Von wirtschaftlich unsinnigen Zuschlagskriterien und der Wiedereröffnung von Verhandlungen nach den finalen Angeboten (VK Bund, Beschl. v. 11.02.2019 – VK 2-2/19)

EntscheidungDer Zuschlag ist auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen, was nicht gleichbedeutend ist mit dem preiswertesten. Der öffentliche Auftraggeber darf die Zuschlagskriterien und deren Wertung nach seinem Beschaffungsbedarf ausrichten; insoweit besteht ein nur begrenzt überprüfbarer Spielraum.

GWB § 127, SektVO § 52, SektVO § 15

Sachverhalt

Ein Sektorenauftraggeber schrieb im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb einen Bauauftrag einschließlich 15-jährigem Wartungsvertrag aus. Die Zuschlagskriterien waren eine Kombination aus Investitionspreis (70%), Wartungskosten (15%) und „Erfüllung des Lastenhefts“ (15%). Letzteres kommt zum Tragen, wenn bestimmte fakultative Anforderungen erfüllt werden. Die Wertung sollte dabei konkret wie folgt durchgeführt werden: Beim Kriterium Investitionspreis erhält der Bestpreis 5 Punkte. Der Bestpreis plus 50% und höher erhält 0 Punkte; dazwischen sollte interpoliert werden. Bei den Wartungskosten würde der kumulierte 15-Jahres-Bestpreis ebenfalls 5 Punkte erhalten. Der Bestpreis plus 100% und höher würde 0 Punkte erhalten. Dazwischen sollte wiederum linear interpoliert werden.

Der spätere Antragsteller A gab den besten Investitionspreis und die Beigeladene B den besten Preis für die Wartung ab. In der Gesamtwertung erhielt das Angebot von B die höchste Punktzahl, obwohl es von dem Gesamtpreis her (Addition Investitionspreis und Wartungskosten) über dem Angebot von A lag. A rügte daraufhin u.a.:

(i) Der Preis für die Wartung sei übergewichtet. Nach den Zuschlagskriterien betrage das Verhältnis von Investitionspreis zu den Wartungskosten 4 : 1, nach den tatsächlich gebotenen Preisen liege das Verhältnis jedoch bei 40 : 1. Darin liege ein Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot.

(ii) Aufgrund der unterschiedlichen Bandbreiten, innerhalb derer vom Bestpreis abweichende Gebote bepunktet werden (50% bei den Investitionskosten, aber 100% bei den Wartungskosten), könne sich das tatsächliche Gewicht der Einzelpreise bei der Wertung so verschieben, dass dieses nicht mehr den bekanntgegebenen Maßgaben (70% und 15%) entspreche. Das verstoße gegen das Transparenzgebot.

Der Auftraggeber berief sich auf den ihm zustehenden Spielraum bei der Festlegung der Wertungskriterien. Die Gewichtung der Kriterien sei ex-ante auf Basis vorangegangener Ausschreibungen erfolgt. Die im Verhältnis hohe Gewichtung der Wartungskosten sei erfolgt, damit die Bieter schon bei der Konzeption auf geringe Wartungskosten achten. Die Bieter sollten angehalten werden, möglichst geringe Investitionspreise anzugeben. Die unterschiedlichen Spannweiten seien deshalb vorgegeben, weil der Investitionspreis absolut gesehen sehr hoch sei. Daher stellen Überschreitungen um 50% bereits in absoluten Zahlen gravierende Verteuerungen dar. Der Preis des Wartungsvertrags sei demgegenüber deutlich niedriger und rechtfertige aus der Erfahrung zu den Angebotsspannen vorheriger Ausschreibungen auch eine Spannbreite Bestpreis plus 100%.

Ein pikantes Detail bestand hier zusätzlich noch darin, dass der Auftraggeber die Bieter in der Verhandlungsphase zunächst ausdrücklich zur Abgabe finaler Angebote aufgefordert hatte. Nach Erhalt der Angebote hatte er jedoch allen Bietern die Möglichkeit gegeben, beschränkt auf den Wartungspreis ein neues Teilangebot abzugeben, weil er noch eine Anlage des Servicevertrags geändert hatte. Von dieser Möglichkeit machte indes kein Bieter Gebrauch. Gleichwohl rügte A die Wiedereröffnung der Verhandlungen, da dies hätte Manipulationen ermöglichen können.

Die Entscheidung

Der sich an Rüge anschließende Nachprüfungsantrag hatte keinen Erfolg. Die Zuschlagskriterien seien transparent und bewegen sich innerhalb des dem Auftraggeber zustehenden Gestaltungsspielraums, der von den Nachprüfungsbehörden nur begrenzt überprüft werden kann. Der Auftraggeber habe nachvollziehbare Argumente für die vergleichsweise hohe Gewichtung der Wartung vorgebracht: Ein niedriger Wartungspreis bedeute regelmäßig einen geringeren Wartungsaufwand und höhere Zuverlässigkeit des Systems bei geringen Ausfallzeiten. Außerdem sei eine Festlegung der Zuschlagskriterien nur ex ante möglich, so dass der Auftraggeber sich in zulässiger Weise auch auf Erfahrungen aus der Vergangenheit stützen konnte, die die hohe Gewichtung der Wartung hier mit rechtfertigten.

Schließlich befasste die Vergabekammer sich noch mit den unterschiedlichen Spannweiten der Wertungskriterien und der Umrechnung des Preises in Wertungspunkte. Die unterschiedlichen Spannweiten seien hier nachvollziehbar begründet. Da der Investitionspreis in absoluten Zahlen sehr hoch sei, setze die geringe Spannweite des Kriteriums einen Anreiz für Angebote mit möglichst niedrigen Investitionskosten. Zudem weise grds. jede Umrechnungsmethode Schwächen auf.  Die Grenze des Zulässigen sei aber erst dann überschritten, wenn sich die konkret gewählte Preisumrechnungsmethode im Einzelfall als nicht mit dem gesetzlichen Leitbild des Vergabewettbewerbs vereinbar erweise. Dass der Auftraggeber die Zuschlagskriterien nach seinem Beschaffungsbedarf ausrichte, gehöre jedoch zu diesem Leitbild. Da vorliegend alle angewandten Bewertungsschritte vorher bekannt gegeben worden waren, sei außerdem auch keine für die Bieter unvorhersehbare Verschiebung hinsichtlich nur teilweise bekannter Wertungsfaktoren zu befürchten gewesen.

Mit der Wiedereröffnung der Verhandlungen hatte die Vergabekammer keine Probleme. Diese sei vielmehr auch nach einer ursprünglich als final bezeichneten Verhandlungsrunde möglich, soweit dies transparent und allen Bietern gegenüber gleich geschehe und nicht in der Absicht, einen bestimmten Bieter zu bevorzugen. Im Übrigen habe sich dies hier aber auch gar nicht ausgewirkt, weil kein Bieter die Möglichkeit zur Abgabe eines neuen Teilangebotes für die Wartung genutzt habe.

Rechtliche Würdigung

Fragen rund um die Gestaltung der Zuschlagskriterien sind seit Langem ein beliebtes Thema in der Rechtsprechung. Die Entscheidung der Vergabekammer des Bundes greift zahlreiche dieser Aspekte auf. Dabei spricht die Vergabekammer dem Auftraggeber einen weiten Gestaltungsspielraum zu. Dies ist in Anbetracht des dem Auftraggeber zustehenden Leistungsbestimmungsrechts richtig. Als positiv ist außerdem hervorzuheben, dass die Vergabekammer ausdrücklich anerkennt, dass eine ideale Umrechnungsmethode nicht existiere und dass gewisse Schwächen die jeder Umrechnungsmethode innewohnen stets (zumindest in gewissem Rahmen) hinzunehmen seien. Insgesamt sind die Erwägungen der Vergabekammer des Bundes daher praktikabel und nachvollziehbar.

Ob eine Wiedereröffnung der Verhandlungen nach den finalen Angeboten tatsächlich stets so leicht zulässig ist, wie die Vergabekammer meint, kann man auch anders beurteilen. Hier kam es darauf aber richtigerweise nicht an. Im Anwendungsbereich der VgV (der vorliegende Fall spielte allerdings in der SektVO) würde dem aber beispielsweise § 17 Abs. 10 VgV entgegenstehen, der Verhandlungen über die endgültigen Angebote auch im Verhandlungsverfahren verbietet. Die SektVO enthält ähnliche Verbote ausdrücklich für Innovationspartnerschaften und wettbewerbliche Dialoge. Für Verhandlungsverfahren enthält die SektVO ein solches ausdrückliches Verbot nicht. Gleichwohl sollten Sektorenauftraggeber auch in Verhandlungsverfahren nicht zu sorglos die Verhandlungen nach den finalen Angeboten wiedereröffnen und außerdem einen gut dokumentierten wichtigen Grund für die Wiedereröffnung aufweisen.

Praxistipp

Die Entscheidung dürfte den Auftragnehmern etwaige bestehende Unsicherheiten bei der Festlegung der Zuschlagskriterien im Allgemeinen und bei der Wahl der Umrechnungsmethode im Speziellen nehmen. Gleichwohl ist den Auftraggebern grundsätzlich zu empfehlen, nicht allzu komplizierten Wertungsmatrizen zu erstellen.

Im vorliegenden Fall waren die Zuschlagskriterien nur vermeintlich wirtschaftlich unsinnig. Das Angebot des Bestbieters mag zwar bei rein mathematischer Betrachtung bezogen auf den Auftragszeitraum teurer gewesen sein. Allerdings darf nicht vergessen werden, dass der Wartungsvertrag nur eine Laufzeit von 15 Jahren hat, sich die niedrigeren Wartungskosten aber auch darüber hinaus auswirken und weitere Vorteile mit sich bringen, die bei einer gesamtwirtschaftlichen Betrachtung durchaus dazu führen können, dass das Angebot des Bestbieters auf den Lebenszyklus des Gebäudes bezogen doch auch preislich das günstigste war. Gerade die Wartungskosten spielen natürlich auch über die konkrete Vertragslaufzeit hinaus eine wichtige wirtschaftliche Rolle. Diese Besonderheiten haben hier wahrscheinlich die Zuschlagskriterien des Auftraggebers gerettet.

Im Regelfall werden auf den Preis bezogene mathematisch unsinnige Formeln dagegen auch vergaberechtlich unzulässig sein. Das gilt vor allem dann, wenn sie rechnerisch dazu führen, dass beim Preiskriterium nicht das günstigste Angebot die Bestpunktzahl erhält. Die Auftraggeber sollten daher darauf achten, dass sie Kostenkriterien im Regelfall auch entsprechend ihrer wirtschaftlichen Bedeutung bewerten. Das heißt, wenn die Instandhaltungskosten bezogen auf den Nutzungszeitraum ca. 30% der Gesamtkosten ausmachen, sollten sie beim Kostenkriterium auch zu 30% angesetzt werden. Ansonsten laufen Auftraggeber Gefahr, gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot zu verstoßen oder jedenfalls zu teuer einzukaufen.