Bekanntmachung der Kommission über Bekämpfung von unzulässigen Angebotsabsprachen – ein kritischer Überblick

Entscheidung-EUDas Problem ist so alt wie die öffentliche Auftragsvergabe selbst: Wie können Staaten einen fairen Zugang zu öffentlichen Aufträgen gewährleisten? Wie können wettbewerbswidrige Absprachen zwischen Bietern verhindert oder zumindest entdeckt werden? Durch die am 18. März 2021 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichte „Bekanntmachung über Instrumente zur Bekämpfung geheimer Absprachen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge und über Leitlinien für die Anwendung des entsprechenden Ausschlussgrundes“ (2021/C 91/01) (Bekanntmachung) der Europäischen Kommission (Kommission), soll die gemeinschaftliche Bekämpfung wettbewerbswidriger Absprachen in Vergabeverfahren der öffentlichen Hand angeregt werden. Für einen ersten Überblick zu der Bekanntmachung wird auf den Vergabeblog-Beitrag Nr. 46675 vom 23. März 2021 verwiesen.

Die Bekanntmachung richtet sich an öffentliche Auftraggeber. Diesen empfiehlt die Kommission zunächst ganz grundsätzlich, personelle Ressourcen bereitzustellen, um einerseits Vergabeverfahren gut vorbereiten und durchführen zu können und andererseits in der Lage sein zu können, wettbewerbswidrige Absprachen zu entdecken und sanktionieren. Im einleitenden Abschnitt wirft sie unter anderem einen Blick zurück auf die Maßnahmen, die bereits zur Lösung des Problems geheimer Absprachen getroffen wurden (möglicherweise aber nicht genügen, um diesem Problem beizukommen), wie auf internationaler Ebene das „Anti-cartel Enforcement Manual“ des International Competition Networks sowie Veröffentlichungen der OECD und Weltbank. Auf europäischer Ebene wird insbesondere das das OLAF-Handbuch „Betrug im öffentlichen Auftragswesen — Eine Sammlung von Red Flags und bewährten Verfahren“ erwähnt, sowie nationale Leitlinien oder Empfehlungen der EU-Mitgliedstaaten.

Die Kommission betont einleitend, dass die Zusammenarbeit zwischen nationalen Wettbewerbsbehörden und Vergabestellen ein entscheidender Faktor im Kampf gegen wettbewerbswidrige Absprachen in Vergabeverfahren sein kann. Als konkrete, ihrer Ansicht nach sinnvolle Maßnahmen nennt die Kommission Verbesserungen beim Datenaustausch, bei der Datenanalyse und beim Informationszugang. Zu empfehlen seien aber auch Schulungen von Personal sowie die Einrichtung einer nationalen Datenbank. Letzteres ist in Deutschland mit dem Wettbewerbsregister, welches kürzlich seinen Betrieb aufnahm (s. hierzu den Vergabeblog-Beitrag Nr. 46709 vom 30. März 2021), bereits umgesetzt worden.

In den Leitlinien als solchen beschreibt sie sodann, wie der Ausschlussgrund der „wettbewerbswidrigen Absprachen“ ihrer Auffassung nach auszulegen ist, und geht dabei auch teilweise auf einschlägige EuGH-Rechtsprechung ein.

Die Leitlinien im Einzelnen

1. Hintergrund zum Ausschlussgrund (Ziffer 5.1 und 5.2)

Unter Ziffer 5 der Bekanntmachung werden die Leitlinien der Kommission dargestellt. Dabei konzentriert sich die Kommission zunächst auf den in Art. 57 Abs. 4 lit. d) RL 2014/24/EU niedergelegten fakultativen Ausschlussgrund, nach dem Bieter von dem Ausschreibungsverfahren ausgeschlossen werden können, wenn der öffentliche Auftraggeber

über hinreichend plausible Anhaltspunkte dafür [verfügt], dass der Wirtschaftsteilnehmer mit anderen Wirtschaftsteilnehmern Vereinbarungen getroffen hat, die auf eine Verzerrung des Wettbewerbs abzielen“.

Im deutschen Recht ist dieser Ausschlussgrund in § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB niedergelegt, wobei hier nicht nur die bezweckte Wettbewerbsverzerrung, sondern auch die bewirkte Wettbewerbsverzerrung erfasst wird. Darauf, dass die etwas weiterreichende Umsetzung im deutschen Recht im Hinblick auf den ebenfalls weiter gefassten Art. 101 AEUV zulässig ist, weist die Kommission unter Ziffer 5.2 ausdrücklich hin (s. auch Opitz, in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl. 2017, Bd. 1, GWB § 124 Rn. 49).

2. Ermessensspielraum der Auftraggeber und Nachweismaßstab (Ziffer 5.3 und 5.4)

Aufgrund des offenen Wortlauts der europäischen Vorschrift käme den öffentlichen Auftraggebern laut Kommission in Ziffer 5.3 bei der Anwendung dieser Norm ein großer „Ermessenspielraum“ zu. Mit Blick auf den ausfüllungsbedürftigen Maßstab der „hinreichend plausiblen Anhaltspunkte“ bestünde Bedarf für mehr Orientierung. Relevant für die „Ermessenausübung“ sollen sämtliche, dem Auftraggeber bekannte Umstände sein. Die verfügbaren Informationen zur Integrität und Zuverlässigkeit eines Bieters sollen in zeitlicher Hinsicht umfassend ausgewertet werden, darunter insbesondere das Verhalten in früheren oder parallel durchgeführten Vergabeverfahren.

Als weitere Anhaltspunkte benennt Ziffer 5.4 neben dem allgemeinen Marktverhalten eines Bieters auch auffällige Abweichungen zu früheren Angeboten. Die Schwelle für solche Anhaltspunkte liegt nach Ziffer 5.4 jedenfalls niedriger als die Anforderungen an einen konkreten Nachweis im Sinne des Beweisrechts, die Abgrenzung bleibt jedoch etwas unklar (kritisch Sanchez-Graells in seinem Blogbeitrag „First Thoughts on the Commissions’s bid rigging exclusion guidance – What difference will it make?). Nationale Gesetzgeber ermutigt die Kommission zur Konkretisierung durch Vorschriften und Leitlinien. Für die Praxis deutscher Auftraggeber kann die zum Maßstab des § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB ergangene Rechtsprechung Orientierung bieten (instruktiv OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17. Januar 2018 – VII-Verg 39/17), die wohl einen strengeren Maßstab als die Kommission anlegt: Hinreichende Anhaltspunkte sollen demnach erst dann vorliegen, wenn aufgrund objektiver Tatsachen die Überzeugung gewonnen werden kann, dass ein Kartellverstoß mit hoher Wahrscheinlichkeit vorliegt. Die Tatsachen beziehungsweise Anhaltspunkte müssen so konkret und aussagekräftig sein, dass die Verwirklichung eines Kartellverstoßes zwar noch nicht feststeht, jedoch hierüber nahezu Gewissheit besteht.

Entscheidet sich der öffentliche Auftraggeber für einen Ausschluss eines Bieters muss er begründen, wie er diese Entscheidung getroffen hat und insbesondere inwiefern er konkrete Sachverhalte als hinreichend plausible Anhaltspunkte für wettbewerbswidrige Absprachen gewertet hat.

Kritikwürdig erscheint die in Ziffer 5.4 vertretene Auffassung, nach welcher der Bieter über sämtliche Entscheidungen der Wettbewerbsbehörden und Gerichte zur Beteiligung an geheimen Absprachen unbeschränkt berichten müsse. Hier nimmt die Kommission keinerlei Einschränkung räumlicher, zeitlicher oder inhaltlicher Hinsicht vor. Sie verweist zu dieser weitreichenden Aufklärungspflicht auf das Urteil des EuGH in der Rechtssache Delta Antrepriză (Urteil vom 3. Oktober 2019, C-267/18)  und betont, dass diese Angaben bereits in der Einheitlichen Europäischen Eigenerklärung abgefragt würden. Bieter müssen demzufolge sämtliche möglicherweise einschlägige Entscheidungen, die von irgendeiner Wettbewerbsbehörde oder einem Gericht gegen sie erlassen wurden, anführen, wenn sie keinen Ausschluss riskieren wollen. Vor dem Hintergrund, dass es grundsätzlich Sache der Auftraggeber ist festzulegen, welche Erklärungen sie von einem Bieter verlangen, erscheint die Annahme einer derart weitgehenden ungefragten Offenbarungspflicht kaum überzeugend. Die Aussagen des EuGH in der Rechtssache Delta sollten eher restriktiv interpretiert werden.

Abschließend ist es der Kommission ein Anliegen, den Mitgliedstaaten die Möglichkeit zu geben, bestehende Kronzeugenregelungen mit ihrer Ausschlusspraxis im Vergabeverfahren zu harmonisieren; die Anreizwirkung nationaler Kronzeugenregelungen soll nicht dadurch konterkariert werden, dass durch die Initiative als Kronzeuge der Ausschluss von zukünftigen Auftragsvergaben droht. Unklar formuliert die Bekanntmachung allerdings, nach welchen Kriterien bzw. mit welcher Zielrichtung Differenzierungen im Rahmen der Kronzeugenregelungen vorgenommen werden sollten.

3. Verbundene Unternehmen, Bietergemeinschaften und Nachunternehmer (Ziffer 5.5. und 5.6)

Ein anderer Komplex, der durch die Bekanntmachung in den Blick genommen wird, sind (i) Angebote verbundener Unternehmen, (ii) Angebote von Bietergemeinschaften und (iii) Beauftragungen von Nachunternehmern. Hier bestünde laut der Kommission ein grundsätzlich erhöhtes Risiko, dass eingereichten Angebote nicht eigenständig und unabhängig erstellt wurden (vgl. EuGH, Urteil vom 17. Mai 2018, C-531/16 – Ecoservice projektai). Hinsichtlich der Beurteilung der Unabhängigkeit solcher Angebote stellt die Bekanntmachung in allen Fallgruppen den großen Spielraum der öffentlichen Auftraggeber heraus. Dabei wird aber betont, dass auch bei der Bekämpfung von wettbewerbswidrigem Verhalten nicht außer Acht gelassen werden dürfe, dass die Zusammenarbeit von Unternehmen im Grundsatz legitim ist und ihr unter Umständen eine Schlüsselfunktion im Rahmen der unternehmerischen Wachstumsstrategie zukommt. Um gleichwohl Verzerrungen des Wettbewerbs vorzubeugen, solle aber insbesondere bei getrennten Angeboten wirtschaftlich verbundener Unternehmen genauer hingeschaut werden. Hier zeichnet sich möglicherweise eine irritierende Divergenz zwischen Vergabe- und Kartellrecht ab, nämlich das kartellrechtlich nach dem Konzernprivileg unselbstständige Tochterunternehmen vergaberechtlich nicht als (unproblematische) wirtschaftliche Einheit behandelt werden sollen. Eine solche Aufspaltung, wie die Kommission sie hier andeutet, nach welcher Konzernverbindungen zwar kartellrechtlich unbedenklich sind, derselbe Sachverhalt im Vergaberecht aber potentiell einen Ausschlussgrund darstellen könnte, scheint jedoch widersprüchlich. Denn der Ausschluss wegen wettbewerbswidriger Absprachen stellt gerade auf einen Kartellverstoß ab. Wenn ein Angebot von verbundenen Unternehmen jedoch kartellrechtlich unbedenklich ist, kann das eigentlich keinen vergaberechtlichen Ausschlussgrund aufgrund eines Kartellverstoßes darstellen. Es bleibt abzuwarten, ob die Kommission diesen Aspekt noch klarstellen wird.

Auch die Vergabe von Unteraufträgen sollte nach Auffassung der Kommission sorgfältig geprüft werden. Dies gilt insbesondere für Fälle, in denen die vorgesehenen Nachunternehmer sich auch als eigenständiger Bieter am Vergabeverfahren beteiligen könnten oder in Fällen, in denen zwei Bieter sich gegenseitig Unteraufträge erteilen – denn ein solches Vorgehen würde den Bietern die wechselseitige Kenntnis ihrer finanziellen Angebote ermöglichen, was die Unabhängigkeit des jeweils eigenen Angebotes infrage stellen könnte. Allgemeine Vermutungen durch die Auftraggeber wären aber auch in diesen Fällen fehl am Platz, betroffene Bieter sollten stets die Möglichkeit zum Beweis des Gegenteils erhalten. In der deutschen Rechtsprechung wird eine solche „Überkreuzbeteiligung“ durch gegenseitigen Einsatz als Unterauftragnehmer allerdings nicht per als wettbewerbswidrig gesehen: Eine Beeinträchtigung des Geheimwettbewerbs sei bei einer „Überkreuzbeteiligung“ jedenfalls dann zu verneinen, wenn den Bietern genügend Kalkulationsspielraum verbleibe, sodass keiner der Bieter weiß, zu welchem Preis der jeweils andere Bieter anbieten wird. Die Kenntnis bestimmter Preisbestandteilen des jeweils anderen Bieters führe jedenfalls nicht automatisch zu einer Kenntnis von dessen vollständigen finanziellen Angebotes (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30. Oktober 2019 – VII Verg 17/19).

Die Auswahl, durch welche Nachweise die tatsächliche Unabhängigkeit eines Angebots dargetan wird, soll allerdings dem Bieter überlassen werden. Gerade aufgrund der hohen Komplexität in diesen Fallgruppen, hätte es prägnanter Hilfestellungen bedurft, um für öffentlichen Auftraggeber und Unternehmen mehr Klarheit zu schaffen. Die Bekanntmachung belässt es im Wesentlichen dabei, die Angebote verbundener Bieter, Bietergemeinschaften und Konstellationen der Vor- und Nachunternehmerschaft als potentielle „Red Flags“ zu klassifizieren, welche einer sorgfältigen Bewertung bedürften.

4. Die Bedeutung der Selbstreinigung (Ziffer 5.7)

Die Bekanntmachung will in einem weiteren Abschnitt Orientierung zur „Rehabilitierung“ von Unternehmen durch Maßnahmen der Selbstreinigung geben: Unternehmen sollen das Recht haben, Nachweise zu Selbstreinigungsmaßnahmen vorzulegen; gleichzeitig träfe sie die Pflicht zum Nachweis der erforderlichen Selbstreinigungs- und Präventionsmaßnahmen. Spiegelbildlich sollten öffentliche Auftraggeber selbst dann verpflichtet sein, diese Nachweise ordnungsgemäß zu würdigen, wenn sie meinen, über Beweise von geheimen Absprachen des Bieters zu verfügen. Inhaltlich stellt die Kommission sodann klar: Bieter müssen nur dann nachweisen, für rechtswidriges Verhalten Schadensersatz geleistet oder sich dazu verpflichtet zu haben, wenn gegen sie ein Anspruch besteht. Sie schränkt weiter ein, dass in bestimmten Fällen auch rein personelle Maßnahmen für eine erfolgreiche Selbstreinigung ausreichen können; weitere technische oder organisatorische Maßnahmen seien dann nicht erforderlich. Dabei konkretisiert sie jedoch nicht, welche Arten von Fällen ihr dabei vorschweben. Für deutsche Auftraggeber ist auch hier das Wettbewerbsregister hilfreich: Hier werden Bieter, bei denen die einschlägigen Ausschlussgründe vorliegen aufgeführt; bei ggf. durchgeführten erfolgreichen Selbstreinigungsmaßnahmen kann jedoch auch die Löschung der entsprechenden Einträge beantragt werden.

5. Behördliche Kooperation als zentrales Element (Ziffer 5.8)

Wie bereits in der Bekanntmachung an verschiedener Stelle betont, ist ein Kernelement bei der Bekämpfung wettbewerbswidriger Absprachen nach Auffassung der Kommission die Stärkung der behördenübergreifenden Kooperation. So sollen die Wettbewerbsbehörden andere Behörden möglichst frühzeitig in das Verfahren einbeziehen und Wettbewerbsbehörden sollten Kontaktstellen für Auftraggeber einrichten. Dabei sollten Kontakte zwischen öffentlichen Auftraggebern und anderen Behörden  unter strikter Vertraulichkeit durchgeführt werden, damit die unter Verdacht stehenden Bieter nicht die Möglichkeit erhalten, eventuelle Beweise zu beseitigen. Diese durchaus zutreffenden Erwägungen zur Kooperation und Effizienz behördlicher Praxis lesen sich dabei eher wie eine allgemeine Handlungsaufforderung an die Mitgliedsstaaten. Ein Auftraggeber wird ohne mitgliedstaatliche Umsetzung hieraus wenig gewinnen können.

6. Bedingungen für den Ausschluss eines Bieters (Ziffer 5.9)

Mit Blick auf die mögliche Dauer eines Ausschlusses von Bietern  scheint die Kommission die Möglichkeit von Vergabesperren durchaus anzuerkennen: So könnten Mitgliedstaaten im Einklang mit der Richtlinie festlegen, dass ein Auftraggeber einen Ausschluss für einen bestimmten Zeitraum hinsichtlich seiner eigenen Verfahren festlegen kann, bzw. ein zeitlich begrenzten Ausschluss mit einem allgemeinen Geltungsbereich auch von anderen Behörden wie beispielsweise den Wettbewerbsbehörden möglich ist. Reiche ein von einem solchen Ausschluss betroffener Bieter ein Angebot während des Ausschlusszeitraums ein, sei dessen Angebot ohne weitere Prüfung abzulehnen. Die Klarstellungen der Kommission sind zu begrüßen. Denn einige Aussagen des EuGH konnten durchaus als eine Ablehnung der unionsrechtlichen Zulässigkeit von Vergabesperren verstanden werden (vgl. EuGH, Urteile vom 3. Oktober 2019, C-267/18 – Delta; vom 19. Juni 2019, C-41/18 – Meca; vom 13. Dezember 2012, C-465/11 – Forposta, wonach dem Wortlaut des Art. 57 Abs. 4 der Richtline 2014/24/EU zu entnehmen sei, dass der Unionsgesetzgeber allein dem Auftraggeber die Aufgabe übertragen wollte, im Stadium der Bieterauswahl zu befinden, ob ein Bieter von einem Vergabeverfahren auszuschließen ist). Zwingend ist dieses Verständnis der Entscheidungen aber nicht.

Die Kommission betont schließlich, dass sich die Ausschlussentscheidungen nur auf die konkreten Unternehmen bezieht, in deren Person die Ausschlussvoraussetzungen vorliegen – nicht aber mit diesen verbundene Unternehmen, die gar nicht an dem betreffenden Vergabeverfahren beteiligt waren. Dabei differenziert sie nicht weiter nach Art der verbundenen Unternehmen oder etwa Kontrollverhältnissen, sondern listet ausdrücklich  Mutter- oder Tochterunternehmen oder andere Unternehmen derselben Gruppe auf. Im deutschen Recht war bislang noch nicht abschließend geklärt, inwieweit das Vorliegen von fakultativen Ausschlussgründen innerhalb eines Konzernverbundes zuzurechnen ist (s. hierzu Friton in BeckOK Vergaberecht, Gabriel/Mertens/Prieß/Stein, 20. Edition, § 123 Rn. 33f. sowie § 124 GWB, Rn. 93b). Vor diesem Hintergrund überrascht die klare Aussage der Kommission.

Mittel und Tipps im Anhang

Die im Anhang aufgeführten Mittel und Tipps für öffentliche Auftraggeber entsprechen zumindest nach ihrer Darstellung den Anforderungen in der Praxis. Die in einzelnen Spiegelstrichen aufbereiteten Handlungsempfehlungen sind knapp und klar formuliert. Das schon insbesondere von Sanchez-Graells gerügte Manko, lediglich das Problem zu umkreisen und bei Allgemeinplätzen zu verweilen, haftet allerdings auch diesen Anweisungen an. Wohl lediglich sehr unerfahrene Auftraggeber werden hier neue Anregungen finden, wie sie beim Ausschluss von Bietern vorgehen sollten. Konkret werden den Auftraggebern u.a. folgende Handreichungen gegeben:

Ratschläge zur Gestaltung von Vergabeverfahren, um von vornherein Bieter von Absprachen abzuschrecken

Hierzu zählen insbesondere gründliche Marktrecherchen, eine frühzeitige Planung des Verfahrens, das Anstreben einer hohen Bieterbeteiligung aus dem In- und Ausland, die Vermeidung von Vorhersehbarkeiten und festen Wiederholungen in häufig durchgeführten Verfahren, das Erwägen von zentralen Beschaffungsmaßnahmen in Form von Rahmenverträgen und die Sensibilisierung der Bieter für mögliche Folgen von verbotenen Absprachen.

Ratschläge zur Aufdeckung potentieller Absprachen bei der Bewertung von Angeboten

Hier sollen öffentliche Auftraggeber genügend Zeit für die Prüfung der Angebote einplanen. Anhaltspunkte für ein mögliches Scheinangebot und damit Anlass für eine besonders gründlichen Prüfung können sich dabei insbesondere aus unvollständigen und deutlich unter den Mindestanforderungen liegenden Angeboten ergeben. Im Rahmen der Kontrollen sollte besonderes Augenmerk auf die Entdeckung von Bietermustern gelegt werden. Auf Angebote von Bietergemeinschaften, verbundenen Unternehmen und von Unternehmen, die bereits in der Vergangenheit wegen geheimer Absprachen oder verbotener Zusammenarbeit ausgeschlossen wurden, solle besonders geachtet werden.

Ratschläge zur Reaktion auf Fälle mutmaßlicher Absprachen

Bevor öffentliche Auftraggeber einen Ausschluss in Erwägung ziehen, sollen sie sämtliche Anhaltspunkte prüfen und sorgfältig dokumentieren, Bietern aber auch Gelegenheit geben, Klarstellungen zu ihrem Angebot zu übermitteln und sich an die nationalen Wettbewerbsbehörden zur Unterstützung wenden.

Fazit und Ausblick

Das Rad hat die Kommission mit ihrer Bekanntmachung nicht neu erfunden. Dass sich die öffentliche Beschaffung an der Maxime einer möglichst hohen Beteiligung von Wirtschaftsteilnehmern ausrichten soll und die Planung des Vergabeverfahrens und die Prüfung der Angebote sorgfältig und auf Grundlage gründlicher Marktbeobachtungen zu erfolgen hat, sind vergaberechtliche Binsen. Auf der anderen Seite enthält die Bekanntmachung an einigen Stellen auch aufschlussreiche Einordnungen europäischer Rechtsprechung, die für öffentlicher Auftraggeber in einigen Situationen durchaus hilfreich sein kann. Zur Wahrheit gehört ebenfalls, dass nicht die Zielsetzungen, sondern ihre Umsetzung den Kern des Problems ausmachen. Hier legt die Kommission den Finger in die Wunde, wenn sie Verbesserungen in der behördlichen Zusammenarbeit anregt.

Kontribution

Der Beitrag wurde gemeinsam mit Frau Rechtsanwältin Rita Zuppke verfasst.

Rita Zuppke

Rita Zuppke ist Rechtsanwältin in der Kanzlei BLOMSTEIN in Berlin. Sie berät deutsche und internationale Mandanten zum deutschen und europäischen Wettbewerbs- und Kartellrecht sowie in außenwirtschaftsrechtlichen Fragestellungen. Ihre Tätigkeit umfasst die Beratung in Verfahren vor deutschen und europäischen Gerichten, der Europäischen Kommission und dem Bundeskartellamt.