Bertelsmann Stiftung: „Nachhaltigkeit in der öffentlichen Beschaffung rückläufig“
„Der Staat nutzt sein Transformationspotenzial bislang nicht aus“ – Zu diesem Ergebnis gelangt die Bertelsmann Stiftung in ihrem Fokus-Papier „Nachhaltigkeit in der öffentlichen Beschaffung“, das vergangenen Monat veröffentlicht wurde. Autoren der Studie sind Alessa Kozuch, Christian von Deimling und Michael Eßig (Universität der Bundeswehr München), die der Fragestellung nachgehen, ob es ein Implementierungsdefizit bei der nachhaltigen öffentlichen Beschaffung gibt? Die Bertelsmann Stiftung hat zur Veröffentlichung der Studie folgende Meldung herausgegeben:
Der Staat kauft auf allen Ebenen jedes Jahr für schätzungsweise 350 bis 550 Milliarden Euro Waren und Dienstleistungen ein. Er setzt also nicht nur mit Gesetzen und Förderinstrumenten die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft, sondern tritt über die öffentliche Beschaffung auch selbst als Marktteilnehmer mit einem großen Budget auf, das bis zu 15 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts (BIP) entspricht. Durch die öffentliche Beschaffung kann der Staat die Nachhaltigkeitstransformation der Wirtschaft also entscheidend unterstützen. Die Hälfte aller Vergaben findet dabei auf der kommunalen Ebene statt.
Dieses Potenzial wird von der Politik bereits seit zwei Jahrzehnten gesehen und es wurden entsprechende Nachhaltigkeitsziele für die öffentliche Beschaffung auf verschiedenen Ebenen definiert. So gab beispielsweise die Europäische Kommission bereits im Jahr 2008 das Ziel aus, dass bis zum Jahr 2010 mindestens die Hälfte aller Ausschreibungsverfahren umweltorientiert sein sollten. Und auch die aktuelle Bundesregierung hat das Thema „Nachhaltige öffentliche Beschaffung“ in ihrem Koalitionsvertrag verankert.
Eine jetzt veröffentlichte Studie der Universität der Bundeswehr München im Auftrag der Bertelsmann Stiftung zeigt jedoch, dass es eine große Lücke zwischen den politischen Zielen für eine nachhaltige öffentliche Beschaffung („Intention“) und der tatsächlichen Umsetzung („Action“) gibt. Im untersuchten Zeitraum von 2011 bis 2023 wurden von den Kommunalverwaltungen insgesamt nur 17,1 Prozent der Aufträge mit Nachhaltigkeitskriterien vergeben.
Die Studie beschreibt aber nicht nur den Ist-Zustand, sondern auch mögliche Ursachen für diesen „Intention-Action-Gap“ sowie Lösungsansätze zur Überwindung der Lücke zwischen politischen Ambitionen und Umsetzung. Sechzehn Defizite wurden identifiziert, die sich auf vier Felder verteilen:
- Recht und Regulierung
- Management und Strategie
- Strukturen und Prozesse
- Märkte und Anspruchsgruppen
Insgesamt konzentrierten sich die Defizite im Ursachenfeld „Management und Strategie“. So bemängeln die Autor:innen der Studie etwa besonders Defizite beim Professionalisierungsgrad der Beschaffer:innen. Häufig sei das zuständige Personal nicht ausreichend für eine strategische und auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Beschaffung ausgebildet. Wenngleich es auch im Feld der rechtlichen Rahmenbedingungen noch Optimierungspotenzial gibt, so liegt das Kernproblem für mehr Nachhaltigkeit in der öffentlichen Beschaffung eindeutig nicht in mangelnden gesetzlichen Möglichkeiten, sondern in der Umsetzung in den Vergabestellen.
Diese Rahmenbedingungen gilt es für die umsetzenden Verwaltungsmitarbeiter:innen vor Ort zu schaffen, beispielsweise über Aus- und Weiterbildung, klar formulierte Strategien und Zielvorgaben sowie eine motivierende Kommunikation der Führungskräfte. Auch die Einführung von Routinen und Standards sowie die Zentralisierung durch Bündelung von Kompetenzen auf einer höheren Verwaltungsebene (zum Beispiel Kreis für mehrere Gemeinden) können wirkungsvolle Maßnahmen sein, damit die Nachhaltigkeit in der öffentlichen Beschaffung in Zukunft einen deutlich höheren Stellenwert einnimmt und der Staat seiner Verantwortung für die Nachhaltigkeitstransformation gerecht wird.
Die Studie können Sie hier herunterladen.
Quelle: Berstelsmann Stiftung