Konkurrenzstreitigkeiten bei Konzessionsvergaben für Sportwetten – auch ohne Kontingentierung? (VG Darmstadt, Beschl. v. 01.04.2020 – 3 L 446/20.DA)

EntscheidungWenn der Staat nur etwas begrenzt verteilen kann, kommt es regelmäßig zu „Konkurrenzsituationen“ (vgl. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 1). So auch in der Vergangenheit für Sportwettenkonzessionen. Diese waren nach der bisherigen Rechtslage auf 20 kontingentiert. Das Glücksspielkollegium erhoffte sich davon, den Markt zu kanalisieren, ihn aber nicht weiter ausweiten zu lassen (vgl. etwa Erläuterungen zum 2. Glückspielstaatsvertrag Bayrischer Landtag Drucks. 16/11995, S. 18). Vor diesem Hintergrund haben sich die Beteiligten auch darum gestritten, wer Anspruch hierauf hat und wer nicht (vgl. VGH Kassel, Beschl. v. 16.10.2015 – 8 B 1028/15). Nun ist die Kontingentierung der Sportwettenkonzessionen für die Dauer der sog. Experimentierphase (vgl. § 10a GlüStV) durch den dritten Glückspielstaatsvertrag aufgehoben (vgl. zu den Änderungen Lüder, NVwZ 2020, 190). Streit gibt es dennoch. So musste erst kürzlich das VG Darmstadt (Beschl. v. 1.4.2020 – 3 L 446/20.DA, siehe ) über einen Eilantrag eines österreichischen Anbieters nach den neuen Regelungen des Glückspielstaatsvertrags (vgl. juris Rn. 31) entscheiden, der die Konzessionsvergabe trotz der mittlerweile aufgehobenen Kontingentierung beanstandete. Der Beitrag geht auf den teilweise stattgebenden Beschluss näher ein.

GlüStV § 4a Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3, § 4b Abs. 1 S. 1, S. 2, § 4c Abs. 3

Amtliche Leitsätze

  1. Ein am deutschen Markt ernsthaft interessierter Sportwettenanbieter, der das aktuell praktizierte Vergabeverfahren für rechtswidrig hält, ist nicht gezwungen, sich an diesem Verfahren zu beteiligen, um dessen Fehlerhaftigkeit im Rahmen eines gerichtlichen Eilverfahrens rügen zu können.
  2. Es ist keine für eine positive Entscheidung im Eilverfahren hinreichenden Gründe ersichtlich, dass Sportwetten nur in einem förmlichen Vergabeverfahren gemäß der RL 2014/23/EU und dem Vierten Teil des GWB erteilt werden dürfen.
  3. Ein Notifizierungsmangel, der die Anwendung des Glücksspielstaatsvertrages in seiner ab 01.01.2020 geltenden Fassung ausschließen würde, liegt nicht vor.
  4. Das aktuelle Vergabeverfahren entspricht in seiner praktizierten Form nicht der Vorgabe des § 4b Abs. 1 GlüStV, Konzessionen nach Durchführung eines transparenten, diskriminierungsfreien Verfahrens zu erteilen.
  5. Der in § 4b Abs. 1 Satz 1 GlüStV vorgesehene Aufruf zur Bewerbung und die nach § 4b Abs. 1 Satz 2 GlüStV erforderliche Bekanntmachung müssen eindeutig sein und alle relevanten Bewerbungsanforderungen erkennen lassen.
  6. Ein diskriminierungsfreies Vergabeverfahren im Sinne von § 4b Abs. 1 GlüStV setzt grundsätzlich einen einheitlichen und klaren Bewerbungsstart für alle, eine sachgerechte Frist zur Vorlage der vollständigen Bewerbung und eine gleichzeitige Konzessionserteilung jedenfalls an die Bewerber voraus, die sich fristgerecht nach Aufruf und Bekanntmachung gemeldet haben.
  7. Da § 4c Abs. 3 GlüStV für die Höhe der Sicherheitsleistung kein Abweichen nach unten vorsieht, ist es nicht diskriminierungsfrei, einzelne Anbieter auf die Stellung eines Ermäßigungsantrages zu verweisen, über den dann entschieden werde.
  8. Die Mitwirkung des – ohnehin verfassungswidrigen – Glücksspielkollegiums an der Konzessionserteilung nach § 9a Abs. 5 bis 8 GlüStV und die Bindungswirkung von dessen Beschlüssen, deren Zustandekommen nicht nachvollziehbar ist, machen das Vergabeverfahren intransparent.

Sachverhalt

Die Antragstellerin veranstaltet und vertreibt Sportwetten – stationär und über das Internet. Ihr Sitz ist in Österreich. Sie will auch einen Marktanteil in Deutschland. Das zuständige Regierungspräsidium Darmstadt informiert im Sommer 2019 die am Markt bekannten Sportwettanbieter über das neue Konzessionsverfahren. Es lädt sie zu einer Informationsveranstaltung im August 2019 ein. Informationen veröffentlicht es diesbezüglich auch auf seiner Internetseite. Die Antragstellerin erkundigt sich beim Regierungspräsidium nach Einzelheiten des Konzessionsverfahrens. Sie bekundet ihr Interesse insbesondere am stationären Sportwettenvertrieb über Wett-Terminals (vgl. juris Rn. 1). Sie reicht jedoch keine eigene Bewerbung ein (vgl. juris Rn. 18 ff.), rügt der Sache nach allerdings offenbar, das Konzessionsverfahren als nicht rechtmäßig (vgl. juris Rn. 20). Anschließend ersucht sie vor dem VG Darmstadt um einstweiligen Rechtsschutz. In erster Linie ist sie der Auffassung, dass das Regierungspräsidium nicht befugt sei, die betreffenden Konzessionen außerhalb des EU-Vergaberechts zu vergeben. Außerdem sei das bisherige Verfahren nicht transparent und diskriminierungsfrei verlaufen.

Die Entscheidung

Das Gericht gibt dem Eilantrag teilweise statt. Es sieht zwar nicht, dass das Regierungspräsidium in der Pflicht ist, die streitigen Konzessionen nur nach dem strengen EU-Vergaberecht zu vergeben. Es gibt ihm allerdings im Wege der einstweiligen Anordnung auf, keine Konzessionen für Sportwetten an teilnehmende Bewerber vorläufig aufgrund des aktuell stattfindenden Konzessionsverfahrens zu vergeben, bis es ein transparentes und diskriminierungsfreies Verfahren nachgeholt hat. Daran fehle es nämlich vorliegend. Dabei geht der insoweit stattgebende Beschluss neben den besonderen Fragen zur Glückspielkonzessionsvergabe (hierzu Braun, NZBau 2016, 266) auch auf viele Einzelprobleme ein, die für das (allgemeine) Vergabeverwaltungsprozessrecht (hierzu Bühs, DVBl. 2017, 1525) von Interesse sind. Daher auch die nachfolgenden neun Anmerkungen:

1. Keine Anwendbarkeit des strengen EU-Vergaberechts

Das Gericht folgt nicht der Rechtsauffassung der Antragstellerin (vgl. juris Rn. 23 ff.), wonach die Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 1 RL 2014/23/EU hier vorlägen. Es weist den Antrag insoweit zurück.

Nach Auffassung der Kammer sei zweifelhaft, ob eine „Beschaffung“ im Sinne der betreffenden Vorschrift anzunehmen sei. Dies gelte insbesondere mit Blick auf die inzwischen nicht mehr bestehende Kontingentierung (vgl. juris Rn. 25). Hierzu muss man wissen, dass das OLG Hamburg (vgl. Beschl. v. 1.11.2017 – 1 Verg 2/17) in einer umstrittenen Entscheidung (zustimmend von Donat/Plauth, VergabeR 2018, 42 mit Kritik Siegel, NZBau 2019, 352, 353) für Spielbanken Gegenteiliges angenommen hatte. Damit musste sich das Gericht auch nicht mit der umstrittenen Frage beschäftigen, ob es den Antrag an die zuständige Vergabekammer nach § 17a Abs. 2 GVG analog verweisen kann (mit Argumenten dafür Bühs, VergabeR 2020, 29), oder es diesen insoweit nur unter Hinweis auf seine fehlende Zuständigkeit zurückweisen kann (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 12.6.2019 – 13 ME 164/19, juris Rn. 9 ff. mwN).

Vor diesem Hintergrund ist auch nicht ganz verständlich, warum die Antragstellerin mit ihrem Hauptantrag begehrte, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dass er die streitige Konzession nur unter Beachtung des strengen EU-Vergaberechts vergeben darf und nur hilfsweise beantragte, die Sache an die  zuständige Vergabekammer zu verweisen (vgl. juris Rn. 3). Denn: Soweit das Verwaltungsgericht die Voraussetzungen des GWB-Vergaberechts als erfüllt angesehen hätte, hätte für das Gericht ohnehin nur die Möglichkeit bestanden, den Antrag mangels Rechtswegzuständigkeit zurückzuweisen, oder eben nach § 17a Abs. 2 GVG analog an die zuständige Vergabekammer zu verweisen (vgl. hierzu auch OVG Münster Beschl. v. 8.6.2017 – 4 B 307/17, juris Rn. 77).

2. Sicherheitsanordnung als statthafte Antragsart

Das Gericht prüft für den Hilfsantrag eine Sicherheitsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO (vgl. juris Rn. 17). In der Vergangenheit war für die Sportwettenkonzessionsvergabe noch nicht vollständig geklärt, ob der voraussichtlich nicht zum Zuge kommene Bewerber gegen seine Nichtberücksichtigung einen Antrag nach § 123 VwGO stellen kann, oder ihm auch zuzumuten ist, gegen seine Konkurrenten jeweils ein Verfahren nach den §§ 80 Abs. 5, 80a VwGO zu betreiben (mit guten Argumenten dagegen VGH Kassel, Beschl. v. 16.10.2015 – 8 B 1028/15 –, juris Rn. 20).

Die Frage nach der statthaften Antragsart kann zudem dann kompliziert werden, soweit der Konzessionsgeber eine sog. Negativmitteilung an denjenigen verschickt, der keine Konzession erhalten soll. Dann stellt sich weiter die Frage, ob es sich hierbei um einen Verwaltungsakt handelt, und deshalb ein Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO (ggf. analog) statthaft ist, soweit der nicht vorgesehene Bewerber/Bieter hiergegen Widerspruch bzw. Klage einlegt (so für Rettungsdienstvergaben VGH München, Beschl. v. 15.11.2018 – 21 CE 18.854, aA VG Berlin, Urt. v. 21.10.2016 – 4 K 2/16 –, BeckRS 2016, 53983; VG Dresden, Beschl. v. 14.8.2019 – 4 L 416/19, juris Rn. 30).

3. Keine eigene Bewerbung erforderlich

Bewerberfreundlich ist die Entscheidung des Verwaltungsgerichts insbesondere dahingehend, dass das Gericht der Antragstellerin zubilligt, Fehler im Konzessionsvergabeverfahren zu rügen, für das sie zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch überhaupt keine Bewerbung abgegeben hatte (vgl. juris Rn. 19). Ausreichend ist für die Kammer insoweit, dass sich die Antragstellerin keinem widersprüchlichen Verhalten in der Form ausgesetzt sehen will, dass sie sich einerseits an einem Vergabeverfahren beteiligt, dass sie jedoch andererseits selbst für fehlerhaft hält. Dabei dürfte es zwar nach der Spruchpraxis der Nachprüfungsinstanzen, auf die sich die Kammer ausdrücklich bezieht (vgl. juris Rn. 19), ausnahmsweise möglich sein, dass auch diejenigen als potentielle Auftragnehmer zu betrachten sind, die keinen Teilnahmeantrag bzw., Angebot fristgerecht eingereicht haben.

Diese Voraussetzungen sind jedoch beachtlich (vgl. Gabriel/Mertens in BeckOK VergabeR, 14. Ed. 31.7.2018, GWB § 160 Rn. 59 mwN). Außerdem galt bislang diesbezüglich für das verwaltungsgerichtliche Verfahren, dass derjenige, der keine Bewerbung eingereicht hat, auch die Rechte eines Bewerbers nach § 4b Abs. 1 GlüStV nicht geltend machen kann, weil er ja gerade eben noch nicht zum Kreis der Bewerber zählt (vgl. VG Berlin, Beschl. v. 3.11.2015 – 23 L 397.15, juris Rn. 15 mwN). Diese Sichtweise hält das Verwaltungsgericht jedoch wohl für zu streng (vgl. juris Rn. 19 „den effektiven Rechtsschutz behindernde Förmelei“).

Das offenbar von der Antragstellerin diesbezüglich als „illustrativ“ „beschrieben[e]“ „Dilemma“ (vgl. juris Rn. 19) ließe sich jedoch auch insoweit lösen, als dass sie eine Bewerbung unter Hinweis darauf abgibt, dass sie das derzeitige Konzessionsvergabeverfahren für fehlerhaft hält. Eine solche Verfahrensweise dürfte für die Nachprüfungsinstanzen auch üblich sein, weil ja gerade grundsätzlich nur derjenige im Sinne von § 160 GWB antragsbefugt ist, der vor Stellung des Nachprüfungsantrags am Vergabeverfahren teilgenommen und einen Vergabeverstoß ordnungsgemäß gerügt hat (vgl. Nowak in Pünder/Schellenberg, VergabeR, 3. Aufl., 2019, § 169 Rn. 34 mwN). Dies hätte hier außerdem den Vorteil, dass das Verwaltungsgericht gleichzeitig zumindest summarisch prüfen kann, ob der Antragsteller auch die nötigen Voraussetzungen erfüllt, um überhaupt in den Genuss einer Konzession zu kommen (vgl. insbesondere § 4a Abs. 4 GlüStV). Ist dies nämlich nicht der Fall, ist auch kein Grund ersichtlich, warum dieser dann ein schutzwürdiges Interesse daran haben sollte, ein Konzessionsverfahren vorläufig zu stoppen. So dürfte nämlich § 4b GlüStV nicht ein Recht desjenigen enthalten, der nur die Abwehr der Begünstigung eines Konkurrenten verhindern nicht aber die eigene Begünstigung erreichen kann, weil er es nicht schafft, darzulegen, dass er die nötigen Voraussetzungen auf eine Konzessionserteilung überhaupt erfüllt (vgl. auch insoweit den zurückweisenden Kammerbeschluss des VG Darmstadt, v. 12.3.2020 – 3 L 260/20.DA, juris Rn. 5).

4. Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen

Auch ist die Entscheidung des Gerichts insoweit bewerberfreundlich, indem sie den Rechtsschutzantrag nicht an § 44a VwGO scheitern lässt (ohne dies näher zu begründen). Danach lassen sich Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelf geltend machen. Die Vorschrift ist auch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nach § 123 VwGO, anzuwenden, weil sich im Eilverfahren kein weitergehender Rechtsschutz als im Klageverfahren erreichen lässt (vgl. VG Berlin, Beschl. v. 13.10.2016 – 4 L 291.16 –, juris Rn. 15 mwN). Für das Vergabeverwaltungsrecht galt vor diesem Hintergrund bislang auch, dass die nicht für den Zuschlag/Konzession vorgesehenen potenziellen Bewerber bzw. Bieter einzelne Verfahrensschritte – anders als im strengen EU-Vergaberecht – nur im Zusammenhang der jeweiligen Sachentscheidung, d.h., der Konzessionserteilung/versagung angreifen können (siehe für Spielbanken VG Berlin Beschl. v. 3.11.2015 – 23 L 397.15, juris Rn. 9 mwN und für Rettungsdienstvergaben VG Mainz, Beschl. v. 21.5.2019 – 1 L 153/19.MZ, nv).

Ausnahmsweise lässt sich hiervon dann absehen, soweit der jeweilige Antragsteller hinreichend glaubhaft macht, dass bereits eine Zwischenentscheidung vorliegt, die es aufgrund des effektiven Rechtsschutzes rechtfertigt, seinen Antrag bereits in der Sache zu prüfen (siehe hierzu VGH Kassel, Beschl. v. 11.3.2014 – 8 B 72/14, juris Rn. 33 sowie VG Berlin, Beschl. v. 13.10.2016 – 4 L 291.16, juris Rn. 15 mwN). Insoweit unterscheidet sich das Vergabeverwaltungsrecht auch „wesentlich“ vom strengen EU-Vergaberecht dadurch, dass aufgrund der im GWB vorgesehenen Präklusionswirkung (vgl. § 160 Abs. 3 GWB) nicht bis zur angekündigten Zuschlagsentscheidung abzuwarten ist (vgl. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 266, ferner: Saurer, Der Einzelne im europäischen Verwaltungsrecht, 2014, S. 354).

5. Kein vorheriger Antrag bei der Behörde

Pragmatisch ist die Entscheidung des Gerichts insoweit, als dass sie nicht zwingend verlangt, dass vor einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren ein vorheriger Antrag bei der Behörde zu stellen ist (vgl. juris Rn. 20); zumal die Antragstellerin vor ihrem einstweiligen Rechtsschutzgesuch offenbar der Sache nach eine Rüge im Sinne von § 160 Abs. 3 GWB erhoben haben soll (vgl. juris Rn. 20). Von Bedeutung dürfte die Forderung einer vorherigen Antragstellung nämlich für das Vergabeverwaltungsrecht regelmäßig nur dann sein, soweit die Behörde auf das einstweilige Rechtsschutzersuchen vor einer Antragstellung bei ihr hin abhilft, und sich dann die Frage stellt, wer die Kosten des Verfahrens zu tragen hat, was dann regelmäßig der Antragsteller sein dürfte (vgl. hierzu Funke-Kaiser in Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 7. Aufl. 2018, § 123 Rn. 46).

Soweit die Behörde hingegen an ihrer Auffassung festhält und das Gericht allein aufgrund des fehlenden vorherigen Antrags das Rechtsschutzgesuch zurückweist, dürfte unmittelbar daran ein neuer Antrag beim Gericht nicht mehr wegen des fehlenden behördlichen Antrags scheitern. Denn dann dürfte die Einlassung der Behörde im Rahmen des vorherigen gerichtlichen Verfahrens wiederum grundsätzlich ausreichen, um von einer formalen Antragstellung bei der Behörde abzusehen. Denn spätestens dann dürfte nämlich das für § 123 VwGO nötige, „streitige Rechtsverhältnis“ vorliegen, das wesentlicher Grund für die Forderung der vorherigen Antragstellung bei der Behörde ist (vgl. hierzu Schoch in Schoch/Schneider/Bier, 37. EL Juli 2019, VwGO § 123 Rn. 121bc).

6. Anordnungsgrund

Bezüglich der notwenigen Eilbedürftigkeit lässt es das Verwaltungsgericht ausreichen, dass die erfolgreichen Bewerber im Falle einer Konzessionsvergabe schon loslegen könnten und hiermit für den nicht zum Zuge kommenden Bewerber „erhebliche (Wettbewerbs) Nachteile“ entstehen würden. Dies auch mit Blick auf die gegenwärtige Corona-Pandemie (vgl. juris Rn. 21). Die erfolgreichen Bewerber könnten sich nämlich für die Dauer eines ggf. noch zu entscheidenden Hauptsacheverfahrens schon am Markt etablieren. Diese Linie hatte in der Vergangenheit bereits der VGH Kassel (vgl. Beschl. v. 16.10.2015 – 8 B 1028/15 –, juris Rn. 27) vertreten; dies insbesondere unter Hinweis darauf, dass es nicht ausreichend ist, dass sich eine ggf. fehlerhaft erteilte Genehmigung wieder zurücknehmen lässt. Eine solche Entscheidung lasse sich nämlich erst aufgrund einer rechtskräftigen Hauptsachenentscheidung vollziehen, sodass die jeweiligen Konkurrenten hierdurch einen Zeitvorsprung hätten, um sich bereits am Markt zu etablieren.

Diese Frage beurteilt die gleiche Kammer jedoch dann anders, soweit ein Bewerber nicht mit den anderen in einem „`echten´ Konkurrenzverhältnis“ steht, weil sich sein Unternehmen erst in der Aufbauphase befindet (vgl. juris Rn. 22 unter Bezugnahme auf VG Darmstadt, Beschl. v. 12.3.2020 – 3 L 260/20.DA, juris Rn. 5). Insoweit stellte sich hier auch nicht die Frage, ob sich die nötige Eilbedürftigkeit auch damit begründen lässt, dass sich eine einmal erteilte Konzession grundsätzlich nicht mehr zurücknehmen lässt, vergleichbar zu den Vorgaben des strengen EU-Vergaberechts (vgl. § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB). Dieses Problem kann sich bei unterschwelligen oder vom EU-Vergaberecht ausgenommenen Konzessionsvergaben mit Beschaffungsbezug stellen, die ein öffentlicher Auftraggeber auf Grundlage eines öffentlich-rechtlichen Vertrages vergibt, wie etwa im Falle von Rettungsdienstvergaben (hierzu Bühs NVwZ 2017, 440, 440).

7. Anordnungsanspruch

In materieller Hinsicht prüft das Verwaltungsgericht die Voraussetzungen eines transparenten und diskriminierungsfreien Verfahrens allein anhand des Glückspielstaatsvertrags, insbesondere an § 4b Abs. 1 Satz 1 GlüStV (vgl. juris Rn. 30 und 33), d.h., weder ausdrücklich am Primärrecht noch an den Grundrechten (siehe hierzu Braun, NZBau 2016, 266). Konkret bemängelt die Kammer insbesondere, dass die nicht „aktiven Anbieter“ – wie die Antragstellerin – keine zumutbare Möglichkeit hatten, von der entsprechenden Informationsveranstaltung des Regierungspräsidiums zu erfahren. Allein der Hinweis auf der Internetseite genüge nicht (vgl. juris Rn. 34 ff.). Außerdem sei das bisherige Konzessionsverfahren nicht diskriminierungsfrei verlaufen, weil das Regierungspräsidium auf Anfrage zwar darauf hingewiesen habe, dass sich die im Glücksspielstaatsvertrag (vgl. § 4c Abs. 3 Satz 2 GlüStV) vorgesehene Sicherheitsleistung (5 Mio. Euro) auf Antrag verringern lasse, jedoch nicht, wie dies konkret möglich sei (vgl. juris Rn. 36 ff.). Im Übrigen moniert es weiterhin die demokratische Legitimation des Glücksspielkollegiums (vgl. hierzu VGH Kassel, Beschl. v. 16.10.2015 – 8 B 1028/15, juris Rn. 33) und subsumiert dessen Mitwirkung an der Konzessionserteilung als Verstoß gegen das Transparenzgebot (vgl. juris Rn. 43 ff.).

Damit füllt das Gericht die aus dem Vergabeprimärrecht bekannten abstrakten Gebote der Transparenz und der Diskriminierungsfreiheit mit Leben. Insoweit ist auch sicherlich davon auszugehen, dass auch in anderen Bereichen außerhalb des strengen EU-Vergaberechts, bei dem das Vergabeprimärecht im Falle einer Binnenmarktrelevanz anzuwenden ist, wie etwa bei Rettungsdienstvergaben (vgl. Bühs, EuZW 2019, 415 417, ders. ausführlich in EuZW 2020 im Erscheinen, aA Kieselmann/Pajunk, Vergabeblog.de vom 11/07/2019, Nr. 41399), die nicht für den Zuschlag vorgesehenen Bieter die Entscheidung zu ihren Gunsten anführen, und versuchen werden, die hier im streitigen Verfahren erfolgreich konkret gerügten Verstöße auf ihren Fall hin zu übertragen.

8. Tenor

Das Gericht gibt dem Regierungspräsidium im Wege der einstweiligen Anordnung auf, aufgrund des aktuell stattfindenden Konzessionsverfahrens vorläufig – bis zur Nachholung eines transparenten und diskriminierungsfreien Verfahrens – keine Konzessionen für Sportwetten an teilnehmende Bewerber zu vergeben (vgl. juris Tenor). Der Grund für diese Tenorierung dürfte zum einen darin liegen, dass – im Unterschied zum GWB-Prozessrecht – bis zur gerichtlichen Entscheidung noch kein Zuschlags- bzw. Konzessionserteilungsverbot besteht (vgl. hierzu Bühs, DÖV 2017, 995), weswegen ggf. auch zu prüfen ist, ob die Voraussetzungen eines Hängebeschlusses vorliegen (vgl. hierzu VGH Kassel, Beschl. v. 7.10.2014 – 8 B 1686/14; VGH Mannheim, Beschl. v. 14.10.2019 – 9 S 2643/19).

Zum anderen war zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung offenbar noch kein Klageverfahren anhängig (vgl. juris Rn. 17 und 21), auf dessen Ende das Gericht sein vorläufiges Konzessionserteilungsverbot hätte befristen können. Vor diesem Hintergrund bleibt auch abzuwarten, ob die Beteiligten ggf. nicht erneut darüber streiten, wann genau das gerichtlich angeordnete Konzessionserteilungsverbot entfällt, d.h., ein transparent und diskriminierungsfreies Verfahren nachgeholt ist, soweit der hier besprochene Beschluss rechtskräftig werden sollte.

9. Akteneinsicht

Keine konkreten Angaben enthält der Beschluss dazu, ob und inwieweit das Gericht und die Beteiligten Einsicht in die Vergabeakte hatten. So ergibt sich allein aus der Presseerklärung (vgl. auch Vergabeblog.de v. 08/04/2020, Nr. 43778), dass das Gericht seine Entscheidung auf die „vorhandenen Unterlagen“ gestützt, und aus dem Beschluss, dass die Antragstellerin hilfsweise Einsicht in die „Generalakte“ beantragt hat (vgl. juris Rn. 15).

Diese Frage ist deshalb hier von Belang, weil die §§ 99, 100 VwGO nicht auf das Vergaberecht zugeschnitten sind: Zum einen haben die Beteiligten hier nicht die Möglichkeit, in die Abschriften für die ggf. sonstigen Beteiligten (die es hier jedoch nicht gab) Sperrvermerke zum Schutz ihrer Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse einzufügen (vgl. § 100 VwGO). Zum anderen kann es aufgrund einer Entscheidung der (jeweils) zuständigen obersten Aufsichtsbehörde dazu kommen, dass das Verwaltungsgericht selbst nur eine unvollständige Vergabeakte erhält (vgl. § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO).

Von daher muss das Verwaltungsgericht auch ggf. prüfen, dass Verfahren für ein sog. In-Camera-Verfahren (vgl. § 99 Abs. 2 VwGO) auszusetzen (aA für Rettungsdienstvergaben im einstweiligen Rechtsschutzverfahren VG Ansbach, Beschl. v. 8.12.2017 – 14 E 17.2475, BeckRS 2017, 137782 Rn. 86), soweit die Behörde Aktenbestandteile nicht vorlegt, die für die Entscheidung wesentlich sind (vgl. VG Wiesbaden, Beschl. v. 5.5.2015 – 5 L 1453/14.WI, juris Rn. 54), und es nicht gelingt, sich mit den Beteiligten anderweitig zu verständigen (mit Vorschlägen Bühs, VR 2016, 115).

Praxistipp

Die Rechtslage bleibt im Allgemeinen für das Vergabeverwaltungsrecht wie im Besonderen für das Sportwettenkonzessionsvergaberecht uneinheitlich, und zwar sowohl hinsichtlich des prozessualen wie des materiellen Rechts. Weil der wesentliche Teil der diesbezüglich verwaltungsgerichtlichen Streitigkeiten richtiger Weise im Eilrechtsschutz stattfindet (vgl. hierzu Bühs, NVwZ 2017, 440) ist in der Regel auch spätestens mit den unanfechtbaren Entscheidungen der Verwaltungsgerichtshöfe bzw. Oberverwaltungsgerichte Schluss (vgl. § 152 Abs. 1 VwGO). Deshalb müssen sich die nicht zum Zuge gekommenen Bieter bzw. Bewerber ggf. auch weiterhin auf regionale Unterschiede einstellen. Allerdings könnte sich nach und nach ein einheitlicheres Vergabeverwaltungsprozessrecht herausbilden, weil Rettungsdienstvergaben aufgrund der Bereichsausnahme Rettungsdienst (vgl. § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB) nicht mehr dem strengen EU-Vergaberecht unterfallen, soweit der öffentliche Auftraggeber die diesbezüglichen Vorgaben beachtet, die jedoch – zugegebenermaßen – weiterhin umstritten sind (siehe hierzu einerseits Friton/Wolf, Vergabeblog.de v. 14/10/2019, Nr. 42187 und andererseits Kieselmann/Pajunk, Vergabeblog.de v. 11/07/2019, Nr. 41399).

Gleichzeitig ist nicht davon auszugehen, dass die nicht für den Zuschlag vorgesehenen Bieter kurzfristig davon absehen werden, entsprechende Vergaben vor den dann in der Regel zuständigen Verwaltungsgerichten (vgl. BGH, Beschl. v. 23.01.2012 – X ZB 5/11) anzugreifen, soweit sie sich in ihren Rechten verletzt sehen (vgl. Braun/Zwetkow, NZBau 2020, 219, 219). Dies insbesondere mit Blick auf die steigenden Ausgaben für den Rettungsdienst (vgl. Bühs, EuZW 2019, 415, 418 mwN). Deshalb sprechen auch gute Gründe dafür, dass sich diesbezüglich die Entscheidungen der Verwaltungsgerichtsbarkeit nach und nach mehren, und sich so langsam einheitlicherer Maßstäbe für das Vergabeverwaltungsprozessrecht entwickeln könnten, die sich dann ggf. auch wiederum teilweise auf die Glückspielkonzessionsvergaben übertragen lassen.