EuGH urteilt zur Vergabe von Arbeitsverträgen (EuGH, Urt. v. 25.10.2018 – C-260/17 – „Anodiki Services EPE“)
Das europäische Recht stellt es öffentlichen Auftraggebern generell frei, ihre Aufgaben mit eigenem Personal oder mit fremden Dienstleistern zu erfüllen. Die Organisationshoheit obliegt den einzelnen Unionsstaaten und öffentlichen Stellen. Die EU-Vergaberichtlinien sind deshalb nicht anzuwenden, wenn öffentliche Auftraggeber Arbeitsverträge abschließen. Denn das EU-Vergaberecht will den grenzüberschreitenden Handel erfassen, nicht aber die Arbeitsfreiheit einzelner Personen regulieren. Der Arbeitsmarkt ist trotz der europäischen Grundfreiheiten ein weitgehend lokaler Markt, bei dem die örtlichen Beschäftigungsverhältnisse und die jeweiligen steuerlichen sowie sozialen Rahmenbedingungen eine wichtige Rolle spielen. Ob und welche Anforderungen an den vergaberechtsfreien Abschluss von Arbeitsverträgen gestellt werden, haben die Luxemburger Richter entschieden.
§§ 107 Abs. 1 Nr. 3 GWB; Art. 10 Buchst. g) Richtlinie 2014/24/EU.
Leitsatz
Unter den Begriff Arbeitsverträge der Bereichsausnahme nach § 107 Abs. 1 Nr. 3 GWB fallen auch befristete Einzelarbeitsverträge, die mit Personen geschlossen werden, die nach objektiven Kriterien wie Dauer der Arbeitslosigkeit, früherer Berufserfahrung und Anzahl unterhaltsberechtigter minderjähriger Kinder ausgewählt wurden.
Sachverhalt
Zwei griechische öffentlich-rechtliche Krankenhäuser schlossen eine Reihe befristeter privatrechtlicher Einzelarbeitsverträge ab. Damit wollten die Krankenhausbetreiber ihren Bedarf an Reinigungs- und Verpflegungsdienstleistungen selbst personell decken (Rdnr. 15 f.).
Ein Unternehmer beantragte die Nachprüfung. Er war der Ansicht, dass der Wert der abgeschlossenen Einzelarbeitsverträge deutlich über dem EU-Schwellenwert lag und deshalb ein EU-weites Vergabeverfahren bedurft hätten (Rdnr. 17).
Das vom Unternehmer um Rechtsschutz ersuchte Gericht hat dem EuGH unter anderem die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob es sich bei einem vergaberechtsfreien Arbeitsvertrag um einen solchen über unselbständige Arbeit handeln müsse, oder ob weitere besondere Merkmale (z.B. hinsichtlich der Art der Arbeit und der Qualifikationen der Personen) hinzutreten müssten, sodass jeder einzelne Arbeitnehmer im Hinblick auf seine Persönlichkeit durch den öffentlichen Arbeitgeber subjektiv bewertet und individuell beurteilt wird. Insbesondere war für das Vorlagegericht fraglich, ob befristete Arbeitsverträge, die aufgrund objektiver Kriterien wie Dauer der Arbeitslosigkeit des Bewerbers, Vorerfahrung oder Anzahl minderjähriger Kinder im Rahmen eines vorher festgelegten Verfahrens abgeschlossen wurden, von der Vergabeausnahme erfasst werden (Rdnr. 21).
Die Entscheidung
Der EuGH stellt klar, dass der Begriff Arbeitsverträge weder in der EU-Vergaberichtlinie näher definiert ist noch insoweit auf das Recht der Mitgliedstaaten verwiesen wird. Zur Sicherstellung einer einheitlichen Anwendung des Unionsrechts muss daher die begriffliche Auslegung unter Berücksichtigung des Wortlauts, Kontexts und Ziels erfolgen (Rdnr. 25).
Daran gemessen macht der Erwägungsgrund 5 der Richtlinie 2014/24/EU einerseits deutlich, dass der Abschluss von Arbeitsverträgen durch öffentliche Auftraggeber bezweckt, Dienstleistungen selbst erbringen zu können. Gerade deshalb sind Arbeitsverträge von der Pflicht zur Vergabe öffentlicher Aufträge ausgenommen (Rdnr. 26).
Andererseits besteht im größeren Kontext des Unionsrechts das Merkmal eines Arbeitsverhältnisses darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Der Begriff Arbeitsverträge erfasst folglich solche Vereinbarungen, aufgrund derer öffentliche Stellen natürliche Personen beschäftigen, um selbst Dienstleistungen erbringen zu können (Rdnr. 29).
Für diese Zwecke der Begriffsdefinition kommt es nicht darauf an, wie die natürlichen Personen eingestellt werden. Es ist unerheblich, ob Arbeitsverträge nur aufgrund subjektiver Kriterien oder aufgrund einer Auswahl nach objektiven Kriterien abgeschlossen werden. Ebenso fallen auch befristete Beschäftigungsverträge unter den Begriff Arbeitsverträge. Denn der Arbeitnehmer erbringt in einem begrenzten Zeitraum zweifelsfrei Leistungen für den Arbeitgeber nach dessen Weisung (Rdnr. 30 f.).
Schließlich stehen dem vergaberechtsfreien Abschluss von Arbeitsverträgen auch nicht die Art. 49 AEUV (Niederlassungsfreiheit) und Art. 56 AEUV (Dienstleistungsfreiheit), die Grundsätze der Gleichbehandlung, die Transparenz und Verhältnismäßigkeit sowie die Art. 16 und 52 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegen (Rdnr. 40).
Rechtliche Würdigung
Das Urteil der Luxemburger Richter ist praxisgerecht. Das Vergaberecht erfasst nur Dienstleistungen, die aufgrund von öffentlichen Aufträgen oder Konzessionen, nicht aber auf anderen beschaffungsatypischen Grundlagen beruhen, wie etwa Gesetz oder eben Arbeitsverträgen. Ein Arbeitsverhältnis begründet regelmäßig ein besonderes Vertrauens- und Pflichtenverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Insbesondere sollen Arbeitgeber bei ihrer personellen Auswahl nicht daran gehindert sein, auch rein persönliche oder subjektive Eindrücke zu berücksichtigen. Die Luxemburger Richter haben deshalb zu Recht entschieden, dass es im Ergebnis unerheblich ist, ob dem Abschluss von Arbeitsverträgen eine Auswahl nach eher objektiven Kriterien oder aufgrund subjektiver Erwägungen vorausgegangen ist. Ebenso können vergaberechtsfreie Arbeitsverträge auf unbestimmte oder begrenzte Zeit abgeschlossen werden.
Praxistipp
Kein Arbeitsvertrag, sondern ein vergaberechtspflichtiger Dienstleistungsauftrag liegt vor bei der Überlassung von Arbeitskräften nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG). Denn die überlassenen Arbeitnehmer schließen keine Arbeitsverträge mit den sie entleihenden öffentlichen Auftraggebern. Ihr Arbeitsverhältnis besteht nur zum Verleiher, der personelle Dienstleistungen auf Grundlage des AÜG den öffentlichen Auftraggebern am Markt anbietet. In solchen Fällen ist überdies zu prüfen, ob die jeweils nachgefragten Dienstleistungen unter den Anhang XIV der Richtlinie 2014/24/EU fallen können, wie zum Beispiel die Überlassung von Pflegepersonal oder medizinischem Personal. Dann gelten die Sonderregeln für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen über soziale und andere besondere Dienstleistungen gemäß § 130 GWB.