Kritik am Stand der Verwaltungsdigitalisierung
Sachverständige aus Wirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Kommunalverbänden haben am Montag die Forderung bekräftigt, die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung mit Nachdruck voranzutreiben. Dazu sei der vorliegende Entwurf einer Novelle des Onlinezugangsgesetzes (OZG) (20/8093) zwar ein „Schritt in die richtige Richtung“, aber nach wie vor unzureichend, hieß es in einer Anhörung im Ausschuss für Inneres und Heimat.
Mit dem 2017 verabschiedeten Onlinezugangsgesetz hatten sich Bund und Länder die Aufgabe gestellt, den Bürgern bis Ende 2022 ein Paket von 575 staatlichen Dienstleistungen auf digitalem Wege zugänglich zu machen. Zum vergangenen Jahreswechsel waren davon indes nur 105 Angebote online geschaltet, mittlerweile sind es einige mehr. Dass das Gesetz sein Ziel bisher verfehlt hat, war Konsens unter den Sachverständigen. Umstritten war, ob die Einführung eines gesetzlichen Rechtsanspruchs auf digitale Verwaltungsleistungen, wie ihn die Unionsfraktion in einem Antrag (20/4313) fordert, ein geeignetes Mittel der Beschleunigung sei.
Der ehemalige Bevollmächtigte des Saarlandes für Innovation und Strategie, Ammar Alkassar, würdigte in der Anhörung das OZG „trotz aller Defizite“ als bisher umfangreichste Initiative, um staatliches Handeln auf das digitale Zeitalter einzustellen. Die jetzt vorliegende Novelle sei „positiv“, bleibe aber „hinter den Erfordernissen einer raschen Verwaltungsdigitalisierung“ zurück, sagte Alkassem. Es fehlten nicht nur „einige grundlegende Bausteine“, sondern ein „gemeinsames Zielbild“ im Sinne eines „plattformbasierten Ökosystems der öffentlichen Hand“. Zudem sei „Überkomplexität“ abzubauen: „Eine konsequente Umsetzung der Vewaltungsdigitalisierung erfordert einen echten Einschnitt“, mahnte Alkassem.
„Nach fünf Jahren OZG ist Deutschland nicht dort, wo es in der Verwaltungsdigitalisierung sein sollte“, klagte Grudrun Aschenbrenner von Vorstand der Anstalt für kommunale Datenverarbeitung in Bayern. Sie wünsche sich „disruptive Änderungen“ und mehr Mut. In anderen Ländern gelte längst das Prinzip, Verwaltungsvorgänge nur noch digital abzuwickeln: „Was hält uns davon ab?“
Als Vertreterin des Deutschen Städtetages wies Uda Bastians auf die zunehmende Personalnot der öffentlichen Verwaltung bei wachsenden Anforderungen hin, die die Umstellung auf digitale Verfahren zu einem zwingenden Gebot werden ließen. Bis 2030 werde ein Drittel der derzeit Beschäftigten in den Ruhestand gehen. Zugleich drehe sich das Karussell der Gesetzesnovellen immer schneller. So sei allein das Aufenthaltsrecht seit 2015 nicht weniger als 59 Mal geändert worden: „Die Digitalisierung ist der Schlüssel, um das Land am Laufen zu halten.“ Gemessen daran bleibe der vorliegende Entwurf hinter den Erwartungen zurück. Es fehlten klare Festlegungen auf Standards, Zielsetzung und Kosten.
Für den Deutschen Landkreistag wies Ariane Berger die Forderung nach einem Rechtsanspruch auf digitale Verwaltungsleistungen, der nach Vorstellung der Union 2025 in Kraft treten soll, als untauglich zurück. Die kommunale IT müsse für die Erfordernisse einer weitgehenden Digitalisierung „aufnahmefähig“ gemacht werden. Es bedürfe eines „Standardisierungprogramms“ für die Verwaltung.
„Grundsätzlich begrüßenswert“, aber nicht ausreichend, um das „E-Government-Entwicklungsland“ in einen „digitalen Staat“ zu verwandeln, nannte Jonas Botta vom Deutschen Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung in Speyer den vorliegenden Gesetzentwurf und empfahl, ihn „nachzuschärfen“. Die Novelle müsse, wie das bisherige OZG, erneut eine Frist für die Umsetzung enthalten. Es bedürfe klarer Kriterien, um den Realisierungsfortschritt durch eine unabhängige Stelle regelmäßig evaluieren zu lassen. Nicht zuletzt erklärte Botta einen Rechtsanspruch auf digitale Verwaltungsleistungen für sinnvoll.
Auch Marc Danneberg von Branchenverband Bitcom sah hier eine Möglichkeit, um den „Umsetzungsdruck“ zu erhöhen. Das Gesetz müsse „Planungssicherheit“ gewährleisten sowie Nutzern einen „niedrigschwelligen“ und flexiblen Zugang zu digitalen Verwaltungsleistungen ermöglichen. Es müsse auch unterschiedliche Wege eröffnen, um Zahlungen an Behörden zu leisten.
Annette Guckelberger, Professorin für Öffentliches Recht an der Universität des Saarlandes, erklärte es für „vertretbar“, dass der Entwurf im Unterschied zum bisherigen OZG keine „pauschale Umsetzungsfrist“ enthält. Es müsse aber einen Zeitplan geben und jährliche Fortschrittsberichte, die an den Bundestag zu erstatten seien. Einen Rechtsanspruch halte sie nicht für sinnvoll, sagte Guckelberger. Digitalisierung sei ein komplexer Prozess, das OZG darin nur einer von mehreren Schritten. Auch die Länder seien gefragt, Regelungen zu beschließen.
Das OZG sei gescheitert, stellte Professor Gerhard Hammerschmid von der Berliner Hertie-School fest. Es sei in seiner Zeit zwar ein „international einmaliges Gesetz“ gewesen, aber mit einem so hohen Anspruch, dass es „zum Scheitern verurteilt“ gewesen sei. Hammerschmid sprach sich gegen einen Rechtsanspruch aus, der „administrativ nicht umsetzbar“ sei, dafür umso nachdrücklicher für ein „verbindliches und “transparentes„ Monitoring durch unabhängige Experten, zumal, da es künftig keine verpflichtende Umsetzungsfrist mehr geben solle.
“Wir müssen uns gemeinsam auf die zentralen Dinge konzentrieren und das umsetzen, was schnell Nutzen bringt„, mahnte Alexander Handschuh vom Deutschen Städte- und Gemeindebund. Er wandte sich gegen die Absicht des Gesetzgebers, mit dem vorliegende Entwurf die Kommunen direkt statt allein der Länder für die Digitalisierung in die Pflicht zu nehmen. Dies schaffe “keinen Mehrwert„, ebenso wenig wie die Forderung nach einem Rechtsanspruch.
Inga Karrer von der Koordinationsstelle E-Government bei der Deutschen Industrie- und Handelsammer gab zu bedenken, dass eine erfolgreiche Digitalisierungsstrategie möglicherweise bedeute, die Kompetenzen zwischen Bund und Ländern im Grundgesetz neu zu verteilen. Sie erfordere ein Maß an Zentralisierung, das nach aktueller Verfassungslage nicht zulässig sei.
Als “Teil der digitalen Zivilgesellschaft„, deren Leben mit der Gesetzesnovelle “schneller und einfacher„ werden solle, stellte sich Bianca Kastl vom Berliner Innovationsverbund Öffentliche Gesundheit vor. Sie bemängelte fehlende Klarheit und Transparenz im vorliegenden Entwurf. Dieser können “allenfalls ein Auftaktprozess einer zukunftsfähigen Verwaltung sein, die bei den Menschen ankommt, mehr leider nicht„.
“Klare gesetzliche Vorgaben für die Sicherheit der Nutzerkonten und der Postfächer„ mahnte der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber an. Auch er stellte fest, Deutschland sei “gefährlich unterdigitalisiert„. Jörg Kremer als Vertreter der Föderalen IT-Kooperation, einer in Frankfurt ansässigen Anstalt öffentlichen Rechts, die Bund und Länder bei der Verwaltungsdigitalisierung unterstützen soll, nannte das bestehende OZG “suboptimal„, aber doch zugleich eine “Initialzündung„ für digitalen Wandel. Erforderlich sei, die oftmals zu trägen Entscheidungs- und Abstimmungsprozesse in der öffentlichen Verwaltung der digitalen Welt anzupassen. Malte Spitz von Nationalen Normenkontrollrat warnte, dass auch die OZG-Novelle scheitern könnte, wenn sie nicht nachgebessert werde.
Quelle: Bundestag