Eignungsleihe: Keine Flexibilität zum Nachweiszeitpunkt (EuGH, Beschl. v. 10.01.2023 – C-469/22)
Hat ein Bieter selbst nicht die Kapazitäten, um einen öffentlichen Auftrag auszuführen, steht es ihm nach den vergaberechtlichen Grundsätzen frei, sich der Kapazitäten anderer Unternehmen zu bedienen. Neben der Möglichkeit, Teile der Leistung durch ein anderes Unternehmen als Nachunternehmer (Unterauftrag) ausführen zu lassen, darf sich der Bieter auch der sogenannten Eignungsleihe bedienen. Beide Arten der Inanspruchnahme anderer Unternehmen können sich dabei auch überschneiden bzw. zusammenfallen. Eine Unterscheidung kann aufgrund der unterschiedlichen Regelungen in Bezug auf den Nachweis der Eignung jedoch von Relevanz sein. Dieser Beitrag beschränkt sich dabei im Schwerpunkt auf die Regelung der Eignungsleihe, die in § 47 VgV normiert ist und der Umsetzung des Art. 63 RL 2014/24/EU dient.
Die Eignungsleihe kommt insbesondere dann in Betracht, wenn ein Bewerber nicht alle Anforderungen an die Eignung im eigenen Betrieb erfüllen kann. Das Unternehmen, das diese Lücke schließen soll, wird daher zumindest partiell in die Eignungsprüfung einbezogen. Der Bewerber, der sich auf die Eignungsleihe beruft, muss demnach die eigene Eignung sowie die Eignung des Verleihers und dessen Verfügbarkeit nachweisen.
Mit der Frage, wann dieser Nachweis erfolgen muss und ob anderweitige nationale Rechtsnormen der Umsetzung dieser Richtlinie entgegenstehen, hat sich der EuGH in Bezug auf eine portugiesische Rechtsnorm im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens beschäftigen müssen.
Sachverhalt
Eine portugiesische Stiftung mit Sitz in Lissabon hat einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag im Rahmen eines Vergabeverfahrens vergeben. Dabei ist ein Bieter, ein Softwareentwickler, ebenfalls mit Sitz in Lissabon, der beabsichtigte, sich Kapazitäten anderer Unternehmer zu bedienen, vom Verfahren ausgeschlossen worden. Die entsprechenden Nachweise hat der Bieter nicht mit dem Angebot eingereicht. Dabei beruft er sich insbesondere auf eine portugiesische Rechtsnorm, nach der Unterlagen über die Befähigung des Dritten sowie die Verpflichtungserklärung erst nach der Auftragsvergabe eingereicht werden, sofern die Auftragsbekanntmachung nichts Gegenteiliges bestimmt.
Der Bieter erhob eine verwaltungsgerichtliche Klage vor dem zuständigen Verwaltungs- und Finanzgericht in Leiria, mit dem sowohl der Ausschluss von dem Vergabeverfahren, als auch die Auftragsvergabe an den Erstplatzierten Bieter angegriffen wurden. Das Gericht wies die Klage ab, stellte jedoch klar, dass eine Verpflichtungserklärung grundsätzlich auch nach der Auftragsvergabe erfolgen könne. Das Urteil wurde in zweiter Instanz durch das Zentrale Verwaltungsgericht Süd in Lissabon bestätigt. Im Wesentlichen berufen sich beide Gerichte darauf, dass sich aus den Vergabeunterlagen ergeben habe, dass die Hinzuziehung anderer Unternehmer der vorherigen Genehmigung des öffentlichen Auftraggebers bedürfe. Um diese Genehmigung zu erteilen, sei die Einreichung der Unterlagen eine unerlässliche Voraussetzung, die der Bieter hier unterlassen habe.
Nachdem die Entscheidung dem obersten Verwaltungsgericht in Portugal vorgelegt wurde, setzte dieses das Verfahren aus, um dem europäischen Gerichtshof durch ein Vorabentscheidungsersuchen die Frage vorzulegen, ob Art. 63 der Richtlinie 2014/24 den Bieter, entgegen der Auffassung des Klägers, dazu verpflichtet, die Verpflichtungserklärung des Eignungsverleihers bereits bei Angebotsabgabe beizufügen.
Die Entscheidung
Der EuGH widerlegt mit seiner Entscheidung die Auffassung des Bieters und erkennt für Recht, dass Art. 63 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG in Verbindung mit Art. 59 und dem 84. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/24/EU dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Rechtsvorschrift entgegensteht, nach der ein Wirtschaftsteilnehmer, der für die Ausführung eines öffentlichen Auftrags die Kapazitäten eines anderen Unternehmens in Anspruch nehmen möchte, die Unterlagen über die Befähigung dieses Unternehmens und dessen verpflichtende Zusage erst nach der Auftragsvergabe einreichen muss (EuGH, Beschluss vom 10.01.2023, Rs. C-469/22).
Rechtliche Würdigung
1. Besonderheiten des portugiesischen Rechts
Nach dem portugiesischen Recht wird die öffentliche Vergabe in einem eigens dafür vorgesehenen Gesetzbuch geregelt, dem sogenannten „Código dos Contratos Pùblicos“ (CCP). In Art. 77 Abs. 2 a) und c) des CCP ist der Ablauf der Zuschlagsentscheidung normiert. Darin heißt es zur Bekanntgabe der Zuschlagsentscheidung, dass der Bieter zusammen mit der Mitteilung der Zuschlagsentscheidung durch die Vergabestelle aufgefordert wird, die gemäß Art. 81 CCP geforderten Eignungsnachweise sowie innerhalb der ihm gesetzten Frist, die Eignungsnachweise und die Verpflichtungserklärung des Dritten vorzulegen. Dabei kann die Frist zur Einreichung der Nachweise des Dritten auf Antrag bei der Vergabestelle gemäß Art. 92 CCP verlängert werden. Kommt der Bieter dem nicht fristgerecht nach, wird der Zuschlag gemäß Art. 93 Abs. 1 CCP nichtig und die Vergabestelle ist berechtigt, den Zuschlag entsprechend Art. 93 Abs. 2 CCP an den nächstplatzierten Bieter zu erteilen. Da der Kläger in dem vorbezeichneten Verfahren eine entsprechende Verpflichtungserklärung nicht mit dem Angebot abgegeben hat, bezieht er sich auf diese Normen.
Hingegen sei Art. 168 Abs. 4 CCP entsprechend den Ausführungen des Klägers hier nicht anwendbar. Diese Norm regelt, dass der Bewerber zur Erfüllung der Mindestanforderungen an die technische Leistungsfähigkeit, sofern er Kapazitäten Dritter in Anspruch nimmt, eine entsprechende Verpflichtungserklärung mit dem Angebot abgeben muss. Die Norm setzt damit die Richtlinie 2014/24 in portugiesisches Recht um. Sie gilt aufgrund der entgegenstehenden Norm nach Art. 77 ff. CCP, jedoch lediglich im Rahmen nicht-offener Verfahren mit Vorauswahl. Der Kläger rügt, die Anwendung des Art. 168 Abs. 4 CCP auf das streitgegenständliche Verfahren sei rechtswidrig und aufgrund der Verfahrensart nicht anwendbar. In der ersten Instanz (bestätigt in der Berufung) wird der Ausschluss insbesondere mit der Anwendung dieser Norm begründet.
Mit dem Rechtsmittel vor dem obersten Verwaltungsgericht argumentiert der Kläger des Weiteren damit, dass Art. 63 der Richtlinie 2014/24 den Bieter nicht dazu verpflichtet, bereits mit der Angebotsabgabe eine Verpflichtungserklärung einzureichen. Dies führt zu der Aussetzung des Verfahrens und dem Vorabentscheidungsersuchen beim EuGH dahingehend, ob nationales Recht, wonach bei Inanspruchnahme von Kapazitäten anderer Unternehmer entsprechende Unterlagen erst nach der Auftragsvergabe verlangt werden müssen, mit dem Unionsrecht insbesondere mit Art. 63 der Richtlinie 2014/24 im Einklang stehe.
2. Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht
Art. 63 (“Inanspruchnahme der Kapazitäten anderer Unternehmen”) der Richtlinie 2014/24 sieht vor, dass in Bezug auf die Kriterien für wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit gemäß Art. 58 Abs. 3 RL 2014/24/EU sowie für die technische und berufliche Leistungsfähigkeit gemäß Art. 58 Abs. 4 RL 2014/24/EU, ein Bieter die Kapazitäten anderer Unternehmen in Anspruch nehmen kann. Macht der Bieter hiervon Gebrauch, hat er dem öffentlichen Auftraggeber nachzuweisen, dass ihm die erforderlichen Mittel zur Verfügung stehen, indem er beispielsweise eine verpflichtende Zusage des Unternehmens vorlegt. Der öffentliche Auftraggeber prüft dann, entsprechend den Artikeln 59, 60 und 61 RL 2014/24/EU, ob die Unternehmen, deren Kapazitäten in Anspruch genommen werden, die entsprechenden Eignungskriterien erfüllen und ob zwingende Ausschlussgründe vorliegen. Sind die Eignungsanforderungen nicht erfüllt oder liegt ein Ausschlussgrund vor, darf der öffentliche Auftraggeber verlangen, dass der Unternehmer, dessen Kapazitäten in Anspruch genommen werden sollten, ersetzt wird. Damit erhält der öffentliche Auftraggeber die Möglichkeit, zu überprüfen, ob der Eignungsverleiher für den Auftrag geeignet ist.
Aus dem 84. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/24 ergibt sich hierzu, dass öffentliche Auftraggeber keine Verträge mit Bietern schließen sollen, die nicht dazu in der Lage sind, die Anforderung zu erfüllen. Relevant sei dies vor allem in zweistufigen Verfahren, bei denen der öffentliche Auftraggeber von der Möglichkeit Gebrauch machen kann, die Anzahl der zur Einreichung eines Angebots aufgeforderten Bewerber, zu begrenzen. Mit dem Verlangen der entsprechenden Unterlagen zum Zeitpunkt der Auswahl, soll vermieden werden, dass Bewerber eingeladen werden, die sich später als unfähig erweisen. Geeigneten Bewerbern hingegen soll die Möglichkeit der Teilnahme, insbesondere bei einer Begrenzung in der ersten Stufe, nicht entzogen werden.
Zur Auslegung der Richtlinie ist dieser Erwägungsgrund dementsprechend heranzuziehen. Die Prüfung muss der öffentliche Auftraggeber daher vor der Auftragsvergabe durchführen können.
3. Vergleich zum deutschen Recht
Im deutschen Recht wird Art. 63 RL 2014/24/EU in § 47 VgV umgesetzt, wobei Teile des Artikels nahezu wörtlich übernommen worden sind. Regelungen, die mit der portugiesischen Rechtsnorm nach Art. 77 Abs. 2 a) und c) in Verbindung mit den Art. 81, 92 und 93 des CCP vergleichbar sind und wonach der Bieter die Eignung des Verleihers oder dessen Verpflichtungserklärung nach Auftragsvergabe einreichen darf, existieren nicht.
Sofern ein Bieter seine Eignung nur durch Inanspruchnahme von Kapazitäten Dritter nachweisen kann, hat er diese bereits mit dem Teilnahmeantrag bzw. bei einem offenen Verfahren mit dem Angebot einzureichen. Lediglich in Bezug auf einen reinen Nachunternehmereinsatz, der von der Eignungsleihe zu unterscheiden ist, können diese Anforderungen unzumutbar sein (OLG München, Beschl. v. 22.1.2009, VII-Verg 26/08).
Bezogen auf die Eignungsleihe hingegen gilt, dass die Vorlage der entsprechenden Nachweise für die Eignungsprüfung immanent ist. Es ist insoweit konsequent, dass der öffentliche Auftraggeber gemäß Art. 63 Abs. 1 RL 2014/24/EU bzw. § 47 Abs. 2 VgV berechtigt ist, den Ersatz eines benannten Unternehmens zu verlangen, wenn bei diesem Ausschlussgründe vorliegen oder dieser die Eignungskriterien nicht erfüllt.
Fazit
Das portugiesische Recht räumte den Bietern mit der geltenden Rechtsnorm nach Art. 77 Abs. 2 a) und c) in Verbindung mit den Art. 81, 92 und 93 des CCP insoweit mehr Flexibilität ein. Den Verwaltungsaufwand müsste der Bieter tatsächlich erst betreiben, wenn er den Auftrag erhält.
Für den öffentlichen Auftraggeber ist es jedoch von besonderer Bedeutung, dass die Eignungskriterien die er stellt, erfüllt werden. Beruft sich ein Bieter auf die Kapazitäten eines anderen Unternehmens im Rahmen der Einungsleihe, soll der Auftraggeber die Möglichkeit haben, die Eignung des Dritten ebenfalls zu prüfen. Der 84. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/24 fasst insoweit plausibel zusammen, dass sich der öffentliche Auftraggeber nicht dem Risiko aussetzen muss, einen Vertrag mit einem Bieter abzuschließen, der den Voraussetzungen an die Eignung nicht gerecht wird.
Es würde ihm insbesondere in zweistufigen Vergabeverfahren die Gelegenheit nehmen, ein faires Vergabeverfahren durchzuführen und dem wirtschaftlichsten Angebot den Zuschlag zu erteilen, da er in der ersten Stufe des Verfahrens geeignete Bieter ausschließen könnte und den Wettbewerb folglich zu seinem Nachteil einschränkt. Dass Bieter die Nachweise für den Dritten vorlegen, sollte für diese auch nicht unzumutbar sein. Im Gegenteil eröffnet das Konzept der Eignungsleihe dem jeweiligen Bieter, der davon Gebrauch macht, überhaupt erst die Möglichkeit, sich am Verfahren zu beteiligen, soweit er die Eignungskriterien nicht alleine erfüllen kann.
Die Entscheidung des EuGH, dass eine nationale Rechtsnorm, die das Einreichen der Nachweise nach Auftragsvergabe vorsieht, nicht mit dem europäischen Recht vereinbar ist, ist insoweit überzeugend.
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