Die magische Null – Teil 2: Der EuGH zur Entgeltlichkeit öffentlicher Aufträge (EuGH, Urt. v. 10.09.2020 – Rs. C-367/19 – Tax-Fin-Lex)

Entscheidung-EUNachdem der Generalanwalt mit seinen Schlussanträgen (s. ) in der Sache Tax-Fin-Lex einige Fragen zur Wertungs- und Zuschlagsfähigkeit von Null-Euro-Angeboten aufgeworfen hat, wurden diese durch das Urteil des EuGH in der Sache nun beantwortet. Im Ergebnis stellt sich der EuGH nicht per se gegen Null-Euro Angebote und schreibt eine klare Einordnung für die praktische Handhabung vor.

Art. 2 Abs. 1 und 2, Art. 18, Art. 69 RL 2014/24/EU

Leitsatz

Art. 2 Abs. 1 Nr. 5 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG in der durch die Delegierte Verordnung (EU) 2017/2365 der Kommission vom 18. Dezember 2017 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er im Rahmen eines Verfahrens zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags keine Rechtsgrundlage für die Ablehnung des Angebots eines Bieters allein aus dem Grund darstellt, dass der in dem Angebot vorgeschlagene Preis null Euro beträgt.

Sachverhalt

Das slowenische Innenministerium hat ein Rechtsinformationssystem ausgeschrieben. Dafür reichte eine Bieterin ein Angebot über 0 € ein. Die Auftraggeberin schloss dieses aus, da ein unentgeltlicher Vertrag nicht unter den öffentlichen Auftrag falle. Die Bieterin trug vor eine Gegenleistung durch den Zugang zu einem neuen Markt und Referenzen für zukünftige Projekte zu erlangen, so dass ein entgeltlicher Vertrag vorläge. Das vorlegende Gericht fragt den EuGH ob die Entgeltlichkeit des Vertragsverhältnisses in einem solchen Fall gegeben sei und ob Art. 2 Abs. 1 Nr. 5 RL 2014/24/EU ein Ausschlussgrund für Null-Euro Angebot sei.

Die Schlussanträge des Generalanwaltes in dieser Sache wurden in Teil 1 dieses Beitrages besprochen (s. ). Der Generalanwalt hat mangels rechtlich verbindlicher Gegenleistung einen entgeltlichen Vertrag verneint und in der Folge bemängelt, dass ein solches Angebot nicht bezuschlagt werden könne, da kein öffentlicher Auftrag zu Stande kommen könne. Der Ausschluss wäre auf Art. 69 RL 2014/24/EU zu gründen.

Die Entscheidung

Der Gerichtshof hat entschieden, die beiden Vorlagefragen zusammen zu beantworten. Er fasst die Fragen wie folgt zusammen:

„[ist] Art. 2 Abs. 1 Nr. 5 der Richtlinie 2014/24 dahin auszulegen [], dass er im Rahmen eines Verfahrens zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags eine Rechtsgrundlage für die Ablehnung des Angebots eines Bieters allein aus dem Grund darstellt, dass der öffentliche Auftraggeber, weil der in dem Angebot vorgeschlagene Preis null Euro beträgt, keine finanzielle Gegenleistung erbringt, während gleichzeitig dieser Bieter durch die Erfüllung dieses Vertrags lediglich Zugang zu einem neuen Markt und zu Referenzen erlangen würde, die er in späteren Ausschreibungen geltend machen könnte.“

Der Gerichtshof nimmt auf seine bisherige Rechtsprechung Bezug, wenn er feststellt, dass das Wort entgeltlich in Art. 2 Abs. 1 Nr. 5 RL 2014/24/EU ein Synallagma voraussetzt. Er pflichtet dem Generalanwalt bei, dass die Gegenleistung im Synallagma nicht zwangsläufig in der Zahlung eines Gelbetrages liegen müsse. Die Gegenleistung müsse hingegen eine rechtlich zwingende Verpflichtung darstellen, die im Zweifel einklagbar sein müsste. Ein Vertrag, bei dem der Auftraggeber rechtlich nicht zu einer Gegenleistung verpflichtet ist, könne demnach keinen entgeltlichen Vertrag darstellen. Die vom Bieter vorgetragenen Gegenleistungen Marktzugang und Referenzen, seien vom Zufall abhängig und damit gerade keine einklagbaren rechtlichen Verpflichtungen.

Art. 2 Abs. 1 Nr. 5 RL2014/24/EU diene lediglich der Bestimmung des Anwendungsbereichs der Richtlinie. Daraus folgt der Gerichtshof, dass der Artikel keine Rechtsgrundlage für einen Angebotsausschluss darstellen könne.

Insofern sieht der Gerichtshof auch den Rückgriff auf Art. 69 RL 2014/24/EU naheliegend. Ein Angebot zum Preis von Null Euro sei regelmäßig als ungewöhnlich niedrig in diesem Sinne anzusehen. Der Auftraggeber sei dann gehalten, dass Schema in Art. 69 RL 2014/24/EU einzuhalten und den Bieter zunächst zur Erläuterung seines Angebots aufzufordern. Die Systematik des Art. 69 RL 2014/24/EU ergäbe, dass ein Null-Euro Angebot nicht automatisch aufgrund des Preises abgelehnt werden könne. Insofern sei auf die Bewertung der Verlässlichkeit im Rahmen von Abs. 2 zurückzugreifen und zu erörtern ob eine ordnungsgemäße Ausführung des Auftrags nachgewiesen werden kann. In Rücksprache mit dem Bieter sei nach Abs. 3 eine Bewertung durch den Auftraggeber vorzunehmen. Ein Ausschluss könne nur erfolgen, wenn aus Sicht des Auftraggebers der Preis und die Kosten nicht zufriedenstellend erklärt werden konnten. Insofern seien die Grundsätze der Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung, Transparenz und Verhältnismäßigkeit zu beachten. Der Gerichtshof verweist das vorlegende Gericht im Ergebnis auf eine Überprüfung des Angebots anhand des Art. 69 RL 2014/24/EU.

Rechtliche Würdigung

Zunächst ist festzuhalten, dass sich der Gerichtshof im Wesentlichen den Ausführungen des Generalanwalts anschließt.

Wenig überraschend ist die Bewertung des entgeltlichen Vertrages im Rahmen der Definition des öffentlichen Auftrages. Insofern orientierten sich bereits die Ausführungen des Generalanwalts stark an der Linie bisheriger EuGH-Rechtsprechung. Dieser blieb der Gerichtshof nun auch treu. Es kommt grundsätzlich nicht auf die Frage 0 € oder 1 € an. Dies ist einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise sehr zuträglich. Eine Gegenleistung muss nicht in Geld bestehen. Sie muss jedoch einer juristisch-ökonomischen Betrachtung Stand halten. Insofern reicht dem Gerichtshof nicht ein abstrakter wirtschaftlicher Wettbewerbsvorteil. Klares Kriterium, an dem sich auch der vorliegende Fall entscheidet, ist die rechtliche Verbindlichkeit und die Einklagbarkeit einer Gegenleistung. Gerade hieran fehlt es dem abstrakten Wert Marktzugang oder den gerade nicht verbindlich geschuldeten Referenzen. Insofern überzeugt die Einordnung der konkreten Fallgestaltung als nicht entgeltlich und vermag nicht zu überraschen.

Der Gerichtshof erspart sich in diesem Sinne auch die doch etwas dogmatisch und im Ergebnis nicht überzeugenden Ausführungen des Generalanwalts zum Ausschluss solcher Angebote vor der Frage, ob ein Angebot bezuschlagt werden kann, welches nicht zum Abschuss eines entgeltlichen Vertrages führt. Hierzu nimmt der Gerichtshof keine Stellung, er scheint sich daran weniger zu stören. Insofern überzeugt die Einordnung des Art. 2 RL 2014/24/EU als Definition des Anwendungsbereiches der Richtlinie. Dies löst allerdings nicht die Problemstellung, welche der Generalanwalt hier aufgeworfen hat. Möglicherweise lässt sich das Schweigen des EuGH aber auslegen. Sofern der öffentliche Auftrag den Anwendungsbereich der Richtlinie eröffnet, aber keinen Einfluss auf den Zuschlag haben soll, kann man folgern, dass bei der dem Vergabeverfahren vorgelagerten Entscheidung ob ein Vergabeverfahren durchzuführen ist, von der Entgeltlichkeit des Auftragsgegenstandes ausgegangen werden muss. Der tatsächliche Zuschlag hängt hingegen vom Verlauf dieser Ausschreibung ab und wird nicht durch den Anwendungsbereich begrenzt. Demnach kann das Ergebnis der Ausschreibung von der Bewertung vor Ausschreibung abweichen. Dies entspricht wohl auch der praktischen Erfahrung im Vergabeverfahren. Insofern ist die Entscheidung des Gerichtshofs deutlich praxisfreundlicher, als die dogmatisch interessante Abhandlung des Generalanwaltes.

Auch dieser hat jedoch den Art. 69 RL 2014/24/EU für den Ausschluss herangezogen. Insofern verweist der Gerichtshof schlüssig auf die erforderliche Prüfung in 3 Stufen. Dies folgt dem bekannten Schema der ungewöhnlich niedrigen Angebote die in Deutschland inhaltsgleich in § 60 VgV kodifiziert sind. Der EuGH lässt die Abwägung konsequent offen und verweist sie an das vorlegende Gericht zurück. Insofern wird auch das Ermessen des Auftraggebers an dieser Stelle wieder virulent. Die imperative Formulierung des Generalanwaltes wird nicht übernommen. Dementsprechend ist beruhigender Weise am Ermessen im Rahmen des § 60 VgV nicht zu rütteln. Im Ergebnis soll es also keinen Unterschied machen, ob ein Bieter 1 €, 0 € oder 10 € anbietet.

Praxistipp

Keine Angst vor der 0! Für Bieter bietet sich weiter ein vorsichtiger Umgang mit besonders niedrigen Angeboten an, dem symbolischen Euro sollte hingegen in Zukunft kaum mehr Bedeutung zukommen. Für Aufraggeber ändert sich hingegen wenig. Sie sollten im Umgang mit dem § 60 VgV bereits geübt sein und können diese Erfahrung nun bedenkenlos auf Null-Euro Angebote übertragen. Besonders die Ausschlussentscheidung liegt, soweit nach allgemeinen vergaberechtlichen Grundsätzen vertretbar, weiterhin im Ermessen der Auftraggeber