Haltet den Dieb! Es kommt das „Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz (BwBBG)“

BundeswehrIm politischen Berlin ist es offensichtlich mehrheitsfähig, dass es am Vergaberecht liegt, wenn öffentliche, insbesondere komplexe Groß- und IT-Projekte nicht rechtzeitig fertig werden, nicht im Kostenrahmen bleiben oder beides eintritt. Dies gilt erst recht für den desolaten Zustand der Bundeswehr. Vielleicht auch deshalb, weil man damit einen Schuldigen gefunden hat.

Richtig aber ist, dass ungedeckter verteidigungs- und sicherheitsrelevanter Bedarf, der auf politischen Versäumnisse vergangener Jahrzehnte beruht, nicht so schnell wie nun nötig im Wege geordneter Regel-Vergabeverfahren nachgeholt werden kann. Und so kommt, was kommen muss: Das „Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz (BwBBG)“. Es steht dem Vernehmen nach in dieser Woche auf der Agenda der Kabinettssitzung. Dem Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW) liegt das zugrundeliegende Eckpunktepapier vor:

Ein Auszug:

  • Keine zwingende Unwirksamkeit eines Vertrages bei de facto-Vergabe

  • Kürzung des Instanzenzuges im Nachprüfungsverfahren auf eine Instanz (für dringliches Material)

  • Keine Verpflichtung zur losweisen Vergabe

  • Generelle Ausnahme vom Vergaberecht für Aufträge, die Schlüsseltechnologien betreffen

  • Kein automatisches Zuschlagverbot bei einem Nachprüfungsverfahren

  • Kein Teilnahmewettbewerb, wenn nur ein feststehender Kreis an Marktteilnehmern für den Auftrag in Frage kommt

Das nur ein Auszug aus dem Giftschrank. Tatbestandsmerkmale wie Schlüsseltechnologien oder feststehender Kreis von Marktteilnehmern bieten dabei einen weiten Einschätzungsspielraum. In Kombination mit Einschränkungen des Rechtsschutzes eine bemerkenswerte Kombination.

Wir sprachen zu den Plänen mit Prof. Michael Eßig von der Universität der Bundeswehr:

„Das Sondervermögen für die Bundeswehr schließt wichtige Lücken in der Ausstattung – der Inspekteur des Heeres sprach davon, die Bundeswehr stünde „blank da“. Die Bedeutung dieses Sondervermögens ist nicht zu unterschätzen, auch wenn der Anlass dazu mehr als furchtbar ist. Nun geht es darum, sinnvoll zu beschaffen. Die Frage, was zu beschaffen sei, muss aus Perspektive der Soldatinnen und Soldaten beantwortet werden – es gilt, die besten Leistungen für ihren Einsatz einzukaufen. Viel weniger diskutiert  wird die Frage, wie zu beschaffen sei – im Mittelpunkt steht dabei ein qualitatives „Mitwachsen“ von Strukturen, Prozessen, industriellen Kapazitäten und rechtlichen Rahmenbedingungen. Dazu leistet das Vergaberecht einen wichtigen Beitrag – aber eben auch nur einen. Die Europäische Kommission hat bereits 2017 davon gesprochen, in erster Linie die Anwendung des Vergaberechts zu stärken und hat bspw. einen Europäischen Kompetenzrahmen für Fachkräfte des öffentlichen Beschaffungswesens ins Leben gerufen (ProcurCompEU). Ähnlich argumentiert eine Studie der OECD zur öffentlichen Vergabe in Deutschland, derzufolge weniger Regulierungs-, als vielmehr Implementierungsfragen im Mittelpunkt stehen sollten. Beschaffung ist als strategische Funktion zu verankern.“

Der Gesetzentwurf orientiert sich am LNG-Beschleunigungsgesetz zur Beschleunigung des Einsatzes verflüssigten Erdgases (siehe Vergabeblog.de vom 23/05/2022, Nr. 49847). Mehr als eine bloße Formfrage dürfte aber werden, wie sich die ambitionierten Pläne mit den EU-Vergaberichtlinien vereinbaren lassen. Die Kolleg/innen im federführenden Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) sind ob der Aufgabe, das Runde in das Eckige zu bekommen, jedenfalls nicht zu beneiden. Aber vielleicht werden im Ringen zwischen dem Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) und BMWK ja doch noch ein paar Punkte der Wunschliste oben gestrichen.

Wir werden berichten.

Das Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz (BwBBG) wird sicher auch ein Thema auf unserem 9. Deutschen Vergabetag am 17. & 18. November 2022 in Berlin (hier geht es zu Programm und Anmeldung).