Selbstreinigung nur bei aktiver und umfassender Zusammenarbeit mit dem Auftraggeber! Zivilrechtliche Nachteile inbegriffen! (VK Münster, Beschl. v.25.04.2019 – VK 2-41/18)

EntscheidungBieter müssen für das Vorliegen der Voraussetzungen der Selbstreinigungsmaßnahmen nach § 125 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 GWB umfassend Beweis erbringen. Hierzu zählen auch die Herausgabe eines (ungeschwärzten) Bußgeldbescheides der Europäischen Kommission und die Vorlage einer Schadensberechnung. Dass es dadurch zu Nachteilen in laufenden zivilrechtlichen Streitigkeiten kommen kann, steht dem ebenso wenig entgegen wie die Tatsache, dass die Offenlegung aus datenschutzrechtlichen Gründen unter Umständen mit Schärzungen von Klarnamen einhergehen muss.

§§ 124 Abs. 1 Nr. 4, 125 Abs. 1, 126 Nr. 2 GWB

Sachverhalt

Die Auftraggeberin schrieb im offenen Verfahren europaweit die Vergabe zur Lieferung von LKW Fahrgestellen und Entsorgungsaufbauten in 6 Losen aus. Die Antragstellerin bewarb sich um die Lose 1 und 2, die die Lieferung von fünf LKW Fahrgestellen zum Gegenstand hatten. Die Antragstellerin war Teil von kartellrechtswidrigen Absprachen, die die Herstellung und den Vertrieb von LKWs betrafen. Ihre Beteiligung hieran wurde von der Europäischen Kommission mit einem Bußgeldbescheid geahndet. Ein Schadensersatzprozess war diesbezüglich anhängig.

Um einem Ausschluss vom Vergabeverfahren vorzugreifen, bewarb sich die Antragstellerin unter Vorlegung einer gutachterlichen Bewertung, die eine Vornahme ausreichender Selbstreinigungsmaßnahmen im Sinne des § 125 Abs. 1 GWB belegen sollte. Zudem gab sie an, dass die generelle Bereitschaft bestehe, Schäden, die durch eine etwaige Beteiligung an dem von der Europäischen Kommission festgestellten Nutzfahrzeugkartell entstanden seien, zu ersetzen. Zudem trug sie vor, dass die Frist des § 126 Nr. 2 GWB bereits verstrichen sei.

Die Auftraggeberin erachtete den Vortrag zur Kartellbeteiligung jedoch als nicht ausreichend und forderte weitere Angaben, aus denen die Art und Weise der Schadensregulierung durch die Beteiligung am Nutzfahrzeugkartell, hervorgehen sollte. Dagegen wandte sich die Antragstellerin mit einer Rüge und trug vor, die ergriffenen Selbstreinigungsmaßnahmen seien ausreichend gewesen, sodass kein Ausschluss aus dem Vergabeverfahren nach § 124 GWB zu erfolgen habe. Weitere Angaben aus dem Bußgeldbescheid und im Hinblick auf eine Schadensregulierung könnten aufgrund des zivilrechtlichen Schadensersatzprozesses und datenschutzrechtlicher Bestimmungen nicht erteilt werden. Der Rüge verschaffte die Auftragsgeberin keine Abhilfe und führte im Folgenden aus, weshalb die Angaben nicht ausreichend seien. Daraufhin reichte die Antragstellerin den streitgegenständlichen Nachprüfungsantrag bei der zuständigen Vergabekammer mit der Begründung ein, dass die einzelnen Voraussetzungen des § 125 Abs. 1 GWB umfassend erfüllt seien und ein der Ausschluss vom Vergabeverfahren unrechtmäßig sei.

Die Entscheidung

Zu Unrecht, wie die 1. Vergabekammer Westfalen am 25.04.2019 nach mündlicher Verhandlung entschied. Die von der Antragstellerin erbrachten Nachweise zu den ergriffenen Selbstreinigungsmaßnahmen seien unzureichend und der Ausschluss aus dem Vergabeverfahren nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB gerechtfertigt.  Das von der Selbstreinigung betroffene Unternehmen sei für die Erfüllung der kumulativen Voraussetzung des § 125 Abs. 1 GWB darlegungs- und beweispflichtig. Zudem bestehe zur Aufklärung aller Unwägbarkeiten eine Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit dem Auftraggeber, die grundsätzlich auch eine Offenlegung der Umstände des haftungsausfüllenden Tatbestandes betrifft.

Die Selbstreinigung sei nicht verpflichtend, weshalb es die Antragstellerin hinzunehmen habe, wenn Details aus dem anhängigen Schadensersatzprozess gegenüber der Antragsgegnerin offenkundig würden. Insbesondere sei ein von der Antragstellerin vorgelegter geschwärzter Bußgeldbescheid kein ausreichender Nachweis bzw. Einblick in den streitgegenständlichen Sachverhalt. Schwärzungen seien nur bei zwingender rechtlicher Erforderlichkeit statthaft. Eine umfassende Sachverhaltsaufklärung könne sich zudem zu Gunsten der Antragstellerin auswirken, da diese so belegen könne, dass durch die Beteiligung am LKW-Kartell keine Schädigungen eingetreten seien. Da keine vollständige Sachverhaltsaufklärung erfolgt sei, sei den Anforderungen des § 125 Abs. 1 Nr. 2 GWB nicht entsprochen worden. Datenschutzrechtliche Bedenken seien vorliegend nicht durchgreifend, da ein Verstoß gegen entsprechende Vorschriften durch Anonymisierung und Pseudonymisierung verhindert werden könne.

Zudem räumt die Vergabekammer dem öffentlichen Auftraggeber einen umfassenden Entscheidungsspielraum im Hinblick auf die Beurteilung der erfolgreichen Selbstreinigung ein. Da es keine zentralen Institutionen gebe, obliege es dem Auftraggeber seine eigene Entscheidung über die Zuverlässigkeit von Unternehmen nach Vorliegen eines Ausschlussgrundes gemäß §§ 123, 124 GWB zu treffen. Auch dass die Antragsgegnerin vorherige Vergabeverfahren unter Beteiligung der Antragstellerin durchführte, ohne diese aufgrund kartellrechtlicher Bedenken auszuschließen, vermag dem Nachprüfungsantrag nicht abzuhelfen, da sich eine solche Entscheidung nur auf die jeweilige Ausschreibung beziehe und sich eine Risikobewertung zwischen den Ausschreibungen verändern könne. Zu guter Letzt sei die Frist des § 126 Nr. 2 GWB nicht abgelaufen, da diese erst mit Ahndung des wettbewerbswidrigen Verhaltens durch die Behörde und nicht schon mit dem Beginn der Kartellbeteiligung zu laufen begann (siehe auch: Vossloh Laeis, EuGH, Rs. C-124/17; hierzu bereits Scheider, Vergabeblog.de vom 19.11.2018, Nr. 39040).

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung schließt nahtlos an die in Umsetzung der EuGH-Entscheidung Vossloh Laeis ergangene Entscheidung der VK Südbayern (Beschluss vom 11.12.2018 Az. Z3-3-3194-1-45-11/16, hierzu auch Schneider, Vergabeblog.de vom 21.03.2019, Nr. 40140) an. Bereits hier wurde zutreffend die Auffassung vertreten, dass für von der Selbstreinigung betroffene Unternehmen eine Pflicht zur aktiven Zusammenarbeit mit dem öffentlichen Auftraggeber besteht und in Eigeninitiative alle Angaben offengelegt werden müssen, die für eine Beurteilung der Zuverlässigkeit des Bieters erforderlich sind.

Rechtlich steht dies im Einklang mit den aus § 125 Abs. 1 GWB erwachsenen Vorgaben an die Erfüllung der Voraussetzungen der Selbstreinigung. Insofern schützt auch die Entscheidung der VK Westfalen das Interesse des öffentlichen Auftraggebers nur Unternehmen an der Ausschreibung und dem Vergabeverfahren zu beteiligen und im Zweifel auch zu bezuschlagen, deren straf-, kartell- und zivilrechtliche Verfahrensbeteiligung vorab Gegenstand einer Risikoermittlung und -abwägung waren.

Zudem zeigt der Beschluss den Zwiespalt von Bietern zwischen einer umfassenden Sachverhaltsaufklärung zur Beteiligung am Vergabeverfahren und den daraus resultierenden möglichen Konsequenzen in anderen Verfahren, etwa im zivilrechtlichen Schadensersatzprozess, auf. Im vorliegenden Fall waren die Ermittlungen durch das Bundeskartellamt bereits abgeschlossen, sodass die VK Westfalen Anonymisierungen und Pseudonymisierungen im Gegensatz zum zitierten Beschluss der VK Südbayern nur in rechtlich erforderlichen Fällen für statthaft erachtete. Wörtlich führt die Vergabekammer dazu aus:

Der Antragstellerin ist zwar zuzugeben, dass Zweifel daran angebracht sind, auch im Hinblick auf den Datenschutz, ob die Nennung von Namen der Mitarbeiter unbedingt erforderlich für die Sachverhaltsaufklärung sind. Der Kammer ist das für die Antragstellerin bestehende und von ihr geschilderte Spannungsverhältnis zwischen der umfassenden Aufklärung des Fehlverhaltens und der hierfür notwendigen Hilfe durch die involvierten Mitarbeiter, die arbeitsrechtliche Maßnahmen fürchten müssen, wohl bewusst. Allerdings handelt es sich hier vorliegend, um einen bereits abgeschlossenen Vorgang, weshalb die Antragstellerin zur Aufklärung nicht mehr auf die Zusammenarbeit dieser Mitarbeiter angewiesen ist. Zudem ist die Kammer der Auffassung, dass zur Einhaltung des Datenschutzes die Antragstellerin auch zu Anonymisierung oder Pseudonymisierung der ursprünglichen Kommissionsentscheidung greifen kann, jedoch nur sofern dies auch tatsächlich rechtlich erforderlich ist.

Dies hatte die VK Südbayern aus datenschutzrechtlichen Gründen noch strenger beurteilt und entschieden, dass ein Bußgeldbescheid wohl nicht ohne Schwärzungen und Anonymisierungen der personenbezogenen Daten dem öffentlichen Auftraggeber übermittelt werden darf.

Praxistipp

Das Vergaberecht ermöglicht dem Auftraggeber die umfassende Überprüfung der Voraussetzungen einer (erfolgreichen) Selbstreinigung gemäß § 125 Abs. 1 Nr. 1-3 GWB. Der Bieter hat hier in umfassender Weise zu kooperieren. Unterlässt er dies, ist er in aller Regel vom weiteren Vergabeverfahren auszuschließen. Mit Erpressung durch das Vergabeverfahren (wie es laut einer JUVE-Mitteilung das betroffene Unternehmen empfand) hat dies nichts zu tun.

Auftragnehmer sind aus vergaberechtlichen Gründen gehalten, selbstständig und eigeninitiativ zur Aufklärung bei Verstößen gegen die Ausschlussgründe der §§ 123, 124 GWB beizutragen und das Vorliegen der Voraussetzungen der Selbstreinigung ausreichend zu dokumentieren. Hierbei sollte im Hinterkopf behalten werden, dass es nicht Aufgabe des Auftraggebers ist, Nachforschungen anzustellen oder Rücksprache mit dem Bieter zu halten, um ein Ausschluss vom Vergabeverfahren zu verhindern. Auftragnehmer müssen hierbei vorab die Konsequenzen abwägen, die eine umfassende Offenlegung der ergriffenen Selbstreinigungsmaßnahmen auf laufende Prozesse haben: ist das Interesse am ausgeschriebenen Auftrag oder an der Zurückhaltung von Informationen für den anhängigen Prozess größer? Überwiegt hier das Interesse am Auftrag, kann nur zu einer aktiven Zusammenarbeit mit dem öffentlichen Auftraggeber geraten werden. Anderenfalls sollte auf eine Angebotsabgabe einstweilen verzichtet werden.