Bußgeldbescheid der Kartellbehörde ist öffentlichem Auftraggeber zum Nachweis der Selbstreinigung vorzulegen (VK Südbayern, Beschl. v. 11.12.2018 – Z-3-3-3194-1-45-11/16 „Vossloh-Laeis“)

EntscheidungNachdem der EuGH am 24. Oktober 2018 sein Urteil zum Vorabentscheidungsverfahren Vossloh Laeis (Rs. C-124/17) verkündet hatte, liegt nun die Entscheidung der Vergabekammer Südbayern vor. Kernfrage der EuGH-Vorlage der Vergabekammer war, ob von einem Unternehmen zum Nachweis der vergaberechtlichen Selbstreinigung verlangt werden kann, dass es dem öffentlichen Auftraggeber Informationen zu seinem Fehlverhalten und dem hierdurch entstandenen Schaden liefert. Der EuGH hatte dies im Grundsatz bejaht. In ihrer Entscheidung arbeitet die Vergabekammer heraus, welche Anforderungen hieraus für die Selbstreinigung im Sinne des § 125 Abs. 1 Nr. 2 GWB folgen.

Art. 57 Abs. 4 und 6 Richtlinie 2014/24/EU, §§ 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB, 125 Abs. 1 Nr. 2, 126 Nr. 2 GWB 

Leitsätze (nicht amtlich)

  1.  § 125 Abs. 1 Nr. 2 GWB ist europarechtskonform dahingehend auszulegen, dass die Pflicht zur Zusammenarbeit mit dem öffentlichen Auftraggeber auf die Maßnahmen beschränkt ist, die unbedingt für die Prüfung der Zuverlässigkeit des Wirtschaftsteilnehmers und für die Bewertung der Selbstreinigungsmaßnahmen erforderlich sind.
  2. Ein Bieter, der eine Selbstreinigung aufgrund einer früheren Beteiligung an einem Kartell anstrebt, muss er regelmäßig die gegen ihn ergangene Entscheidung der Kartellbehörden vorlegen. Personenbezogene Daten, die der Auftraggeber zur Beurteilung der Selbstreinigungsmaßnahmen des Unternehmens nicht benötigt, sind aus datenschutzrechtlichen Gründen unkenntlich zu machen.

Sachverhalt

Das antragstellende Unternehmen (Vossloh Laeis GmbH) wehrte sich gegen seinen Ausschluss von einem für den Bereich der Beschaffung von Oberbaumaterialien eingerichteten Prüfungssystem i.S.v. § 24 SektVO a.F.  Das Unternehmen bestritt seine Kartellbeteiligung nicht, sah aber die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Selbstreinigung als erfüllt an. Die Vergabestelle (Stadtwerke München) meinte, dass das Unternehmen mit ihr nicht zielgerichtet zur Aufklärung der Kartellbeteiligung und des entstandenen Schadens zusammengearbeitet habe. Insbesondere habe das Unternehmen sich geweigert, den Bußgeldbescheid des Bundeskartellamts zu übermitteln.

Auf den Vorlagebeschluss der Vergabekammer Südbayern hatte der EuGH in seinem Urteil vom 24. Oktober 2018 (C-124/17) bestätigt, dass ein Unternehmen im Rahmen der vergaberechtlichen Selbstreinigung auch zur Zusammenarbeit mit dem öffentlichen Auftraggeber verpflichtet ist. Diese Verpflichtung sei allerdings auf diejenigen Maßnahmen beschränkt, die zur Prüfung der Zuverlässigkeit des Unternehmens unbedingt erforderlich sind (dazu Vergabeblog Nr. 39040 v. v. 19.11.2018).

Zum anderen hatte die Vergabekammer dem EuGH die Frage vorgelegt, ob die dreijährige Ausschlussfrist nach § 126 Nr. 2 GWB bereits ab Verwirklichung des Ausschlusstatbestands durch das Unternehmen oder erst ab Vorliegen einer gesicherten und belastbaren Kenntnis des Auftraggebers über den Ausschlussgrund läuft. Hierzu hatte der EuGH entschieden, dass für den Fristbeginn nicht auf den Zeitpunkt der Beendigung der Kartellbeteiligung, sondern auf den Zeitpunkt der Entscheidung der Kartellbehörde abzustellen ist.

Im Verlauf des Nachprüfungsverfahrens hatte die Vergabestelle erklärt, dass sie das streitgegenständliche Prüfungssystem i.S.v. § 24 SektVO a.F. beendet habe. Hierdurch hatte sich das Nachprüfungsverfahren erledigt, so dass die Vergabekammer nur noch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden hatte.

Die Entscheidung

Die Vergabekammer legt der Antragstellerin die Kostenlast auf. Der mit dem Nachprüfungsantrag angegriffene Ausschluss aus dem Prüfungssystem sei vertretbar gewesen. Auch die Frist des § 126 Nr. 2 GWB sei zum damaligen Zeitpunkt nicht abgelaufen gewesen.

Nach der Entscheidung des EuGH stehe fest, dass die Antragstellerin zur Vorlage des Bußgeldbescheids des Kartellamts verpflichtet gewesen sei. Der Auftraggeber habe diesen Bescheid benötigt, um eine fundierte Entscheidung darüber treffen zu können, ob die Antragstellerin die Tatsachen und Umstände bezüglich des Kartells, an dem sie beteiligt war, umfassend durch eine aktive Zusammenarbeit mit dem Kartellamt geklärt habe. Der Auftraggeber hätte aus dem Bescheid den genauen Umfang der Kartellbeteiligung der Antragstellerin ersehen können und damit die Geeignetheit der technischen, organisatorischen und personellen Maßnahmen der Antragstellerin zur Vermeidung weiteren Fehlverhaltens beurteilen können.

Ausdrücklich weist die Vergabekammer darauf hin, dass ein Bieter aus datenschutzrechtlichen Gründen einen Bußgeldbescheid allerdings nicht ohne Schwärzungen und Anonymisierungen an den öffentlichen Auftraggeber übermitteln dürfe. Jedenfalls Klarnamen von natürlichen Personen, die als Bedienstete anderer Unternehmen kartellrechtlich relevante Absprachen getroffen haben, würden vom öffentliche Auftraggeber für die Prüfung der Voraussetzungen der Selbstreinigung nicht benötigt.

Rechtliche Würdigung

Vor dem Hintergrund der klaren Aussage des EuGH, dass zu den zur Prüfung der Zuverlässigkeit des Unternehmens unbedingt erforderlichen Informationen jedenfalls die Offenlegung der Entscheidung der Kartellbehörde, d.h. des Bußgeldbescheids, gehört, ist die Entscheidung der Vergabekammer Südbayern nicht überraschend.

Der Beschluss der Vergabekammer enthält aber erste Hinweise, wie die nationalen Nachprüfungsinstanzen das vom EuGH aufgestellte Kriterium der zur Prüfung der Zuverlässigkeit des Unternehmens unbedingt erforderlichen Informationen ausfüllen können. Die entscheidende Frage ist zukünftig, ob der Auftraggeber die in Rede stehende Information für die Prüfung benötigt, ob das Unternehmen die Tatsachen und Umstände bezüglich des Kartells umfassend durch eine aktive Zusammenarbeit mit der Kartellbehörde aufgeklärt hat und ob die seitdem getroffenen technischen, organisatorischen und personellen Maßnahmen geeignet sind, um weiteres Fehlverhalten zu vermeiden.

Praxistipp

Am Beispiel des Bußgeldbescheids, der nach dem EuGH-Urteil vom Bieter grundsätzlich vorzulegen ist, zeigt die Vergabekammer exemplarisch zumindest eine Grenze der Mitwirkungspflicht des Bieters auf. Informationen, deren Offenlegung datenschutzrechtlich unzulässig ist, müssen demnach nicht offengelegt werden. In Bezug auf die Namen der eigenen an den Kartellabsprachen beteiligten Mitarbeiter hilft dies einem betroffenen Unternehmen nach Auffassung der Vergabekammer freilich nicht weiter. Denn nur wenn der Auftraggeber deren Namen und kartellrechtlich relevanten Verhaltensweisen kennt, kann er beurteilen, ob das Unternehmen insbesondere die erforderlichen personellen Maßnahmen für eine Selbstreinigung getroffen hat. Dies genügt der Vergabekammer für die Annahme einer datenschutzrechtlichen Zulässigkeit der Übermittlung der personenbezogenen Daten der Mitarbeiter des betroffenen Unternehmens. Ob sich ein Unternehmen hinsichtlich anderer aus Unternehmenssicht ungünstiger Informationen im Bußgeldbescheid nicht im Einzelfall doch auf den Datenschutz berufen kann, hiermit nicht gesagt. Der in der Praxis verbleibende Spielraum erscheint allerdings nicht allzu groß.

Bis auf weiteres offen bleibt auch, welche Konsequenzen die Entscheidung des EuGH mittelfristig auf den Willen von im öffentlichen Sektor tätigen Unternehmen haben wird, der Kartellbehörde als Kronzeuge zur Verfügung zu stehen. Im Rahmen des Bußgeldverfahrens der Kartellbehörde kann sich die Kronzeugenstellung für das Unternehmen lohnen. Die im Gegenzug drohenden Schadensersatzforderungen kartellgeschädigter öffentlicher Auftraggeber werden durch die vom EuGH statuierten Offenlegungspflichten im Rahmen der vergaberechtlichen Selbstreinigung aber zumindest erleichtert.