Die Festlegung und Prüfung der Eignung im Vergabeverfahren
Die Prüfung der Eignung und Zuverlässigkeit des Bewerbers/Bieters stellt Auftraggeber häufig vor größere Herausforderungen. Zunächst müssen sie sich genau überlegen, welche Nachweise und Erklärungen die Bewerber/Bieter vorzulegen haben, um sicherzugehen, dass der Auftrag ordnungsgemäß erfüllt wird. Aber welche Belege darf der Auftraggeber überhaupt verlangen, welche Spielregeln gibt das Vergaberecht vor? Was ist, wenn der Auftraggeber schlechte Erfahrung mit dem Bieter hatte? Darf er diese bei der Eignungsprüfung berücksichtigen? Und wann darf der Auftraggeber den Nachunternehmereinsatz verbieten? Muss er eine EEE überhaupt akzeptieren? Welche Unterschiede gibt es bzgl. der Festlegung der Eignung und der Prüfung im Unter- und Oberschwellenbereich und bei Bauvergaben. Fragen über Fragen. Unser langjähriger Autor, Herr Rechtsanwalt Dr. Roderic Ortner, hat sich schon einmal mit dem Thema in einer Serie befasst (siehe hier und hier), allerdings zum alten Recht. Mit dem neuen Recht wurde natürlich alles „einfacher“, und daher hat sich der Umfang der Serie auch verdoppelt. Viel Vergnügen bei der Lektüre.
Einführung in die Thematik
Öffentliche Aufträge werden an fachkundige und leistungsfähige (geeignete) Unternehmen vergeben, die nicht nach den §§ 123 oder 124 GWB ausgeschlossen worden sind, vgl. § 122 Abs. 1 GWB und § 31 Abs. 1 UVgO. „Eignung“ ist damit gesetzlich definiert als Fachkunde und Leistungsfähigkeit eines Unternehmens. Vormals gehörte auch die „Zuverlässigkeit“ zur Definition der Eignung. Die Zuverlässigkeit als eigenständigen Begriff kennt das GWB und die UVgO nicht mehr. Im Prinzip wird jedoch die Zuverlässigkeit eines Unternehmens durch die Abfrage zu den Ausschlussgründen gemäß § 123 und 124 GWB geprüft. Es handelt sich in der Praxis um Formulare, welche den Vergabeunterlagen beigefügt werden; die Einheitliche Europäische Eigenerklärung (EEE) enthält die Abfrage ebenfalls [siehe hierzu Vergabeblog.de vom 10/01/2016, Nr. 24560 und Vergabeblog.de vom 13/09/2017, Nr. 32875]. Bei der Eignung handelt es sich um ein subjektives Kriterium. Daraus folgt, dass der Auftraggeber eine Prognoseentscheidung treffen muss, ob das Unternehmen Gewähr dafür bietet, den Auftrag ordnungsgemäß ausführen zu können. Abzustellen ist dabei grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Leistungserbringung. Da der Auftraggeber nicht in den Kopf des Unternehmens hineinschauen kann und er sich nicht allein auf sein Bauchgefühl verlassen sollte, ist diese Prognoseentscheidung auf Grundlage objektiver Informationen zu treffen. Dabei handelt es sich um Unterlagen (Eigenerklärungen, Angaben, Bescheinigungen und sonstige Nachweise), die das Unternehmen vorlegt und die auf dessen Eignung schließen lassen sollen. Gemäß § 122 Abs. 2 GWB ist ein Unternehmen daher geeignet, wenn es die durch den öffentlichen Auftraggeber im Einzelnen zur ordnungsgemäßen Ausführung des öffentlichen Auftrags festgelegten Kriterien (Eignungskriterien) erfüllt. Die Prüfung der Eignung kann der Auftraggeber auch anderen überlassen, wenn ein Präqualifizierungssystem vorhanden ist; eine Präqualifizierung ersetzt dann die Vorlage von Eignungsnachweisen beim Auftraggeber (dazu später).
Festlegung von Eignungskriterien – was allgemein zu beachten ist
Bei der Festlegung der Eignungskriterien hat der öffentliche Auftraggeber bestimmte Regeln zu beachten. Die Eignungskriterien dürfen ausschließlich die Befähigung und Erlaubnis zur Berufsausübung und die wirtschaftliche, finanzielle, technische oder berufliche Leistungsfähigkeit betreffen (§ 122 Abs. 2 GWB; § 30 Abs. 2 S. 2 UVgO). In der UVgO steht zwar „können (…) betreffen“. Daraus ist jedoch nicht zu folgern, dass Kriterien außerhalb dieser Bereiche festgelegt werden dürfen, lies daher „können nur betreffen“.
Anders als in §§ 44 bis 46 VgV enthält die UVgO keine Hinweise, welche Erklärungen und Nachweise zur Prüfung der Eignung in Betracht kommen. In den BMWi-Erläuterungen zur UVgO vom 05.01.2017 heißt es jedoch, dass die Bezugspunkte für die Eignungskriterien in der UVgO denen der §§ 44 bis 46 VgV entsprechen.
Praxistipp: Auftraggebern ist zu empfehlen, sich bei Verfahren nach der UVgO zur Festlegung der Eignungskriterien an den Vorgaben der §§ 44 bis 46 VgV zu orientieren und ausschließlich die dort zugelassenen Unterlagen abzufordern.
Eine Differenzierung ist aus folgendem Grund wichtig: Die Vorgaben der §§ 44 bis 46 VgV sind nur im Oberschwellenbereich verbindlich. Im Unterschwellenbereich bilden sie dagegen nur eine (wenn auch wichtige) Orientierung. Dies ist auch bei den folgenden Ausführungen zu bedenken.
Die Festlegung der Eignungskriterien zur wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit ist in § 45 VgV geregelt und zur technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit in § 46 VgV. Unbedingt zu beachten ist, dass die Auflistung der Eignungskriterien in § 46 Abs. 3 VgV, anders als bei § 45 VgV, abschließend ist („ausschließlich (…) verlangen“). Dies ist, wenn auch reichlich versteckt, in den Vergaberichtlinien der EU angelegt und wurde von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in zwei Entscheidungen bekräftigt (Rechtssache C-213/07 – Michaniki und C-538/07 – Assitur).
Praxistipp: In der VOB/A-EU hat es der Gesetzgeber versäumt, auf die Ausschließlichkeit der Eignungskriterien zur Prüfung der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit hinzuweisen, statt dessen steht dort im § 6a EU Nr. 3 VOB/A „kann“, was auf ein (tatsächlich nicht vorhandenes) Ermessen hindeutet. Richtlinienkonform ist daher statt kann zu lesen: „kann (…) nur verlangen: (…).“
Allgemein bei der Festlegung von Eignungskriterien ist außerdem zu beachten, dass diese mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung und zu diesem in einem angemessenen Verhältnis stehen müssen (§ 122 Abs. 4 Satz 1 GWB; § 33 Abs. 1 S. 2 UVgO). Weiterhin sind auch die in § 97 Abs. 1, 2 und 4 GWB verankerten Grundsätze Transparenz, Wettbewerb und Nichtdiskriminierung zu berücksichtigen, die normhierarchisch über der VgV und der VOB/A stehen. In der UVgO sind diese Grundsätze eigenständig durch § 2 UVgO eingebunden. Gemäß § 97 Abs. 4 GWB bzw. § 2 Abs. 4 UVgO sind mittelständische Interessen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge „vornehmlich“ zu berücksichtigen. Die Berücksichtigung mittelständischer Interessen beschränkt sich dabei nicht nur auf die reine Losaufteilung, sondern ist z. B. – und gerade – auch bei der Festlegung der Eignungskriterien zu berücksichtigen.
Grundsatz der Eigenerklärung und Ausnahmen davon
Auftraggeber fordern bei der Vergabe von Liefer- und Dienstleistungen grundsätzlich die Vorlage von Eigenerklärungen an (§ 48 Abs. 2 VgV; § 35 Abs. 2 UVgO). Eigenerklärungen sind solche, die aus der Sphäre des Bieters stammen. Die Forderung von anderen Nachweisen (also von dritter Stelle = Fremd- bzw. Dritterklärungen) ist nur ausnahmsweise zulässig, etwa in sicherheitsrelevanten Bereichen. Beispiele für Dritterklärungen sind: Bankauskunft, Bescheinigung einer Versicherung, Bescheinigung des zuständigen Finanzamts, Bescheinigung einer Zertifizierungsstelle. Eine Eigenerklärung könnte etwa lauten: „Hiermit erkläre ich, dass unser Unternehmen nach ISO 9100 zertifiziert ist.“
Praxistipp: Bei Ausschreibungen nach VOB/A gilt der Grundsatz der Eigenerklärung nicht, dort liegt es im Ermessen des Auftraggebers, ob und inwieweit er Eigenerklärungen genügen lässt. Lässt der Auftraggeber Eigenerklärungen nach der VOB/A zu, so sind Eigenerklärungen, die als vorläufiger Nachweis dienen, von den Bietern, deren Angebote in die engere Wahl kommen, durch entsprechende Bescheinigungen der zuständigen Stellen zu bestätigen, § 6b EU Abs. 1 Nr. 2 S. 2 VOB. Eine solche Regelung fehlt in der VgV/UVgO. Gleichwohl dürfte sich der Auftraggeber auch bei VgV/UVgO-Verfahren häufig vorbehalten, noch vor Bezuschlagung Dritterklärungen einzufordern. Dies scheint mir vor dem Hintergrund des § 50 Abs. 2 S. 2 VgV auch zulässig.
Im Oberschwellenbereich hat der öffentliche Auftraggeber, wenn er Bescheinigungen und sonstige Nachweise anfordert, sich in der Regel an den im Online-Dokumentenarchiv e-Certis abgelegten Vorlagen zu bedienen. Die Regelung geht derzeit mangels Vorlagen ins Leere; im Unterschwellenbereich gilt sie ohnehin nicht.
Einheitliche Europäische Eigenerklärung (EEE)
Die EEE besteht aus einem Formular, das der Vereinheitlichung der Formulare in der EU dienen soll und sämtliche Eignungskriterien und Ausschlussgründe umfasst. Folgende Rechtslage gilt derzeit: Weder im Oberschwellen- noch Unterschwellenbereich ist der Auftraggeber verpflichtet, die EEE zu verwenden. Im Oberschwellenbereich darf jedoch ein Unternehmen die EEE verwenden, um seine Eignung nachzuweisen und der Auftraggeber ist dann auch verpflichtet, die EEE zu akzeptieren und zu prüfen, § 48 Abs. 3 VgV. Im Unterschwellenbereich gilt im Anwendungsbereich der UVgO diese Akzeptanzpflicht dagegen nicht (so ausdrücklich in den Erläuterungen des BMWi).
Soll im Oberschwellenbereich auf das Angebot eines Bieters der Zuschlag erteilt werden, der eine EEE vorgelegt hatte, so ist der Auftraggeber verpflichtet, von diesem vor Zuschlagserteilung, die in der EEE geforderten Unterlagen zu fordern, § 50 Abs. 2 S. 2 VgV. Nach der UVgO gilt diese Pflicht dagegen nicht, d.h. der Auftraggeber kann den Zuschlag auch ohne weitere Prüfung erteilen, er kann aber auch nachprüfen. Die VOB/A, 1. Abschnitt lässt die EEE hingegen völlig unerwähnt, so dass die o.g. Grundsätze zur UVgO entsprechend herangezogen werden können.
Sollte eine vom Auftraggeber im Rahmen der EEE zu überprüfende Unterlage in einer kostenfreien Datenbank ohne großen Aufwand abrufbar sein, so kann der Bieter darauf verweisen und muss die Unterlage nicht gesondert einreichen. In der Regel wird dies ein anerkanntes Präqualifizierungssystem (pq-Stelle) sein.
Eine Beibringungspflicht besteht auch dann nicht, wenn die besagte Unterlage beim Auftraggeber bereits vorliegt, zum Beispiel aus einer alten oder einer Parallelausschreibung. Ein Verweis auf eine solche Unterlage ist jedoch nur zulässig, wenn der Bieter eine EEE eingereicht hat. Um dieser Hürde zu entgehen empfiehlt Summa (in: Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl. 2016, § 50 VgV, Rn. 46) folgenden Satz in die Bekanntmachung aufzunehmen:
„Unternehmen, die sich in den vergangenen zwölf Monaten mit einem Angebot oder einem Teilnahmeantrag an einer unserer Ausschreibungen beteiligt und Unterlagen i.S.d. § 48 Abs. 1 VgV eingereicht hatten, von denen sie jetzt annehmen, diese seien immer noch zutreffend und gültig, können (sie?) anstelle einer erneuten Vorlage auf diese Unterlagen, die genau zu bezeichnen sind, verweisen.“
Festlegung von Eignungskriterien zum Nachweis der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit
Die Prüfung der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit ist vor allem dann sinnvoll, wenn der Auftragnehmer in eine nicht nur unerhebliche Vorleistung gehen muss. Dies dürfte bei Bauleistungen regelmäßig der Fall sein; oder wenn sich aus dem Auftragsgegenstand für den Auftragnehmer ein nicht nur geringes Haftungsrisiko realisieren könnte. Der Gesetzgeber macht im Oberschwellenbereich Vorschläge, welche Belege zur Prüfung eingefordert werden könnten:
- Bankerklärungen,
- Nachweis einer Berufs- oder Betriebshaftpflichtversicherung,
- Jahresabschlüsse (Bilanzen), allerdings muss der Bieter bilanzierungspflichtig sein und der Auftraggeber Bilanzen lesen können (der Jahresabschluss 2016 der Telekom umfasst 99 Seiten),
- eine Erklärung über den Gesamtumsatz und gegebenenfalls den Umsatz in dem Tätigkeitsbereich des Auftrags;
Es gibt allerdings einige Regeln zu beachten:
Bei der Vergabe von Liefer- und Dienstleistungen gilt der Grundsatz der Eigenerklärung, d.h. eine Bankerklärung oder der Nachweis durch eine Versicherung darf nur ausnahmsweise gefordert werden. Grundsätzlich muss also eine Erklärung des Bieters, dass und in welcher Höhe er versichert ist genügen. Auch hier ist natürlich der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Mindestversicherungsdeckungssummen, die in keinem Verhältnis zum Auftrag und Risiko stehen, sind unzulässig.
Es darf durchaus ein Mindestgesamtumsatz und ein Mindestumsatz im ausgeschriebenen Tätigkeitsbereich als Eignungshürde vorgegeben werden. Allerdings darf ein solch festgelegter Mindestjahresumsatz das Zweifache des geschätzten Auftragswerts grundsätzlich nicht überschreiten. Eine Ausnahme ist nur zulässig, wenn aufgrund der Art des Auftragsgegenstands spezielle Risiken bestehen.
Beispiel: Der Auftraggeber schreibt die Wartung und Instandhaltung seiner Heizungsanlagen für einen Zeitraum von vier Jahren aus. Er schätzt den Auftragswert über die gesamte Laufzeit gemäß § 3 VgV auf 340.000 EUR. Als Mindestjahresumsatz dürfte er nun nicht mehr als 680.000 EUR festlegen.
Ungeklärt ist noch, ob diese Regel auch bei der Auswahl der Bewerber aufgrund objektiver und nichtdiskriminierender Eignungskriterien beim Teilnahmewettbewerb gemäß § 51 Abs. 1 S. 2 VgV bzw. für Bauaufträge § 3b EU Abs. 2 Nr. 3 VOB/A gilt.
Beispiel: Der Auftraggeber legt im o.g. Fall als ein solches Auswahlkriterium fest, dass die Bewerber mindestens einen Jahresumsatz in Höhe von 680.000 EUR belegen müssen und dass Bewerber, die einen höheren Umsatz belegen können, entsprechend mehr Punkte für die Auswahl für die nächste Stufe (nämlich den Bieterwettbewerb) erhalten.
Eine solche Vorgabe dürfte den Sinn und Zweck der Begrenzung auf das Zweifache des Mindestumsatzes unterlaufen und insofern unzulässig sein. Zur Wahrung mittelständischer Interessen und Vermeidung einer nicht zu rechtfertigenden Diskriminierung dürfte ebenfalls erforderlich sein, die zu erzielende Maximalpunktzahl angemessen zu deckeln.
Bezüglich der Abfrage des Umsatzes stellt sich auch die Frage, welchen Zeitraum dieser umfassen darf. Im Gesetz heißt es dazu ausdrücklich, dass „eine solche Erklärung höchstens für die letzten drei Geschäftsjahre verlangt werden kann und nur, sofern entsprechende Angaben verfügbar sind.“ Für den Auftraggeber bedeutet dies zweierlei: Zum einen darf er Umsatzzahlen höchstens für die letzten drei Jahre verlangen. Er muss aber auch die Vorlage eines geringeren oder keines (!) Zeitraums zunächst akzeptieren, d.h. allein die Nichtvorlage darf nicht formal zum Ausschluss führen, wenn bei dem Unternehmen solche Zahlen schlicht (noch nicht) vorliegen, wobei eine Äußerung des Unternehmens hierzu zu fordern ist. Diese Regelung ist ein klares Bekenntnis für Newcomer, die sonst im Vergaberecht nicht besonders geschützt werden. Ein solcher Newcomer muss freilich dann ggf. anderweitig belegen, dass er finanziell geeignet ist und der Auftraggeber muss die Geeignetheit des Belegs entsprechend prüfen. Das gilt übrigens auch im Hinblick auf alle anderen vom Auftraggeber verlangten Nachweise, so heißt es in der VgV im § 45 Abs. 5: „Kann ein Bewerber oder Bieter aus einem berechtigten Grund die geforderten Unterlagen nicht beibringen, so kann er seine wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit durch Vorlage anderer, vom öffentlichen Auftraggeber als geeignet angesehener Unterlagen belegen.“ Etwas unschärfer heißt es in der VOB-EU: „Der öffentliche Auftraggeber wird andere ihm geeignet erscheinende Nachweise der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit zulassen, wenn er feststellt, dass stichhaltige Gründe dafür bestehen.“
Summa (in: jurisPK, a.a.O, § 45, Rn. 58) sieht die praktische Bedeutung als gering an, da „die üblicherweise geforderten Nachweise für die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit nur selten ein in- oder ausländisches Unternehmen objektiv überfordern dürften.“
Ich denke, die praktische Bedeutung ist höher einzuschätzen. An einem Beispiel möchte ich dies kurz aufzeigen: Angenommen, ein DAX-notiertes Unternehmen entscheidet sich dazu, eine Tochtergesellschaft zu gründen, um den Bereich Elektromobilität auszugliedern und auszubauen. Diese Tochtergesellschaft reicht nun in einem Vergabeverfahren anstatt der verlangten Mindestumsätze (die sie nicht hat) unter Berufung auf § 45 Abs. 5 VgV eine Erklärung der Muttergesellschaft ein, dass sich diese für alle finanziellen Verpflichtungen der Tochtergesellschaft stark macht, eine sog. Patronatserklärung. Der Auftraggeber entscheidet nun, ob ihm dies ausreicht. Reicht es aus, bedürfte es auch nicht des Kunstgriffs einer Eignungsleihe, bei dem sich die Tochtergesellschaft die Umsätze der Muttergesellschaft im Wege der Eignungsleihe leiht.
Praxistipp: Die oben beschriebenen Regeln gelten nur für den Oberschwellenbereich, für den Unterschwellenbereich hat man auf eine entsprechende Anwendung verzichtet. Dort haben die Auftraggeber somit mehr Flexibilität, allerdings auf Kosten der Rechtssicherheit. Soweit der Auftraggeber die Regeln auch im Unterschwellenbereich anwendet, dürfte dies die Rechtssicherheit des Verfahrens erhöhen.
Festlegung von Eignungskriterien zum Nachweis der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit
Der Auftraggeber hat ein Interesse daran, dass nur Unternehmen den Auftrag erfüllen, die auch über die personellen und technischen Mittel sowie ausreichende Erfahrungen in Bezug auf den Auftragsgegenstand verfügen. Der Oberschwellenbereich bietet eine abschließende (siehe oben) Auflistung der Belege, die der Auftraggeber zur Prüfung der erforderlichen technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit verlangen kann. An dieser Stelle werden einige der in der Praxis gängigsten Belege (im Überblick!) aufgezeigt:
- Referenzen über früher ausgeführte Aufträge in Form einer Liste der Referenzprojekte, zu denen Angaben über die erbrachten wesentlichen Leistungen, den Auftragswert, den Auftragszeitraum sowie den Kunden gemacht werden.
- Angabe der technischen Fachkräfte oder der technischen Stellen, die im Zusammenhang mit der Leistungserbringung eingesetzt werden sollen, unabhängig davon, ob diese dem Unternehmen angehören.
- Beschreibung der technischen Ausrüstung (im Allgemeinen),
- Erklärung, aus der ersichtlich ist, über welche Ausstattung, welche Geräte und welche technische Ausrüstung das Unternehmen für die Ausführung des Auftrags verfügt,
- Beschreibung der Qualitätssicherungsmaßnahmen,
- Studien- und Ausbildungsnachweise der Führungskräfte des Unternehmens, sofern diese Nachweise nicht als Zuschlagskriterium bewertet werden,
- Angabe der Umweltmanagementmaßnahmen, die das Unternehmen während der Auftragsausführung anwendet,
- Erklärung, aus der die durchschnittliche jährliche Beschäftigtenzahl des Unternehmens und die Zahl seiner Führungskräfte in den letzten drei Jahren ersichtlich ist,
- Angabe, welche Teile des Auftrags das Unternehmen unter Umständen als Unteraufträge zu vergeben beabsichtigt.
Hinsichtlich der Referenzprojekte ist zu beachten, dass diese grundsätzlich in den letzten max. drei (bei VOB/A-EU fünf) Jahren erbracht worden sein müssen, die Erfahrung soll nach dem Willen des Gesetzgebers möglichst frisch sein. Ein längerer Zeitraum ist zu begründen, etwa, da die Leistungen besonders komplex und entsprechend selten beschafft werden. Schwierig ist die Frage, wann eine Leistung als „erbracht“ gilt. Dies ist eine Frage der Wertung, die in Teil 2 dieser Serie behandelt wird. Es sind „geeignete“ Referenzen zu fordern. Was mit dieser „Eignung“ gemeint ist, ist unklar. Man wird wohl sagen müssen, dass eine Referenz geeignet ist, wenn diese den Schluss zulässt, dass das Unternehmen den ausgeschriebenen Auftrag (erneut) ordnungsgemäß durchführen können wird. Das Unternehmen muss daher überlegen, welche Referenzen es beifügt, um dies zu belegen. Eine Beschränkung der Zahl solcher Referenzen ist unzulässig. Der Auftraggeber muss die Eignung der Referenz dann gegenprüfen, auch dies ist eine Frage der Wertung. Freilich kann (muss aber nicht) der Auftraggeber in den Vergabeunterlagen näher konkretisieren, welche Maßstäbe er an die Eignung anlegt, z.B. dass ein Referenzprojekt geeignet ist, „wenn die damit verbundenen Leistungen vergleichbare oder sehr ähnliche Tätigkeiten, organisatorischen Abläufe und/oder Instrumente beinhalteten“.
Möchte ein Auftraggeber die Qualifikation und Erfahrung des Personals prüfen, das für die Leistungsdurchführung eingesetzt werden soll (z.B. des Ingenieurs oder des Softwareentwicklers), so sucht er vergebens nach einem passenden Beleg; es sei daran erinnert, dass die Auflistung im Gesetz abschließend ist. Am nächsten kommt noch die „Angabe der technischen Fachkräfte, die im Zusammenhang mit der Leistungserbringung eingesetzt werden sollen.“ Allerdings wird eine bloße Angabe dem Auftraggeber nicht reichen, sondern er wird Studien- und Ausbildungsnachweise sowie Bescheinigungen über die Erlaubnis zur Berufsausübung haben wollen. Diese wiederum sind ausdrücklich jedoch nur von den Führungskräften des Unternehmens einforderbar, die aber in aller Regel selbst nicht den Auftrag ausführen werden. Die richtige Antwort ist wohl, dass auf der Ebene der Eignung abgefragt werden kann, ob das Unternehmen überhaupt über entsprechendes Personal verfügt, das dann für die Leistung eingesetzt werden könnte. Die Eignung bezieht sich auf das Unternehmen selbst und gerade nicht auf die angebotene oder zu erbringende Leistung. So erklärt sich auch, weshalb die Führungskräfte an die Eignung geknüpft werden, da diese das Unternehmen vertreten. Erst bei der Prüfung der Wirtschaftlichkeit des Angebots wird diese Perspektive konkretisiert und das tatsächlich für die konkrete Leistungserbringung angebotene Personal geprüft, wozu entsprechende Belege (Lebenslauf u.ä.) vom Bieter vorzulegen sind, sofern der Auftraggeber diesen qualitativen Aspekt des Angebots bewerten möchte. Zulässig ist dies aber auch nur, wenn die Qualität des eingesetzten Personals erheblichen Einfluss auf das Niveau der Auftragsausführung hat, z.B. Beratungstätigkeiten und geistig-schöpferische Leistungen, nicht aber standardisierte „Ausführungsleistungen“, wie in der Regel z.B. Bau- Reinigungs- oder Transportleistungen. Es geht hier dann nicht, wie häufig gesagt, um ein „Mehr an Eignung“, da das konkret eingesetzte Personal beleuchtet wird und nicht das im Unternehmen vorhandene. Es handelt sich somit auch nicht um eine „Ausnahme“ vom Grundsatz der Trennung von Eignungs- und Zuschlagskriterien (so aber etwa VK Brandenburg, Beschluss vom 23.02.2018 – VK 1/18).
Praxistipp: Unternehmen sollten sich bereits im Teilnahmewettbewerb mit den Unterlagen des Bieterwettbewerbs vertraut machen. Insb. sollten eventuelle Vorgaben an das einzusetzende Personal und die damit verbundenen Einsatzzeiten in den Blick genommen werden. Denn wenn das Unternehmen an diesem Punkt scheitern würde, bedarf es auch keines unnötigen Aufwands zur Beteiligung an einem Teilnahmewettbewerb.
§ 46 Abs. 2 VgV enthält noch eine Regelung, die deplatziert im Eignungskanon wirkt, dort heißt es: „Der öffentliche Auftraggeber kann die berufliche Leistungsfähigkeit eines Bewerbers oder Bieters verneinen, wenn er festgestellt hat, dass dieser Interessen hat, die mit der Ausführung des öffentlichen Auftrags im Widerspruch stehen und sie nachteilig beeinflussen könnten.“ Es handelt sich hier um den Fall eines möglichen Interessenkonflikts, wie er auch bei sog. vorbefassten Unternehmen („Projektanten“) bestehen kann. Da hier die berufliche Leistungsfähigkeit angesprochen wird, könnte es sich um einen Konflikt handeln, bei dem das Unternehmen im Fall einer Beteiligung in zwei unterschiedlichen Lagern stünde. Wird etwa ein Beratungsunternehmen gesucht, das für den Bund Steuerschlupflöcher ausfindig machen soll, so könnten berufliche Interessen der Eignung entgegenstehen, wenn sich das Unternehmen darauf spezialisiert hat, für andere Kunden entsprechende Steuersparmodelle zu entwickeln. Oder möchte das für Verbraucherschutz zuständige Ministerium einen Auftrag an ein Unternehmen vergeben, das prüfen soll, ob ein großer Anbieter von Suchmaschinen seine beherrschende Stellung ausnutzt, so könnte ein Unternehmen ungeeignet sein, wenn es für eben diesen Anbieter entsprechende technische Tools entwickelt. Allerdings gilt auch hier der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der im Rahmen des Ermessens („kann“) zu beachten ist, nicht jeder scheinbare Interessenkonflikt ist tatsächlich einer.
Eignungsleihe
Die Eignungsleihe ist in § 47 VgV und in § 34 UVgO geregelt. Die Eignungsleihe ist zu komplex, um sie hier in allen Facetten darstellen zu können; es bedürfte eines eigenen Blogbeitrags. Das Wichtigste ist aber wohl, dass es der Gesetzgeber den Unternehmen erlaubt, ihre Eignung dadurch zu belegen, indem sie sich die Eignung bei einem anderen Unternehmen besorgen, „leihen“. Der Auftraggeber wiederum darf diese Möglichkeit im Oberschwellenbereich nur ausnahmsweise einschränken, nämlich wenn die zu erfüllende Aufgabe so kritisch ist, dass der unmittelbare Vertragspartner diese selbst durchführen können muss und auch selbst durchführen soll. Das Eigenleistungsgebot ist vergaberechtlich die Ausnahme.
Beispiel für eine Eignungsleihe: Der Auftraggeber schreibt eine komplexe Softwareprogrammierung aus und verlangt geeignete Referenzen unter anderem auch für den Bereich SQL. Ein an der Ausschreibung interessiertes Unternehmen kann die meisten Referenzen bedienen; nur bei SQL fehlt die Erfahrung im Hause. Es holt sich daher ein mit entsprechender Erfahrung ausgestattetes Unternehmen ins Boot (z.B. als Nachunternehmer) und reicht dem Auftraggeber dessen entsprechende Referenzen ein.
Gerade bei der Konstellation der Eignungsleihe im Wege der Nachunternehmerschaft kann der Auftraggeber von dem Nachunternehmer nun auch verlangen, dass dieser nachweist, dass er mit seinen Ressourcen dann auch tatsächlich für die Leistung zur Verfügung steht und nicht bloß „vorgeschoben“ wird. Hierzu reicht der Nachunternehmer eine sog. Verpflichtungserklärung oder auch Nachunternehmererklärung ein, es handelt sich um ein Formblatt, das jeder Auftraggeber im Köcher haben sollte.
Nimmt ein Bewerber oder Bieter die Kapazitäten eines anderen Unternehmens im Hinblick auf die erforderliche wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit in Anspruch, so kann der öffentliche Auftraggeber eine gemeinsame Haftung des Bewerbers oder Bieters und des anderen Unternehmens für die Auftragsausführung entsprechend dem Umfang der Eignungsleihe verlangen. Eine solche gemeinsame Haftungserklärung bietet sich in der Regel bei größeren Bauprojekten an oder bei risikoaffinen Leistungen.
Im Anwendungsbereich der UVgO bestimmt nunmehr § 26 Abs. 6, dass der Auftraggeber vorschreiben kann, dass alle oder bestimmte Aufgaben bei der Leistungserbringung unmittelbar vom Auftragnehmer selbst oder im Fall einer Bietergemeinschaft von einem Teilnehmer der Bietergemeinschaft ausgeführt werden müssen. „Kann“ räumt dem Auftraggeber Ermessen ein, das dieser pflichtgemäß ausüben muss. Anders als im Oberschwellenbereich findet sich keine weitere Einschränkung hinsichtlich der Art der Aufgabe.
Eignungskriterien gehören in die Bekanntmachung
Traditioneller Weise verwendet das deutsche Vergaberecht den Begriff der „Fachkunde“. Im EU-Jargon ist damit die berufliche Leistungsfähigkeit gemeint. Bei Vergabeverfahren, bei denen eine Bekanntmachung vorgesehen ist, sind die zur Überprüfung der Eignung abgefragten Unterlagen zwingend in der Bekanntmachung festzulegen. Grund hierfür ist, dass interessierte Unternehmen mit einem Blick erkennen können sollen, ob der Auftrag in ihr Portfolio fallen könnte und sie sich um eine weitere Bewerbung bemühen sollten. In der EU-Bekanntmachung sind die Eignungskriterien unter Ziffer III zu benennen. Eine Benennung nur in den Vergabeunterlagen reicht daher nicht aus, ebenso wenig ein Verweis in der Bekanntmachung („siehe Vergabeunterlagen“).
Zulässig sein dürfte jedoch, wenn ein Verweis (Link) genau an die entsprechende Stelle in den Vergabeunterlagen führt, so dass ein manuelles Durchsuchen derselben für die Bieter/Bewerber nicht erforderlich ist. Eine Konkretisierung der Eignungskriterien in den Vergabeunterlagen ist indes möglich, wobei der Auftraggeber sich dann häufig in das gefährliche Fahrwasser der Abgrenzung begibt: Wo hört die Konkretisierung auf und wo beginnt ein neues Kriterium? Keinesfalls darf eine strengere Vorgabe erst aus den Vergabeunterlagen folgen. Unterlässt der Auftraggeber die Benennung in der Bekanntmachung, besteht die Gefahr, dass er den erwünschten Nachweis dann nicht mehr zulässigerweise nachfordern darf.
Hinweis
Dieser Beitrag ist der erste Teil der Serie: Eignungsprüfung. Weitere Informationen finden Sie auf der Serienseite hier.