Der Auftraggeber hat die Macht, wenn es um die Definition der Kriterien für die Begrenzung der Teilnehmer geht! (VK Nordbayern, Beschl. v. 01.10.2020 – RMF-SG21-3194-5-36)
Die VK Nordbayern sah die Einwände gegen die festgelegten Kriterien nach Einreichung eines Teilnahmeantrags zwar als präkludiert an. Die Begrenzung der Teilnehmer anhand vergleichbarer Referenzprojekte müsse sich aber ohnehin nicht an § 46 Abs. 3 Nr. 1 VgV messen lassen. Es gehe schließlich nicht um die Eignung, sondern um die Begrenzung der Bewerber nach § 51 VgV. Hier stehe dem Auftraggeber ein weiter Ermessensspielraum zu.
§ 51 Abs. 1; § 46 Abs. 3 Nr. 1 VgV
Leitsatz
- Es obliegt dem Auftraggeber, im Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb die konkreten Kriterien für die Begrenzung der Teilnehmer für den zu vergebenden Auftrag festzulegen. Solange die Festlegung der Kriterien nicht willkürlich oder mit dem erklärten Ziel vorgenommen wird, bestimmte Marktteilnehmer vom Vergabeverfahren von vornherein auszuschließen, ist der Auftraggeber bei der Definition der ihm wichtig erscheinenden Kriterien frei und hat hierbei einen grundsätzlich weiten Ermessensspielraum.
- Die Kriterien für die Begrenzung der Teilnehmer hat der Auftraggeber in der Bekanntmachung anzugeben.
Sachverhalt
In einem Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb soll die Planung für den Neubau einer Kindertagesstätte beschafft werden. Unter Ziffer II.2.9 der Auftragsbekanntmachung werden für die Auswahl der Teilnehmer neben dem Gesamtumsatz und der Mitarbeiterzahl die Darstellung von maximal 3 Referenzprojekten als Kriterium festgelegt:
„3. Darstellung von maximal 3 Referenzprojekten aus den letzten 3 Jahren von 2017 bis zum Zeitpunkt des Schlusstermins für den Eingang der Teilnahmeanträge gemäß IV.2.2) dieser Bekanntmachung, aus der die Erfahrung des Bewerbers bei Projekten mit vergleichbaren Anforderungen hervorgeht (§ 46 Abs. 3 Nr. 1 VgV). Die Vergabestelle weist darauf hin, dass ausnahmsweise auch länger zurückreichende Referenzen (ab 1.1.2016 bis zum Zeitpunkt des Schlusstermins für den Eingang der Teilnahmeanträge gemäß IV.2.2) dieser Bekanntmachung) berücksichtigt werden – Wichtung 90 %.
Referenzprojekte die vor 2016 in Betrieb genommen wurden, werden bei der Wertung nicht berücksichtigt.
Für die Maximalpunktzahl sollten folgende Anforderungen durch die Referenzprojekte erfüllt sein:
– Bei dem Referenzprojekt handelt es sich um eine Neubaumaßnahme (max. 6 Punkte);
– bei dem Referenzprojekt handelt es sich um öffentlich geförderte Maßnahme (max. 6 Punkte);
– das Referenzprojekt ist hinsichtlich der Größenordnung vergleichbar (Kosten (Kgr. 300+400) > 3,0 Mio. EUR brutto) (max. 6 Punkte);
– durch den Bewerber wurden mindestens die Leistungsphasen 3-8 (gem. § 34 HOAI) erbracht (max. 6 Punkte);
– derzeitiger Projektstand des Referenzprojektes ist mindestens die Leistungsphase 8 oder das Projekt ist abgeschlossen (max. 6 Punkte).Es können 30 Punkte je Referenzprojekt erreicht werden.
Die maximal zu erreichende Punktzahl im Rahmen des Teilnahmewettbewerbs sind 100 Punkte (max. 5 Punkte für Gesamtumsatz + max. 5 Punkte für Mitarbeiterzahl + 3 x max. 30 Punkte für Referenzprojekte).
Die teilweise Erfüllung der vorgenannten Kriterien führt nicht zum Ausschluss, sondern zu einer entsprechend geringeren Bewertung.
Eine Übersicht ist der Anlage C – Kriterienkatalog zu entnehmen.“
[Hervorhebungen nur hier]
Die Antragstellerin gab in dem Bewerbungsbogen für ein Referenzprojekt an, dass die Baufertigstellung und Inbetriebnahme 08/15 erfolgt sei. Erst mit ihrer Rüge der Nichtberücksichtigung des Referenzprojekts teilte sie mit, dass die Nutzungsaufnahme am 09.06.2016 erfolgt sei und die Schlussrechnung vom 17.03.2017 datiere.
Die Entscheidung
Die Vergabekammer wies den Nachprüfungsantrag ab. Das Referenzprojekt müsse nach der eindeutigen Festlegung in der Auftragsbekanntmachung unberücksichtigt bleiben. Die Antragstellerin erkläre selbst, dass die Inbetriebnahme im August 2015 und damit vor 2016 erfolgt sei.
Die Antragstellerin konnte nicht mit dem Argument durchdringen, dass wegen der Bezugnahme in § 46 Abs. 3 Nr. 1 VgV auf erbrachte Dienstleistungen es nicht ausreiche auf die Baufertigstellung oder Inbetriebnahme abzustellen, sondern der Zeitpunkt für die vollständige Erbringung der Architektenleistung hätte abgefragt werden müssen. Die Vergabekammer hielt dagegen § 46 Abs. 3 Nr. 1 VgV gar nicht für maßgeblich, da nicht die Eignung, sondern die Begrenzung der Bewerber nach § 51 VgV verfahrensgegenständlich sei. Hier müsse der Vergabestelle ein größerer Gestaltungsspielraum zugestanden werden. Solange die Festlegung der Kriterien nicht willkürlich oder mit dem erklärten Ziel vorgenommen werde, bestimmte Marktteilnehmer vom Vergabeverfahren von vornherein auszuschließen, sei der Auftraggeber bei der Definition der ihm wichtig erscheinenden Kriterien frei und hat hierbei einen grundsätzlich weiten Ermessensspielraum. Die einzelnen Kriterien für die Begrenzung der Teilnehmer habe der Auftraggeber in der Bekanntmachung anzugeben.
Rechtliche Würdigung
Die Entscheidung dürfte im Ergebnis nicht überraschen.
Gemäß § 51 Abs. 1 Satz 2 VgV hat der Auftraggeber in der Auftragsbekanntmachung die von ihm vorgesehenen objektiven und nichtdiskriminierenden Eignungskriterien für die Begrenzung der Zahl der einzuladenden Bewerber anzugeben. Dies ist hier an zutreffender Stelle erfolgt. Die Vergabestelle hat den maßgeblichen Zeitpunkt (Inbetriebnahme) eindeutig bestimmt und damit korrespondierend im Bewerbungsbogen abgefragt. Eine Präklusion der Rüge des Auswahlkriteriums nach Ablauf der Teilnahmeantragsfrist gemäß § 160 Abs. 3 Nr. 2 GWB ist mithin naheliegend, die Wertung für sich genommen nicht zu beanstanden.
Interessant ist die von der Vergabekammer hier vorgenommene klare Abgrenzung der Eignungsprüfung anhand geeigneter Referenzen nach § 46 Abs. 3 Nr. 1 VgV und der Bewerberreduzierung anhand § 51 VgV. Für letztere räumt die Vergabekammer dem Auftraggeber einen großzügigen Spielraum ein, dieser sei letztlich frei die ihm wichtig erscheinenden Kriterien zu definieren. Dies könnte so zu verstehen sein, dass – solange keine Willkür herrscht oder Marktteilnehmer aus dem Wettbewerb gedrängt werden sollen – der Auftraggeber alle möglichen objektiven und nicht diskriminierenden Kriterien aufstellen könnte. § 51 Abs. 1 Satz 2 VgV spricht indes von Eignungskriterien und setzt die Richtlinie 2014/24/EU in überschießender Weise um (vgl. Ortner/Willweber, in: Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl., § 51 VgV, Rn. 15 ff.). Dass die Vergabekammer den Gestaltungsspielraum derart weit ziehen wollte, ist angesichts der im vorliegenden Fall gewählten Kriterien (Umsatz, Mitarbeiterzahl, Referenzprojekte) nicht ersichtlich, es handelt sich schließlich um Eignungskriterien.
Wichtig und zutreffend ist die Feststellung der Vergabekammer, dass es bei der Bewerberreduzierung nicht mehr um die strenge Eignungsprüfung geht, sondern es sich um einen anderen Verfahrensschritt handelt, in dem der Auftraggeber deutlich freier agieren darf.
Praxistipp
Wie bei den Eignungskriterien ist auch bei den Kriterien zur Bewerberauswahl auf deren Aufnahme in die Auftragsbekanntmachung zu achten. Einen Freibrief für allzu kreative Definitionen von Kriterien stellt auch diese Entscheidung der Vergabekammer Nordbayern nicht dar. Der Auftraggeber sollte sich weiterhin aus dem Katalog der Eignungskriterien bedienen, dann aber in der Ausgestaltung gelassener sein und sich davon leiten lassen, was ihm an den Bewerbern besonders wichtig ist.
Aus Bietersicht zeigt diese Entscheidung einmal mehr, dass ein Abwarten oder fehlende Sorgfalt bei der Durchsicht von Vergabeunterlagen und der Erstellung von Teilnahmeanträgen oder Angeboten, mit erheblichen Präklusionsrisiken verbunden ist. Eine frühzeitige Prüfung der Unterlagen sollte standardmäßig erfolgen.