Gesetz zur beschleunigten Beschaffung im Bereich Verteidigung und Sicherheit verabschiedet
Nach dem Bundestag (siehe ) hat nun auch der Bundesrat dem Gesetzentwurf der Bundesregierung „zur beschleunigten Beschaffung im Bereich der Verteidigung und Sicherheit und zur Optimierung der Vergabestatistik“ zugestimmt. Es dürfte nun kurzfristig ratifiziert und verkündet werden. Wesentliche Ziele sind die vereinfachte Beschaffung von Schlüsseltechnologien und eine Beschleunigung von Vergabeverfahren in dringenden Fällen.
Die Bundesregierung löst ein weiteres Versprechen aus ihrem Koalitionsvertrag ein. Im Kapitel „Moderne Bundeswehr“ heißt es dort auf S. 159:
„Um den Bedarf für Einsätze bzw. einsatzgleiche Verpflichtungen schneller decken zu können, werden wir Auslegungshilfen für den Verzicht auf den EU-weiten Teilnahmewettbewerb (§ 12 Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit) zur Verfügung stellen. Zum Erhalt nationaler Souveränität bei Schlüsseltechnologien werden wir bestehende vergaberechtliche Spielräume konsequenter nutzen, Auslegungshilfen zur Verfügung stellen und prüfen, inwieweit der Ausnahmetatbestand des Art. 346 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union in der Beschaffungspraxis stärker herangezogen werden kann. Wir werden darüber hinaus notwendige gesetzliche Anpassungen vornehmen.“
Nachdem sich lange wenig zu bewegen schien, ging zuletzt alles ganz schnell: Das federführende Wirtschaftsministerium hatte hierzu am 29.08.2019 einen Referentenentwurf zur Anpassung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und der Verordnung über die Vergabe von VS-Aufträgen (VSVgV) vorgelegt und dem Bundesrat am 08.11.2019 als „besonders eilbedürftig“ zugeleitet. Dieser erhob keine Einwendungen, woraufhin der Bundestag den Regierungsentwurf am 30.01.2020 annahm. Der erneut zu beteiligende Bundesrat stimmte dem Gesetz am 14.02.2020 ebenfalls zu. Damit ist der Weg für eine Ratifizierung und ein kurzfristiges Inkrafttreten des Gesetzes frei.
Vereinfachte Beschaffung von Schlüsseltechnologien
Was sind die wesentlichen Inhalte des neuen Gesetzes?
Die erste Änderung betrifft die Vergabe von Aufträgen über verteidigungs- und sicherheitsindustrielle Schlüsseltechnologien.
Nach der bisherigen Regelung des § 107 Abs. 2 GWB gelten die vergaberechtlichen Bestimmungen in zwei Fällen nicht: Das betrifft zum einen Beschaffungen, bei denen ein Vergabeverfahren den öffentlichen Auftraggeber zur ungewollten Preisgabe sicherheitsrelevanter Informationen zwingen würde. Zum anderen sind Aufträge über Waffen, Munition und Kriegsmaterial ausgenommen, sofern dies zur Wahrung der wesentlichen Sicherheitsinteressen erforderlich ist.
Diese Möglichkeiten zur Auftragsvergabe ohne Vergabeverfahren wurden nun mit Blick auf die Beschaffung verteidigungs- und sicherheitsindustrieller Schlüsseltechnologien erweitert:
Danach können wesentliche Sicherheitsinteressen in den beiden vorgenannten Fällen insbesondere berührt sein, wenn der öffentliche Auftrag verteidigungsindustrielle Schlüsseltechnologien betrifft. Die Preisgabe wesentlicher Sicherheitsinteressen bei Durchführung eines Vergabeverfahrens kann außerdem auch sicherheitsindustrielle Schlüsseltechnologien betreffen oder Fälle, die entweder Verschlüsselungstechnik oder Leistungen für den Grenzschutz, die Terrorismus-/Kriminalitätsbekämpfung oder verdeckte Tätigkeiten betreffen, soweit ein besonders hohes Maß an Vertraulichkeit erforderlich ist.
Soweit es die Beschaffung von Schlüsseltechnologien betrifft, ist das neue Gesetz in engem Zusammenhang mit dem von der Bundesregierung am 12.02.2020 beschlossenen neuen „Strategiepapier zur Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie“ zu sehen. Dieses von BMVI, BMVg, BMI, AA und BMBF gemeinsam erarbeitete Dokument ersetzt die bisherigen Strategiepapiere zur Verteidigungsindustrie aus dem Jahr 2015 und zur zivilen Sicherheitsindustrie aus dem Jahr 2016. Dabei wurde auch die Liste verteidigungs- und sicherheitsindustrieller Schlüsseltechnologien erweitert. Neben dem Überwasserschiffbau der Marine wurden nun auch die elektronische Kampfführung (EloKa), sicherheitsrelevante IT- und Kommunikationsanlagen und Lösungen unter Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) zu nationalen Schlüsseltechnologien erklärt.
Letztlich wurde der Anwendungsbereich des § 107 Abs. 2 GWB damit doppelt erweitert: Erstens wurde die Gruppe verteidigungs- und sicherheitsindustrieller Schlüsseltechnologien erweitert und zweitens die Möglichkeit geschaffen, diese deutlich einfacher, nämlich unter Ausschluss des Vergaberechts zu beschaffen.
Beschleunigte Vergabeverfahren bei Dringlichkeit
Die zweite Änderung betrifft die Dauer und Formstrenge von Vergabeverfahren.
Nach dem schon bislang geltenden § 12 Abs. 1 Nr. 1 b) aa) VSVgV dürfen öffentliche Aufträge in einem Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb vergeben werden, wenn wegen dringlicher Gründe im Zusammenhang mit einer Krise selbst die Fristen eines beschleunigten Verfahrens nicht einzuhalten sind. Die Neuregelung nennt nun Regelfälle, in denen dieses abgekürzte Verfahren möglich sein soll, und zwar,
„wenn
1. mandatierte Auslandseinsätze oder einsatzgleiche Verpflichtungen der Bundeswehr,
2. friedenssichernde Maßnahmen,
3. die Abwehr terroristischer Angriffe oder
4. eingetretene oder unmittelbar drohende Großschadenslagenkurzfristig neue Beschaffungen erfordern oder bestehende Beschaffungsbedarfe steigern“
Da es sich insoweit um Ausnahmetatbestände handelt, gilt auch hier: Die Regelungen sind eng auszulegen und im Zweifel trägt der öffentliche Auftraggeber die Beweislast für die Zulässigkeit eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb (Vgl. EuGH, Urteil vom 10.04.2003, Rs. C-20/01 und Rs. C-28/01).
Schnellere Nachprüfungsverfahren
Schließlich sollen auch Vergabenachprüfungsverfahren deutlich beschleunigt werden. Denn während die Vergabekammer innerhalb von fünf Wochen über einen Nachprüfungsantrag entscheiden muss, gilt der Beschleunigungsgrundsatz des § 167 Abs. 1 GWB in der Berufungsinstanz nicht. Die Folge: Verfahren vor den Vergabesenaten der Oberlandesgerichte können sich leicht über 6 bis 12 Monate hinziehen. Solange bleibt der Auftrag in der Schwebe. Zeit, die der Beschaffer in dringenden Fällen nicht hat.
Stellt der öffentliche Auftraggeber vor der Vergabekammer oder dem Vergabesenat einen Eilantrag auf Vorabgestattung des Zuschlags (§§ 169 Abs. 2, 176 Abs. 1 GWB), wägt das Gericht das Beschleunigungsinteresse des öffentlichen Auftraggebers gegen das Interesse des klagenden Bieters ab. Die neuen Regeln legen nun fest, dass das Interesse des Auftraggebers „in der Regel überwiegen“ soll, wenn der Auftrag im unmittelbaren Zusammenhang steht mit
„1. einer Krise,
2. einem mandatierten Einsatz der Bundeswehr,
3. einer einsatzgleichen Verpflichtung der Bundeswehr oder
4. einer Bündnisverpflichtung.“
Dasselbe gilt künftig im Rahmen der Entscheidung des Vergabesenats über die Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde gegen eine Entscheidung der Vergabekammer (§ 173 Abs. 2 GWB). Die „Blockade“ der Auftragserteilung durch ein langwieriges Nachprüfungsverfahren wird damit erschwert.
Schließlich betrifft das neue Gesetz eine Reihe von Änderungen in Bezug auf die Vergabestatistikverordnung, die hier ausgeklammert werden.
Fazit
Das Gesetzgebungsverfahren beweist: Wenn es darauf ankommt, kann der Gesetzgeber schnell handeln. Zwischen der Vorlage des Regierungsentwurfs und der Verabschiedung des Gesetzes lagen etwas mehr als fünf Monate. Mit den neuen Regelungen, das ist unbestreitbar, werden die Vorgaben an Beschaffungen im VS-Bereich weiter gelockert. Im Falle dringlicher Gründe können sie zudem nochmals beschleunigt werden.
Wie häufig wirft aber auch dieses Gesetz noch einige Fragen auf:
Ungeklärt ist etwa noch, ob bei einer Beschaffung nationaler Schlüsseltechnologien ohne Anwendung des EU-Vergaberechts nicht wenigstens ein innerstaatlicher Wettbewerb durchgeführt werden muss. Dies wird man mit Blick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, den der EUGH (Urteil vom 04.09.2014, Rs- C‑474/12) gerade im Zusammenhang mit Art. 346 Abs. 1 AEUV (bzw. Art. 296 EGV a.F.) besonders hervorgehoben hat, zumindest in den Fällen fordern müssen, in denen mehr als ein nationaler Anbieter die betreffende Schlüsseltechnologie liefern könnte.
Offen ist zudem, wie in diesen Fällen der Rechtsschutz ausgestaltet werden soll. Denn bei einer Beschaffung außerhalb des Anwendungsbereichs des EU-Vergaberechts ist unterlegenen Bietern der Weg zu den Vergabenachprüfungsinstanzen versperrt. Gerade in bedeutenden und großvolumigen Beschaffungsvorhaben wie dem MKS180 (5,3 Mrd. Euro), an dem sich der Streit um die Durchführung eines EU-weiten Vergabeverfahrens erst entzündet hat, erscheint es kaum denkbar, Bietern den vergaberechtlichen Primärrechtsschutz vollständig zu entziehen.
Schließlich offenbart das Strategiepapier der Bundesregierung auch in Bezug auf die Definition der einzelnen Schlüsseltechnologien einige Unschärfen: Begriffe wie „Schutz“, „Künstliche Intelligenz“ oder „Flugkörper“ (Drohnen?) sind nicht selbsterklärend und umfassen zunächst eine Vielzahl denkbarer Lösungen und Technologien. Unklar bleibt auch, wie mit Zusatzausrüstung zu verfahren ist, die selbst nicht unter eine der genannten Schlüsseltechnologien fällt, ihr aber unmittelbar „dient“.
Fazit: Ein erster Schritt zur Flexibilisierung des Vergaberechts für Krisenfälle ist getan, nun wird sich das Gesetz auch im vergaberechtlichen Krisenfall bewähren müssen.