Vergaberechtsvereinfachung im Zuge des Corona-Konjunkturpakets: Sieben Vorschläge für effizientere und schnellere Beschaffungsprojekte

Damit die im Corona-Konjunkturpaket vorgesehenen Investitionsfördermaßnahmen schnell in konkrete Projekte umgesetzt werden, soll laut Beschluss des Koalitionsausschusses „das Vergaberecht temporär vereinfacht werden“ (siehe auch ). Welche Vereinfachungen dies im Einzelnen sind, wurde bisher noch nicht festgelegt. Diese müssen in den kommenden Wochen und Monaten zunächst von der Politik ausgearbeitet werden. Mögliche Ansatzpunkte, um Vergabeverfahren tatsächlich effizienter und schneller zu gestalten, können der täglichen Vergabepraxis zu genüge entnommen werden.

Der nachfolgende Beitrag stellt sieben Vorschläge dar, mit denen Vergabeverfahren in der Praxis erheblich erleichtert werden könnten und daher bei den bevorstehenden Überlegungen einbezogen werden sollten.

1. Dokumentationsanforderungen reduzieren

Vergabestellen müssen in EU-weiten Verfahren dokumentieren, was das Zeug hält, um im Falle eines Nachprüfungsverfahrens – unabhängig von der materiellen Rechtslage – nicht allein aufgrund fehlender Dokumentation zu unterliegen. Die Rechtsprechung legt hier einen zunehmend strengeren Maßstab an. Dies bindet bei öffentlichen Auftraggebern häufig enorm Ressourcen, die an anderen Stellen im Beschaffungsprojekt fehlen.

Die Dokumentationsanforderungen sollten daher auf ein vernünftiges Maß reduziert werden. Insbesondere sollte vom Gesetzgeber klargestellt werden, dass auch noch während eines Nachprüfungsverfahrens Dokumentationsmängel geheilt werden können. Ob ein Eignungskriterium oder eine produktspezifische Vorgabe in der Leistungsbeschreibung zulässig waren oder nicht, sollte nicht davon abhängig sein, wie „juristisch wasserdicht“ der Vermerk im Vorfeld der Ausschreibung formuliert wurde.

2. Pflicht zur Losaufteilung lockern

Aufträge müssen dem Grundsatz nach in Deutschland, wann immer möglich, in Teil- und Fachlose unterteilt werden. Was dem Schutz kleiner und mittelständischer Unternehmen dienen soll, führt in der Praxis nicht selten zu einer Zersplitterung der Aufträge bis hin zur Unwirtschaftlichkeit mit unkontrollierbarem Koordinierungsaufwand bei der Abwicklung. Dabei hätten auch mittelständische Unternehmen möglicherweise Interesse an einem Großauftrag. Die Regelung im GWB geht dabei weit über die Anforderungen der EU-Richtlinien hinaus, sodass hier sowohl ober- als auch unterschwellig problemlos eine Lockerung vorgenommen werden könnte.

Vor allem im Baubereich wären dann Konstellationen wie Generalplanerausschreibungen oder kombinierte Vergaben von Planungs- und Bauleistungen ohne größeren Begründungsaufwand zulässig. Selbst die Vergabe von Bauleistungen an einen Generalunternehmer wären erlaubt. Solche Modelle sind bei Bauprojekten außerhalb staatlicher Beschaffungen weit verbreitet, da sie den Aufwand auf Bauherrenseite für die Schnittstellenkoordination und das damit verbundene Nachtragsrisiko deutlich reduzieren. Zudem bieten derartige Modelle häufig zu einem viel früheren Zeitpunkt Kostensicherheit als Bauprojekte in Einzelgewerken, was gerade in Zeiten knapper Kassen von besonderem Interesse sein sollte.

3. E-Vergabe vereinfachen

Vergabeverfahren werden zwischenzeitlich überwiegend elektronisch abgewickelt. Gerade während der Corona-Krise hat sich dies als vorteilhaft erwiesen; jedenfalls dann, wenn Bieter und Auftraggeber für eine Bedienung aus dem Homeoffice technisch gerüstet waren.

Die Digitalisierung der Beschaffung sollte weiter vorangetrieben werden. Manche Anforderungen (und deren technische Umsetzung) schrecken jedoch Vergabestellen und Bieter gleichermaßen ab. So sollte auf die Angebotsabgabe mittels E-Vergabe-Portal verzichtet werden können, wenn eine Ausschreibung mangels Angeboten aufgehoben werden musste, da gerade auch die Bedienung einer solchen Plattform das ein oder andere kleinere Unternehmen davon abhält, sich an Ausschreibungen der öffentlichen Hand zu beteiligen. Ebenso sollte es immer dann, wenn keine Beeinträchtigung des Geheimwettbewerbs zu befürchten ist, möglich sein, per E-Mail statt über das Online-Vergabeportal zu kommunizieren.

Langfristig wäre aus Bietersicht sicherlich auch eine einheitliche Plattform wünschenswert, über die Angebote für alle öffentlichen Auftraggeber in Deutschland (oder Europa?) abgegeben werden können. Das Projekt „X-Vergabe“ hat in den vergangenen Jahren offensichtlich nicht weitergeführt. Möglicherweise muss der Staat (bspw. über die Plattform bund.de) eine solche Lösung mit entsprechenden Schnittstellen zu allen Vergabeportalen zur Verfügung stellen.

4. Verhandlungsmöglichkeit als Regelfall etablieren

Verhandlungen zwischen Einkäufern und Anbietern sind in der freien Wirtschaft flächendeckend üblich, weil sie sich offenbar für eine wirtschaftliche Beschaffung bewähren. Dies sollte auch öffentlichen Auftraggebern möglich sein, indem (oberschwellig) das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb als weiteres Regelverfahren neben Offenem und Nichtoffenem Verfahren zulässig wird. Gleiches gilt für Unterschwellenvergaben: auch hier sollte eine Verhandlungsvergabe mit Teilnahmewettbewerb stets möglich sein. Ebenso sollte das strikte Nachverhandlungsverbot beim Offenen Verfahren/bei öffentlichen Ausschreibungen entfallen. Hierdurch könnte zum einen das Knowhow des Marktes und das Innovationspotential des Mittelstandes besser in den Beschaffungsprozess einfließen als mit jedem Nebenangebot. Zum anderen könnten vor Vertragsschluss Unklarheiten beseitigt werden, die sonst später zu Nachträgen führen. Schon heute geschieht dies in der Praxis teilweise mittels „Aufklärungsgesprächen“, die nicht selten die Grenze zum Nachverhandeln überschreiten.

5. Keine Überfrachtung mit vergabefremden Aspekten

Das Vergaberecht regelt im Kern das „Wie“ der Beschaffung und nicht das „Was“. Doch immer wieder waren in der Vergangenheit Tendenzen erkennbar, dass politische Wünsche nach sozialer oder umweltverträglicher Beschaffung in Vergabegesetzen normiert werden. So legitim derartige Ziele auch sein mögen, das Vergaberecht sollte Verfahrensrecht bleiben und ist der falsche Ort, um derartige Aspekte zwingend vorzuschreiben.

6. Mengenflexibilität bei Rahmenverträgen (wieder) ermöglichen

Ausgehend von einer –möglicherweise etwas überinterpretierten – Entscheidung des EuGH verlieren Rahmenverträge zunehmend ihre Flexibilität bezüglich der Abrufmengen. Auftraggeber waren in der Vergangenheit weitestgehend frei, in welchem Umfang sie aus dem Rahmenvertrag Leistungen abrufen, wenn in Rahmenverträgen keine Abrufhöchst- oder Mindestmengen vereinbart waren. Um damit Leistungen nicht dauerhaft dem Wettbewerb zu entziehen, dürfen Rahmenverträge im Regelfall für maximal vier Jahre abgeschlossen werden.

Mit der Tendenz der jüngeren Rechtsprechung, wonach Rahmenverträge bei Erreichen der ursprünglichen (vielleicht auch nur rein internen) Abrufprognose „erschöpft“ seien, geht ein großes Stück der Flexibilität von Rahmenverträgen verloren. Oftmals werden Rahmenverträge eben gerade dann abgeschlossen, wenn preisliche Vorteile durch Mengenbündelung generiert werden sollen, die Bedarfsmenge für die nächsten Jahre jedoch nicht sicher vorhergesagt werden kann.

Es sollte daher klargestellt werden, dass auch solche Rahmenverträge grundsätzlich zulässig sind, die keine Höchstabrufmengen vorsehen und die „nur“ durch die vierjährige Laufzeit in ihrem Umfang beschränkt sind.

7. Nachforderungsmöglichkeiten bei fehlenden Unterlagen erweitern

Schon mit den zurückliegenden Überarbeitungen der einschlägigen vergaberechtlichen Regelungen zum Nachfordern fehlender Unterlagen sollte vieles einfacher werden.

Doch der Blick auf die Rechtsprechung zeigt, dass hier nach wie vor vieles unklar ist. So darf beispielsweise ein fehlender Versicherungsnachweis als Eignungskriterium ohne Weiteres nachgefordert werden, ein vorgelegter Versicherungsnachweis mit zu geringer Deckungssumme muss hingegen zwingend zum Angebotsausschluss führen, auch wenn dieser veraltet war und tatsächlich zwischenzeitlich eine höhere Deckungssumme besteht. Solche „Feinheiten“ bescheren Anwälten und Vergabekammern Arbeit, führen aber nicht zwangsläufig zu schlanken Vergabeverfahren mit wirtschaftlichem Ergebnis.

Es sollte daher öffentlichen Auftraggebern erlaubt sein, unter Berücksichtigung der Grundsätze der Transparenz und Gleichbehandlung sämtliche Unterlagen nachzufordern bzw. vom Bieter austauschen zu lassen, die nicht wertungsrelevant sind.

Fazit

Die „temporäre Vereinfachung“ des Vergaberechts bietet die Chance, testweise an einigen vergaberechtlichen Stellschrauben zu drehen. Die Zersplitterung der Zuständigkeiten (EU-Ebene für Richtlinien oberhalb der Schwellenwerte, Bund für nationale Umsetzung und unterschwellige Beschaffungen des Bundes, Länder für unterschwellige Beschaffungen der Länder) wird den Akteuren jedoch vermutlich schnell natürliche Grenzen aufzeigen. Nachdem Deutschland ab Juli 2020 für sechs Monate die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, kann die Bundesrepublik jedoch auch auf EU-Ebene aktiv eine Vereinfachung des Vergaberechts anstoßen. Wenn sich die „temporären Vereinfachungen“ in der Praxis bewähren, wäre dies zudem eine Chance, sie langfristig zu etablieren frei nach dem Motto „Nichts hält so lange wie ein gutes Provisorium“.

Anmerkung der Redaktion

Die Diskussion einer temporären Vereinfachung des Vergaberechts sowie Flexibilisierung der öffentlichen Beschaffung aus konjunkturpolitischen Erwägungen, werden auch Themen der kommenden DVNW Tagungen ab Herbst 2020 sein. Diese werden in diesem Jahr als interaktive Onlinetagungen ausgerichtet, die viele interessante Mehrwerte und Neuerungen versprechen. Treffen Sie das Team Menold Bezler als Vortragende auf den DVNW Onlinetagungen 2020. Alle Tagungen finden Sie über www.dvnw.de

Diskussion zum Beitrag im Deutschen Vergabenetzwerk (DVNW)

Und in der Zwischenzeit lädt der Autor zur Diskussion über seine Vorschläge zur temporären Vereinfachungen des Vergaberechts im Rahmen eines Corona-Konjunkturpaket im Mitgliederbereich des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW) hier ein. Noch kein Mitglied? Zur kostenlosen Mitgliedschaft geht es hier.