Antrag auf vorläufige Verlängerung des Zuschlagverbots kann in der Beschwerdeinstanz auch noch nach Ablauf der 2-Wochen-Frist zum Erfolg führen! (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26.09.2018 – VII-Verg 50/18)
OLG Düsseldorf gibt bisherige Rechtsprechung auf und räumt effektivem Primärrechtsschutz auch dann den Vorrang ein, wenn der Zuschlag erst im laufenden Beschwerdeverfahren droht.
Mit Beschluss vom 26.09.2018 hat das OLG Düsseldorf seine bisherige Rechtsprechung, wonach die aufschiebende Wirkung gem. § 173 Abs.2 1 S.3 GWB nicht erst im Laufe des Beschwerdeverfahrens verlängert werden könne, aufgegeben und einstweilen das Zuschlagverbot verlängert. En passant erspart das Gericht manchem Bieter in Zukunft ein unnötiges Kostenrisiko. Den komplexen Zulässigkeitsfragen eines Nachprüfungsantrags rund um ein Vergabeverfahren zur Belieferung von Vertragarztpraxen mit Kontrastmitteln widmet sich nun das OLG in der Beschwerdeinstanz.
§§ 173 Abs.1, 160 Abs.2, 97 GWB
Leitsatz
In den Fällen, in denen bis zum Ablauf der zwei- Wochen- Frist des § 173 Abs.1 S.2 GWB kein Zuschlag drohte, weil keine Mitteilung im Sinne des § 134 GWB versendet war, kann ein Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde bis zur abschließenden Entscheidung noch gestellt werden, sobald nachträglich der Zuschlag droht (nicht amtlich).
Sachverhalt
Die Antragstellerin begehrte mit ihrem Antrag bis zur abschließenden Entscheidung über ihre Beschwerde nach § 173 I 3 GWB die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss der VK Bund vom 15.08.2018 (VK 1- 69/18).
Dieser lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Die Antragsgegnerinnen (Kassenärztliche Vereinigungen) führten ein europaweites, offenes Verfahren zur Vergabe von Rahmenverträgen zur Belieferung der radiologisch tätigen Vertragsarztpraxen mit Kontrastmitteln in mehreren Fachlosen durch. Die Antragsgegnerinnen hatten mit mehreren gesetzlichen Krankenkassen eine Vereinbarung über die Anforderung und Verwendung von Sprechstundenbedarf geschlossen, welche auch Kontrastmittel umfasste. Diese sollten gegebenenfalls durch Produkte des jeweiligen Zuschlagsgewinners substituiert werden. Allerdings gab die Vereinbarung vor, dass dies nur unter Vorbehalt des Widerspruchs der Ärzte möglich sei.
Im Folgenden rügte die Antragstellerin (als Bieterin), dass der Bezug von Kontrastmitteln und die Auswahl der Lieferanten nicht mithilfe eines Vergabeverfaahrens umgesetzt werden dürften, da die Ausschreibung eine Substitution zugunsten des Bezuschlagten nicht zulasse.Der Rüge wurde nicht abgeholfen, sodass die Antragstellerin bei der VK Bund die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens beantragte – fälschlicherweise gegen die im Rubrum der Antragsschrift falsch bezeichnete Antragsgegnerin- mit dem Ziel der Untersagung dieser Ausschreibung durch die VK. Der Antrag wurde jedoch bereits als unzulässig verworfen.
Daraufhin hat die Antragstellerin beim Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) sofortige Beschwerde eingelegt und, nachdem ihr erst im laufenden Beschwerdeverfahren – also nach Ablauf der zwei-Wochen-Frist, § 173 Abs.1 S.2 GWB, die Nachricht gem. § 134 GWB zugegangen war, gemäß § 173 I S. 3 GWB beantragt, die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde bis zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde zu verlängern.
Die Entscheidung
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung bis zur abschließenden Entscheidung über die Beschwerde hatte im Ergebnis Erfolg.
Das OLG argumentierte, dass der Wortlaut des § 173 Abs.1 S.2 GWB von „verlängern“ spräche, was grundsätzlich voraussetze, dass -wie hier- der zu verlängernde Zustand noch nicht abgelaufen sei. § 173 Abs.1 S.3 GWB müsse nach Meinung des Senats allerdings teleologisch erweitert werden, sofern erst nachträglich der Zuschlag drohe. Es entspräche nicht dem Sinn und Zweck der Vorschrift, wenn ein um rechtsschutzsuchendes Unternehmen rein vorsorglich in zum Antragszeitpunkt unnötige Kosten getrieben würde, besonders weil ein solcher Antrag mit nicht unerheblichen Kosten verbunden sei. Es sei sogar fraglich, ob einem solchen Antrag nicht sogar das Rechtsschutzbedürfnis fehle. Es entspräche aber umgekehrt dem Gebot effektiven Primärrechtsschutzes, einem Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung auch noch dann stattzugeben, wenn das Verfahren bereits vorangeschritten sei, insbesondere weil auch teilweise erst im Laufe des Beschwerdeverfahrens die Voraussetzungen des § 173 Abs.1 S.3 GWB leichter bewertet werden könnten. Der Senat weist ferner darauf hin, an seiner in der Entscheidung vom 06.11.2000 (Verg. 20/00) dargelegten Rechtsauffassung, sofern sie dem entgegenstehen sollte, nicht mehr festzuhalten.
Das OLG sah sich nach dem Sachstand, insbesondere der kurzen zur Entscheidung bleibenden Zeit, nicht in der Lage, die materiellen Voraussetzungen des Eilantrags im Einzelnen zu bewerten und konnte nur feststellen, dass die sofortige Beschwerde weder unzulässig noch evident unbegründet sei und gab zur Wahrung des Primärrechtsschutzes dem Eilantrag statt.
Die VK Bund hatte den Nachprüfungsantrag als unzulässig verworfen. Vieles spräche, so die VK Bund, auch für die Unbegründetheit des Antrags.
Die Zulässigkeit des Antrags scheitere jedoch nicht an der falschen Bezeichnung der Antragsgegnerin, denn aus dem Antrag selbst ergäbe sich bei sachdienlicher Auslegung, gegen wen sich der Antrag richte. Das Rubrum sei daher von Amts wegen zu berichtigen. Die Unzulässigkeit folge aber aus der fehlenden Antragsbefugnis, § 160 Abs.2 GWB, der Antragstellerin. Bereits das Auftragsinteresse sei fraglich. Die Antragstellerin betone zwar an einem rechtmäßigen Vergabeverfahren der Antragsgegnerinnen teilnehmen zu wollen, allerdings erscheine dies vor der Begründung ihres Antrages unvertretbar. Die Argumentation der Antragstellerin würde im Ergebnis auf die Verhinderung einer Kontrastmittelausschreibung zielen, jedenfalls solange die Vereinbarung gelte. Das Rechtsschutzziel, ein Vergabeverfahren zu verhindern, sei vom Vergaberechtsschutz allerdings nicht erfasst. Abschließend nimmt die VK Bund keine Stellung zum Auftragsinteresse, da sich die fehlende Antragsbefugnis eindeutig aus den weiteren Punkten ergäbe. Die Antragstellerin berufe sich entgegen § 97 VI GWB nicht auf eine bieterschützende Norm. Die Regelungen der Vereinbarung, sowie ihrer Rechtsgrundlage in § 83 SGB V beträfen die Frage, ob überhaupt ausgeschrieben werden dürfe und diese sei dem Vergabeverfahren vorgelagert. Der Antragstellerin drohe auch kein Schaden i.S.d. § 160 II 2 GWB. Der aus Sicht der Antragstellerin bestehende Rechtsverstoß beeinträchtige ihre Zuschlagschancen nicht, was nach ständiger Vergaberechtsprechung vorausgesetzt würde. Die Antragstellerin stehe aber letztlich dennoch nicht rechtsschutzlos da, denn ihr verbleibe die Möglichkeit der Anrufung der Sozialgerichte.
Rechtliche Würdigung
Die Entscheidung des OLG Düsseldorf zur teleologischen Erweiterung des § 173 I 3 GWB erscheint aufgrund der ausführlichen Begründung mit Bedacht getroffen und durchaus vertretbar. Aus Bietersicht ist sie allemal zu begrüßen, denn der Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung kann durchaus im Vergleich zum Hauptsacherechtsmittel als kostenintensiv bezeichnet werden. Es bleibt spannend, ob sich die Entscheidung in der vergaberechtlichen Praxis endgültig durchsetzt. Diejenigen Bieter, die erst im laufenden Beschwerdeverfahren eine Bieterinformation im Sinne des § 134 GWB erhalten, müssen dann aber unbedingt zeitnah einen solchen Antrag stellen.
Die Entscheidung der VK Bund deckt ein buntes Spektrum an vergaberechtlichen Themen in einem nicht alltäglichen sozial- und arzneimittelrechtlichen Kontext ab. Hinsichtlich der Unschädlichkeit der Falschbezeichnung der Antragsgegnerinnen vermag die Entscheidung allerdings nicht zu überraschen. Gem. § 163 I 1 GWB hat die VK den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen und ist ausdrücklich nicht auf das Vorbringen der Beteiligten beschränkt. Eine Rubrumsberichtigung durch die VK ist daher nur konsequent. Dass die Kammer umfangreich zum Auftragsinteresse Stellung nimmt, ohne die vorliegende Konstellation abschließend zu bewerten, erscheint vor dem Hintergrund des Sachverhaltes dagegen bedauerlich. Spannend wäre hier gewesen, ob die VK tatsächlich den letzten (konsequent hergeleiteten) Schritt geht und dem Bieter dieses Interesse aberkennt, zumal dies -wie die Kammer zu Recht hinweist- bereits naheliegt, weil dieser nicht einmal der zwischenzeitlich angefragten Bindefristverlängerung für einen Teil der in Streit stehenden Lose zustimmen wollte.
Im Ergebnis ist der VK allerdings zuzustimmen: Ein Bieter der sich im von ihm angestrengten Nachprüfungsverfahren im Ergebnis darauf beruft, Vergaberecht sei nicht anwendbar, befindet sich in einem offensichtlichen Zirkelschluss, der sich negativ auf die erforderliche Antragsbefugnis auswirken muss. Hierauf hat die VK zu Recht hingewiesen. Genauso zutreffend ist, dass die VK ihre Argumentation auf § 97 GWB stützt und daraus vorliegend herleitet, dass sämtliche vorliegend zentralen Rechtsfragen nur bei den Sozialgerichten richtig platziert sind. Auch wenn es zunächst überraschen mag, dass die VK sich der Frage, ob überhaupt ausgeschrieben werden darf, nicht annehmen mag: Die Entscheidung überzeugt durch ihre folgerichtige Argumentationslinie.
Praxistipp
Die teleologische Erweiterung der Frist des § 173 I 2 GWB sollten Praktiker im Auge behalten, die aktuelle Entwicklung scheint jedenfalls der Schnelllebigkeit des Vergaberechts Rechnung zu tragen und nimmt erfreulicherweise auch aus Bietersicht relevante Kostengesichtspunkte auf.
Die Entscheidung der VK Bund gibt zudem vielfältige Aufschlüsse über die Anforderungen an die Antragsbefugnis. Gerade der leicht kuriosen Inanspruchnahme vergaberechtlichen Rechtsschutzes mit der Begründung, Vergaberecht sei nicht anwendbar, wird der Wind aus den Segeln genommen. Damit ist eine Nachahmung von ähnlichen Begründungskreiseln in Zukunft wohl eher vom Tisch.