Wann dürfen fehlende Preisangaben ausnahmsweise nachgefordert werden? (EuGH, Urt. v. 02.05.2019 – C-309/18 – Lavorgna)
Grenzen nationaler Regelungen beim Ausschluss von Angeboten. In seiner neuesten vergaberechtlichen Entscheidung nahm sich der EuGH einem italienischen Verfahren an. Dieses befasste sich unter anderem mit der Frage, in wieweit eine nationale Regelung, die den zwingenden Ausschluss von Angeboten ohne Möglichkeit zur Nachreichung für den Fall vorschreibt, dass die Angabe von Arbeitskosten unterlassen wurde, mit den Unionsgrundsätzen der Rechtssicherheit, Gleichbehandlung und Transparenz vereinbar ist. Im Ergebnis ist die italienische Regelung für sich genommen nicht zu beanstanden. Allerdings hängt die Frage, ob eine Nachreichung der fehlenden Angaben zulässig ist, von der Ausgestaltung der Vergabeunterlagen im Einzelfall ab.
Sachverhalt
Die italienische Gemeinde Montelanico hat in einem offenen Verfahren einen Auftrag europaweit ausgeschrieben. In der Bekanntmachung wurde lediglich allgemein auf die Geltung des italienischen Vergabegesetzbuches (Codice di contratti pubblici) verwiesen. Dieses sieht in Art. 95 Abs. 10 die Pflicht vor, dass Bieter in ihren Angeboten die Arbeitskosten (genauer gesagt die Kosten für die Einhaltung von Gesundheits- und Sicherheitsvorschriften am Arbeitsplatz) angeben müssen. Einige Bieter, darunter das bezuschlagte Unternehmen, versäumten dies. Das zu verwendende Formblatt des Auftraggebers wies keine Möglichkeit zur Angabe der Arbeitskosten auf und schloss die Einreichung zusätzlicher Unterlagen aus. Die Nichtangabe dieser Kosten führt nach italienischem Recht unmittelbar zum Ausschluss des Angebots. Ein Recht zur Nachbesserung bzw. eine Möglichkeit der Nachforderung gibt es nicht. Die betroffenen Bieter wurden von der Gemeinde allerdings trotzdem nach Art. 83 Abs. 9 des Vergabegesetzbuchs zur Nachreichung der Arbeitskosten aufgefordert. Der Zuschlag sollte auf eins der nachgebesserten Angebote erfolgen. Dagegen wehrte sich beim vorlegenden Gericht der zweitplatzierte Bieter.
Die Entscheidung
Der EuGH nimmt in seiner rechtlichen Bewertung kein Anstoß an einer Regelung wie der italienischen an sich.
Der Gerichtshof stellt allerdings in Anlehnung an seine ständige Rechtsprechung klar, dass die Modalitäten des Vergabeverfahrens so gefasst sein müssen, dass ein durchschnittlich fachkundiger Bieter sie versteht (EuGH C-27/15 v. 02.06.2016 Pizzo/CRGT).
Daraus folge aber nicht, dass alle Anforderungen in den Vergabeunterlagen an sich ausdrücklich niedergeschrieben sein müssen. Ein Verweis auf die anzuwendenden nationalen Rechtsvorschriften, wie im vorliegenden Fall, soll grundsätzlich ausreichen.
Etwas anderes ergäbe sich aus den Grundsätzen der Gleichbehandlung und des Transparenzgebotes nur, wenn sich der Ausschluss eines Angebots lediglich aus der Auslegung von Rechtsvorschriften durch Behörden oder Gerichten ergäbe (vgl. ebd. Rn.51).
Wenn, wie im vorliegenden Fall, der Ausschluss ohne Nachreichungsmöglichkeit ausdrücklich gesetzlich normiert ist, muss der Auftraggeber also in den Vergabeunterlagen nicht explizit auf die Anforderung (hier: Angaben der Arbeitskosten) und auf die Rechtsfolge bei Nichtangaben hinweisen. Der generelle Verweis auf das italienische Vergabegesetz reicht aus.
Eine Besonderheit ergibt sich nur, wenn es den Bietern tatsächlich faktisch unmöglich war, aufgrund der Gestaltung des Formblattes und den Vorgaben des Auftraggebers die geforderten Angaben zu machen. In diesem Fall sei der öffentliche Auftraggeber verpflichtet gewesen, die Möglichkeit der Nachbesserung im Einklang mit den Grundsätzen der Rechtssicherheit, Transparenz und Verhältnismäßigkeit zu eröffnen. Der EuGH überlässt in Übereinstimmung mit seinen Kompetenzen die sachverhaltliche Entscheidung, ob im vorliegenden Fall diese Besonderheit gegeben war, dem nationalen Gericht.
Rechtliche Würdigung
Auch wenn das deutsche Vergaberecht keine identische Regelung wie die zugrundeliegende italienische kennt, sind die Auslegungshinweise des EuGHs insbesondere auf die Regelung zur Nachforderung von fehlenden Unterlagen (§ 56 Abs. 2 und 3 VgV) übertragbar.
Bisher galt dort der Grundsatz: Fehlt eine nicht nachforderbare Angabe (z.B. eine Preisangabe, die nicht nachforderbar ist oder eine wertungsrelevante Unterlage), ist das Angebot zwingend auszuschließen. Eine dennoch vorgenommene Nachbesserung bzw. Nachforderung würde im offenen oder nichtoffenen Verfahren gegen das Nachverhandlungsverbot verstoßen. Einzige Ausnahme soll sein, wenn die Unterlage in den Vergabeunterlagen nicht ausdrücklich bzw. eindeutig gefordert wurde.
Davon rückt der EuGH in dieser Unbedingtheit in zweifacher Weise ab: Erstens kommt es nicht darauf an, ob eine Unterlage in den Vergabeunterlagen gefordert wird. Sie muss auch dann vom Bieter mit dem Angebot abgeben werden, wenn sich die Anforderung und der Ausschluss bei fehlender Abgabe unmittelbar und explizit aus einer gesetzlichen Regelung ergibt. Zweitens soll der Auftraggeber trotz Nachforderungsverbot zur Nachforderung verpflichtet sein, wenn er durch die Gestaltung seiner Unterlagen eine Abgabe dieser Unterlagen verhindert.
Praxistipp
Die EuGH-Entscheidung unterstreicht den Grundsatz, dass Unklarheiten in den Vergabeunterlagen im Zweifel nicht zu Lasten des Bieters gehen dürfen. Die Auftraggeber dürfen sich einmal mehr an ihre Pflicht zur sorgfältigen Erarbeitung der Vergabeunterlagen und insbesondere der Formblätter erinnert fühlen. Um unnötige formale Ausschlüsse und /oder Nachforderungen zu vermeiden, sollten alle einzureichenden Unterlagen und Angaben klar und deutlich in den Vergabeunterlagen – am besten an zentraler Stelle – aufgelistet werden.
Kontribution
Der Beitrag wurde gemeinsam mit Frau stud. jur. Neele Schauer, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, der Kanzlei FPS Frankfurt/Berlin, verfasst.