Keine Flucht durch Bescheid in das Zuwendungsrecht bei Vorliegen eines öffentlichen Auftrags! (VK Münster, Beschl. v. 02.07.2019 – VK1-17/19)
Liegen die Voraussetzungen eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags gemäß § 103 Abs. 4 GWB vor, unterliegen Vergaben über Verkehrsdienstleistungen im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) dem Vergaberechtsregime. Direktvergaben unter Berufung auf Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1370/2007 sind dann nicht möglich. Ein entgeltlicher Vertrag unterfällt auch bei einer formalen Bezeichnung als Finanzierungsbescheid oder Verwaltungsakt nicht dem Zuwendungsrecht. Geschlossene Verträge können auf Antrag gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB im Nachprüfungsverfahren für unwirksam erklärt werden.
§§ 103 Abs. 4, 108 Abs. 6, 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB; § 8a PBefG; Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1370/2007
Sachverhalt
Die Antragsgegnerin zu 1) vergab einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag nach Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1370/2007 über Verkehrsdienstleistungen im ÖPNV mit Bussen, Straßen- und Stadtbahnen und sonstigen Verkehrsmitteln direkt an die Beigeladene in der Form eines Finanzierungsbescheids, welcher auf die AN-Best-P (Allgemeine Nebenbestimmungen für Zuwendungen zur Projektförderung) verwies und eine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt. Die Antragsgegnerin zu 1) ist als kommunaler Zweckverband organisiert, dessen Mitglieder die Antragsgegnerinnen zu 2) bis 10) sind. Der Finanzierungsbescheid hatte Verkehrsdienstleistungen im ÖPNV zum Gegenstand.
Hiergegen wandte sich die Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren. Sie rügte die Direktvergabe an die Beigeladene, eine Aktiengesellschaft, deren Aktien durch zwei Mitglieder des kommunalen Zweckverbands gehalten werden, als unzulässig und greift diese vor der Vergabekammer nach Zurückweisung der Rüge an. Zur Begründung führte die Beigeladene im aus, dass die Direktvergabe nach dem GWB zu erfolgen habe. Eine Ausnahme hiervon sei nur bei Vorliegen der Voraussetzungen einer Dienstleistungskonzession oder In-House-Vergabe im Sinne des § 108 GWB zulässig. Eine Dienstleistungskonzession liege jedoch nicht vor und auch eine In-House-Vergabe komme nicht in Betracht, da die Beigeladene in Form einer Aktiengesellschaft organisiert sei. Daher seien auch die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1370/2007 nicht gegeben. Die Antragstellerin begehrte mithin der Antragsgegnerin zu 1) die Vergabe im Wege einer Direktvergabe zu untersagen und zur Durchführung eines Vergabeverfahrens zu verpflichten, sowie die Vergabe des Auftrags an die Beigeladene für unwirksam zu erklären.
Die Entscheidung
Diesen Ausführungen schloss sich die Vergabekammer an. Sie erklärte die Direktvergabe in Gestalt des Finanzierungsbescheids an die Beigeladene gemäß § 135 Abs. 1 GWB für unwirksam. Nach Auffassung der Vergabekammer war die Vergabe nicht nach Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1370/2007 als Direktvergabe statthaft, da es sich um einen öffentlichen Dienstleistungsvertrag und nicht um eine vergaberechtsfreie Zuwendung oder Beihilfe handelte. Auch die Voraussetzungen einer Dienstleistungskonzession oder einer In-House-Vergabe nach § 108 GWB sah die Kammer als nicht gegeben an.
Die Vergabekammer verneinte die Voraussetzungen einer In-House-Vergabe nach § 108 Abs. 6 GWB. Denn Voraussetzung ist u.a., dass der Vertrag eine Zusammenarbeit zwischen den beteiligten öffentlichen Auftraggebern begründet oder erfüllt, um sicherzustellen, dass die von ihnen zu erbringenden öffentlichen Dienstleistungen im Hinblick auf die Erreichung gemeinsamer Ziele ausgeführt werden. Die öffentlichen Aufgaben müssen von den beteiligten Auftraggebern mithin zu erbringen“ sein. Dies setzt voraus, dass sie ihnen (also allen beteiligten öffentlichen Auftraggebern) kraft Gesetzes obliegen. Die Zusammenarbeit kann sich daher nicht auf Aufgaben beziehen, zu denen nur einer der beteiligten Auftraggeber gesetzlich verpflichtet ist, die aber durch die Zusammenarbeit einem anderen Auftraggeber übertragen werden soll. Soweit das OLG Koblenz (Beschluss vom 14.05.2019 Az. Verg 1/19) und das OLG Düsseldorf (Beschluss vom 28.11.2018 Az. Verg 25/18) dem EuGH Vorabentscheidungsersuchen zur Anwendung des § 108 Abs. 6 GWB vorgelegt haben, liegen die dort angesprochenen Sachverhaltsdarstellung hier nicht vor. Die Beauftragung von Dienstleistungen im öffentlichen Personennahverkehr obliegt lediglich den Antragsgegnerinnen zu 2) und 3) in ihrem Wirkungskreis, und nicht der Antragsgegnerin zu 1). Eine allen beteiligten öffentlichen Auftraggebern obliegende gemeinsame Aufgabe liegt somit ersichtlich nicht vor. Demzufolge liegen auch die Voraussetzungen des § 108 Abs. 6 GWB hier nicht vor.
Den Charakter des Finanzierungsbescheids als Verwaltungsakt erkannte die VK nicht an. Inhaltlich enthalte der Finanzierungsbescheid alle Einzelheiten, die in einem Vertragsverhältnis von Bedeutung und üblicherweise in einem Betrauungsakt enthalten sind. Die Beauftragung erfolge nicht einseitig verpflichtend, sondern gegen einen jährlich festzusetzenden Geldbetrag. Für den Erlass eines derartig belastenden Verwaltungsakts fehle zudem die Ermächtigungsgrundlage. Zudem liege keine einseitige Zweckbestimmung in Form eines Zuwendungsbescheids, sondern eine Verpflichtung zur Erbringung einer vertraglichen Primärleistung vor, die entgeltlich und im Synallagma stehend erbracht werde. Die Beigeladene habe keinen Spielraum für welche Beförderungslinien und Infrastrukturmaßnahmen sie die gewährten finanziellen Mittel ausgeben möchte, sondern ist an die Nahverkehrspläne der öffentlichen Auftraggeber gebunden. Daran ändere auch die Bezeichnung als Verwaltungsakt nichts.
Das Vorliegen einer (vergaberechtsfreien) Dienstleistungskonzession komme bereits aufgrund der Entgeltlichkeit und der Vereinbarung einer Fehlbedarfsfinanzierung tatbestandlich nicht in Betracht. Der Finanzierungsbescheid war damit als öffentlicher Vertrag im Sinne des § 103 GWB und nicht als bloße Beihilfe oder Zuschuss zu charakterisieren. In Frage stand damit nur noch, ob eine Ausnahme von einer Ausschreibeverpflichtung gegeben war. Dies verneinte die Kammer im Hinblick auf Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1370/2007 unter Bezugnahme auf die EuGH-Urteile vom 21.03.2019 in den Rs. C-266/17 und C-267/17, wonach Art. 5 Abs. 2 der VO nicht auf Leistungen im ÖPNV, die keine Konzessionen betreffen, anwendbar ist. Im Ergebnis unterlag die Vergabe der Verkehrsdienstleistungen den Vorschriften des GWB. Eine Direktvergabe ohne vorherige Bekanntmachung im EU-Amtsblatt war damit vergaberechtswidrig und unwirksam.
Rechtliche Würdigung
Der Beschluss ist zutreffend! Die in der Praxis nicht nur im Bereich der Vergabe von Verkehrsdienstleistungen häufig anzutreffende Flucht in das öffentliche Zuwendungsrecht gelingt nur dann, wenn das Vergaberechtsregime nicht einschlägig ist, mithin insbesondere kein öffentlicher Auftrag vorliegt oder (ausnahmsweise) die Voraussetzungen einer In-House-Vergabe gegeben sind. In vielen Konstellationen, wie der vorliegenden, ist dies häufig unter mehreren Gesichtspunkten nicht der Fall. Der formale Weg über einen vermeintlichen Bescheid im Sinne eines Verwaltungsakts gemäß § 35 VwVfG muss schon deshalb misslingen, weil dies einer unzulässigen Umgehung des Vergaberechtsregimes (und seines funktionierenden Rechtsschutzes) den Weg ebnen würde.
Weder die Bezeichnung als Finanzierungsbescheid (und damit Verwaltungsakt), noch die Ausgestaltung des Bescheids mittels Nebenbestimmungen und Rechtsbehelflsbelehrung ändern an der Vergabepflichtigkeit des Vorgangs etwas. Es handelt sich schlicht um die Vergabe eines öffentlichen Auftrags. Daran lässt die Entscheidung der Vergabekammer keinen Zweifel. Zur Verunsicherung von Bietern, die sich gegen eine Direktvergabe wenden, wird die Bezeichnung dennoch beigetragen haben. Substantiiert und strukturiert nimmt die Vergabekammer die Abgrenzung zwischen Verwaltungsakt, entgeltlichem Dienstleistungsvertrag und Dienstleistungskonzession vor. Ob und wie das Kriterium der Kontrolle des öffentlichen Auftraggebers bei einer In-House-Vergabe mittels Aktiengesellschaft erfüllt werden kann, bleibt (leider) weiter offen. Gerade im Hinblick auf die Besonderheit, dass der öffentliche Auftraggeber vorliegend eine Holdinggesellschaft zwischengeschaltet hatte, um die In-House-Vergabe unter dem Aspekt der Kontrolle vermeidlich rechtssicher zu gestalten, wäre eine Ausführung hierzu wünschenswert gewesen.
Praxistipp
Die Luft für Direktvergaben über Verkehrsdienstleistungen im Bereich des ÖPNW wird dünner; nicht zuletzt auch wegen der jüngsten Rechtsprechung des EuGH vom 21.03.2019. Immer dann, wenn zum einen konkrete (und durchsetzbare) Leistungspflichten dem zukünftigen Auftragnehmer auferlegt werden sollen, zum anderen diesem als Gegenleistung allerdings ein Zahlungsanspruch (auch in Gestalt einer Fehlbedarfsfinanzierung) erwächst, werden die Voraussetzungen eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags im Sinne des Vergaberechts gemäß § 103 GWB vorliegen. Diese sich im Bereich des ÖPNV abspielende Fallgestaltung lässt sich auf andere Konstellationen ohne weiteres übertragen. Nicht selten sind Bescheide unter dem Deckmantel des Zuwendungs- und Förderrechts tatsächlich öffentliche Auftragsvergaben im Sinne des Vergaberechts. Auftraggebern bzw. Zuwendungsgebern ist daher zur Vermeidung von Überraschungen und zur Gewährleistung eines rechtskonformen Vorgehens dringend anzuraten, den vergaberechtlichen Anwendungsbereich vor der Umsetzung eines anderen Vorgehens zu prüfen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Abgrenzung zwischen Konzession und Auftrag und die trotz § 108 GWB bei weitem noch nicht rechtssicher geklärten Voraussetzungen einer vergaberechtsfreien In-House-Vergabe.
Potenzielle Bieterunternehmen auf der anderen Seite sollten die Charakterisierung der Vergabe durch den öffentlichen Auftraggeber bei Bedarf hinterfragen. Wie von der Vergabekammer anschaulich aufgezeigt, schützt ein falsches rechtliches Gewand nicht vor vergaberechtlichen Konsequenzen. Ggf. sollten rechtzeitig Fragen gestellt oder Rügen erhoben werden.