Wertung rein mündlich vorgetragener Angebotsbestandteile ohne Grundlage in Textform ist unzulässig (VK Rheinland, Beschl. v. 19.11.2019 – VK 40/19)

EntscheidungIn der Vergangenheit wurde insbesondere in Vergabeverfahren nach der Vergabeordnung für freiberufliche Dienstleistungen eine Beschränkung der Angebotswertung auf mündlich vorgetragene Präsentationsinhalte für vergaberechtlich zulässig erachtet (u.a. VK Sachsen, Beschl. v. 29.09.2016 – 1/SVK/021-16). Mit dem Inkrafttreten der Vergabeverordnung 2016 hat sich diese Rechtslage jedoch wesentlich geändert. Wie die Vergabekammer Rheinland nun zu Recht entschieden hat, ist ein Vorgehen, das eine Bewertung auf Basis der mündlichen Angaben im Präsentationstermin vorsieht, vergaberechtswidrig.

§ 9 Abs. 2 VgV, § 53 Abs. 1 VgV, § 97 Abs. 1 GWB

Leitsatz

  1. § 9 Abs. 2 VgV und § 53 Abs. 1 VgV gelten für alle Arten von Vergabeverfahren. Demgemäß müssen im Verhandlungsverfahren indikative und finale Angebote in Textform vorliegen. Dies umfasst auch Konzepte zur Auftragsdurchführung, die Gegenstand der Angebotsbewertung sind. Eine Angebotswertung allein auf der Grundlage mündlicher Ausführungen der Bieter in einem Präsentationstermin ist unzulässig. Solche Ausführungen dürfen nur ergänzend herangezogen werden.
  2. Es verstößt gegen das in § 97 Abs. 1 GWB verankerte Transparenzgebot, Bietern erst zu Beginn eines Präsentationstermins das Bewertungsverfahren mitzuteilen.

Sachverhalt

Der Antragsgegner schrieb mit EU-Auftragsbekanntmachung Leistungen des technischen Facility Managements im Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb aus. Neben dem Zuschlagskriterium Preis wurden auch qualitative Wertungskriterien festgesetzt.

Mit Abschluss des Teilnahmewettbewerbs forderte der Antragsgegner mehrere Bewerber, darunter auch die Antragstellerin zur Angebotsabgabe und zu einem Verhandlungsgespräch auf. Für den Verhandlungstermin sollten die Bieter einen Präsentationsausdruck vorbereiten.

Am Tag des Verhandlungsgesprächs übergab die Antragstellerin dem Antragsgegner ein als solches bezeichnetes „Angebotskonzept“. Das Angebotskonzept, das nicht Bestandteil des zuvor eingereichten Angebotes war, beinhaltete erstmals in dem Abschnitt „Projektpräsentation“ Gegenstände der qualitativen Zuschlagskriterien, auf die mittels Fotos, Schaubildern, Tabellen und Texten näher eingegangen wurde. Die Inhalte dieses Angebotskonzepts verwendete die Antragstellerin im Verhandlungsgespräch zugleich als Präsentationsfolien.

Nach finaler Angebotsaufforderung – schriftliche Ausführungen zu den qualitativen Zuschlagskriterien wurden erneut nicht gefordert – teilte der Antragsgegner der Antragstellerin mit Schreiben nach § 134 Abs. 1 GWB mit, dass er beabsichtige den Zuschlag auf ein anderes Angebot zu erteilen.

Die Angebotswertung der qualitativen Zuschlagskriterien erfolgte allein auf Grundlage der mündlichen Ausführungen der Bieter im Präsentationstermin. Der eingereichte Präsentationsvordruck bzw. das Angebotskonzept der Antragstellerin blieb bei der Bewertung unberücksichtigt und diente lediglich zur Unterstützung der wertenden Personen während der Verhandlungsgespräche. Dass allein die mündliche Präsentation für die Beurteilung der qualitativen Zuschlagskriterien herangezogen wurde, teilte der Antragsgegner den Bietern jedoch erst am Tag des Verhandlungsgespräches mit (unter den Parteien strittig). Dies hatte zur Folge, dass die Bieter noch während der Erstellung der geforderten Präsentationsausdrucks und der Vorbereitung ihrer mündlichen Präsentation darüber im Unklaren waren, auf welcher tatsächlichen Grundlage die Angebotswertung erfolgen sollte. In den Vergabeunterlagen wurde der wesentliche Ablauf des Vergabeverfahrens nicht dargestellt.

Daraufhin hat die Antragstellerin nach erfolgloser Rügeerhebung einen Nachprüfungsantrag gestellt mit dem hauptsächlichen Begehren, den Antragsgegner zu verpflichten, die Ausschreibung – hilfsweise die Auswertung der Angebote – unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer erneut durchzuführen.

Die Entscheidung

Mit Erfolg! Die Vergabekammer hat zum einen entschieden, dass es mit dem Vergaberecht unvereinbar sei, die Angebotswertung hinsichtlich qualitativer Zuschlagskriterien allein auf die mündliche Präsentation durch die Bieter zu stützen. Zum anderen liege ein Verstoß gegen den in § 97 Abs. 1 GWB niedergelegten Transparenzgrundsatz vor, wenn der Antragsgegner das von ihm bei der Angebotswertung im Hinblick auf die qualitativen Zuschlagskriterien beabsichtigte Verfahren den Bietern erst im jeweiligen Präsentationstermin mitteile.

Wertung rein mündlich vorgetragener Angebotsbestandteile ohne Grundlage in Textform ist unzulässig

Gemäß § 53 Abs. 1 VgV sind Angebote grundsätzlich in Textform nach § 126b BGB einzureichen. Ergänzend regelt § 9 Abs. 2 VgV die Kommunikation zwischen den Verfahrensbeteiligten. Danach kann die Kommunikation in einem Vergabeverfahren ausnahmsweise mündlich erfolgen, wenn sie nicht die Vergabeunterlagen, die Teilnahmeanträge, die Interessensbestätigungen oder die Angebote betrifft und wenn sie ausreichend und in geeigneter Weise dokumentiert wird. Die genannten Vorschriften betreffen als allgemeine Regelungen alle Arten von Vergabeverfahren und mithin auch das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb.

Aus § 9 Abs. 2 VgV und § 53 Abs. 1 VgV kann insofern abgeleitet werden, dass im Verhandlungsverfahren bereits das Erstangebot, aber auch alle weiteren Angebote einschließlich des finalen Angebots zwingend in Textform vorliegen müssen; ein rein mündlicher Vortrag des Angebotsinhalts genügt nicht.

Grundlage der Angebotsbewertung ist das in Textform eingereichte finale Angebot. Es wird daran gemessen, ob und inwieweit das Angebot die vorgegebenen Zuschlagskriterien erfüllt, vgl. § 127 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GWB. Bestandteil dieses Angebots sind dementsprechend nicht nur die Elemente des abzuschließenden zivilrechtlichen Vertrags, sondern auch etwaige Konzepte zur Auftragsdurchführung, die Gegenstand der qualitativen Angebotsbewertung sind. Derartige Konzepte müssen dem öffentlichen Auftraggeber daher ebenfalls in Textform vorliegen.

Bringen die Bieter ihre Konzepte lediglich als Vordruck zu den stattfindenden Verhandlungsgesprächen mit und werden diese nicht Bestandteil der einzureichenden finalen Angebote, stellt dies keine formgerechte Angebotsabgabe dar. Die Angebotswertung aufgrund einer ausschließlich mündlich vorgetragenen Präsentation ohne Basis in Textform ist als vergaberechtswidrige mündliche Kommunikation über das Angebot anzusehen. Ferner ist die Bewertung der Angebote hinsichtlich einzelner Zuschlagskriterien allein auf mündliche Darlegungen der Bieter in einem Präsentationstermin zu stützen, unzulässig. Hierdurch soll verhindert werden, dass ein Bieter in seinem Angebot Angaben macht, die zwar bei der Zuschlagsentscheidung zu seinen Gunsten berücksichtigt werden, an die er sich im Falle einer Zuschlagserteilung an ihn bei der Auftragsdurchführung aber nicht mehr hält. Eine solche vertragliche Absicherung ist aber kaum möglich, wenn es wie im vorliegenden Fall sogar an einer Dokumentation der allein bewertungsrelevanten mündlichen Präsentationsinhalte fehlt.

Es verstößt gegen das Transparenzgebot, Bietern erst zu Beginn eines Präsentationstermins das Bewertungsverfahren mitzuteilen

Wesentliche Abläufe des Vergabeverfahrens müssen den Bietern rechtzeitig mitgeteilt werden. Andernfalls liegt ein Verstoß gegen den in § 97 Abs. 1 GWB niedergelegten Transparenzgrundsatz vor. Dass der Antragsgegner das von ihm bei der Bewertung der Angebote im Hinblick auf die qualitativen Zuschlagskriterien beabsichtigte Verfahren den Bietern erst im jeweiligen Verhandlungstermin mitgeteilt hat, begründet einen solchen Vergaberechtsverstoß.

Bieter müssen sich, um erfolgreich an Vergabeverfahren teilnehmen zu können, auf die Bedingungen des jeweiligen Verfahrens frühzeitig einstellen können. Ein öffentlicher Auftraggeber muss den Bietern daher die von ihm geplanten wesentlichen Abläufe des Vergabeverfahrens rechtzeitig mitteilen.

Wenn auch nicht jede erforderliche Information in zweistufigen Vergabeverfahren bereits in den gem. § 41 Abs. 1 VgV schon mit der Auftragsbekanntmachung bereitzustellenden Vergabeunterlagen enthalten sein muss, war es im gegenständlichen Streitfall doch mit dem ex-ante-Transparenzgebot nicht vereinbar, die Bieter noch während der Erstellung des geforderten Präsentationsausdrucks und der Vorbereitung ihrer mündlichen Präsentation darüber im Unklaren zu lassen, auf welcher tatsächlichen Grundlage die Angebotswertung erfolgen sollte.

Rechtliche Würdigung

Mit überzeugenden Argumenten und im Einklang an die hierzu seit der Vergaberechtsreform bislang ergangene Rechtsprechung (VK Südbayern, Beschl. v. 02.04.2019 – Z3-3-3194-1-43-11/18) lehnt die Vergabekammer eine Angebotswertungsmethode ab, die allein auf mündlichen Auskünften erfolgt.

Die Angebotswertung aufgrund einer ausschließlich mündlich vorgetragenen Präsentation ohne Basis in Textform ist gem. § 9 Abs. 2 VgV als unzulässige mündliche Kommunikation über das Angebot anzusehen. Darüber hinaus gehören die Angaben des Bieters zur Bewertung nichtpreislicher Zuschlagskriterien zum Angebot in vergaberechtlicher Hinsicht nach § 53 Abs. 1 VgV. Daher sind Konzepte, die Aspekte qualitativer Zuschlagskriterien betreffen, stets in Textform nach § 126b BGB einzureichen.

Um dem Grundsatz der Gleichbehandlung gebührend Rechnung zu tragen, sollten zudem die maßgeblichen Inhalte eines Angebots, also auch die einzureichenden Konzepte oder etwaige Bieterpräsentationen, von den Bietern bereits im Zeitpunkt der Angebotsabgabe gefordert werden.

Praxistipp

Gemäß § 17 Abs. 10 VgV verhandelt der öffentliche Auftraggeber – vorbehaltlich der in § 17 Abs. 11 VgV normierten Ausnahme – mit den Bietern über die von ihnen eingereichten Erstangebote und alle Folgeangebote mit dem Ziel, die Angebote inhaltlich zu verbessern. Ohne Frage ist daher die mündliche Kommunikation in einem Vergabeverfahren, insbesondere im Verhandlungsverfahren, zulässig.

Gleichwohl darf – unabhängig von der Dokumentationspflicht – die mündliche Kommunikation den Angebotsinhalt lediglich beeinflussen, nicht aber selbst zum Bestandteil der Angebote werden. Führen mündliche Verhandlungen zu Änderungen bisheriger Angebotsinhalte, ist zwingend die Einreichung eines neuen Angebots in Textform erforderlich. Dies gilt insbesondere in Bezug auf die Zuschlagsentscheidung auf die finalen Angebote.