HOAI 2021 – Einschätzungen der BAK zur „neuen“ HOAI
Dr. Volker Schnepel ist stellvertretender Geschäftsführer, Leiter der Rechtsabteilung und Syndikusrechtsanwalt bei der Bundesarchitektenkammer, für die er seit 2015 tätig ist. Im August 2020 schrieb Dr. Schnepel auf Vergabeblog (), dass nach Auffassung der Bundesarchitektenkammer (BAK) auch in Zukunft das Honorarrecht als wichtigster Maßstab für angemessene Planerhonorare erhalten bleibt – trotz EuGH-Urteil vom 4.7.2019 (vgl. ). Durch Artikel 1 der Verordnung vom 2. Dezember 2020 wurde die Verordnung über die Honorare für Architekten- und Ingenieurleistungen (HOAI) zum 01.01.2021 geändert. Vergabeblog hat sich bei der BAK nach den ersten Einschätzungen zur „neuen“ HOAI 2021 erkundigt.
Vergabeblog: Sehr geehrter Herr Dr. Schnepel, im August 2020 zitierten Sie in einem Beitrag auf Vergabeblog Norbert Portz, Leiter des Dezernats für Städtebau und Vergabe bei Deutschen Städte- und Gemeindebund, mit dem Satz: „Wer billig plant, baut teuer“. Ihr Blick in die Zukunft war nicht optimistisch. Die Tendenz, dass öffentliche Auftraggeber den Preiswettbewerb forcieren, werde sich fortsetzen prophezeiten Sie. Welche Tendenzen beobachtet die BAK seit dem Inkrafttreten der HOAI 2021 (seit 1.1.21)?
Dr. Schnepel: Leider scheinen sich unsere Befürchtungen noch schneller zu bestätigen als erwartet. Seit Anfang März erhalten wir immer mehr Berichte aus unseren Länderkammern, dass die Honorare den Bach runtergehen, um es salopp zu sagen. Natürlich beruht das wiederum auf Beschwerden einzelner Kammermitglieder. Wir haben keine repräsentativen Erfassungen oder Statistiken. Da die Hinweise der Architektinnen und Architekten aber plötzlich und so deutlich zugenommen haben, nachdem die HOAI 2021 gerade einmal zwei Monate in Kraft war, ist dies für uns ein erhebliches Warnsignal.
Insbesondere Kommunen scheinen die Preise quasi um jeden Preis drücken zu wollen, wobei es hierbei wohl auch regionale Unterschiede gibt. Ich kann aber auch nicht völlig ausschließen, dass einzelne Planerinnen und Planer bewusst mit Dumpingangeboten um die Aufträge kämpfen. Auf kurze Sicht ist das alles vielleicht sogar verständlich, mittel- und langfristig werden die Folgen aber für alle Seiten nachteilhaft sein. Grob gesagt: Zuerst gehen die Honorare in den Keller, dann die Qualität. Übrig bleiben wenige Anbieter, die dann schlechte Qualität zu hohen Preisen liefern. Auf diese Gefahr einer adversen Selektion hat, man kann es nicht oft genug betonen, auch der EuGH in seinem Urteil zu den verbindlichen Mindest- und Höchstsätzen der HOAI hingewiesen. Wie in vielen anderen Bereichen werden die jetzt Verantwortlichen dies allerdings nicht mehr selbst unmittelbar zu spüren bekommen. Das macht es so schwierig, für vorausschauende Vernunft zu werben.
Vergabeblog: Um es aus heutiger Sicht noch einmal zusammenzufassen: Was sind die größten Schwächen der HOAI 2021 und welche Nachbesserungen bleiben notwendig?
Dr. Schnepel: Diese Frage ist tricky. Natürlich liegt die größte Schwäche der HOAI 2021 in der Unverbindlichkeit der bisherigen Mindest- und Höchstsätze als Folge des EuGH-Urteils. Aber das ist jedenfalls fürs erste Schnee von gestern. Jenseits dessen meine ich nach wie vor, dass die jetzige Ausgestaltung der HOAI als Empfehlung und Orientierung im Rahmen des Möglichen im Grundsatz das Beste ist, was erreicht werden konnte. Zumal der Gesetz- und Verordnungsgeber deutlich gemacht hat, dass die Honorarwerte das widerspiegeln, was als angemessen betrachtet werden kann. Das Problem liegt eher außerhalb der HOAI, wenn nämlich in der Praxis diese klaren Ansagen ignoriert werden. Und das, obwohl bereits Anfang des Jahres zwei namhafte Juristen, Jörg Stoye und Florian Schrammel, in der Neuen Juristischen Wochenschrift zur Abschaffung der Verbindlichkeit unter anderem ausgeführt haben: „Dies bedeutet freilich nicht, dass öffentliche Auftraggeber fortan den Zuschlag auf Dumping-Angebote erteilen müssten oder auch nur dürften. Vielmehr hatte der BGH bereits im Januar 2017 bei Vorliegen hinreichender Anhaltspunkte eine Pflicht des öffentlichen Auftraggebers statuiert, die Angemessenheit des Angebotspreises substanziell zu überprüfen. Kann der öffentliche Auftraggeber die geringe Höhe des angebotenen Preises mit der Prüfung nicht zufriedenstellend aufklären, darf der Zuschlag auf dieses Angebot nicht erteilt werden, vgl. § 60 III VgV. Mithin ist die Ablehnung des Zuschlags grundsätzlich geboten, wenn Ungewissheit über die Preisangemessenheit verbleibt.“ Und die Autoren betonen, dass eine Unterschreitung des Basishonorarsatzes, also des früheren Mindestsatzes, den Verdacht eines unangemessen niedrigen Angebotspreises indiziere, weil er gemäß § 1 I 2 des Ingenieur- und Architektenleistungsgesetzes per definitionem die Untergrenze des bei Berücksichtigung der Interessen aller Vertragspartner noch angemessenen Honorars darstelle.
Unabhängig von der Verbindlichkeitsproblematik liegt aber bereits seit längerem ein Reformstau vor, der sich auch ohne das EuGH-Urteil aufgebaut hat, wegen der kurzfristig anstehenden Anpassung der HOAI aber verschoben werden musste. Auf der Honorarseite ist vor allen Dingen das Problem der fehlenden Dynamisierung der statischen Honorare bei den Flächenplanungen zu nennen. Dies hätte unseres Erachtens bereits im Rahmen der jetzigen Anpassung der HOAI gelöst werden können und müssen. Im Übrigen muss spätestens in der nächsten Legislaturperiode objektiv geprüft werden, ob die dann seit gut 10 Jahren unveränderten Honorarwerte tatsächlich noch angemessen sind. Bei den Rechtsanwälten wurde eine solche Anpassung nach sieben Jahren gerade durchgeführt, mit einer im Durchschnitt 10prozentigen Anhebung der Honorare. Mindestens genauso wichtig ist aber die Frage, ob die Leistungsbilder noch den Anforderungen der Zeit genügen. Dass dies nicht nur die Planerinnen und Planer umtreibt, zeigt der diesjährige Deutsche Baugerichtstag, der im Schwerpunkt den Novellierungsbedarf der HOAI auf der Leistungs- wie auf der Vergütungsseite zum Thema hat. Nicht zuletzt die öffentlichen Auftraggeber und deren Verbände selbst sollten sich hierzu Gedanken machen. Vor allen Dingen gilt es aber, die Politik und insbesondere die künftige Bundesregierung zu bewegen, die Novellierung der HOAI in ihr Programm aufzunehmen. Hieran arbeiten wir zusammen mit der Bundesingenieurkammer, dem AHO und den anderen Planerorganisationen intensiv.
Vergabeblog: Die BAK hat gemeinsam mit der Bundesingenieurkammer und dem AHO gefordert, dass der Grundsatz des Leistungswettbewerbs bei Planungsleistungen analog zur VgV auch in die UVgO müsse. Wie steht es um dieses zentrale Anliegen?
Dr. Schnepel: Dieses Anliegen ist wichtiger als je zuvor. Denn nach allem, was wir hören, findet die Forcierung des ungehemmten Preiswettbewerbs gerade auch und insbesondere bei Vergaben im Unterschwellenbereich statt. Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, dass die Vorgabe in der VgV auch bei Unterschwellenvergaben gilt. Dies scheinen aber nicht alle so zu sehen, um es vorsichtig auszudrücken. Umso begrüßenswerter ist es, dass die kommunalen Vergabegrundsätze des Landes Nordrhein-Westfalen die Vergabe von Planungsleistungen im Leistungswettbewerb ausdrücklich vorsehen. Im Übrigen haben Bundesarchitekten- und Bundesingenieurkammer Empfehlungen zur Vergabe nach der EuGH-Entscheidung herausgegeben. Speziell zur Umsetzung des Leistungswettbewerbs bei Unterschwellenvergaben wollen wir in Kürze einen neu gelayouteten Praxisleitfaden zur Verfügung stellen, der sich natürlich ebenfalls in erster Linie an die öffentlichen Auftraggeber wendet.
Vergabeblog: Bekanntlich leiden nicht wenige Beschaffungs- und Vergabestellen unter Personalmangel. Sehen Sie einen funktionalen Zusammenhang zwischen den von der BAK kritisierten Vergabeverfahren mit wenig oder gar keinen leistungsbezogenen Kriterien und diesem Personalmangel?
Dr. Schnepel: Ich halte nicht so furchtbar viel von Verallgemeinerungen. Aber gewisse Tendenzen scheinen doch unbestreitbar. In einer kürzlich auf 3sat ausgestrahlten Sendung, die sich mit der Frage beschäftigte, warum in Deutschland so viele Großprojekte scheitern, ist unter anderem allseits beklagt worden, dass die Personalkapazitäten und -kompetenzen in den Bauämtern in den letzten Jahrzehnten systematisch heruntergefahren worden sind. Dies ist ein Beispiel für negative Langzeitfolgen, die ich vorhin angesprochen habe. Und sie beschränken sich nicht auf Großprojekte. Jetzt liegt das Kind im Brunnen und kann nicht so mir nichts Dir nichts wieder herausgezogen werden.
Jedenfalls wurde in dieser Sendung von einer erfahrenen Projektmanagerin bestätigt, dass in Deutschland entgegen der Rechtslage weiterhin überwiegend das billigste, nicht das wirtschaftlichste Angebot den Zuschlag erhält. Und es wurde darauf hingewiesen, dass in anderen Ländern das billigste und das teuerste Angebot sofort ausgeschlossen würden, sodass sich der weitere Wettbewerb im mittleren Angebotssegment abspielt. Auch andere Lösungen sind natürlich denkbar. Vor allen Dingen sollte aber auch immer wieder ernsthaft erwogen werden, dem eigentlichen Vergabeverfahren einen Planungswettbewerb vorzuschalten. Dafür werben wir ja auch nicht nur in unseren Empfehlungen zur Unterschwellenvergabe, sondern auch in unserem VgV-Leitfaden, den wir nicht zuletzt wegen der HOAI 2021 aktualisiert haben und der voraussichtlich noch in der ersten Jahreshälfte erscheinen wird. Und ich würde mich freuen, wenn beide Publikationen auch über den Vergabeblog weite Verbreitung finden würden.
Vergabeblog: Sehr geehrter Herr Dr. Schnepel, wir danken sehr für das Gespräch!
Anmerkung der Redaktion
Das Interview führte Jan Buchholz vom DVNW.