Abfrage von Scientology-Schutzerklärung im Zuwendungsverhältnis verstößt gegen Grundrechte! (BVerwG, Urteil vom 06.04.2022 – 8 C 9.21)

EntscheidungDie Bewilligung einer finanziellen Zuwendung mit umweltpolitischer Zielsetzung darf nicht davon abhängig gemacht werden, dass die Antragsteller eine Erklärung zu ihrer Religion oder Weltanschauung abgeben. Bei der in Rede stehenden Beantragung einer Förderung des Erwerbs von Pedelecs durch Gewerbetreibende darf daher keine Schutzerklärung in Bezug auf die Lehren von Scientology/ L. Ron Hubbard verlangt werden. Eine Koppelung der Bewilligung von Fördermitteln der Elektromobilität an die Abgabe einer solchen Schutzerklärung verstößt gegen die (negative) Religionsfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG sowie gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 und Abs. 3 GG und fällt nicht in die Zuständigkeit der Gemeinde (Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG).

Art. 3 Abs. 1, Abs. 3, Art. 4 Abs. 1, Abs. 2, Art. 28 Abs. 2 S.1 GG

Sachverhalt

Die Klägerin und die Beklagte streiten um die Bewilligung von Fördermitteln zum Erwerb von Pedelecs. Die beklagte Landeshauptstadt München begehrt mit ihrer Revision, das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu ändern und die Berufung gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München aufzuheben mit dem sie verpflichtet worden war, der Klägerin die beantragte Förderzusage zu erteilen.

Die Klägerin, die als freiberufliche Musikerin tätig ist, beantragte bei der Beklagten die Bewilligung städtischer Förderung für die Neuanschaffung von Pedelecs nach der Förderrichtlinie Elektromobilität im Rahmen des „Integrierten Handlungsprogramms zur Förderung der Elektromobilität in München“. Die von der Beklagten erstellten Antragsformulare enthielten auch eine Schutzerklärung in Bezug auf die Lehre von Scientology/ L. Ron Hubbard, in denen der Antragsteller erklären musste, dass er keine Inhalte, Methoden oder Technologien dieser Lehre anwendet, verbreitet, lehrt oder Kurse nach dieser Technologie besucht. Die Klägerin gab den Förderantrag ab, jedoch ohne die Schutzerklärung auszufüllen. Die Klägerin folgt der Lehre von Scientology und praktiziert diese seit Jahrzehnten.

Die Beklagte wies den Antrag mangels Vollständigkeit der Antragsunterlagen zurück.

Nachdem das Verwaltungsgericht die Klage zunächst abwies, hob der Verwaltungsgerichtshof das Urteil des Verwaltungsgerichts auf und verpflichtete die Beklagte, der Klägerin entsprechend ihres Antrags eine Förderzusage zu erteilen. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Revision.

Die Beklagte meint, die Entscheidung eine Schutzerklärung von der Klägerin zu fordern, sei von ihrer Zuständigkeit umfasst. Es sei ihr nicht versagt, bei der Erfüllung gemeindlicher Aufgaben durch das Erfordernis der Abgabe der Schutzerklärung auch die freiheitlich-demokratische Grundordnung und die gemeindliche Reputation schützen zu wollen. Ein Grundrechtseingriff in die Religions- und Weltanschauungsfreiheit sowie in den Gleichbehandlungsgrundsatz liege nicht vor.

Die Entscheidung

Zu Unrecht. Die Beklagte ist verpflichtet, der Klägerin eine Förderungszusage zu erteilen. Sie darf die Entscheidung über die Bewilligung der Förderung nicht an die Abgabe der Schutzerklärung binden.

Zunächst stellt das BVerwG fest, dass sich das Erfordernis der Abfrage der Scientology-Zugehörigkeit nicht aus den Förderungsbedingungen der Richtlinie ergibt, sondern nur aus dem von der Beklagten selbst geforderten Formular. Die Erklärungspflicht ist dabei völlig unabhängig von den sonstigen Förderungsbedingungen. Vielmehr erfüllt die Klägerin die Voraussetzungen der Richtlinie für eine Förderzusage, weshalb diese einen Anspruch auf die Erteilung der Förderung hat. Als verwaltungsinterne Verwaltungsvorschrift entfaltet die Förderrichtlinie auch anspruchsbegründende Außenwirkung.

Nach Auffassung des BVerwG fällt die Abfrage einer Schutzerklärung schon nicht in den Zuständigkeitsbereich der Beklagten. Daher darf sie diese auch nicht abfragen. Nach Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG muss den Gemeinden zwar das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Die Abfrage von Erklärungen zu Religion und Weltanschauung ist der Gemeinde aber weder von Gesetzes wegen zugewiesen noch ist dies eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft. Einen Ortsbezug ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass es eine gemeindliche Zuständigkeit für die Förderung innerstädtischer Mobilität gibt. Denn die Verbandskompetenz der Gemeinde für die geförderte Maßnahme und die mit dieser Tätigkeit verfolgten Absichten und Motive sind zu trennen.

Dabei entscheidet das BVerwG nicht abschließend, ob und in welchem Umfang das Motiv der Beklagten das Ansehen von Scientology in der Öffentlichkeit nicht zu fördern und mit dieser nicht in Verbindung gebracht werden zu wollen, noch von der kommunalen Selbstverwaltung nach Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG umfasst ist, in dem es bereits die Verbandskompetenz der Beklagten ablehnt.

Darüber hinaus stellt der Senat fest, dass das Verlangen der Schutzerklärung auch gegen die Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG und den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Abs. 3 Abs. 1, Abs. 3 GG verstoßen.

Der Klägerin ist der Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 GG eröffnet, denn sie praktiziert die Lehren der Scientology seit vielen Jahren. Durch die mit der Weigerung der Abgabe der Schutzerklärung verbundenen Folgen, ist sie in ihrer negativen Bekenntnisfreiheit beeinträchtigt. Denn die Versagung der Förderung hat bei Nichtabgabe ihren alleinigen Grund in der religiösen und weltanschaulichen Überzeugung der Klägerin. Eine Rechtfertigung des Eingriffs liegt mangels gesetzlicher Grundlage nicht vor. Es ist kein verfassungsrechtlich zulässiges Ziel erkennbar, das mit dem Eingriff verfolgt wird und das vorbehaltlos gewährleistete Grundrecht beschränkt. Eine konkrete Gefahr für Rechtsgüter von Verfassungsrang ist nicht ersichtlich.

Die Abgabe einer Schutzerklärung ist darüber hinaus nicht von sachlichen Gründen getragen. Der Normgeber ist weitgehend frei, wenn er entscheidet, welchen Personen oder Unternehmen er durch finanzielle Unterstützung des Staates fördern möchte. Subventionen müssen sich gemeinwohlbezogen rechtfertigen lassen. Daher darf der Staat seine Fördermittel nicht willkürlich oder unsachlich verteilen. Dies gilt auch für den Richtliniengeber. Ist der Kreis der von der Maßnahme Begünstigten sachgerecht abgegrenzt, ist die Bewilligung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Abfrage der Schutzerklärung hat dagegen keinen inhaltlichen Bezug zu den umweltpolitischen Zielen der Förderrichtlinie Elektromobilität. Auch einen legitimen Sachgrund, der die Differenzierung rechtfertigt, erkennt das BVerwG nicht. Die Abfrage der Schutzerklärung greift in die negative Bekenntnisfreiheit und damit in ein nach Art. 3 Abs. 3 GG grundsätzlich unzulässiges Kriterium ein.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung regelt die Praxis von Zuwendungsgebern bei der Beantragung von Fördermitteln eine Schutzerklärung zu fordern, abschließend. Maßgeblich ist, dass das BVerwG einen Zusammenhang zwischen der für die Bewilligung von Fördermitteln allein maßgeblichen Förderrichtlinie Elektromobilität und denen von dieser aufgestellten Voraussetzungen mit dem Erfordernis eines Bekenntnisses oder einer Distanzierung von Scientology nicht gegeben sah. Auch bei weiteren Zuwendungen, die auf Grundlage von Richtlinien bewilligt werden, wird sich ein inhaltlicher Bezug zur Abfrage von einer Scientology-Zugehörigkeit nicht finden lassen. Dies dürfte das Ende der Befragung von Antragstellern nach der Lehre von Scientology bei städtischen Förderungen bedeuten.

Besteht bereits keine Zuständigkeit der Gemeinde für die Einforderung von Erklärungen zu Religion und Weltanschauung, sind ihr folgerichtig auch weitere Abfragen hierzu verwehrt. Man kann sich auch fragen: was geht es den Staat an, ob das durch öffentliche Mittel geförderte Pedelec, von einem Anhänger der Scientology-Kirche genutzt oder betrieben wird? Gemäß der Entscheidung des BVerwG lautet die Antwort auf diese Frage: ohne gesetzliche Grundlage nicht viel.

Lehrbuchhaft hat das BVerwG neben der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie auch die Grundrechte des Art. 4 Abs. 1, Abs. 3 GG und Art. 3 Abs. 1, Abs. 3 GG durchgeprüft. Im Ergebnis richtig stellt es dabei fest, dass die Verbandskompetenz der Gemeinde auf örtliche Angelegenheit beschränkt ist und ihr verwehrt ist, allgemeinpolitische Fragen zum Gegenstand ihrer Tätigkeit zu machen. Auch der Eingriff in die negative Bekenntnisfreiheit und den Gleichbehandlungsgrundsatz sowie Art. 3 Abs. 3 GG leuchtet ein.

Fraglich bleibt darüber hinaus allein, wie dies mit dem Bedürfnis der Gemeinde, sich von der Lehre nach Scientology zu distanzieren und deren Mitglieder nicht durch öffentliche Gelder zu fördern, das öffentliche Ansehen nicht zu unterstützen, mit dieser nicht in Verbindung gebracht zu werden und so die freiheitlich demokratische Grundordnung zu schützen, in Einklang gebracht werden kann. Dabei ist dieses Bedürfnis des Fördermittelgebers grundsätzlich nachvollziehbar. Einmal mehr zeigt die Entscheidung jedoch die große Bedeutung und Funktion des Grundgesetzes und der Schranken des Grundgesetzes: für den Eingriff in die vorbehaltlos gewährleistete Religionsfreiheit bedarf es einer gesetzlichen Grundlage, die es – zumindest in diesem Fall – nicht gibt. Ohne gesetzliche Grundlage, keine Rechtfertigung. Und für Art. 3 GG gilt: ohne Sachgrund, keine Ungleichbehandlung.

Das BVerwG liefert damit auch schon die Lösung des „Problems“: Für die verbindliche Abgabe einer Schutzerklärung bedarf es einer Grundlage im Gesetz oder in der Richtlinie. Nur dann kann die Schutzerklärung an die Bewilligung von Fördermitteln gekoppelt werden.

Praxistipp

Zukünftig werden Gemeinden die Bewilligung finanzieller Förderungen nicht mehr davon abhängig machen dürfen, dass sich der Antragsteller von der Scientology-Organisation distanziert. Das Urteil des BVerwG ist insoweit eindeutig. Es zeigt einmal mehr, dass nur das in Erfahrung gebracht werden darf, was der Sache selbst auch dienlich ist und mit dieser in direktem Zusammenhang steht. Der Staat hat den Bürger nicht nach mehr Informationen zu fragen, als er tatsächlich gesetzlich verlangen kann.

Für Vergabeverfahren, in denen die Gemeinde als öffentliche Auftraggeberin auftritt und die Verwendung von Schutzerklärungen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge weiterhin praktiziert, dürfte dies indes nicht gelten. Denn die Entscheidung des BVerwG betrifft die Grenzen des Verhältnisses zwischen der Gemeinde und dem Bürger bei der Bewilligung von Fördermitteln. Für Vergabeverfahren, in denen die Gemeinde als öffentliche Auftraggeberin in Erscheinung tritt, dürfte das Urteil keine unmittelbare rechtliche Wirkung entfalten. Insbesondere bei Schulungs- und Beratungsleistungen werden Schutzerklärungen dieser Art in vielen Bundesländern/ Kommunen verlangt, um den Einfluss der Scientology-Organisation zu verhindern. Die Zugehörigkeit zu Scientology wird daher immer dann abgefragt, soweit im Wege der Auftragsausführung die Gefahr besteht, dass scientologische Ideologien tatsächlich verbreiten werden können. Bei Nichtausfüllen der Erklärung oder einem Bekenntnis zur Scientology-Organisation kann der Bieter aus dem Vergabeverfahren ausgeschlossen werden. Nicht bei jedem öffentlichen Auftrag besteht jedoch die Gefahr der Verbreitung der Lehre von Scientology, sodass die Zulässigkeit der Abfrage von Schutzerklärungen auf die genannten Fallgruppen beschränkt bleibt.

Kontribution

Der Beitrag wurde gemeinsam mit Frau ref. iur. Yael Gutmacher, Referendarin bei Lexton Rechtsanwälte, Berlin, verfasst.