Kritik an EU-Plänen zur Änderung der Saubere-Straßenfahrzeuge-Richtlinie (2009/33/EG)
Das cep, Centrum für Europäische Politik (cep), Freiburg i.Br., analysiert als Think-Tank der gemeinnützigen Stiftung Ordnungspolitik regelmäßig Rechtsetzungsvorschläge der EU-Kommission. Der Autor stellte beim 5. Deutschen Vergabetag am 26. Oktober 2018 im Rahmen des Innovationsforums „Die Neufassung der Richtlinie zur Beschaffung sauberer Fahrzeuge“ die Position des cep zum Vorschlag der EU-Kommission für eine Änderungsrichtlinie Saubere Straßenfahrzeuge vor [s. ausführlich: cepAnalyse 19/2018].
Hintergrund des Richtlinienvorschlags
Die Saubere-Straßenfahrzeuge-Richtlinie [2009/33/EG] ergänzt das EU-Vergaberecht [Allgemeine-Vergabe-Richtlinie 2014/24/EU; Sektoren-Vergabe-Richtlinie 2014/25/EU] durch Umweltkriterien für die Beschaffung von Straßenfahrzeugen durch öffentliche Auftraggeber und Betreiber von Personenverkehrsdiensten auf der Straße. Trotz der dortigen Vorgaben lag der Anteil von Elektro-, Plug-in-Hybrid-, Brennstoffzellen- und Erdgasfahrzeugen an den zwischen 2009 und 2015 neubeschafften Straßenfahrzeugen durchschnittlich nur bei 4,7% der Pkw und 0,4% der leichten Nutzfahrzeuge sowie 0,07% der Lkw und 1,7% der Busse.
Künftig soll die Saubere-Straßenfahrzeuge-Richtlinie „alle relevanten Vergabeverfahren“ erfassen und „einfacher und wirksamer“ werden. Dies soll die Nachfrage für saubere und energieeffiziente Straßenfahrzeuge stimulieren, Treibhausgas- und Luftschadstoffemissionen verringern und die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Automobilindustrie stärken.
State of play und nächste Schritte
Der Kommissionsvorschlag wird derzeit noch im Rat diskutiert, während das Europäische Parlament bereits am 25. Oktober seine Position beschlossen hat. Sobald der Rat zu einer gemeinsamen Position gefunden hat, beginnen die sog. Trilog-Verhandlungen zwischen EP, Rat und Kommission. Nach einer Einigung im Trilog muss das EP in 1. Lesung sowie der Rat zustimmen. Darauf folgt die Veröffentlichung der Änderungsrichtlinie im Amtsblatt. Ob das alles noch vor der Europawahl über die Bühne geht, ist fraglich. Erst mit der Umsetzung der Richtlinie auf nationaler Ebene werden die Vorgaben verpflichtendes Recht für die Auftragsvergabe in Deutschland.
Wesentliche Änderungen
Die Richtlinie soll künftig nicht nur für den Kauf, sondern auch für Leasing, Miete und Mietkauf gelten, sowie nun auch für Betreiber von „Straßenverkehrsdiensten“ zur Post- und Paketbeförderung, sowie zur Abholung von Siedlungsabfällen oder der Vermietung von Bussen mit Fahrer im Rahmen eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags. Das EP will dies noch aus auf die gesamte Müllabfuhr und auf Vermietung von weiteren Fahrzeugen mit Fahrer und auf Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der EU ausweiten.
Bis 2025 sollen laut Kommissionsvorschlag als „saubere Fahrzeuge“ nur Pkw und Kleinbusse mit CO2-„Auspuffemissionen“ von höchstens 25 g CO2/km und Kleintransporter mit CO2-„Auspuffemissionen“ von höchstens 40 g CO2/km gelten. Das EP will stattdessen auch Fahrzeuge, die mit alternativen Kraftstoffen [Richtlinie 2014/94/EU Art. 2 Abs. 1 Nr. 1] betrieben werden, als „saubere Fahrzeuge“ einstufen und legt für „emissionsarme“ Pkw und leichte Nutzfahrzeuge einheitliche CO2-Grenzen von 50 g CO2/km fest. Dies gilt aber jeweils nur für Fahrzeuge, deren Luftschadstoffemissionen im praktischen Fahrbetrieb die jeweils geltenden Emissionsgrenzwerte (derzeit: Fahrzeugemissionen-Verordnung [(EG) Nr. 715/2007], Anhang I) um mindestens 20% unterschreiten.
Bei schweren Nutzfahrzeugen hat das EP die ursprüngliche Liste der von der EU-Kommission als „saubere“ Fahrzeuge eingestuften alternativen Antriebe – Elektro-, Brennstoffzellen-, Erdgas- und Biomethan-Fahrzeuge – auf alle Fahrzeuge, die mit in der Richtlinie 2014/94/EU genannten alternativen Kraftstoffe betrieben werden, ausgeweitet. Damit gelten auch alle Biokraftstoffe (einschließlich Biodiesel), Flüssiggas (LPG) sowie synthetische und paraffinhaltige Kraftstoffe als „sauber“.
Es werden länder- und fahrzeugspezifische Mindestquoten für den Anteil sauberer Fahrzeuge bei der öffentlichen Auftragsvergabe festgelegt, die jeder Mitgliedstaat insgesamt erfüllen muss. Statt wie die Kommission bei der Erfüllung der Mindestquoten emissionsarme Fahrzeuge teilweise geringer zu gewichten als emissionsfreie – was zu großen Verwerfungen unter den Mitgliedstaaten führen würde – schlug das EP ambitionierte Unterquoten für emissionsfreie und emissionsarme Pkw und leichte Nutzfahrzeuge bzw. emissionsfreie schwere Nutzfahrzeuge vor.
Kritik
Zwar unterbindet die Ausweitung der Richtlinie auf Leasing, Miete und Mietkauf die Umgehung der Beschaffungsvorgaben, aber insgesamt verschärfen sich damit auch die folgenden Probleme des Kommissionsvorschlags:
- Instrumentalisierung der öffentlichen Beschaffung
Die Instrumentalisierung der öffentlichen Beschaffung, über das Nachfragepotential des öffentlichen Sektors eine Massenproduktion bisher wenig marktgängiger sauberer Fahrzeuge anzustoßen, ist äußerst fragwürdig:
- Erstens wird dadurch – entgegen der Behauptung der Kommission – die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Fahrzeughersteller nicht gesteigert. Denn Konkurrenten aus Drittstaaten unterliegen für ihren Absatz in der EU denselben Kriterien und können sogar davon profitieren. So können beispielsweise chinesische Hersteller derzeit Elektro-Busse zu deutlich günstigeren Preisen als europäische Unternehmen anbieten.
- Zweitens stellen sich Kostensenkungen durch Massenproduktion erst nach und nach ein. Daher müssen die Fahrzeuge in den Anfangsjahren teurer beschafft werden. Dies widerspricht dem Gebot des wirtschaftlichen Einsatzes öffentlicher Gelder.
Natürlich kann der öffentliche Sektor auch Umweltaspekte bei der Beschaffung berücksichtigen. Daher verpflichtete die Saubere-Fahrzeuge-RL zur Beschaffung marktgängiger sauberer Fahrzeuge. Abzulehnen ist jedoch eine Instrumentalisierung der öffentlichen Beschaffung für staatliche Industriepolitik.
- Kostensteigerung durch reduzierte Bieterzahl aufgrund zu strikter Auflagen
Es gibt keinen Grund, warum Pkw und leichte Nutzfahrzeuge, um als „saubere Fahrzeuge“ zu gelten, die jeweils geltenden Emissionsgrenzwerte für Luftschadstoffe um 20% unterschreiten müssen. Wenn die Entwicklung emissionsärmerer Fahrzeuge angestoßen werden soll, kann die EU schärfere EURO-Normen einführen.
Der Kommissionsvorschlag ist jedoch problematisch: Massenhersteller geben womöglich den relativ kleinen öffentlichen Beschaffungsmarkt eher auf, als dass sie Fahrzeuge entwickeln, die 20% weniger emittieren als die vorgeschriebene EURO-Norm. Denn Hersteller konkurrieren gewöhnlich eben nicht in der Unterbietung von Schadstoffgrenzwerten, sondern versuchen, sie gerade so einzuhalten.
Es besteht die Gefahr, dass der Kreis potentieller Anbieter, die die Zusatzanforderung für die Auftragsvergabe erfüllen, gering bleibt. Verbleibende Anbieter könnten daher aufgrund des geringeren Wettbewerbs hohe Preise durchsetzen.
Ein ähnliches Problem ergibt sich durch die Ausweitung des Anwendungsbereichs auf Straßenverkehrsdiensten, für die es bisher noch kaum emissionsarme oder –freie Fahrzeuge auf dem Markt gibt. Mindestquoten können dann anfangs den Anbieterkreis ebenfalls sehr einschränken.
- Mangelnde Technologieneutralität
Durch die Vorschläge des EP wurde – die im Kommissionsvorschlag unzureichend beachtete – Technologieneutralität weitgehend wiederhergestellt. Es ist zu hoffen, dass diese EP-Vorschläge im Trilog Bestand haben werden.
- Kostensteigerung für Busse im ÖPNV
Die Bevorzugung emissionsarmer oder mit Bio-Methan betriebener Fahrzeuge durch unterschiedliche Gewichtungen im Kommissionsvorschlag oder durch hohe Unterquoten in der EP-Position belastet die öffentlichen Haushalte und/oder führt zu einer Verteuerung öffentlicher Dienstleistungen. Dies ist vor allem bei Bussen kontraproduktiv, weil dadurch u.U. die Beschaffung neuer Fahrzeuge verzögert wird. Zudem besteht die Gefahr, dass aus Kostengründen das Linienangebot eingeschränkt oder verteuert wird und Fahrgäste wieder auf den – deutlich emissionsintensiveren – Individualverkehr umsteigen.
Ein Betrieb von Gasbussen würde das lokale Problem bei Stickoxiden und Feinstaub in den Städten kostengünstiger lösen. Angesichts der Tatsache, dass Elektro-Busse aufgrund des Strommixes auch nicht CO2-frei fahren und Busse viel klimafreundlicher sind als der Individualverkehr, ist die durch Elektro-Busse angestrebte CO2-Reduktion alles andere als kosteneffizient.
Fazit
Eine Instrumentalisierung der öffentlichen Beschaffung ist abzulehnen. Um die Marktdurchdringung marktgängiger „sauberer und energieeffizienter“ Fahrzeuge noch zu intensivieren sind willkürliche Definitionen sauberer Fahrzeuge sowie technologiegebundene Quoten nicht die kosteneffizienteste Wahl.
Je besser es hingegen gelingt, umweltbezogene Kosten von CO2– oder Luftschadstoffemissionen in Preise einzubeziehen („Internalisierung externer Kosten“), desto weniger sind dirigistische Beschaffungsvorgaben zur Förderung „sauberer Straßenfahrzeuge“ nötig:
- Die Reduzierung von CO2 betreffend steht mit dem Emissionshandelssystem (ETS) ein effizientes Mittel zur Verfügung. Durch eine Einbeziehung des Verkehrs in das EU-ETS oder in ein verkehrsspezifisches ETS würden sich die Kosten fossiler Kraftstoffe proportional zu deren CO2-Gehalt erhöhen. Alternativ könnte die EU die Mindeststeuersätze auf Mineralöl nach dem CO2-Gehalt staffeln. Beides führt dazu, dass die Gesamtbetriebskosten der Fahrzeuge – also über deren gesamte Nutzungsdauer hinweg – von deren tatsächlichen Emissionen abhängen. Damit würden die heutigen Kostennachteile emissionsarmer und freier Fahrzeuge bei öffentlichen Vergabeverfahren – und auch des ÖPNV gegenüber dem Individualverkehr – ausgeglichen. Dies setzt Anreize zur CO2-Reduzierung, ist technologieneutral, ökonomisch effizient und begrenzt den Verwaltungsaufwand.
- Die Reduzierung von Luftschadstoffen betreffend haben sich die EURO-Normen bewährt sowie nach EURO-Klassen gestaffelte Lkw-Mautgebühren. Will die Kommission noch emissionsärmere Fahrzeuge auf dem Markt sehen, sollte sie die EURO-Normen verschärfen, statt für die Beschaffung deren deutliche Unterschreitung vorzuschreiben.
Da es im weiteren Gesetzgebungsverfahren jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit bei Quotenlösungen bleiben wird, ist bei der Umsetzung der Änderungsrichtlinie in deutsches Recht zu beachten, dass die Richtlinie nur Vorgaben auf Ebene der Mitgliedstaaten macht. Das heißt für Deutschland, dass im Durchschnitt ein Mindestanteil sauberer Fahrzeuge bei der gesamten öffentlichen Auftragsvergabe (über einem Schwellenwert) erreicht werden muss, aber nicht jeder einzelne Auftrag dieser Quote entsprechen muss.
Dieser Punkt führte zu einigen Missverständnissen und Irritationen am Ende der Podiumsdiskussion im Innovationsforum „Die Neufassung der Richtlinie zur Beschaffung sauberer Fahrzeuge“ des Deutschen Vergabetages. So wurden durch Publikumsfragen einige Fälle veranschaulicht, wo es durch die Quoten zu großen Belastungen vor allem für Kleinunternehmen kommen könnte, z.B. eine gemeinsame Ausschreibung für den Schülerlinienverkehr in einem Landkreis, den mehrere kleine Busunternehmen übernehmen, die dann jeweils die Quote einhalten müssten.
Der Hinweis, dass ab gewisser Schwellenwerte nun eben EU-Recht gelte und daher an nicht wünschenswerten Härtefällen nichts zu ändern sei, ist jedoch verfehlt. Denn es obliegt der Umsetzung in nationales Recht, bei der Erreichung der nationalen Mindestquoten den unterschiedlichen berechtigten Interessen für Ausnahmen oder einer Differenzierung zwischen Ballungsräumen und ländlichen Räumen gerecht zu werden. Für eventuell unberücksichtigte berechtigte Anliegen kann jedenfalls nicht die EU-Ebene verantwortlich gemacht werden. Der geht es nur um den nationalen Durchschnitt. Wie der erreicht wird, ist Sache der Mitgliedstaaten.