Keine Nachprüfung der dem Vergabeverfahren vorgelagerten Standortentscheidung (VK Bund, Beschl. v. 22.08.2019 – VK1-51/19)

Entscheidung

Die 1. Vergabekammer des Bundes hat entschieden, dass eine Standortentscheidung, die einem Vergabeverfahren zeitlich vorgelagert war, nicht von der Vergabekammer überprüfbar ist. Erst die von dem Auftraggeber im Rahmen des konkreten Vergabeverfahrens getroffene Entscheidung, dass die ausgeschriebene Leistung an diesem konkreten Standort bzw. in der Nähe von diesem erbracht werden muss, ist im Nachprüfungsverfahren überprüfbar.

Sachverhalt

Der öffentliche Auftraggeber hat in einem europaweiten offenen Verfahren die Durchführung von Lehrgängen für die fliegerische Vorausbildung von Flugschülern am Standort des Auftraggebers in den USA ausgeschrieben. Die Leistungserbringung sollte am Standort in den USA beziehungsweise in einem Umkreis von maximal 45 Pkw-Minuten zu diesem erfolgen. Zusätzlich sollte der Auftragnehmer Flugzeuge, Logistik, Personal und Infrastruktur am Standort bzw. im genannten Umkreis bereitstellen.

Einer der Bieter verfügte über eine leistungskonforme Infrastruktur in ca. 2.500 km Entfernung zum Standort. Im Nachprüfungsverfahren setzte er sich unter anderem gegen die Standortvorgabe zur Wehr und argumentierte, dass diese den bisherigen Auftragnehmer bevorzuge, da dessen Standort nah am Standort des Auftraggebers liege. Im Ergebnis verhindere die Standortvorgabe ungerechtfertigt einen wirksamen Wettbewerb. Es sei dem Auftraggeber zwecks einer neutralen Ausschreibung zuzumuten, den Standort zu verlegen.

Der Auftraggeber entgegnete, dass die Standortwahl auf einem verbindlichen Stationierungskonzept beruhe, welches durch ein zwischenstaatliches Stationierungsabkommen zwischen Deutschland und den USA ergänzend geregelt werde. Ein Standortwechsel sei nur unter Änderung dieses Abkommens möglich. Zudem brächte eine standortneutrale Ausschreibung erhebliche Risiken für die Funktionsfähigkeit sowie die unterbrechungsfreie und gute Ausbildung mit sich. Eine Wettbewerbsbeschränkung läge nicht vor, da mit der Umkreisvorgabe bereits eine regionale Öffnung, welcher Dritten den Markteintritt ermögliche, erfolgt sei.

Die Entscheidung

Die Vergabekammer führte zunächst aus, dass die Standortentscheidung des Auftraggebers eine dem Vergabeverfahren vorgelagerte Entscheidung ist, welche keine nachprüfbaren Rechte oder Ansprüche des Bieters betrifft. Im Nachprüfungsverfahren könne sich der Antragsteller nur auf solche Ansprüche berufen, die auf die Vornahme oder das Unterlassen einer Handlung in einem Vergabeverfahren gerichtet sind. Das Vergaberecht reglementiere nicht die Organisationshoheit des Auftraggebers. Dieser sei nicht gehalten, die Beschaffungsentscheidung den Standortentscheidungen der potentiellen Bieter unterzuordnen. Für die Entscheidung der Vergabekammer kam es damit nicht mehr darauf an, ob ggf. ein anderer Standort in Betracht käme oder, dass das zwischenstaatliche Stationierungsabkommen zu ändern sei.

Erst die für das konkrete Vergabeverfahren getroffene Standort- bzw. Umkreisvorgabe sei eine nachprüfbare Entscheidung des Auftraggebers, welche anhand der Rechtsprechung zum Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers zu beurteilen sei. Danach sind solche Vorgaben vergaberechtskonform, wenn sie durch den Auftragsgegenstand sachlich gerechtfertigt sind, der Auftraggeber hierfür nachvollziehbare, objektive und auftragsbezogene Gründe hat und die Bestimmung andere Wirtschaftsteilnehmer nicht diskriminiert. Diese Anforderungen waren nach Auffassung der Vergabekammer im vorliegenden Fall erfüllt, da in die Durchführung der Leistungserbringung u.a. auch die bei der Antragsgegnerin beschäftigten Personen miteinzubeziehen waren. Zu deren Dienstzeit gehört auch die Fahrzeit zur Flugausbildung, weshalb die Standort- bzw. Umkreisvorgabe gerechtfertigt sei.

Rechtliche Würdigung

Auf den ersten Blick scheint die Entscheidung der Vergabekammer zwei unterschiedliche Lösungen für ein und dasselbe Problem zu bieten: die Standortwahl des Auftraggebers. Auf den zweiten Blick wird jedoch deutlich, dass durchaus zwei unterschiedliche Probleme angesprochen werden – nämlich die Wahl des allgemeinen Dienstsitzes und die Wahl des Ortes der Leistungserbringung.

Bezüglich des allgemeinen Dienstsitzes stellt die VK fest, dass der Auftraggeber diesen grundsätzlich frei bestimmen darf. Dies erscheint zunächst auch sachgerecht, da die Wahl des Dienstsitzes meistens unabhängig von einem Vergabeverfahren erfolgt und andere Zwecke, bspw. haushaltsrechtliche, verfolgt. Damit steht – wie die Vergabekammer zu Recht ausführt – aber auch fest, dass die Bestimmung des allgemeinen Dienstsitzes nicht in einem Nachprüfungsverfahren erfolgreich angegriffen werden kann.

Erst in der zweiten Stufe – nämlich bei der Frage, ob der Auftraggeber den Ort der Leistungserbringung festlegen darf – liegt eine von der Vergabekammer nachprüfbare Entscheidung des Auftraggebers vor. Die Vergaberechtskonformität dieser Entscheidung richtet sich nach den allgemeinen Grundsätzen des Leistungsbestimmungsrechts des Auftraggebers: es müssen nachvollziehbare, objektive und auftragsbezogene Gründe für die Festlegung sprechen und diese dürfen nicht diskriminierend wirken. Die Vergabekammer führt hierzu aus, dass das Abstellen auf die Fahrzeit zur Flugausbildung einen sachgerechten Grund darstelle, da die Fahrzeit als Dienstzeit einzuordnen sei. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht fernliegend, eine solche Umkreisvorgabe zu wählen. Allerdings fragt sich zumindest, warum der Auftraggeber und auch die Vergabekammer gerade eine Fahrzeit von 45 Minuten als sachgerecht erachtet haben. Der Auftraggeber hat hierzu vorgetragen, dass der Verlust an effektiver Dienstzeit von 1:30 Stunden pro Tag für ihn gerade noch hinnehmbar sei. Eine tiefergehende Begründung hierfür wurde soweit ersichtlich nicht geliefert. Diese ist jedoch auch nur dann notwendig, wenn die genannten Gründe weder objektiv nachvollziehbar noch plausibel erscheinen. Außerdem ist fraglich, ob der Auftraggeber für jede Festlegung zum Auftragsgegenstand eine entsprechende Begründung vorhalten und dokumentieren muss.

 

Praxistipp

Für den öffentlichen Auftraggeber bleibt es auch für die Festlegung des Ortes der Leistungserbringung bei dem allgemeinen Grundsatz, dass eine Festlegung nur durch das Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers gerechtfertigt ist. Nur dort, wo der Auftragsgegenstand es rechtfertigt, kann der Auftraggeber verlangen, dass der Auftragnehmer die Leistung an einem bestimmten Ort oder in einem Umkreis zu diesem erbringt.