Beschaffungsdienstleistungen auf dem wettbewerbsrechtlichen Prüfstand (LG Magdeburg, Urt. v. 15.09.2021 – 7 O 1109/21)
Die Vergabeberatung, -abwicklung und -begleitung wird immer mehr zur Ware. Zahlreiche halb-öffentliche, schein-öffentliche und freilich auch private Stellen betätigen sich auf diesem Gebiet. Die Vergütung erfolgt oft genug pauschal. Die Bearbeitung auch. Das ist nicht immer schlecht, im Gegenteil. Bei Kapazitätsengpässen, sei es infolge von Krankheit, Schwangerschaft, Urlaub oder schlicht unzureichender Personalausstattung, oder bei mangelnder Vertrautheit mit der Thematik und gleichzeitig hohem Zeitdruck greifen Teile der öffentliche Hand und oft genug auch Zuwendungsempfänger auf Dienstleister zurück, die vor allem eins leisten müssen: eine kostengünstige, zügige und rechtssichere Abwicklung eines oder mehrerer eher einfach gelagerter Vergabeverfahren.
Viele spezialisierte Anwaltskanzleien haben an dieser Art von Geschäft kein Interesse. Sie sind ein- und ausgerichtet auf die Begleitung komplizierter Beschaffungsverfahren bei aufwandsbezogener Abrechnungen, sodass zumindest auch auf Kostenminimierung bedachte Nachfragen der öffentlichen Hand, die auf die Begleitung weitgehend standardisierter Verfahren hinauslaufen, schlicht nicht zum Geschäftsmodell passen. Zahlreiche Vergabeanwälte überlassen daher den halb-öffentlichen, schein-öffentlichen und privaten Vergabebegleitungsunternehmen die Spielwiese. Allerdings: keineswegs alle.
Bedenklich wird es – aus anwaltlicher Sicht – vor allem dann, wenn all die vergabebegleitenden Unternehmensberater, Projektsteuerer, Ingenieure, Beratungsstellen etc. ihre Kompetenzen überinterpretieren. Dies geschieht auf unterschiedliche Weise. Mal werden die Leistungsphasen 6 und 7 der HOAI extensiv ausgelegt, mal zieht der Dienstleister „seinen eigenen“ Anwalt hinzu, mal wird der Rechtsberatungsanteil als Nebensache abgetan, unterstützt vom öffentlichen Auftraggeber, der eine an Fach- und nicht an Rechtsberatern ausgerichtete Gesamtvergabe bevorzugt (VK Brandenburg, Beschluss vom 3. September 2014 – VK 14/14, siehe auch die Anmerkung von Klein, Vergabeblog.de vom 16/11/2014, Nr. 20815), anstatt die Rechtsberatung aus dem Dienstleistungspaket herauszulösen und einem Anwalt zu überlassen.
Fraglich ist sowohl in den eher standardisiert verlaufenden, für die meisten Anwälte unattraktiven Fällen als auch in komplexe Rechtsberatungsleistungen erfordernden Sachverhalten, ob und ggf. inwieweit die Vergabeberatung, -abwicklung und -begleitung dem Rechtsdienstleistungsgesetz unterfällt. Das Thema hat nach einer kürzlich ergangenen, noch nicht rechtskräftigen Entscheidung der VK Bund (VK Bund, Beschluss vom 2. Juni 2021 – VK 2-47/21, siehe auch die Anmerkung von Pfarr, Vergabeblog.de vom 02/08/2021, Nr. 47579) nun auch wissenschaftliche Beachtung erfahren (Goldbrunner, Zeitschrift für Vergaberecht, S. 651 ff.), doch auch diese dürfte erst am Anfang stehen. Das Landgericht Magdeburg hat in der hier zu besprechenden Entscheidung deutlich Stellung bezogen, und zwar aus wettbewerbsrechtlicher Sicht.
Sachverhalt
Die Verfügungsklägerin ist eine auf Vergaberecht und die Vergabebegleitung spezialisierte Anwaltskanzlei. Nach zwei erfolglosen Abmahnungen stellte sie einen auf §§ 8 Abs. 1 S. 1, 3 Abs. 1 UWG i.V.m. § 3 RDG gestützten einstweiligen Verfügungsantrag des Inhalts, der Beklagten zu untersagen, im Einzelnen definierte Vergabeberatungsleistungen zu erbringen.
Die Verfügungsbeklagte ist eine „von den Institutionen der verkammerten Wirtschaft“ des betreffenden Bundeslands getragene Stelle, die im Rahmen einer „entgeltpflichtigen Grundberatung“ nach eigenen Angaben u.a. zur Anwendung vergaberechtlicher „Regelwerke“ beriet und „Hinweise und Empfehlungen im Hinblick auf die korrekte Anwendung“ dieser Regelungen erteilte.
Anlass des Streitverfahrens bildete ein Vergabeverfahren über Vergabeberatungsleistungen, an dem sich Klägerin und Beklagte beteiligt hatten. Ausgeschrieben war u.a. die Prüfung der „Einhaltung von Wettbewerbsregeln und der Vergabegrundsätze, … Vermeidung von Diskriminierungsaspekten und … der Sicherung des Gleichbehandlungsgrundsatzes“. Zudem sollten mit Bezug hierauf „Handlungsempfehlungen“ erteilt werden. Exakt dieses Leistungsportfolio hatte die Verfügungsbeklagte auch auf ihrer Website beworben, was die Verfügungsklägerin ebenfalls zum Gegenstand von Abmahnung und Verfügungsantrag erhob.
Die Entscheidung
Das Landgericht bejaht zunächst die Zulässigkeit der einstweiligen Verfügung. Die zu unterlassenden Handlungen seien hinreichend konkret bezeichnet. Auch grenzt das Landgericht seine eigene Zuständigkeit von derjenigen der Vergabekammer ab. Das Rechtsschutzziel im hiesigen Verfahren sei die Verfolgung von Unterlassungsansprüchen nach dem UWG gegenüber einer Wettbewerberin und nicht die Überprüfung eines Vergabeverfahrens.
Auch die Begründetheit der Anträge bejaht das Landgericht. Es erkennt zunächst auf den geschäftlichen Charakter der Handlungen der Beklagten. Insoweit weist es ausdrücklich darauf hin, dass die Beklagte mit den in Rede stehenden Beratungsleistungen auf ihrer Website werbe und diese noch dazu entgeltlich erbracht werden würden. In einem zweiten Schritt nimmt das Landgericht ein Wettbewerbsverhältnis zwischen der Anwaltskanzlei und der nicht-anwaltlichen Beratungsstelle an. Beide Parteien erbrächten Leistungen der Verfahrensbegleitung und Vergaberechtsberatung.
Anschließend überprüft das Landgericht, ob das Leistungsangebot der Beklagten dem Rechtsdienstleistungsgesetz unterfällt. Da die Beratung in vergaberechtlichen Fragen sowie die Erteilung von Handlungsempfehlungen „eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordern“, handle es sich um Rechtsdienstleistungen. Wie intensiv oder schwierig diese Prüfung sei, spiele keine Rolle.
Die Erbringung solcher Rechtsdienstleistungen, so das Landgericht weiter, sei gemäß § 3 RDG nur dann zulässig, wenn sie durch Gesetz erlaubt sei. Eine solche Erlaubnis sei im Fall der Beklagten jedoch nicht ersichtlich. Die Beklagte sei weder Rechtsanwaltsgesellschaft noch sonstige Person, die zur Erbringung von Rechtsdienstleistungen ermächtigt sei. Die Leistungen der Beklagten erfolgten entgeltlich, sodass § 6 RDG nicht einschlägig sei. Auch handle es sich bei der rechtlichen Beratung gerade nicht um eine bloße Nebentätigkeit, wenn man den Internetauftritt der Beklagten zugrunde lege, sodass § 5 RDG ebenso wenig einschlägig sei. Auch § 7 RDG rechtfertige das Leistungsangebot der Beklagten nicht, denn die Beklagte sei weder Berufsvereinigung noch – als Stiftung des bürgerlichen Rechts – Genossenschaft. § 8 Abs. 1 Nr. 2 RDG helfe der Beklagten schließlich auch nicht weiter. Zwar könne hiernach eine Erlaubnis bestehen, Mitgliedsunternehmen der die Beklagte tragenden funktionalen Selbstverwaltungskörperschaften in Vergaberechtsfragen zu beraten. Öffentliche Auftraggeber seien jedoch keine solchen Unternehmen.
Schließlich hat die Beklagte noch eingewendet, dass die Rechtsberatungsleistungen durch einen von ihr hinzugezogenen Anwalt erbracht würden. Unter Verweis auf die einschlägige Rechtsprechung des BGH, nach der es auf das Eingehen der Verpflichtung zur Übernahme der Rechtsbesorgung gegenüber dem Vertragspartner ankommt (Urteil vom 29. Juli 2009 – I ZR 166/06, NJW 2009, 3242 m.w.N.), räumt das Landgericht auch diesen Einwand ab. Hier fällt vor allem auf, dass die Beklagte durch diesen Vortrag letztlich zugestanden hat, Rechtsdienstleistungen nicht nur zu bewerben, sondern diese auch selbst zu erbringen, wenn auch durch einen anwaltlichen Erfüllungsgehilfen.
Rechtliche Würdigung
Die Entscheidung ist richtig. Die Beklagte bewarb die Erbringung von Rechtsdienstleistungen. Auch sicherte sie die Erbringung solcher Leistungen vertraglich zu, andernfalls hätte sie sich schon nicht an dem konkreten, den Anlass des landgerichtlichen Verfahrens bildenden Vergabeverfahren beteiligen können. Anders formuliert, anknüpfend an das aus dem Urteil ersichtliche Leistungsangebot der Beklagten: Wer „Handlungsempfehlungen“ für die „Anwendung“ von „Vergaberegeln“ in einem konkreten Vergabeverfahren erteilt, der erbringt Rechtsdienstleistungen.
Möglicherweise wäre es als Verteidigung aussichtsreich gewesen, vorzutragen, die Rechtsdienstleistungen seien bloße Nebenleistungen im Rahmen der sonstigen beschaffungsunterstützenden Tätigkeiten der Beklagten (Vertiefend: Goldbrunner, Zeitschrift für Vergaberecht, S. 651, 657 ff., die nur bei vollständigem Fehlen oder Vorliegen divergierender Rechtsprechung keine bloße Nebenleistung des Beschaffungsdienstleisters mehr erkennen kann). Das Landgericht würdigte jedoch den seinerzeitigen Internetauftritt der Beklagten – gerade die dort beworbenen Leistungen waren verfahrensgegenständlich – und kam zu dem Schluss, bei den beworbenen und letztlich auch angebotenen Rechtsdienstleistungen handle es sich nicht um Nebenleistungen, sondern um einen „Schwerpunkt“ der angebotenen Leistungen. Diese Feststellung ist das zutreffende Ergebnis einer Abwägung nach § 5 Abs. 1 S. 2 RDG. Dass die Abwägung selbst in der Entscheidungsdarstellung des Landgerichts nicht vorkommt, ist angesichts des eindeutigen Leistungsversprechens der Beklagten nachvollziehbar. Denn gleichgültig, wie eng oder weit man den Begriff der Nebenleistung fasst, die Beklagte unternahm von vornherein keine Anstrengungen, ihr Leistungsangebot zu begrenzen. Im Gegenteil: Sie versprach und bewarb das typische Leistungsangebot eines Vergabeanwalts, nämlich die vergaberechtliche Prüfung konkreter Vergabeunterlagen.
Praxistipp
Über das Schicksal der vorwiegend verwaltungsmäßigen Abwicklung von Vergabeverfahren ist in Magdeburg nicht entschieden worden. Allerdings sind öffentliche Auftraggeber gerade angesichts der beträchtlichen Konsequenzen einer Verletzung des Rechtsdienstleistungsgesetzes (Goldbrunner, Zeitschrift für Vergaberecht, S. 651, 657 ff.) gut beraten, Rechtsdienstleistungen von sonstigen Unterstützungsleistungen getrennt zu vergeben. Für eine weitere Klärung des Abgrenzungsproblems ist auf die 2. Instanz in Sachen VK Bund zu hoffen.
Fällt die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers dahin aus, Rechtsdienstleistungen gar nicht erst zu benötigen, so ist entsprechende vertragliche Vorsorge zu treffen. Der Vertrag muss die Beschaffungsentscheidung des öffentlichen Auftraggebers also auch widerspiegeln; mit anderen Worten: Die Abgrenzung der Rechtsdienstleistungen von bloßen Nebenleistungen hat im Vertrag zu erfolgen. Damit es sich nicht um bloße Leerformeln handelt („Auftragnehmer erbringt Rechtsdienstleistungen nur als Nebenleistungen i.S.d. § 5 Abs. 1 S. 2 RDG“), sind sowohl prozedurale Vorkehrungen, nach denen ein vorab fixierter Umfang rechtlicher Nebenleistungs-Prüfungen nicht überschritten werden darf oder meldepflichtig ist, als auch inhaltliche Vorgaben empfehlenswert. Den Ansatz von Goldbrunner erweiternd (a.a.O.), müssen die wirtschaftlichen Folgen der Rechtsfrage ebenso berücksichtigt werden wie die Komplexität des zu beurteilenden Sachverhalts. Erfordert die Beantwortung der Rechtsfrage die Auslegung ggf. unklarer Vergabeunterlagen unter Berücksichtigung von Bieterfragen und Antworten hierauf sowie ggf. sogar die Bearbeitung von Bieter-Rügen und/oder hat die Entscheidung den Ausschluss eines aussichtsreichen Angebots in einem wirtschaftlich auch nur halbwegs bedeutsamen Verfahren zufolge, so ist dies auch wegen der Grundrechtsrelevanz solcher Entscheidungen entweder vom Auftraggeber in eigener Verantwortung zu prüfen und zu entscheiden oder einem Rechtsanwalt zur Entscheidungsvorbereitung vorzulegen. Bei wertender Betrachtung kann derlei kaum als Nebentätigkeit eingeordnet werden, gerade der Ausschluss aussichtsreich platzierter Angebote prägt vielmehr das gesamte Vergabeverfahren – selbst wenn die rechtliche Prüfung kaum Aufwand verursachen mag. Abweichend von Goldbrunner erscheint es zudem als wenig sinnvoll, anzuknüpfen an eine nur vermeintlich vorhandene oder gar einheitliche Rechtsprechung. Zunächst wird im Vergaberecht wenig gestritten und dementsprechend auch nur wenig entschieden. Eine einheitliche Rechtsprechung gibt es ungeachtet dessen kaum einmal, bzw. es gibt sie nur solange, wie ein OLG-Senat seine Rechtsansicht zumeist stillschweigend ändert oder der BGH die Gelegenheit erhält, die eine oder andere – aus seiner Sicht – Fehlentwicklung zu korrigieren. Abgesehen davon ist zu kaum einem Rechtsproblem die Meinung aller Vergabekammern, geschweige denn OLG-Senate bekannt. Schließlich ist es nicht selten eine gehörige anwaltliche Leistung, eine Rechtsprechung als einschlägig zuallererst zu identifizieren. Einen „Katalog einfacher Vergaberechtsfragen“ (Ansätze bei Goldbrunner, Zeitschrift für Vergaberecht, S. 651, 657 ff.) kann es demnach nicht geben.
Anmerkung der Redaktion
Die wettbewerbs- und rechtsdienstleistungsrechtliche Grenzen für nicht-anwaltliche Beschaffungsdienstleister wird im Mitgliederbereich des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW) diskutiert. Diskutieren Sie hier mit. Noch kein Mitglied? Zur kostenlosen Mitgliedschaft geht es hier.