Zu den Anforderungen an die Vergabedokumentation bei der Ausschreibung der Verwertung von vorbehandelten Bioabfällen (VK Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 19.12.2023 – VK2-18/23)

EntscheidungFür die Zuordnung von vorbehandelten Bioabfällen zu einem bestimmten Abfallschlüssel gemäß der Verordnung über das Europäische Abfallverzeichnis (Abfallverzeichnis-Verordnung – AVV) gehört zu einer transparenten Vergabedokumentation auch die Anfertigung einer Abfallanalyse und die Niederschrift der daraus abzuleitenden Rechtsfolgen.

Bei der Ausschreibung der Verwertung von vorbehandelten Bioabfällen ist für eine transparente Vergabedokumentation eine Abfallanalyse notwendig, damit die Vergabekammer die korrekte Schlüsselung der Abfälle nach der AVV überprüfen kann.

§ 8 VgV

Sachverhalt

Der Antragsgegner schrieb in einem offenen Verfahren die Verwertung von vorbehandelten Bioabfällen aus der haushaltsnahen Erfassung aus. Die Vorbehandlung der Bioabfälle führt der Antragsgegner selbst durch, indem er die Bioabfälle in folgende drei Fraktionen siebt:

  • Feinkorn
  • Mittelkorn
  • Überkorn

Die Fraktionen Feinkorn (Los 1) und Mittelkorn (Los 2) waren Gegenstand der Ausschreibung.

Bei der Bestimmung der Abfallfraktion ist die Verordnung über das Europäische Abfallverzeichnis (Abfallverzeichnis-Verordnung – AVV) zu beachten. Der Antragsgegner hat in den Vergabeunterlagen die beiden Siebfraktionen den Abfallschlüsselnummern 20 02 01 (Abfallbezeichnung: biologisch abbaubare Abfälle) und 20 03 01 (Abfallbezeichnung: gemischte Siedlungsabfälle; hier: getrennt erfasste Bioabfälle, Biotonne aus Haushaltungen) zuzuordnen.

Die Antragstellerin rügte die Einstufung und hielt eine Neuschlüsselung der ausgesiebten Fraktionen für notwendig. Nach ihrer Auffassung sind die ausgesiebten Fraktionen dem Abfallschlüssel 19 12 12 (Abfallbezeichnung: sonstige Abfälle (einschließlich Materialmischungen) aus der mechanischen Behandlung von Abfällen.

Zur Begründung führte sie aus, dass gemäß § 6 Abs. 2 BioAbfV i. V. m. Anhang 1 Nr. 1 zur BioAbfV Abfälle mit dem Abfallschlüssel AVV 19 12 12 nicht zu den für eine Verwertung auf Böden geeigneten Bioabfällen zählen mit der Folge, dass ein Gärrest (fester Bestandteil nach Abschluss der Vergärung), in dem sich Abfälle mit dem Abfallschlüssel AVV 19 12 12 befinden, nicht derartig verwertet werden kann bzw. darf. Aufgrund dessen sei davon auszugehen, dass es nicht eine einzige Vergärungs- und/oder Kompostierungsanlage gibt, die den Abfallschlüssel AVV 19 12 12 positiv gelistet hat, also eine Genehmigung zur Annahme und Behandlung dieser Abfälle besitzt.

Nach Rügezurückweisung leitete die Antragstellerin ein Nachprüfungsverfahren ein.

Die Entscheidung

Die Vergabekammer gab dem Antrag statt und verpflichtete den Antragsgegner dazu, das Vergabeverfahren in den Losen 1 und 2 in den Stand vor Angebotsabgabe zurückzuversetzen und unter Beachtung der Rechtsprechung der Vergabekammer fortzuführen, sofern der Beschaffungsbedarf weiter fortbesteht.

Dabei hat die Vergabekammer die streitige Rechtsfrage, ob eine Neuschlüsselung der vorbehandelten Bioabfälle notwendig ist, nicht entschieden. Vielmehr kam sie unter Berufung auf ein Urteil des OLG Düsseldorf 20.12.2007 (VII-Verg 8/17) zu dem Schluss, dass diese Rechtsfrage von ihr (derzeit) nicht beantwortet werden kann, weil der Antragsgegner keine Abfallanalyse in der Vergabedokumentation hinterlegt hat.

Nach der Entscheidung des OLG Düsseldorf kommt es bei Änderung in der Zusammensetzung des Abfalls durch eine Vorbehandlung nämlich darauf an, unter rechtlich wertender Betrachtung möglichst vieler Tatsachenelemente zu prüfen und zu entscheiden, ob die nach der mechanischen Behandlung erreichte Zusammensetzung, und zwar nach Maßgabe eines unbestimmten Rechtsbegriffs, eine andere rechtliche Einordnung des Abfalls gebietet.

Als wesentliche Tatsachenelemente können insoweit insbesondere in Betracht kommen: Die Sortierung der ursprünglichen Siedlungsabfälle in sogenannten Fraktionen, eine Massenbilanz, die Veränderung der Eigenschaften und Beschaffenheit, etwa in Bezug auf Korngrößen und Brennwerte.

Das Fehlen einer Abfallanalyse und der daraus abzuleitenden Rechtsfrage der Erforderlichkeit einer Neuschlüsselung nach Vorbehandlung bewertet die Vergabekammer deshalb als Dokumentationsmangel.

Rechtliche Würdigung

Alle Verfahrensbeteiligten waren sich darüber einig, dass die Vorbehandlung sinnvoll ist, weil sie insbesondere den Zielvorstellungen des Landesumweltministeriums entspricht. Deshalb wird das von dem Antragsgegner praktizierte Verfahren auch im Abfallwirtschaftsplan Rheinland-Pfalz „Teilplan Siedlungsabfälle und andere nicht gefährliche Abfälle 2022“ beschrieben (S. 74).

Eine Vorbehandlung ist in aller Regel auch notwendig, um die Störstoffgrenzen der Bioabfallverordnung einhalten zu können. Das rechtliche Problem stellt hier nur das örtliche Auseinanderfallen von Vorbehandlung und Verwertung dar. Fänden beide Prozesse an einem Ort statt, löst sich das Problem in Wohlgefallen auf.

Ich möchte hier aber nicht die abfallrechtlichen Tiefen beleuchten; schließlich ist das hier der Vergabeblog und nicht ein Abfallblog.

Vielmehr möchte ich die Frage darauf lenken, welche Anforderungen an die Vergabedokumentation zu stellen sind. Meines Erachtens muss man hier unterscheiden, ob es um die nach den §§ 8 EU VOB/A, 8 VgV mindestens niederzulegenden Angaben geht oder ob es sich um andere Aspekte handelt, die nachträglich die fachliche Richtigkeit einer angefochtenen Vergabeentscheidung begründen sollen.

Geht es nur um die Rechtfertigung von Entscheidungen, ist nämlich regelmäßig eine Heilung durch Vortrag im Nachprüfungsverfahren möglich. Dies war hier leider nicht möglich, weil eine stichhaltige Abfallanalyse die Probenahme zu unterschiedlichen Vegetationsphasen voraussetzt. Während der Kürze eines Nachprüfungsverfahrens ist dies daher nicht leistbar.

Praxistipp

Bei der Vergabedokumentation verkehrt sich der Merksatz „Weniger ist Mehr“ leider in sein Gegenteil. Im Zweifel daher lieber mehr als zu wenig dokumentieren!

Und bitte nicht als lästige Pflicht empfinden. Schließlich hilft das Aufschreiben auch dabei, getroffene Entscheidung noch einmal kritisch zu hinterfragen und ggf. zu korrigieren.

Anmerkung der Redaktion

Der Verfasser hat in diesem Nachprüfungsverfahren den Antragsgegner vertreten.