Wann sind kommunale Wohnungsbaugesellschaften an das Vergaberecht gebunden? (OLG Rostock, Beschl. v. 02.10.2019 – 17 Verg 3/19)
In jüngerer Vergangenheit hatten sich einige Oberlandesgerichte mit der Frage auseinanderzusetzen, ob kommunale Wohnungsbaugesellschaften als öffentliche Auftraggeber einzuordnen sind und damit Vergaberecht beachten müssen. Das OLG Rostock kommt mit sehr ausführlicher und beinahe lehrbuchartiger Begründung zum Ergebnis, dass dies in der Regel der Fall sein dürfte.
§ 99 Nr. 2 GWB
Leitsatz
- Eine im Bereich des sozialen Wohnungsbaus tätige kommunale Wohnungsbaugesellschaft in der Rechtsform einer GmbH ist als öffentlicher Auftraggeber anzusehen.
- Die Unvereinbarkeit der Honorar-Mindestsätze der HOAI mit dem Europarecht stellt keinen Mangel dar, der die Fortführung des Vergabeverfahrens und die Vergabe des Auftrags selbst ausschließt.
Sachverhalt
Eine kommunale Wohnungsbaugesellschaft schrieb Planungsleistungen im Zuge eines nichtoffenen Wettbewerbs aus. Sie machte dieses Verfahren auch EU-weit bekannt. Ein unterlegenes Büro griff die vorgesehene Beauftragung mittels Nachprüfungsantrag vor der Vergabekammer an. Die Vergabekammer lehnte den Nachprüfungsantrag jedoch ab, weil sie die kommunale Wohnungsbaugesellschaft nicht als öffentlichen Auftraggeber im Sinne des GWB ansah. Nachdem die unterlegene Antragstellerin beim OLG Rostock Sofortige Beschwerde einlegte, hatte sich dieses mit dieser Frage intensiv zu beschäftigen.
Die Entscheidung
Im konkret zu entscheidenden Fall war die kommunale Wohnungsbaugesellschaft nach Auffassung des OLG Rostock aufgrund der Tätigkeit im Bereich des sozialen Wohnungsbaus als öffentlicher Auftraggeber im Sinne des § 99 Nr. 2 GWB anzusehen.
Unter Verweis auf die einschlägige Rechtsprechung des EuGH stellt das OLG dar, wann eine „im Allgemeininteresse liegende Aufgabe nichtgewerblicher Art“ im Sinne des § 99 Nr. 2 GWB vorliegt. In diesem Zusammenhang führt das Gericht in seiner Begründung aus, dass allein das Vorliegen eines wettbewerblichen Umfelds und eines entwickelten Marktes noch nicht ausschließt, dass eine vom Staat finanzierte oder kontrollierte Stelle sich von anderen als wirtschaftlichen Überlegungen leiten lässt. Nach Auffassung des Oberlandesgericht ist dabei unerheblich, ob die betreffende Gesellschaft – zumindest auch – mit Gewinnerzielungsabsicht handelt, da das Merkmal der Nichtgewerblichkeit auf die im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben bezogen sei und nicht etwa auf die Gesellschaft insgesamt.
Das OLG Rostock schließt sich dabei der sog. „Infizierungstheorie“ an: Sofern eine kommunale Tochtergesellschaft zumindest in Teilen im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art wahrnimmt, ist sie insgesamt als öffentlicher Auftraggeber anzusehen, auch wenn sie daneben (oder sogar hauptsächlich) wettbewerblich und mit Gewinnerzielungsabsicht agiert.
Rechtliche Würdigung
Die Entscheidung des OLG Rostock geht ausführlich auf die EuGH-Rechtsprechung ein und schließt sich im Ergebnis der Argumentation an, die 2016 in ähnlichem Kontext vom OLG Brandenburg vertreten wurde (Beschl. v. 06.12.2016, 6 Verg. 4/16, ) und wohl auch als herrschende Meinung in der einschlägigen Kommentarliteratur angesehen werden kann.
Das OLG geht in seiner Begründung auch auf die recht aktuelle Entscheidung des OLG Hamburg zu einer kommunalen Wohnungsbaugesellschaft der Freien und Hansestadt Hamburg (Beschluss vom 11.02.2019, 1 Verg 3/15, ) ein. Diesbezüglich betont das OLG Rostock – zurecht – den Einzelfallcharakter des Hamburger Falls.
Praxistipp
Kommunale Wohnungsbaugesellschaften, die zum Zweck der Förderung des sozialen Wohnungsbaus tätig sind, werden sich wohl nur äußerst schwer der Einordnung als öffentlicher Auftraggeber im Sinne des § 99 Nr. 2 GWB und damit der Anwendung des Vergaberechts entziehen können, auch wenn sie – teilweise – gewerblich auf dem freien Wohnungsmarkt agieren. In zahlreichen Bundesländern unterliegt die gewerbliche Tätigkeit einer kommunalen Tochtergesellschaft zudem Restriktionen des Gemeindewirtschaftsrechts, sodass eine solche Argumentation möglicherweise für private Konkurrenten Angriffsfläche bieten könnte und auch deshalb rechtlich riskant sein könnte.
Die Entscheidung kann und muss auch in Bezug auf andere kommunale Unternehmen beachtet werden. Zahlreiche dieser Gesellschaften sind aufgrund ihrer Historie zumindest teilweise zur Erfüllung im Allgemeininteresse liegender Aufgaben nichtgewerblicher Art tätig, obwohl sie im entwickelten Wettbewerb agieren. Damit machen sie sich zu öffentlichen Auftraggebern im Sinne des § 99 Nr. 2 GWB.