Innovationsbeschaffung – Welche Vorteile einzelner Bieter müssen Auftraggeber ausgleichen? (OLG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 13.6.2019 – 54 Verg 2/19)
Die Beschaffung innovativer Leistungen stellt öffentliche Auftraggeber vor einige Herausforderungen. In einer aktuellen Entscheidung befasst sich das OLG Schleswig-Holstein mit der Frage, unter welchen Umständen öffentliche Auftraggeber Vorteile einzelner Bieter ausgleichen müssen und was hierbei zu beachten ist.
§ 97 Abs. 1 GWB
Leitsätze (nicht amtlich)
- Öffentliche Auftraggeber sind nicht verpflichtet, Wettbewerbsvorteile, die durch die unterschiedliche Markstellung der Unternehmen bedingt sind, auszugleichen. Anders liegt es in Fällen, in denen die zu erwartenden Unterschiede in den Angeboten nicht aus der Marktstellung des Unternehmens, sondern aus den vom Auftraggeber festgelegten Leistungsanforderungen resultieren.
- Die im Rahmen der Bestimmungsfreiheit des Auftraggebers vorgegebenen Leistungsanforderungen dürfen nicht zu Angeboten führen, die nicht vergleichbar sind. Der Auftraggeber ist verpflichtet, die Vergleichbarkeit der Angebote sicherstellen.
- Der Auftraggeber kann die Vergleichbarkeit der Angebote durch Wertungsaufschläge herstellen, die die in den Wettbewerb einbezogenen Unterschiede der Angebote ausgleichen. Die Wertungsaufschläge müssen die wesentlichen Kosten und Risiken der betroffenen Lösung berücksichtigen und für die Bieter nachvollziehbar sein.
Sachverhalt
Das Land Schleswig-Holstein schreibt im Verfahren einer Innovationspartnerschaft die Lieferung innovativer Triebzüge zum Einsatz im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) und deren langfristige Instandhaltung aus. Die Züge sollen zunächst auf überwiegend nicht elektrifizierten Bahnstrecken eingesetzt werden. Im Verfahrensverlauf legt das Land fest, dass die Bieter wählen können, ob die Triebzüge mit elektrischer Energie, mit elektrischer Energie / Diesel (Hybrid) oder Wasserstoff betrieben werden. Entsprechend der Art der benötigten Energie bzw. Kraftstoffe müssen die Bieter auch die jeweilige Nachladeinfrastruktur bereitstellen, soweit diese errichtet werden muss (Wasserstofftankstellen bzw. Nachladestellen über die Bahnstromoberleitung).
Ferner erklärt das Land im Verfahrensverlauf, dass es sofern das Konzept eines Bieters eine derartige Ladeinfrastruktur vorsieht die Planung und den Bau von neuen oder die Nachrüstung von existierenden Anlagen zum Laden von Energie im unmittelbaren Bereich der Schienenwege unmittelbar bei dem Betreiber der Schieneninfrastruktur in Auftrag geben will. Das Land erstellt hierzu einen Katalog möglicher Nachrüstungen der existierenden Nachladeinfrastruktur und neuer Oberleitungsinselanlagen. Die Bieter haben die Maßnahmen auszuwählen, die sie für ihr Energieversorgungskonzept jeweils benötigen. Die vom Land geschätzten Kosten der Nachrüstung bzw. der jeweiligen Maßnahmen sollen dann den Angeboten der Bieter mit den betroffenen Fahrzeugkonzepten einschließlich bestimmter Kostenrisiken zugeschlagen werden.
Ein Bieter beanstandet u.a., dass er als Hersteller wasserstoffbetriebener Triebzüge benachteiligt werde. Während die Hersteller wasserstoffbetriebener Triebzüge die gesamte Infrastruktur planen und einpreisen müssten und dafür für die gesamte Vertragslaufzeit einzustehen hätten, sei dies bei Herstellern batteriegetriebener Fahrzeuge nicht der Fall. Durch die Wertungsaufschläge werde dies nicht ausreichend kompensiert.
Das Land Schleswig-Holstein erwidert, dass es im Rahmen einer technikoffenen Ausschreibung gar nicht zum Ausgleich produktbezogener Unterschiede verpflichtet gewesen sei. Die Vorteile für Anbieter von batteriebezogenen Antriebskonzepten seien aber jedenfalls im Rahmen der Angebotswertung durch die vorgesehenen Wertungsaufschläge ausgeglichen worden.
Die Entscheidung
Das OLG Schleswig-Holstein weist den Nachprüfungsantrag zurück. Der Vergabesenat stellt fest, dass ein öffentlicher Auftraggeber grundsätzlich nicht zum Ausgleich von Wettbewerbsvorteilen verpflichtet sei, die aus der unterschiedlichen Marktstellung der Unternehmen resultieren. Solange es dafür vernünftige wirtschaftliche Gründe gebe, könne der Auftraggeber den Leistungsinhalt so bestimmen, dass einzelne Bieter Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen haben. Der Auftraggeber dürfe nur nicht die Absicht verfolgen, ein bestimmtes Unternehmen zu bevorzugen.
Vorliegend gehe es allerdings nicht um den Ausgleich eines aus der Marktstellung eines Unternehmens erwachsenden Wettbewerbsvorteils. Vielmehr ermögliche erst der Wertungsaufschlag eine vergleichende Wertung der Angebote der Bieter. Aus diesem Grund sei der Wertungsaufschlag keineswegs überobligatorisch gewesen. Der Auftraggeber habe den Wertungsaufschlag auch transparent und nichtdiskriminierend konzeptioniert.
Rechtliche Würdigung
Das OLG Schleswig-Holstein leitet die Verpflichtung des Auftraggebers zur Vornahme des Wertungsaufschlags aus dem Umstand ab, dass die Ladeinfrastruktur, die die Bieter mit anzubieten haben und auf die sie bei der Leistungserbringung zurückgreifen wollen, hinsichtlich des einen Energieträgers (Wasserstoff) gar nicht und hinsichtlich des anderen Energieträgers (Strom) nur zum Teil vorhanden war und im Übrigen neu erstellt oder ergänzt werden musste. Nach der Konzeption der Ausschreibung sei die Neuerstellung oder Ergänzung der Infrastruktur daher Teil des Vergabewettbewerbs. Die diesbezüglichen Leistungsanforderungen seien dem Wettbewerb nicht von außen vorgegeben, sondern könnten von dem Auftraggeber beeinflusst werden. Die in den Wettbewerb einbezogenen Unterschiede seien vom Auftraggeber auszugleichen, um einer vergleichenden Wertung zugängliche Angebote zu erreichen.
Praxistipp
Der Beschluss des OLG Schleswig-Holstein ist eine der ersten obergerichtlichen Entscheidungen zu der noch recht neuen Verfahrensart der Innovationspartnerschaft. Insbesondere vor dem Hintergrund der Digitalisierung ist die Beschaffung innovativer Leistungen für die öffentliche Hand ein immens wichtiges Thema. Durch die unmittelbare Kombination der Vergabe der Forschungs- und Entwicklungsleistungen mit dem anschließenden Erwerb der Neuentwicklung kann die Innovationspartnerschaft im Bereich der Innovationsbeschaffung einen Anreiz für Unternehmen setzen, sich bereits an der oftmals aufwendigen und kostenintensiven Entwicklung der Innovation zu beteiligen.
Wie bei allen Verfahrensarten gelten auch im Rahmen der Innovationspartnerschaft die vergaberechtlichen Grundsätze von Transparenz und Gleichbehandlung. Diese erfordern, dass die Angebotswertung auf der Grundlage vergleichbarer Angebote erfolgt. Bei der Beschaffung innovativer Leistungen egal ob im Wege der Innovationspartnerschaft, im Verhandlungsverfahren oder im Wettbewerblichen Dialog ist dies für den Auftraggeber eine besondere Herausforderung, soweit der Beschaffungsgegenstand zu Verfahrensbeginn noch nicht abschließend festgelegt ist. Insbesondere die Zuschlagskriterien müssen dann für verschiedene Lösungsvorschläge der Bieter passen.
Bei der vom OLG Schleswig-Holstein entschiedenen Konstellation kam hinzu, dass die vom Auftraggeber gewünschte Leistung auf der Anforderungsebene unterschiedlich war, je nachdem für welche Lösung sich die Bieter entschieden. Denn nur im Falle des Angebots strombetriebener Triebzüge wollte das Land die Nachladeinfrastruktur unmittelbar bei dem Betreiber der Schieneninfrastruktur in Auftrag geben. Im Falle des Angebots wasserstoffbetriebener Triebzüge sollte der Bieter demgegenüber selber die Nachladeinfrastruktur herstellen. Um die demnach technisch bzw. konzeptionell unterschiedlichen Angebote einer vergleichenden Angebotswertung unterziehen zu können, war das Land verpflichtet, auf der Ebene der Angebotswertung einen ausgleichenden Wertungsmechanismus vorzusehen. In der Regel kann ein öffentlicher Auftraggeber dies in derartigen Fällen wie auch in der vom OLG Schleswig-Holstein entschiedenen Konstellation mit Wertungsaufschlägen bewerkstelligen, die die Mehrkosten bei Beauftragung eines bestimmten Leistungsinhalts im Vergleich zu einem anderen Leistungsinhalt abbilden.
Um dem Wettbewerbsgrundsatz Rechnung zu tragen, müssen die Wertungsabschläge dabei so konzeptioniert sein, dass sie die wesentlichen Unterschiede zwischen den möglichen Leistungsinhalten in Bezug auf Kosten und Risiken einfangen. Hierfür muss der Auftraggeber einen guten Überblick über die diesbezüglichen Rahmenbedingungen der verschiedenen Lösungen haben. Der Transparenzgrundsatz verlangt zudem, dass die Konzeption der Wertungsaufschläge für die Bieter klar nachvollziehbar ist.
Hat der Auftraggeber auf diesem Wege die Vergleichbarkeit der Angebote sichergestellt, ist er jedenfalls insoweit vergaberechtlich auf der sicheren Seite. Unterschiede, die aus der Wettbewerbsstellung eines Unternehmens resultieren, muss der Auftraggeber nicht ausgleichen. Denn solche externen Marktgegebenheiten bilden die Rahmenbedingungen für den Wettbewerb um den öffentlichen Auftrag. Um eine Verbesserung der eigenen Marktposition muss sich jedes im Wettbewerb stehende Unternehmen selbst bemühen.