Die Vergabe von Stromnetzkonzessionen unterfällt nicht dem Vergaberecht (OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 16.04.2018 – 11 Verg 1/18)
Die Vergabe von Stromnetzkonzessionen und auch das Rechtsschutzverfahren richten sich ausschließlich nach dem EnWG. Gleichwohl ist Auftraggebern zu empfehlen, zusätzlich auch die Bestimmungen der Konzessionsvergabeverordnung (KonzVgV) zu beachten. Stromnetzkonzessionen unterfallen nicht der Konzessionsvergabeverordnung, sondern dem EnWG. Dementsprechend sind für Rechtsstreitigkeiten auch nicht die Vergabekammern, sondern die ordentlichen Gerichte zuständig.
§ 47 Abs. 5 EnWG, § 102 EnWG, KonzVgV
Sachverhalt
Eine Stadt schrieb die Vergabe einer Stromkonzession für ihr Stadtgebiet europaweit aus. Der künftige Konzessionsnehmer sollte vertraglich verpflichtet werden, das Netz für die gesamte Laufzeit zu betreiben, auszubauen und instand zu halten. Dafür sollte er kein Entgelt erhalten, sondern sich über die Nutzer refinanzieren. In der europaweiten Bekanntmachung war als Nachprüfungsbehörde die für das Land Hessen zuständige Vergabekammer benannt, da die Auftraggeberin die Stromkonzession als Dienstleistungskonzession im vergaberechtlichen Sinne ansah. Ein Bieter hat zahlreiche Rügen gegen das Verfahren erhoben, auf deren Inhalt es für diesen Beitrag nicht ankommt. Den Rügen wurde von der Auftraggeberin nicht vollständig abgeholfen. Daher wandte sich der Bieter an die in der Bekanntmachung genannte Vergabekammer. Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag jedoch abgewiesen, da sie sich für unzuständig gehalten hat. Gegen die Entscheidung der Vergabekammer wurde Beschwerde zum OLG Frankfurt a.M. eingelegt.
Die Entscheidung
Der Vergabesenat des OLG Frankfurt a.M. bestätigte die Entscheidung der Vergabekammer Hessen. Stromnetzkonzessionen seien rechtlich betrachtet Wegenutzungsverträge nach § 46 EnWG. Das Verfahren zur Vergabe solcher Verträge sei in §§ 46, 46a, 47 EnWG geregelt. Diese Regelungen enthalten in § 47 Abs. 5 EnWG auch eine ausdrückliche Zuweisung von Rechtsstreitigkeiten zu den ordentlichen Gerichten (d.h. in erster Instanz: Landgericht), so dass die Vergabekammer unzuständig gewesen sei. Die Regelungen des EnWG gehen den Vorschriften des im GWB geregelten allgemeinen Vergaberechts einschließlich der Vorschriften über das Nachprüfungsverfahren auch vor, da sie spezieller sind und zudem neuer als das GWB.
Offen sei zwar, ob eine Stromkonzession zugleich eine Dienstleistungskonzession im Sinne des europäischen Vergaberechts sei. Der deutsche Gesetzgeber hatte diese Frage im Gesetzgebungsverfahren für das EnWG verneint. In der Literatur wird der Gesetzgeber hierfür kritisiert. Der Vergabesenat stellt jedoch fest, dass diese Frage gar nicht entschieden werden müsse. Denn selbst wenn eine Stromkonzession eine Dienstleistungskonzession sei, würde das lediglich dazu führen, dass die Vorgaben des europäischen Vergaberechts und insb. der Konzessionsvergaberichtlinie 2014/23/EU einzuhalten wären. Diese Vorgaben würden aber durch die Verfahrensvorschriften des EnWG auch erfüllt.
Rechtliche Würdigung
Dem Vergabesenat des OLG Frankfurt a.M. ist zuzustimmen, dass der Rechtsweg zur Vergabekammer versperrt ist. Die eigentlich spannende Frage, ob Stromkonzessionen Dienstleistungskonzessionen sind, musste das Gericht jedoch nicht entscheiden. Es spricht einiges dafür, dass der deutsche Gesetzgeber bei seiner Einschätzung, dass Stromkonzessionen keine Dienstleistungskonzessionen seien, falsch liegt. Der Gesetzgeber beruft sich in der Gesetzesbegründung zum EnWG allein auf den 16. Erwägungsgrund der Konzessionsvergaberichtlinie (BT-Drucks 18/8184, Seite 10). In diesem 16. Erwägungsgrund heißt es jedoch lediglich, dass solche Wegenutzungsverträge vom Anwendungsbereich der Konzessionsvergaberichtlinie ausgenommen sind, in denen dem Auftragnehmer keinerlei Leistungsverpflichtungen auferlegt werden (darunter würde z.B. eine reine Vermietung der Flächen fallen). Solche Geschäfte stellen nach der Rechtsprechung des EuGH keine Beschaffungsvorgänge dar, da der Auftraggeber keinen Anspruch auf die Leistungserbringung hat (so in der Rechtssache C-451/08 Müller vs. BImA Rn. 59 ff.). Bei qualifizierten Wegenutzungsverträgen wie im vorliegenden Fall werden dem künftigen Auftragnehmer aber ganz zahlreiche Leistungsverpflichtungen (insb. Betriebs- und Ausbaupflichten) auferlegt, so dass ein Beschaffungsvorgang zweifellos gegeben ist. Die Ausnahmetatbestände der Konzessionsvergaberichtlinie enthalten auch keine Hinweise auf einen generellen Ausschluss von Stromkonzessionen. Es ist daher davon auszugehen, dass Stromkonzessionen selbstverständlich in den Anwendungsbereich der Konzessionsvergaberichtlinie fallen.
Praxistipp
Das OLG Frankfurt a.M. liegt mit seiner Einschätzung, dass die Vorgaben der Konzessionsvergaberichtlinie auch durch die Regelungen in den §§ 46 ff. EnWG erfüllt werden können, nicht grundsätzlich falsch. Allerdings stellt die Konzessionsvergaberichtlinie ein 64 Seiten langes Regelwerk dar, während die Regelungen im EnWG lediglich drei Paragrafen umfassen. Es ist daher durchaus gewagt, zu behaupten, dass damit alle Anforderungen der Konzessionsvergaberichtlinie restlos in nationales Recht umgesetzt seien. Es besteht daher durchaus das ernstzunehmende Risiko, dass aus der Konzessionsvergaberichtlinie doch zusätzliche Anforderungen an die Vergabe folgen, deren Nichtbeachtung eine Vergabe europarechtswidrig machen könnte.
Auftraggebern ist daher zu empfehlen, jede Vergabe darauf zu prüfen, ob neben den Regelungen des EnWG auch die Vorgaben der Konzessionsvergaberichtlinie (die national in der KonzVgV umgesetzt ist) eingehalten sind. Dazu zählen z.B. die Vorgaben zur Laufzeit (in der Regel 5 Jahre), zur Nutzung der Standardformulare, zur elektronischen Verfügbarkeit der Konzessionsunterlagen, zur Prüfung der Ausschlussgründe (§§ 123, 124 GWB) und zur Bekanntgabe der Zuschlagskriterien. Umgekehrt begegnet es etwa erheblich europarechtlichen Bedenken, dass gemäß § 46 Abs. 4 EnWG Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft berücksichtigt werden können sollen oder dass die Auswahlkriterien nur auf Anfrage mitgeteilt werden müssen. Auch die Pflicht zur europaweiten Bekanntmachung erst ab 100.000 Nutzern dürfte so kaum europarechtskonform sein.