Eine Kostenverlagerung im Angebot spricht indiziell für eine Preismanipulation (OLG München, Beschl. v. 17.04.2019 – Verg 13/18)
Die Themen „Unterkostenangebot“ und „Mischkalkulation“ sind spätestens seit dem grundlegenden Urteil des BGH (18.05.2004, X ZB 7/04) ein vergaberechtlicher Dauerbrenner. Dabei ist seit langem anerkannt, dass der Bieter nicht verpflichtet ist, seine tatsächlichen Kosten anzugeben. Er ist durchaus berechtigt, Positionen des LV unter den von ihm kalkulierten Kosten anzubieten. Allerdings ist in einem solchen Fall der Auftraggeber verpflichtet, die Angebotspreise des Bieters aufzuklären, wobei den Bieter die Darlegungs- und Beweislast dafür trifft, dass keine Preisverlagerung bzw. Mischkalkulation vorliegt. Gelingt ihm dieser Nachweis nicht, ist sein Angebot in aller Regel auszuschließen.
§ 16 Nr. 3, § 13 Abs. 1 Nr. 3 EU VOB/A
Leitsatz
- Es ist einem Bieter nicht verboten, einzelne Positionen unter seinen Kosten anzubieten. Dies bedeutet aber nicht, dass der Bieter seine zu deckenden Gesamtkosten nach Belieben einzelnen LV-Positionen zuordnen darf.
- Verlagert der Bieter die für einzelne LV-Positionen eigentlich vorgesehenen Preise ganz oder teilweise in andere Positionen, enthält sein Angebot nicht die geforderten Preise.
- Eine Angebotsstruktur, bei der deutlich unter den zu erwartenden Kosten liegenden Ansätzen bei bestimmten Positionen auffällig hohe Ansätze bei anderen LV-Positionen entsprechen, indiziert eine solche Preisverlagerung.
- Kann der Bieter die Indizwirkung nicht erschüttern, rechtfertigt dies die Annahme, dass das Angebot nicht die geforderten Preisangaben enthält und daher auszuschließen ist.
Sachverhalt
Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte Abbruch- und Entsorgungsarbeiten europaweit im Offenen Verfahren gem. EU VOB/A ausgeschrieben; einziges Zuschlagskriterium war der Preis. In der Aufforderung zur Angebotsabgabe war die Vorlage eines Entsorgungskonzeptes gefordert. Das LV enthielt u.a. die Positionen 1.7.1 Beton Belastungsklasse Z1.1. entsorgen und 1.7.2 Beton Belastungsklasse Z1.2 entsorgen. Insgesamt wurden 8 Angebote abgegeben, u.a. von Bieter A, dessen Angebot nach der Submission auf Platz 1 lag. Der AG forderte Ende August 2018 den A zur Aufklärung der Auskömmlichkeit einer Reihe von Einheitspreisen auf, speziell der LV-Positionen 1.7.1, in dem A einen Negativpreis angegeben hatte, und 1.7.2. A legte darauf die Urkalkulation vor und erläuterte seine Preisbildung. Anfang September 2019 bat der AG den A erneut um Preisaufklärung, da dessen Gesamtangebotspreis erheblich unterhalb sowohl der Kostenschätzung des AG als auch des zweitgünstigsten Bieters lag, was letztlich den Verdacht einer Mischkalkulation begründe. A bestritt darauf kategorisch eine Kostenverlagerung zwischen einzelnen Positionen. Mit Schreiben vom 14.09.2018 schloss der AG das Angebot des A wegen einer Mischkalkulation in den LV-Positionen 1.7.1 bis 1.7.5 aus. Nach Nichtabhilfe seiner Rüge beantragte A Nachprüfung bei der Vergabekammer, die dem Antrag des A stattgab. Dagegen legte der AG sofortige Beschwerde zum OLG ein.
Die Entscheidung
Auf die sofortige Beschwerde des AG wird der Beschluss der erstinstanzlichen Vergabekammer Nordbayern aufgehoben. Der Nachprüfungsantrag des Bieters A wird zurückgewiesen. A trägt die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer und des Beschwerdeverfahrens sowie die Aufwendungen des AG sowie der Beigeladenen.
Rechtliche Würdigung
Das OLG gibt im Ergebnis dem AG Recht. Der AG hat hier zu Recht das Angebot des A gem. § 16 Nr. 3, § 13 Abs. 1 Nr. 3 EU VOB/A ausgeschlossen, da A bezüglich der LV-Positionen 1.7.1 und 1.7.2 den Verdacht einer Mischkalkulation nicht hat ausräumen können. Grundsätzlich ist es einem Bieter nicht schlechthin verwehrt, einzelne Positionen unter seinen Kosten anzubieten. Dies bedeutet aber nicht, dass der Bieter seine zu deckenden Gesamtkosten nach Belieben einzelnen Positionen des LV zuordnen darf. Öffentliche Auftraggeber haben grundsätzlich ein Interesse daran, dass die Preise durchweg korrekt angegeben werden; denn Zahlungspflichten der Auftraggeber können durch Verlagerung einzelner Preisbestandteile manipuliert werden. Verlagert der Bieter die für einzelne Positionen seines LV eigentlich vorgesehenen Preise ganz oder teilweise in andere Positionen, greift § 16 Nr. 3 VOB/A grundsätzlich ein (BGH, Urteil vom 19.06.2018, X ZR 100/16). Eine Angebotsstruktur, bei der deutlich unter den zu erwartenden Kosten liegenden Ansätzen bei bestimmten Positionen auffällig hohe Ansätze bei anderen Positionen des LV entsprechen, indiziert eine solche Preisverlagerung. Kann der Bieter diese Indizwirkung nicht erschüttern, rechtfertigt dies die Annahme, dass das Angebot nicht die geforderten Preisangaben enthält und daher auszuschließen ist (BGH, a.a.O.).
Aus welchen Gründen ein Bieter in seinem Angebot Einheitspreise für bestimmte Leistungspositionen auf andere Positionen verteilt, ob er beispielsweise auf Mengenverschiebungen spekuliert oder besonders hohe anfängliche Abschlagszahlungen auslösen will, ist demgegenüber nicht entscheidend (BGH, Urteil vom 18.05.2004, X ZB 7/04, OLG Koblenz, Beschluss vom 04.01.2018, Verg 3/17). Bei der Preisaufklärung muss sich der AG nicht mit jeder beliebigen Erklärung des Bieters zufrieden geben. Zwar kommt der Erklärung eines Bieters, wonach seine Preise der tatsächlichen Kalkulation entspricht, erhebliches Gewicht zu. Liegen jedoch konkrete Anhaltspunkte für eine gegenteilige Annahme vor, ist der AG nicht gezwungen, sich mit einer solchen Auskunft zufrieden zu geben, sondern es wird ein Ausschluss gleichwohl in Betracht kommen (OLG Frankfurt, B. v. 16.08.2005, 11 Verg 7/05). Übernimmt allerdings ein Bieter nur die von einem Nachunternehmer geforderten Preise, so stellen diese die von ihm geforderten Preise dar und es fehlt an der Vermutung von Preisverlagerungen (OLG Frankfurt, a.a.O.). Von erheblichem Gewicht ist ferner, wenn die nach außen deklarierten Einheitspreise in den privaten Kalkulationsgrundlagen ihre Entsprechung finden (OLG Thüringen, B. v. 23.01.2003 9 Verg 8/05).
Im folgenden setzt sich das OLG sehr intensiv und ausführlich mit den vom Bieter A angegebenen Preisen auseinander. Für die Entsorgung von Beton der Belastungsklasse Z 1.1 hat A einen deutlichen Negativpreis angegeben, d.h. eine mehr als nur unerhebliche Vergütung zugunsten des AG. Im Unterschied dazu haben sämtliche anderen Bieter für die Entsorgung dieses Betons vom AG einen mehr als nur unerheblichen Preis gefordert. Umgekehrt fordert A für die Entsorgung von Beton der Belastungsklasse Z.1.2 einen Preis, der ganz erheblich über denen der Mitbieter liegt. Nach den Gesamtumständen liegt es jedenfalls nahe, dass marktüblich Kosten für die Entsorgung des Betons der Klasse Z 1.1 anfallen und A diese in die hohe geforderte Vergütung für die Entsorgung des Betons der Klasse Z 1.2 eingepreist hat. Vorliegend ist der Vergleich mit den Preisen der Mitbieter auch aussagekräftig, da es sich immerhin um sieben weitere Angebote handelt. Im Ergebnis ist daher festzustellen, dass A die Indizwirkung nicht erschüttert hat weder durch die Ausführungen in seinen Aufklärungsschreiben vom 29.08. und 11.09.2018 noch durch seine Ausführungen im Nachprüfungs- und Beschwerdeverfahren. Vielmehr indizieren die von A angebotenen Preise für die LV-Positionen 1.7.1 und 1.7.2 nach der vorzitierten neueren Rechtsprechung des BGH eine Mischkalkulation.
Da dieser nicht ausgeräumte Verdacht der Mischkalkulation jedenfalls zwei Positionen umfasst – 1.7.1 und 1.7.2 des LV – fehlt auch nicht nur die Preisangabe in „einer einzelnen“ unwesentlichen Position i.S. des § 16 Ziff. 3 EU VOB/A, weshalb diese Norm keine Anwendung finden kann. Der Ausschluss des Angebotes des A war daher rechtmäßig.
Praxistipp
Die Entscheidung hält sich eng an die Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 07.03.2013 VII ZR 68/10 bzw. Urteil vom 19.06.2018 X ZR 100/16) zu Inhalt und Grenzen der Kalkulationsfreiheit des Bieters. Um aber nicht vorschnell einen Bieter wegen einer angeblichen Mischkalkulation auszuschließen und damit Gefahr zu laufen, ein Nachprüfungsverfahren zu riskieren, ist dem öffentlichen Auftraggeber grundsätzlich zu empfehlen, mögliche Spekulationspotentiale von vornherein, d.h. bereits bei Entwurf und Gestaltung der Vergabeunterlagen zu minimieren, sei es durch Vorgaben zur Kalkulation oder den Verzicht auf Bedarfs- bzw. Alternativpositionen. Es gilt auch hier: je unklarer und auslegungsbedürftiger die Vergabeunterlagen, umso höher das Risiko, spekulative Preise zu erhalten.