Ist eine Aufhebung des Verfahrens trotz angemessener Preise und fehlerhafter Kostenschätzung wirksam? (VK Bund, Beschl. v. 14.08.2017, VK1-75/17)

EntscheidungKann die Aufhebung eines Vergabeverfahrens Bestand haben, obwohl sie vergaberechtswidrig ist? Die VK Bund hat hierzu eine interessante und klare Entscheidung getroffen.

 

Leitsatz

1. Das Vorliegen eines sachlich rechtfertigenden Grunds reicht für eine wirksame Aufhebung des Vergabeverfahrens aus.
2. Die Korrektur von Fehlern im Vergabeverfahren stellt einen Grund dar, aus dem die Aufhebung eines Vergabeverfahrens sachlich gerechtfertigt ist. Dabei ist die Korrektur von Fehlern unabhängig von den Voraussetzungen des § 17 EU VOB/A 2016 zulässig.
3. Einer wirksamen Aufhebung steht auch nicht entgegen, dass der Auftraggeber den Fehler selbst zu vertreten hat.

§ 17 EU VOB/A

Sachverhalt

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte Bauleistungen im Offenen Verfahren europaweit ausgeschrieben. Nach Submission war das Angebot des Bieters A das preisgünstigste. Da aber alle Angebotspreise erheblich über den vom AG geschätzten Kosten lagen, hob der AG nach Durchführung der Aufklärungsgespräche das Verfahren auf, da nur Angebote mit unerwartet hohen, aber nicht unangemessen hohen Preisen vorlägen und die genehmigten Haushaltsmittel nicht ausreichten. Der AG kündigte daher an, die Vergabeunterlagen grundlegend z.B. im Hinblick auf günstigere Materialien, Konstruktion etc. zu überarbeiten und anschließend den Auftrag neu auszuschreiben. Bieter A rügte darauf, dass kein Aufhebungsgrund vorliege, der AG keine ordnungsgemäße Kostenschätzung vorgenommen und die Aufhebung somit selbst zu vertreten habe. Letztlich diene das durchgeführte Vergabeverfahren nur der Markterkundung. Des Weiteren berief er sich auf das Vorliegen einer Scheinaufhebung im Sinn der Rechtsprechung. Nachdem der AG der Rüge nicht abhalf, beantragte A Nachprüfung mit dem Ziel, die Aufhebung der Aufhebung zu erreichen, hilfsweise die Feststellung, dass die Aufhebung rechtswidrig war.

Die Entscheidung

Die VK gibt hier Bieter A nur bezüglich seines Hilfsantrags Recht, da das Vergabeverfahren rechtswidrig aufgehoben wurde und der Bieter A dadurch in seinen Rechten verletzt ist. Der Hauptantrag ist aber unbegründet, d.h. die Aufhebung des Vergabeverfahrens ist zwar rechtswidrig, aber gleichwohl wirksam und hat Bestand.

Rechtliche Würdigung

Die Aufhebung des Vergabeverfahrens ist zwar rechtswidrig, aber trotzdem wirksam und hat Bestand. Denn unabhängig davon, ob ein Aufhebungsgrund i.S.d. § 17 EU VOB/A vorliegt, kann ein AG von einem Vergabeverfahren Abstand nehmen. Nach ständiger Rechtsprechung (BGH, B. v. 20.03.2014, X ZB 18/13; OLG Düsseldorf, B. v. 16.10.2013, VII-Verg 16/13) unterliegt er keinem Kontrahierungszwang d.h. er braucht einen ausgeschriebenen Auftrag nicht zu erteilen und eine Vergabe nicht mit einem Zuschlag abzuschließen. In der Rechtsprechung (BGH, B. v. 20.03.2014, a.a.O.; BGH, B. v. 18.02.2003, X ZB 43/02; OLG Düsseldorf, B. v. 27.06.2012, VII-Verg 6/12; OLG Düsseldorf, B. v. 16.11.2010- VII-Verg 50/10) sind nur wenige Ausnahmen anerkannt, unter denen eine Aufhebung aufzuheben und das ursprüngliche Vergabeverfahren fortzuführen ist; dies sind das Fehlen eines sachlich gerechtfertigten Grundes oder die Scheinaufhebung zu dem Zweck, einen Bieter gezielt zu diskriminieren. Die Voraussetzungen dieser Ausnahmetatbestände sind hier aber nicht erfüllt.
Ein sachlich gerechtfertigter Grund für die Aufhebung besteht vorliegend darin, dass die bisher eingegangenen Angebote die dem AG zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel erheblich übersteigen. Um preislich niedrigere Angebote zu erhalten, will der AG die ausgeschriebenen Leistungen daher ändern, indem er u.a. preiswertere Materialien und Ausführungsarten vorschreibt, anschließend soll dann der geänderte Auftrag in einem neuen Vergabeverfahren vergeben werden. Die Korrektur solcher Fehler stellt einen Grund dar, aus dem die Aufhebung eines Vergabeverfahrens sachlich gerechtfertigt ist ( BGH, B. v. 20.03.2014, a.a.O.; OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 12.01.2015, VII-Verg 29/14; v. 16.11.2010, VII-Verg 50/10; vom 10.11.2010, VII-Verg 28/10). Dass der AG den Fehler, der zur Aufhebung des Verfahrens führt, möglicherweise selbst zu vertreten hat, weil seine Kostenschätzung nicht ordnungsgemäß erfolgt ist und er deshalb zu wenig Haushaltsmittel eingeworben hat, steht einer wirksamen Aufhebung nicht entgegen. Denn es würde gegen den Grundsatz der sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung verstoßen, wenn man einen AG dazu zwingen könnte, einen Auftrag zu vergeben, den er nicht bezahlen kann und den er – wie hier – in der ursprünglich ausgeschriebenen Ausführung gar nicht mehr will. Auch in diesem Fall ist das Interesse des A hinreichend dadurch geschützt, dass er Schadensersatz dafür verlangen kann, dass er vergeblich ein Angebot auf eine fehlerhafte Ausschreibung hin erstellt hat.

Des Weiteren handelt es sich vorliegend nicht um eine Scheinaufhebung, die erfolgt ist, um den Auftrag anderweitig an einen bestimmten Bieter zu vergeben und so andere Bieter gezielt zu diskriminieren. Denn der AG beabsichtigt, den Zuschlag erst im Anschluss an ein neu durchzuführendes Vergabeverfahren, also im Wettbewerb, zu erteilen. Jedenfalls wird A hierbei nicht diskriminiert, weil er an dem vorgesehenen Verhandlungsverfahren zu beteiligen ist. Der Nachteil, den der A durch die Aufhebung erleidet, besteht vielmehr darin, dass sein möglicherweise zu bezuschlagendes Angebot jetzt gegenstandslos ist. Dabei handelt es sich aber nicht um eine gezielte Diskriminierung des A, sondern um einen jeder Aufhebung innewohnenden Reflex. Allein dieser Reflex kann jedoch nicht dazu führen, dass der AG – wie bereits aufgezeigt – dazu gezwungen werden kann, am alten Vergabeverfahren festzuhalten anstatt dieses aus Gründen der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit aufzuheben, was selbst dann gilt, wenn er es selbst zu vertreten hat, dass ihm die benötigten finanziellen Mittel nicht zur Verfügung stehen.

Da ein Bieter allerdings gemäß § 97 Abs. 6 GWB einen Anspruch darauf hat, dass der Auftraggeber die Bestimmungen über das Vergabeverfahren einhält, kann er – im Wege eines Antrags auf Feststellung, dass er durch die Aufhebung in seinen Rechten verletzt ist – Schadensersatz verlangen, wenn der Auftraggeber das Vergabeverfahren – wie hier – rechtswidrig aufgehoben hat.

Praxistipp

Auf den ersten Blick eine etwas kuriose Entscheidung: Die Aufhebung des Verfahrens hat weiterhin Bestand, obwohl sie eindeutig rechtswidrig ist. Dies gilt auch dann, wenn wie hier alle Angebotspreise selbst nach Einschätzung des AG durchaus angemessen und seine eigene Kostenschätzung fehlerhaft waren. Allerdings zeigt die Entscheidung, dass die Hürden für eine Aufhebung der Aufhebung doch sehr hoch sind. Wie die VK dazu hinweist, könnten zwar die dazu von der Rechtsprechung anerkannten Fallgruppen (Fehlen eines sachlich gerechtfertigten Grundes, Scheinaufhebung) durchaus erweiterungsfähig sein. Diese müssten sich aber immer danach orientieren, dass ein Kontrahierungszwang des AG ausnahmsweise nur dann besteht, wenn die Aufhebung aus ähnlichen und rechtlich zu missbilligenden Gründen oder gar missbräuchlich erfolgt. Ist dies aber nicht der Fall, bleibt in solchen Fällen dem betroffenen Bieter letztlich nur ein Schadensersatzanspruch, gerichtet auf das negative Interesse, d.h. auf den Ersatz seiner vergeblich aufgewendeten Angebotserstellungskosten.

Seminarhinweis:
Am 24.01.2018 wird in Berlin ein DVNW Akademie Seminar zur Vergabe von Bauleistungen unter besonderer Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung zum Vergaberecht stattfinden. Informationen zum Seminarinhalt und eine Anmeldemöglichkeit finden Sie unter diesem Link.