Bei falsch angenommener Eignung genießt ein Bieter Vertrauensschutz (OLG Düsseldorf, 29.03.2021 – Verg 9/21)

EntscheidungBejaht der Auftraggeber fehlerhaft die Eignung eines Bewerbers in einem Vergabeverfahren mit Teilnahmewettbewerb, darf dieser auf das Ergebnis der Eignungsprüfung vertrauen. Eine nachträgliche Aberkennung seiner Eignung in der Angebotsphase ist ausgeschlossen.

 

Sachverhalt

Der Auftraggeber schrieb EU-weit einen Auftrag zur Programmierung von Software in einem Verhandlungsverfahren aus. Im vorgeschalteten Teilnahmewettbewerb stellte der Auftraggeber die Eignung aller Bewerber positiv fest. Nach Abschluss der Angebotsphase und Erhalt des Vorabinformationsschreibens rügte ein Bieter, dass das Unternehmen, welches den Zuschlag erhalten sollte, mangels Erfüllung der Referenzenanforderungen schon nicht geeignet sei. Nach erfolgloser Rüge stellte er einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer, die den Nachprüfungsantrag zurückwies.

Die Entscheidung

Gegen die Entscheidung der Vergabekammer reichte der Bieter sofortige Beschwerde beim OLG Düsseldorf ein. Der Vergabesenat hatte bereits Bedenken hinsichtlich einer ordnungsgemäßen Rüge, da diese zu unsubstantiiert sei. Hierauf kam es dem Senat aber nicht an. Denn den Nachprüfungsantrag hielt der Senat bereits aus anderen Gründen für unbegründet.

In seinem Beschluss führte der Vergabesenat zur Funktion des Teilnahmewettbewerbs aus:

„Dadurch wird mit der positiven Eignungsprüfung – anders als im offenen Verfahren – ein Vertrauenstatbestand für die zum Verhandlungsverfahren zugelassenen Unternehmen begründet, dass sie nicht damit rechnen müssen, der ihnen durch die Erstellung der Angebote und Teilnahme am Wettbewerb entstandene Aufwand könnte dadurch nachträglich nutzlos werden, dass der Auftraggeber ihre Eignung auf … gleichbleibender tatsächlicher Grundlage später nochmals abweichend beurteilt“.

Dies ergebe sich im Interesse einer fairen Risikoabgrenzung zwischen öffentlichem Auftraggeber und Bieter letztlich aus Treu und Glauben (§ 242 BGB).

Deshalb haben, so der Vergabesenat weiter

„Mitbieter … danach einen Vergaberechtsverstoß, der in der fehlerhaften Bejahung der Eignung eines Unternehmens … liegt, ab der Begründung des Vertrauenstatbestandes hinzunehmen.“

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung des OLG Düsseldorf ist keine Neuheit. Der Senat beruft sich auf die bereits bestehende Rechtsprechung des BGH (vom 07.01.2014, X ZB 15/13). Dennoch ist der Beschluss aus mehreren Gründen überraschend.

Grundsatz der Gleichbehandlung tritt zurück

Das OLG Koblenz (13.06.2012, 1 Verg 2/12) entschied bereits 2012, dass

„der Auftraggeber … seine Anforderungen an die Eignung … weder verschärfen noch zugunsten einzelner Bieter auf die Erfüllung seiner Vorgaben verzichten [darf].“

Denn bei der Eignungsprüfung sind alle Bewerber/Bieter gleich zu behandeln. Die fehlerhaft festgestellte Eignung betrifft also keineswegs nur den geprüften Bieter und sein Verhältnis zum Auftraggeber, sondern sämtliche Verfahrensteilnehmer. Hiernach spricht mindestens ebenso viel dafür, dass zugunsten aller geeigneten Bieter ein Vertrauenstatbestand dahingehend besteht, dass alle nicht geeigneten Bieter vom Verfahren ausgeschlossen werden.

So entschied auch das OLG München (21.09.2018, Verg 4/18),

„dass sich der Anspruch des Bewerbers in einem Teilnahmeverfahren nicht darin erschöpft, überhaupt in die engere Wahl zu kommen. Vielmehr hat er aus dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung und Transparenz des Verfahrens auch einen subjektiven Anspruch darauf, dass das Auswahlverfahren, das die Vergabestelle festlegt, auch in Bezug auf seine Konkurrenten eingehalten wird.“

Dies gelte insbesondere für den Teilnehmer, der bei Ausschluss des zu Unrecht zugelassenen Bewerbers den Zuschlag erhalten hätte. Würde man den erstplatzierten aber ungeeigneten Bieter nicht vom Verfahren ausschließen, würde dies nicht nur die Bieterreihenfolge verändern. Es würde zumindest auch den eigentlich erstplatzierten Bieter in seinen subjektiven Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB verletzen.

Dennoch gewichtet das OLG Düsseldorf die Interessen eines zu Unrecht zugelassenen Bieters höher. Wegen des Vertrauenstatbestandes seien Fehler bezüglich der Eignung hinzunehmen. Im Ergebnis stellt der Vergabesenat damit das Vertrauen einzelner Verfahrensteilnehmer über die Einhaltung des universell geltenden Gleichbehandlungsgebotes und des subjektiven Rechts der anderen Verfahrensteilnehmer, an der Durchführung eines ordnungsgemäßen Verfahrens.

Durchbrechung des Grundsatzes der Eignung

Bemerkenswert ist zudem, dass der Vergabesenat mit seiner Entscheidung den Grundsatz der Eignung durchbricht.

Vorliegend ließ der Vergabesenat offen, ob der Bieter nun tatsächlich geeignet ist oder nicht. Der Bieter dürfe auf das Ergebnis der Eignungsprüfung vertrauen, weshalb es hierauf nicht ankomme.

Soweit sich der Vergabesenat dabei auf eine Entscheidung bezieht, in der er das Vertrauen eines Bieters auf eine fehlerhaft zu lang berechnete Nachforderungsfrist für schützenswert hielt (OLG Düsseldorf, 03.04.2019, VII-Verg 49/18), liegt der Fall hier anders. Denn im dortigen Fall konnte der Bieter die fehlende Unterlage im Ergebnis vorlegen. Anderenfalls hätte nach Auffassung der zuvor befassten Vergabekammer auch dort etwas anderes gelten müssen. Hierzu führte diese aus:

„Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn feststünde, dass die Bg bei Setzen der kürzeren Frist objektiv nicht in der Lage gewesen wäre, diese zu erfüllen, etwa weil eine Zertifizierung einzuholen gewesen wäre o.ä. Derartige Umstände liegen jedoch nicht vor.“

Dagegen kann nach der vorliegenden Entscheidung ein Bieter, der materiell ungeeignet ist, trotzdem den Zuschlag erhalten, obwohl § 122 Abs. 1 GWB, der Art. 56 Abs. 1 a) der Richtlinie 2014/24/EU umsetzt, unmissverständlich bestimmt:

„Öffentliche Aufträge werden an fachkundige und leistungsfähige (geeignete) Unternehmen vergeben, die nicht nach den §§ 123 oder 124 ausgeschlossen worden sind.“

Damit erhält der Bieter durch das vergaberechtlich fehlerhafte Vorgehen eine bessere Position als bei einer vergaberechtskonformen Eignungsprüfung!

Zudem hat die Rechtsprechung schon mehrfach entscheiden, dass der öffentliche Auftraggeber im Laufe des Verfahrens Korrekturen vornehmen darf, wenn ihm Fehler oder Widersprüche bekannt werden. Die VK Bund (27.01.2017, VK 2 – 131/16) entschied im Zusammenhang mit der Beantwortung verspätet gestellter Bieterfragen, dass die Verfahrenskorrektur nicht nur sein Recht, sondern auch seine Pflicht ist. Die Vergabekammer betonte dabei, dass die Verpflichtung des Auftraggebers, ein rechtskonformes Verfahren durchzuführen, über den Umgang mit Bieterfragen hinausgeht. Deshalb sind „erkannte Defizite oder Fehler in jedem Stand des Vergabeverfahrens zu korrigieren“.

Zudem dürfen Bieter auch aus zwingenden oder fakultativen Gründen nach §§ 123, 124 GWB „zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens“ ausgeschlossen werden. Hier wird ein Vertrauen des Bieters ebenfalls nicht anerkannt. Schließlich hat auch das OLG Düsseldorf selbst bereits entschieden, dass ein Bieter auch nachträglich mangels Eignung ausgeschlossen werden darf, wenn der Vergabestelle die betreffenden Umstände erst später bekannt werden (15.06.2005, VII-Verg 5/05). Hierzu führte es aus, dass

„die Vergabestelle … die Eignungsprüfung aufgrund neu hervorgetretener Erkenntnisse, die geeignet waren, die Eignung der Antragstellerin anzuzweifeln, wiederaufgreifen [durfte].“

Dass bei späterem Erkennen einer fehlerhaften Eignungsprüfung eine andere Beurteilung angezeigt sein soll, überzeugt nicht.

Widerspruch zur BGH-Rechtsprechung

Soweit sich der Vergabesenat zur Begründung auf eine Entscheidung des BGH beruft, in der dieser das Entstehens eines Vertrauenstatbestandes nach einmal erfolgter positiver Eignungsprüfung im Verhandlungsverfahren anerkennt, überzeugt auch dies nicht. Denn der BGH erkennt kein schützenswertes Interesse des Bieters dahingehend, dass eine zu Unrecht behauptete Eignung nicht nachträglich revidiert werden dürfte. Der BGH führt hierzu vielmehr aus:

„Dass die Vergabestelle sie einmal bejaht hat, steht einer späteren abweichenden Einschätzung … nicht … entgegen. Revidiert eine Vergabestelle ihre Beurteilung der Eignung eines Bieters zu dessen Nachteil … kann das lediglich Anlass geben, besonders kritisch zu prüfen, ob diese Entscheidung … eine Fehleinschätzung darstellt oder von sachfremden Erwägungen getragen sein könnte.“

Sofern keine sachfremden Erwägungen die Entscheidung veranlassen, soll nach dem BGH eine Korrektur der einmal abgeschlossenen Eignungsprüfung also durchaus möglich bleiben. Dies muss erst recht gelten, wenn der Vergabestelle eigene Fehler bekannt werden.

Fazit

Die Entscheidung des OLG Düsseldorf überrascht. Aus verständlichen Gründen erkennt der Senat ein schützenswertes Vertrauen des betroffenen Bieters in seine einmal festgestellte Eignung. Schließlich betrieb er einen erheblichen Aufwand in der Angebotsphase, die nicht selten einige Monate dauert.

Dennoch ist die Entscheidung kritisch zu bewerten. Denn der Vergabesenat setzt sich über den klaren Wortlaut der Richtlinie 2014/24/EU hinweg. Nach deren Art. 56 Abs. 1 a) darf ein Bieter, der materiell ungeeignet ist, keinen Zuschlag erhalten. Zudem nimmt der BGH, entgegen den Ausführungen des OLG Düsseldorf, keinen generellen Bestandsschutz hinsichtlich der einmal bejahten Eignung eines Bieters an.

Im Ergebnis hätte deshalb die Frage, ob der Bieter tatsächlich ungeeignet ist, nicht unbeantwortet bleiben dürfen, sondern entschieden werden müssen.

Das Vertrauen des zu Unrecht für geeignet gehaltenen Bieters lässt sich überzeugender durch die Anerkennung einer Schadensersatzpflicht des öffentlichen Auftraggebers für den vergeblichen Aufwand bei der Angebotserstellung schützen als durch die Verschaffung einer Rechtsposition, die ihm mangels Eignung nie zustand.