Rheinland-Pfalz will Verwaltungsdigitalisierung mit vergaberechtlichem Ausnahmetatbestand beschleunigen

In Rheinland-Pfalz können Aufträge, mit denen Leistungen zur Umsetzung des Onlinezugangsgesetz (OZG) beschafft werden sollen, unterhalb der vergaberechtlichen Schwellenwerte ohne wettbewerbliches Vergabeverfahren vergeben werden. Das sehen die Maßnahmen der Landesregierung zur Entbürokratisierung im Haushaltsvergaberecht vor.

Eine kurze Einordnung:

Hintergrund

„Eine Verwaltung, die aktuellen Anforderungen entsprechen soll, muss sich laufend selbst erneuern“, lautet das Credo des Bundesinnenministeriums. Hinsichtlich der Digitalisierung ist das mit der laufenden Erneuerung allerdings so eine Sache: Dass bisher nur wenige der dazu notwendigen Digitalisierungsziele erreicht werden konnten, ist hinlänglich bekannt. Gerade die föderale Zersplitterung und knappe Ressourcen in kleinen Gemeinden machen die Umsetzung von Digitalisierungsprojekten oft unmöglich. Dort, wo Onlinedienste erfolgreich entwickelt wurden, sind diese bisher oft nur in einzelnen Ländern oder Kommunen verfügbar.

Als wichtiger Baustein der Verwaltungsdigitalisierung gilt dabei das Onlinezugangsgesetz (OZG). Das im Jahr 2017 in Kraft getretene Gesetz zur Verbesserung des Onlinezugangs zu Verwaltungsleistungen verpflichtet Bund und Länder, ihre Verwaltungsleistungen auch elektronisch über Verwaltungsportale anzubieten. Ziel ist, dass Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen staatliche Leistungen einfach und sicher online beantragen können.

Der Bund stellt dazu die BundID bereit, das zentrale Nutzerkonto, mit dem sich Bürgerinnen und Bürger für Online-Verwaltungsleistungen öffentlicher Stellen identifizieren und authentifizieren können. Mit einem BundID-Konto sollen digitale Verwaltungsleistungen von Bund, Ländern, Kommunen und weiteren Stellen wie Hochschulen sicher, einfach und flexibel genutzt werden können. Basierend auf dem Gesetz zur Änderung des Onlinezugangsgesetzes (OZGÄndG) wird die BundID derzeit zum zentralen Bürgerkonto weiterentwickelt.

Das 2024 erlassene OZGÄndG verankert zugleich das „Einer für Alle“ (EfA)-Prinzip als tragendes Prinzip der interföderalen Zusammenarbeit. Das EfA-Prinzip ist die Grundlage für die Nachnutzung von digitalisierten Leistungen: Jedes Land und jede Kommune soll Leistungen so digitalisieren, dass andere Länder diese nachnutzen können und den Onlinedienst nicht noch einmal selbst entwickeln müssen. Das soll Zeit, Ressourcen und Kosten sparen, indem Länder und Kommunen durch effiziente Arbeitsteilung von den Digitalisierungsvorhaben anderer Länder profitieren.

Nachnutzung und Vergaberecht

Regelmäßig erfolgt die Nachnutzung auf Grundlage eines Verwaltungsabkommens. Dabei wird regelmäßig keine echte Kooperation zwischen dem Anbieter und dem Nachnutzer vereinbart, sondern allein die Nachnutzung gegen Beteiligung an den Kosten des Anbieters vereinbart.

Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshof (EuGH) vom 28. Mai 2020 (C-796/18) gilt oberhalb der Schwellenwerte, dass die entgeltliche Softwareüberlassung zwischen Kommunen als öffentlicher Auftrag grundsätzlich ausschreibungspflichtig ist. Die Ausschreibungspflicht entfällt nur, wenn die Leistung im Rahmen einer öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit erbracht wird, also eine echte Kooperation und nicht nur ein Nutzungsverhältnis besteht.

Welcher Schwellenwert allerdings im Einzelfall Anwendung findet, bemisst sich nach Anhang XIV zu RL 2014/24/EU „Dienstleistungen nach Artikel 74“. Soweit der Onlinedienst Daten verarbeitende Leistungen beinhaltet, kommt eine Vergabe nach § 64 der Vergabeverordnung (VgV) als besondere Dienstleistung im Sinne von § 130 Absatz 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) in Betracht, für die ein Schwellenwert von 750.000 Euro netto gilt.

Auch unterhalb der Schwellenwerte unterfallen die Fallgestaltungen von Nachnutzungen dem Vergaberecht, soweit es sich nicht um echte Kooperationen handelt.

Der Ausnahmetatbestand in Rheinland-Pfalz

In Rheinland-Pfalz hingegen können nunmehr Aufträge, mit denen Leistungen zur Umsetzung des OZG beschafft werden, unterhalb der vergaberechtlichen Schwellenwerte vergaberechtsfrei vergeben werden.

Nach der Rundschreiben Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau vom 31.12.2024, „Maßnahmen zur Entbürokratisierung im Haushaltsvergaberecht“ ist die Verwaltungsvorschrift „Öffentliches Auftragswesen“, aus der sich die Anwendung des Vergaberechts unterhalb der Schwellenwerte ergibt, nicht auf Aufträge anzuwenden, die zur Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) mit dem Ziel vergeben werden

  • im Wege der Nachnutzung Online-Dienste zu beschaffen, zu betreiben oder weiterzuentwickeln,
  • bei der Anwendung solcher Online-Dienste Betreuungs- und Beratungsleistungen zu erbringen, oder
  • Fachverfahren an solche Online-Dienste oder IT-Basisdienste anzubinden.

Die Ausnahme betrifft damit vor allem die Nachnutzung und deren Implementierung, nicht aber die Entwicklung und Weiterentwicklung der Anwendung selbst. Diese Leistungen sind, anders als teilweise vermutet, nach wie vor entsprechend den vergaberechtlichen Bestimmungen zu vergeben. Dies betrifft auch mögliche Modifikationen solcher Aufträge, wenn etwa zur Nachnutzung Anpassungen oder weitere Lizenzen erforderlich sind.

Kritische Betrachtung

Die Entscheidung, Vergaberecht unterhalb der Schwellenwerte nicht auf bestimmte Aufträge anzuwenden, die zur Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) dienen, hat vielfach Kritik hervorgerufen.

Einerseits, da es der Ausnahme, sowie tatsächlich Alleinstellungsmerkmale, etwa aufgrund landesrechtlicher Besonderheiten bestehen, die dazu führen, dass bereist andere Ausnahmetatbestände einschlägig sind.

Andererseits wird eingewandt, dass die systematische Ausnahme eines so wichtigen Vorhabens zu einer Beschränkung des Wettbewerbs und im Ergebnis zu einer weiteren Lähmung des dringend notwendigen Fortschritts führt. Zudem stünde zu erwarten, dass neue Ausschließlichkeitsrechte geschaffen würden, die dauerhaft zu einer Markteinengung führen würden.

Aus Sicht der Verfasser sind diese Argumente nicht von der Hand zu weisen. Die Absicht hingegen, Zeit, Ressourcen und Kosten einzusparen, indem nicht jedes digitale Verwaltungsangebot eigenständig neu entwickelt wird, sondern durch Nachnutzung beschafft werden kann, rechtfertigt die Ausnahme.

Hinweis der Redaktion

Das Rundschreiben Öffentliches Auftragswesen in Rheinland-Pfalz, Verwaltungsvorschrift vom 18. August 2021 (MinBI. S. 91), „Maßnahmen zur Entbürokratisierung im Haushaltsvergaberecht“ finden Sie in der Bibliothek des Deutschen Vergabenetzwerks, die für alle Mitglieder des Netzwerks zur Verfügung steht. Sie sind noch kein Mitglied? Zur kostenlosen Mitgliedschaft geht es hier.

Kontribution

Der Beitrag wurde gemeinsam mit Herrn Rechtsanwalt Oliver Hattig verfasst.

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Oliver Hattig

Der Autor Oliver Hattig ist Rechtsanwalt und ist Partner der Sozietät Hattig und Dr. Leupolt Rechtsanwälte in Köln. Sein Tätigkeitsschwerpunkt liegt im Vergaberecht. Als Experte für das europäische Vergaberecht war Oliver Hattig in verschiedenen Projekten der Europäischen Kommission tätig.