 Abs. 3 VgV entsprechende differenzierende Hinweise, in welchen Fällen beispielsweise ein höheres Sicherheitsniveau vorliegen könnte: Eine einfache E-Mail mit der sich ein Unternehmen nach der Postanschrift des Auftraggebers erkundigt, dürfte ein geringeres Sicherheitsniveau aufweisen als die Abgabe eines Angebots. In gleicher Weise kann Ergebnis der Einzelabwägung sein, dass bei der erneuten Einreichung elektronischer Kataloge oder bei der Einreichung von Angeboten im Rahmen von Kleinstwettbewerben bei einer Rahmenvereinbarung oder beim Abruf von Vergabeunterlagen nur ein niedriges Sicherheitsniveau zu gewährleisten ist. Hier hat sich der deutsche Verordnungsgeber auf die Erwägungsgründe des Richtliniengebers abgestützt, der eben auch bei der Sicherheitseinstufung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit i.S. des § 97Abs. 1 GWB gewahrt sehen will.
- Obligatorische Verhältnismäßigkeitprüfung auf das Vorliegen erhöhter Sicherheitsanforderungen beim Einsatz elektronischer Mittel
Eine parallele Regelung über die Durchführung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung findet sich auch in § 10 Abs. 1 Satz 1 VgV, der bestimmt, dass die Auftraggeber das erforderliche Sicherheitsniveau für die elektronischen Mittel (Geräte und Programme), die in den verschiedenen Phasen des Vergabeverfahrens genutzt werden sollen, festlegen muss. Bei der in diesem Zusammenhang durchzuführenden Verhältnismäßigkeitsprüfung geht es ebenfalls um die Abwägung zwischen der Notwendigkeit einer zuverlässigen Identifizierung des Datensenders und der Unversehrtheit der Daten einerseits und den potenziellen Gefahren aus einer beispielsweise nicht sicher identifizierten Datenquelle oder eines unberechtigten Datenzugriffs während der Übermittlung andererseits.
- Widerspruch zur geforderten umfassenden Gewährleistung an Unversehrtheit, Vertraulichkeit und Echtheit der Daten bei elektronischer Kommunikation durch die Auftraggeber?
Diese vernünftige Betrachtung des Vergabeprozesses, die davon ausgeht, dass ein hohes Sicherheitsniveau unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht in jedem Verfahrensschritt vorliegen muss, steht offenbar im Widerspruch zu den Anforderungen an den Einsatz elektronischer Mittel im Vergabeverfahren selbst. Nach § 11 Abs. 2 VgV darf der Auftraggeber für die elektronische Kommunikation in einem Vergabeverfahren ausschließlich solche elektronischen Mittel verwenden, die die Unversehrtheit, die Vertraulichkeit und die Echtheit der Daten gewährleisten. Die Verordnungsbegründung führt dazu ergänzend aus, „dass es dem Auftraggeber obliegt, während des gesamten Vergabeverfahrens die Unversehrtheit, die Vertraulichkeit und die Echtheit aller verfahrensbezogenen Daten sicherzustellen“.
Die Regelung passt systematisch nicht zu den ansonsten in § 11 VgV geregelten Anforderungen an den Einsatz der elektronischen Mittel und den zuvor thematisierten Verhältnismäßigkeitsüberlegungen: Die Sicherstellung der Echtheit der übermittelten Daten wird nicht von den eingesetzten elektronischen Mitteln gewährleistet, sondern ist eine Frage der Authentizität des Datenabsenders durch Identifizierung. Eine verbindliche Feststellung und Überprüfung des Absenders der Daten ist im elektronischen Rechtsverkehr aber praktisch nur durch Verwendung einer fortgeschrittenen oder qualifizierten elektronischen Signatur oder eines entsprechenden elektronischen Siegels möglich (siehe Art. 26 der Verordnung (EU) Nr. 910/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates v.23.Juli 2014 über die elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 1999/93/EG (eIDAS-Verordnung)). Da deren Verwendung jedoch nur unter den in § 53 Absatz 3 VgV geregelten Voraussetzungen zulässig ist, ist eine einschränkende Auslegung von § 11 Absatz 2 VgV nicht nur zur Frage der Echtheit der Daten, sondern auch zu deren Integrität vorzunehmen. Tut man dies nicht, bleibt der Widerspruch zwischen dem umfassenden Anspruch an Datenintegrität und Authentizität in sämtlichen Phasen eines Vergabeverfahrens nach § 11 Absatz 2 VgV einerseits und der geforderten Verhältnismäßigkeitsprüfung nach § 53Absatz 3 VgV andererseits bestehen (ähnlich Honekamp in Kommentar zum Sektorenvergaberecht Greb/Müller zu dem gleichlautenden § 11 Absatz 2 SektVO und daher analog anwendbar).
Mit dem Begriff der Gewährleistung bzw. Sicherstellung in diesem Kontext geht somit einher, dass die elektronischen Mittel beim Auftraggeber die Funktionalitäten zur Einhaltung dieser Anforderungen jederzeit vorhalten müssen, um gegebenenfalls eingesetzt werden zu können. Dies ist abhängig von der vorzunehmenden Verhältnismäßigkeitsprüfung nach § 10 Absatz 1 Satz 1 VgV und § 53 Absatz 3 VgV, die zu dem Ergebnis kommen kann, dass die zu übermittelnden Daten erhöhte Anforderungen an die Sicherheit stellen. Wird in diesem Zusammenhang konkret die Unversehrtheit der Daten (Datenintegrität) oder der zuverlässige Authentifizierung (Echtheit) der Datenquelle erforderlich, können Auftraggeber fortgeschrittene oder qualifizierte elektronische Signaturen oder entsprechende Siegel verlangen. Die fortgeschrittene und qualifizierte elektronische Signatur erfüllt neben ihrer rechtlichen Funktion als elektronische Unterschrift und damit als Ausdruck des Bindungswillens im Vertragsanbahnungsprozess (elektronische Form gem. § 126a BGB an Stelle der Schriftform gem. § 126 BGB) durch die Signaturmechanismen auch die technische Funktion an Datenintegrität und Absenderidentifizierung. Vertraulichkeit kann hingegen nur durch eine Verschlüsselung hergestellt werden.
Schritt 5): Bieterkommunikation
Pauschal: Sowohl bei Aufklärungsverhandlungen oder im Rahmen der Prüfung und Wertung der Angebote als auch nach der Angebotswertung ergeben sich Kommunikationsbedarfe zwischen Vergabestelle und Bieter. Hinzu kommen möglicherweise die Nachforderung von Nachweisen, die Mitteilung nach § 134 GWB, Zusage- oder Absagemitteilungen wie z.B. die Benachrichtigung über nicht berücksichtigte Angebote.
Konkret ungesetzt: Die Bieterkommunikation ist abgedeckt von § 97 Abs. 5 GWB und § 9 Abs. 1 VgV. Die Pflicht, grundsätzlich nur elektronische Mittel zu verwenden, betrifft ausschließlich den Datenaustausch zwischen den öffentlichen Auftraggebern und den Unternehmen.
Im Zusammenhang mit dem Ziel der Richtlinien nach einer vollständigen elektronischen Interaktion zwischen öffentlichen Auftraggebern und Unternehmen im Vergabeverfahren hat europäisches (wie nationales) Vergaberecht unverändert die Aufgabe, unter Beachtung bestimmter Prinzipien und Verhaltensweisen (Transparenz, Wettbewerb, Nichtdiskriminierung und Verhältnismäßigkeit) öffentliche Auftraggeber zu einem wirtschaftlichen Vertragsschluss zu verhelfen. Vergaberecht ist also unverändert „Mittel zum Zweck“ für den Abschluss von Verträgen und kein Selbstzweck. Jede regulative Maßnahme, die diesem Zweck zuwiderläuft birgt das Risiko der Unverhältnismäßigkeit und stellt sich damit als (Vergabe) Norm selbst in Frage. Die begrenzte Zulässigkeit einer mündlichen Kommunikation in den Fällen, in denen die Vergabeunterlagen, die Teilnahmeanträge, die Interessenbestätigungen oder die Angebote nicht betroffen sind, birgt das Potenzial für eine solche Norm.
Man muss den Umkehrschluss des Wortlauts der Norm bemühen, um die möglicherweise fatalen Konsequenzen daraus zu ermessen. Die Bestimmung regelt nämlich die Unzulässigkeit der mündlichen Kommunikation betreffend die Vergabeunterlagen, Teilnahmeanträge, Interessenbestätigungen oder der Angebote, selbst in den Fällen einer möglichen und ausreichenden Dokumentation. Wenn man unter Kommunikation die Verständigung zwischen Menschen mithilfe von Sprache oder Zeichen oder im elektronischen Sinne den Austausch von Informationen zwischen Computern durch Datenübertragung versteht, muss die Frage erlaubt sein, ob in diesen wesentlichen Bestandteilen des Vergabeverfahrens (Vergabeunterlagen, Teilnahmeanträge oder Angebote) im elektronischen Vergabeverfahren nur noch Computer zum Einsatz kommen dürfen? Dies würde zu abstrusen Situationen in den Fällen führen, wo insbesondere Verhandlungen in Verhandlungsverfahren, wettbewerblichen Dialogen oder Innovationspartnerschaften zum Kernbereich des Vertragsanbahnungsprozesses öffentlicher Beschaffungsvorhaben gehören.
Es stellt sich in diesem Zusammenhang nämlich zunächst die Frage, wie denn Verhandlungen über Erst- und Folgeangebote im Falle eines Verhandlungsverfahrens nach § 17 Abs. 10 VgV, oder wie ein wettbewerblicher Dialog nach § 18 VgV, in dem zwar die Anforderungen und Bedürfnisse des öffentlichen Auftraggebers definiert sind, die Leistungsbeschreibung sich jedoch erst über den Dialog zur finalen Form verdichtet, geführt werden sollen? Die gleiche Frage stellt sich im Falle einer Innovationspartnerschaft nach § 19 VgV, in der vorgesehen ist, dass – wie im Verhandlungsverfahren – der öffentliche Auftraggeber über die von den Bietern eingereichten Angebote und alle Folgeangebote , mit Ausnahme des endgültigen Angebots, verhandelt, um diese inhaltlich zu verbessern. Auch stellt sich diese Frage im Zusammenhang mit etwaigen Angebotspräsentationen oder einfachen Rückfragen zu Inhalten der Leistungsbeschreibung als Teil der Vergabeunterlagen. Über den Grad der Betroffenheit schweigt sich der Normgeber nämlich aus, so dass bei jeder noch so unverdächtigen Rückfrage im Zusammenhang mit Vergabeunterlagen, Teilnahmeanträgen oder Angeboten die mündliche Kommunikation (z.B. der „Griff zum Telefonhörer“) vergaberechtlich unzulässig wäre, selbst wenn man sie dokumentieren würde.
Ein zusammenhängendes Regel-Ausnahmeverhältnis fehlt, so dass man – will man beispielsweise künftige Verhandlungen nicht in virtuelle Chaträume verlegen – eine praktikable Abgrenzung vornehmen muss: Von einer mündlichen Kommunikation, die insbesondere die Vergabeunterlagen, Teilnahmeanträge oder Angebote betreffen, muss die „Verhandlungs“-Kommunikation in den o.a. Fällen abgegrenzt werden. Die mündliche Kommunikation ist geradezu ein Wesensbestandteil in diesen Fällen und daher auf den mündlichen Informationsaustausch zwischen Auftraggeber und Bewerber/Bieter angelegt (so auch Müller in “Kommentar zur VgV“ Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß analog zur gleichlautenden Regelung in § 9 Absatz 2 VgV bzgl. mündlich notwendiger Kommunikation in Verhandlungsverfahren, Wettbewerblichen Dialog und Innovationspartnerschaft, S. 80).
Die Vorschrift ist neu. Ihr Ursprung liegt ausweislich der Verordnungsbegründung zu § 9 Abs. 2 VgV in Art. 22 Absatz 2 der Richtlinie 2014/24/EU. Danach kann nach Satz 1 des Absatzes 2 „ungeachtet der grundsätzlichen elektronischen Kommunikation im Vergabeverfahren die Kommunikation mündlich erfolgen, sofern die Kommunikation keine wesentlichen Bestandteile eines Vergabeverfahrens betrifft und sofern der Inhalt der mündlichen Kommunikation ausreichend dokumentiert wird“. Im weiteren Verlauf werden Teilnahmeanträge, Interessenbestätigungen und Angebote als diese „wesentlichen Bestandteile“ bestimmt.
Allerdings könnte es sein, dass bereits in der Richtlinie selbst Norm und Erwägungsgrund auseinanderfallen. Der maßgebliche Erwägungsgrund 58 lautet nämlich: „Während wesentliche Bestandteile eines Vergabeverfahrens wie die Auftragsunterlagen, Teilnahmeanträge, Interessenbestätigungen und Angebote stets in Schriftform (künftig elektronische Form: Anm. d. Verf.) vorgelegt werden sollen, sollte weiterhin auch die mündliche Kommunikation mit Wirtschaftsteilnehmern möglich sein, vorausgesetzt, dass ihr Inhalt ausreichend dokumentiert wird.“ Dies lässt durchaus die Interpretation zu, dass die mündliche Kommunikation auch (im Sinne von zusätzlich) in den wesentlichen Bestandteilen eines Vergabeverfahrens (Teilnahmeanträge, Interessenbestätigungen und Angebote) trotz des Grundsatzes der elektronischen Kommunikation weiterhin zulässig bleibt, sofern dies dokumentiert wird. Diese Interpretation entspräche einem ordnungsgemäßen Verwaltungshandeln und hätte von daher keiner gesonderten Regelung bedurft.
Schritt 6: Annahme des Angebots / Zuschlag
Pauschal: Der zweite zentrale Kommunikationsschritt im Vertragsanbahnungsprozess durch Annahme des Angebots (Antrags), wodurch der Vertrag zustande kommt (§ 151 BGB)
Konkret umgesetzt: keine explizite vergaberechtliche Umsetzung. Im weitesten Sinne ist die Annahme des Angebots durch den Grundsatz der Kommunikation gem. § 97 Abs. 5 GWB und § 9 Abs. 1 VgV mit abgedeckt. Während § 21 Abs. 2 VOL/A-EG den Zuschlag als die Annahme des Angebots definierte, wurde dieser vertragsrechtliche Brückenschlag aus dem Vergaberecht in § 127 GWB und § 59 VgV nicht mehr vollzogen. Vielmehr wird der Begriff des Zuschlags in unterschiedlichen, teils diffusen Formulierungsvarianten verwendet, die insgesamt den Schluss nahelegen, dass der Zuschlag im Wesentlichen den Abschluss des Vergabeverfahrens bezeichnet:
- Beim Zuschlag handelt es sich um eine „Wertungsentscheidung“ (Begründung zu § 127 Abs. 1 Satz 2 GWB) > Indiz für den Abschluss des Vergabeverfahrens
- Der Zuschlag wird nach Maßgabe des § 127 GWB auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt (§ 58 Abs. 1 VgV). Durch die Erteilung des Zuschlags bestimmt der Auftraggeber, welches Unternehmen letztlich den Auftrag erhält. (Begründung zu § 58 VgV) > Zuschlagserteilung als Annahme des Angebotes
- Die Zuschlagsentscheidung stellt daher eines der zentralen Elemente des Vergabeverfahrens dar (Begründung zu § 58 VgV)
- Den öffentlichen Auftraggebern steht es frei, ihre Zuschlagserklärung mit fortgeschrittenen elektronischen Signaturen, die auf einem qualifizierten Zertifikat beruhen, zu versehen, soweit dies die Kenntnisnahme des Erklärungsinhalts durch die Bieter nicht beeinträchtigt (Begründung zu § 53 Abs. 3 VgV) > Einziger expliziter Hinweis auf die elektronische Form des Zuschlags.
Fazit: Der Grundsatz der elektronischen Kommunikation im Vergabeverfahren ist für die Mitgliedstaaten nach jahrelangem gutem Zureden der EU-Kommission nunmehr beschlossene Sache. Ursprüngliche rechtliche Hemmnisse zugunsten einer grenzüberschreitenden elektronischen Vergabe (Stichwort: elektronische Signatur) wurden abgebaut (Stichwort: Textform). Das ist auch gut so. Regulatorisch wäre weniger mehr gewesen und das was umgesetzt wurde erfüllt nicht in allen Fällen das vergabepolitische Ziel, dem Rechtsanwender ein möglichst übersichtliches und leicht handhabbares Regelwerk zur Verfügung zu stellen.
Hinweis der Redaktion
Die DVNW Akademie bietet zu der Thematik „eVergabe“ Inhouse-Seminare an. Mehr zu Inhouse-Seminaren der DVNW Akademie finden Sie hier.