Neues vom Vollst(r)ecker: Eine rein mündliche Präsentation ist vergaberechtlich unzulässig! (VK Südbayern, Beschl. v. 02.04.2019 – Z3-3-3194-1-43-11/18)
Nicht zum ersten Mal hat sich der Vorsitzende der Vergabekammer Südbayern, Herr Steck, mit seinem Lieblingsthema befasst, nämlich der Wertung der Angebote in einem Vergabeverfahren (siehe ). Auch unser Autor, Rechtsanwalt Dr. Roderic Ortner, befasst sich schon seit vielen Jahren mit diesem Thema (siehe z.B. Die Wertungsentscheidung im IT Vergabeverfahren, ITRB. 4/2019) und hat sich deshalb dieser doch durchaus überraschenden Entscheidung angenommen.
GWB § 127; VgV § 58, § 53, § 54, § 9
Leitsatz
- Ein Angebot ist nach § 57 Abs. 1 Nr. 1 VgV nicht nur dann auszuschließen, wenn es gesetzliche Formvorgaben wie z.B. nach § 53 Abs. 1 i.V.m. § 10 VgV (bei elektronischer Übermittlung) oder nach § 53 Abs. 5 und 6 VgV i.V.m. § 126 BGB bei postalischer oder direkter Übermittlung missachtet, sondern auch, wenn es vom Auftraggeber zulässigerweise aufgestellte, über die Formkategorien des BGB hinausgehende Formvorgaben missachtet. Dies ist zumindest dann der Fall, wenn das Niveau der Datenintegrität und Manipulationssicherheit im betreffenden Angebot hinter dem vom Auftraggeber geforderten Niveau zurückbleibt.
- Für sämtliche Bestandteile des Angebots im vergaberechtlichen Sinn gelten die §§ 53, 54 und 55 VgV uneingeschränkt. Zur Vermeidung von vorzeitiger Kenntnisnahme und Manipulation ist hinsichtlich der Einhaltung der Formvorschriften keine Differenzierung zwischen den Bestandteilen des rein zivilrechtlichen Angebots (hier Honorarangebot und Vertrag) und den Angaben des Bieters zur Bewertung nichtpreislicher Zuschlagskriterien vorzunehmen.
- Das Mitbringen von wertungsrelevanten Angebotsbestandteilen zu Verhandlungsterminen, wobei die Bieter ihre Vorlagen zu unterschiedlichen Zeitpunkten mitbringen, kann weder nach § 53 Abs. 1 noch Abs. 5 VgV eine formgerechte Angebotsabgabe darstellen.
- Die Wertung rein mündlich vorgetragener Angebotsbestandteile ohne Grundlage in Textform ist schon aufgrund von § 9 Abs. 2 VgV unzulässig.
- § 127 Abs. 4 Satz 1 GWB ist aufgrund des maßgeblichen Wortlauts des Art. 67 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU richtlinienkonform so zu lesen, dass dem öffentlichen Auftraggeber durch Zuschlagskriterien keine uneingeschränkte Wahlfreiheit übertragen werden darf.
- Ein Verbot der Berücksichtigung derselben Umstände bei der Eignungsprüfung und der Wertung von Zuschlagskriterien nach § 58 Abs. 2 Nr. 2 VgV besteht außerhalb der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung in § 46 Abs. 3 Nr. 6 VgV zu Studien- und Ausbildungsnachweisen und Bescheinigungen über die Erlaubnis zur Berufsausübung nicht.
- Bei der Vergabe von Planungsleistungen ist eine Losaufteilung nach Leistungsphasen innerhalb eines Leistungsbildes der HOAI nicht ausgeschlossen. Die Möglichkeit einer Aufteilung gerade in die kreativen Leistungsphasen 1 bis 4 (oder 5) und die unkreativen, eher administrativen Leistungsphasen 5 (oder 6) bis 9, ist regelmäßig zu prüfen und diese Prüfung zu dokumentieren.
Sachverhalt
Auftragsgegenstand waren Ingenieurleistungen. Der geneigte Leser mag diese aber durch andere Dienstleistungen ersetzen, bei denen das eigesetzte Team eine wesentliche Rolle für die Qualität der Leistung spielt, z.B. im Bereich der IT-Beratung oder aber auch bei uns Rechtsanwälten. Bei der Entscheidung ging es um mehrere vergaberechtlich umstrittene und spannende Themen, z.B., ob eine doppelte Berücksichtigung von Referenzen auf Eignungs- und Zuschlagsebene (beim Personal) zulässig sei (was die Vergabekammer bejahte); ich möchte und muss mich hier indes auf das Thema fokussieren, das die Vergabekammer, soweit ersichtlich, als einzige erstmals so deutlich entschieden hat: Sie ist der Auffassung, dass eine rein mündliche Präsentation vergaberechtswidrig ist.
Gestört hatte sich die Vergabekammer an folgenden Zuschlagskriterien:
1. Personelle Besetzung (Gewichtung insgesamt 35%)
– Projektleiter
Persönliche Vorstellung des Projektleiters mit Darlegung des persönlichen Erfahrungshintergrundes (u. a. Referenzprojekte) bzw. der persönlichen Kenntnisse sowie der Einbindung in andere Projekte (zeitliche Verfügbarkeit). (10%)
– Stellvertretender Projektleiter
() (10%)
– Projektbearbeiter (Mitarbeiter für die einzelnen Teilaufgaben)
Vorstellung der vorgesehenen Projektmitarbeiter mit Darstellung der zeitlichen Verfügbarkeit bzw. Einbindung in andere Projekte. Darstellung der vorgesehenen Aufgabenverteilung innerhalb des Projektteams (5%)
– Darstellung der kurzfristigen Verfügbarkeit vor Ort in Planungs- und Ausführungsphase (10%)
2. Fachtechnische Lösungsansätze (Gewichtung insgesamt 25%)
Darstellung der Herangehensweise an komplexe fachtechnische Aufgabenstellungen anhand von praktischen Beispielen. Die Darstellung soll in Bezug auf den zu vergebenen Auftrag anhand eines realisierten Bauprojekts, das mit dem geplanten Vorhaben vergleichbar ist, erfolgen und kann durch Zeichnungen, Skizzen, Diagramme, Tabellen u. ä., die die Arbeitsweise verdeutlichen, ergänzend verdeutlicht werden ().
3. Strukturelle Herangehensweise (Gewichtung insgesamt 15%)
Analyse der Projektaufgabe mit Darstellung der zu erwartenden Schwierigkeiten sowie spezifischen Lösungsvorschlägen(15 %)
4. Präsentation (Gewichtung insgesamt 5%)
Formelle Präsentation / Gesamteindruck (5%)
Die Kriterien wurden durch ein Vergabegremium jeweils mit Punkten zwischen 0 (das Kriterium wurde ungenügend erfüllt) und 5 (das Kriterium wurde sehr gut erfüllt) bewertet, so dass eine maximale Punktzahl von 500 Punkten erreicht werden konnte.
Die Entscheidung
Die Vergabekammer bejaht zunächst die Antragsbefugnis des angreifenden Bieters, obwohl dieser sein endgültiges Angebot verspätet eingereicht hatte! Begründung der Vergabekammer: Die Antragstellerin würde eine zweite Chance zur erneuten Angebotsabgabe erhalten, wenn auch das Angebot der Beigeladenen zwingend auszuschließen wäre, da nur zwei Angebote in der Wertung waren. Sollten Sie also als Bieter einmal ein Angebot verspätet eingereicht haben, dann denken Sie daran, dass vielleicht noch nicht alles verloren ist.
Die Vergabekammer stellt sodann zu dem hier näher behandelten Thema zunächst fest, dass die o.g. Zuschlagskriterien teilweise nur auf der Basis ihrer mündlichen Angaben im Präsentationstermin bewertet wurden. Dies verstoße gegen die Formvorgaben an Angebote in §§ 53, 54 und 55 VgV sowie gegen § 9 Abs. 2 VgV, der die mündliche Kommunikation in einem Vergabeverfahren über Angebote verbiete. Weiterhin verstoße das Vorgehen gegen § 127 Abs. 4 Satz 1 GWB, der vorschreibt, dass die Möglichkeit eines wirksamen Wettbewerbs gewährleistet wird, der Zuschlag nicht willkürlich erteilt werden kann und eine wirksame Überprüfung möglich ist, ob und inwieweit die Angebote die Zuschlagskriterien erfüllen.
Denn:
„Die Angebotswertung aufgrund einer ausschließlich mündlich vorgetragenen Präsentation ohne Basis in Textform ist dabei als unzulässige mündliche Kommunikation über das Angebot anzusehen. Daher muss nach heute geltender Rechtslage der Auftraggeber auch in einem Verhandlungsverfahren, in dem die Wertung der Angebote auch aufgrund eines Verhandlungsgesprächs mit Präsentation stattfindet, stets sicherstellen, dass die maßgeblichen Inhalte von den Bietern bereits zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe formgerecht (d.h. mindestens in Textform) eingereicht werden. Anders als möglicherweise unter der vor 2016 geltenden Rechtslage ist eine Angebotswertung, die sich ausschließlich auf mündliche Aussagen stützt, unzulässig.“
Die Vergabekammer schreibt dann recht deutlich, was sie von den Zuschlagskriterien hält: „Sie [die Auftraggeberin, Anm. Verf.] kann den Gesamteindruck der Präsentation allein anhand ihrer persönlichen Vorlieben und Sympathien/Antipathien bewerten, ohne dass für die Bieter in irgendeiner Art und Weise ansatzweise ersichtlich ist, worauf sie bei der Angebotserstellung zu achten haben.“
Rechtliche Würdigung
Zunächst einmal ist zu konstatieren, dass die Vergabekammer hier auf einen Extremfall traf, da praktisch die gesamte qualitative Wertung allein auf Grundlage der Präsentation erfolgte. In der Regel werden heutzutage oft Qualifikationsprofile des einzusetzenden Personals mit dem Angebot verlangt, die dann bewertet werden. Hinzu kommt dann eventuell noch ein Personaleinsatzkonzept o.ä. Die Vergabekammer schreibt auch mehrfach, dass sie beanstandet, dass die Wertung ausschließlich auf Grundlage einer Präsentation erfolge.
Dass eine Präsentation, die in die Wertung einfließen soll, grundsätzlich unzulässig sein soll, kann ich in dieser Grundsätzlichkeit aber nicht aus der Entscheidung ablesen. So schreibt die Vergabekammer, dass die Angebotswertung aufgrund einer ausschließlich mündlich vorgetragenen Präsentation ohne Basis in Textform eine unzulässige mündliche Kommunikation über das Angebot darstellt und dass das Kriterium Präsentation, das lediglich mit den Worten Formelle Präsentation / Gesamteindruck konkretisiert sei, gegen § 127 Abs. 4 Satz 1 GWB verstoße und daher unzulässig sei. Im Umkehrschluss könnte man daraus folgern, dass eine Präsentation zunächst zulässig sein könnte, wenn sie eine Basis in Textform hat und wenn die Unterkriterien ausreichend konkretisiert werden.
Nun stellt sich freilich die Frage, wie dies in der Praxis vonstatten gehen soll. Aus meiner Sicht wohl nur, indem der Auftraggeber zunächst mit dem Angebot Qualifikationsprofile und ein Konzept einfordert und diese auf Grundlage der von ihm bekannt gemachten Unterkriterien und Erwartungshaltung nach bewertet, wobei ein Schulnotensystem bei der Bewertung des Konzepts zulässig ist. Eine Wertung findet daher allein nach dem Schriftbild statt. In der Präsentation können dann weitere Kriterien geprüft werden, etwa, ob das vorgesehene Team das Konzept nachvollziehbar und schlüssig vorträgt und auf Rückfragen qualifiziert und nachvollziehbar reagiert. Ähnlich wie bei einer mündlichen Prüfung kann der Auftraggeber dadurch verifizieren, dass das, was ihm schriftlich angeboten wird, auch tatsächlich dem Know-how des Teams entspricht und nicht lediglich aus einer Schublade gezogen wurde.
Aber wollen Sie darauf wetten, dass eine solcherart gestaltete Präsentation von der für Sie zuständigen Vergabekammer als zulässig erachtet wird? Es kommt dann sehr auf die Kriterien an, die bei der Präsentation geprüft werden. Ich selbst habe schon Ausschreibungen erlebt, bei denen die Präsentation mit 30 % in die Wertung einfließen sollte und als Wertungskriterium die Eloquenz (kein Witz) des einzusetzenden Rechtsanwalts bewertet werden sollte. Es ging um vergaberechtliche Beratung wohlgemerkt (die Ausschreibung wurde übrigens aufgehoben; zwei Mal!). Hand aufs Herz: Das eigentliche und auch durchaus menschliche und nachvollziehbare Ansinnen einer Präsentation ist doch, dass die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Auftraggebers wissen möchten, mit wem sie ein Jahr oder länger zusammenarbeiten müssen, ob also die Chemie stimmt. Nur: Chemie hat im öffentlichen Auftragswesen und Haushaltsrecht keinen Platz! Und was, wenn eines der angebotenen Teammitglieder an dem oft auch nur kurz vorher festgelegten Präsentationstermin im Urlaub ist, eigentlich heiraten wollte oder schlichtweg krank ist oder einen schlechten Tag erwischt hat und deshalb nicht gut rüberkommt?
Im Ergebnis neige ich daher der Auffassung der Vergabekammer auch zu. Ergänzend zu den Rechtsausführungen der Vergabekammer mag auch nochmal ins Gedächtnis gerufen werden, was der Sinn und Zweck eines Verhandlungsverfahrens ist. § 17 Abs. 10 VgV sagt, dass der öffentliche Auftraggeber mit den Bietern über die von ihnen eingereichten Angebote verhandelt, „mit dem Ziel, die Angebote inhaltlich zu verbessern“. Von einer Präsentation ist hier keine Rede. Übertragen auf unser Thema heißt das zum Beispiel: Der Auftraggeber darf den Bietern in der Verhandlung, die auch eine Präsentation des Angebots beinhaltet darf, Hinweise geben, wo der Bieter sein Angebot noch verbessern könnte, z.B. durch Verbesserung des eingereichten Konzepts. Eine eigene Bewertung dieses Termins erfolgt nicht, wohl kann aber der Termin seinen Niederschlag in dem endgültigen Angebot finden und dadurch mittelbar in die Wertung einfließen.
Praxistipp
Ob andere Vergabekammern und letztlich Vergabesenate und vielleicht auch einmal der BGH oder der EuGH der Auffassung der Vergabekammer folgen, ist völlig offen. Wenn Sie als Auftraggeber jedes Risiko einer Rüge ausschließen wollen, sollten Sie auf die Festlegung und Wertung des Zuschlagskriteriums Präsentation verzichten, alle Male Auftraggeber, die sich im Zuständigkeitsbereich des Vollst(r)eckers befinden.