Verzicht auf Losaufteilung muss gut begründet werden
Auftraggeber möchten bei komplexen Projekten Schnittstellen und damit einhergehende Risiken häufig durch gesamthafte Vergaben reduzieren. Dieses Ansinnen kollidiert jedoch häufig mit dem in Deutschland besonders stark ausgeprägten Grundsatz der Losaufteilung. Auch eine aktuelle Entscheidung des OLG Düsseldorf bestätigt die hohen Hürden für Gesamtvergaben trennbarer Leistungen.
Leitsätze
- Ist eine Fachlosbildung (hier: Fahrbahnrückhaltesystem, Verkehrssicherung und Weißmarkierung) möglich, weil für diese Leistungen ein eigener Markt besteht, kommt eine Gesamtvergabe nur ausnahmsweise in Betracht. Der gesetzliche Regelfall ist die losweise Vergabe, sie ist grundsätzlich vorrangig.
- Der öffentliche Auftraggeber hat sich daher, wenn ihm eine Ausnahme von dem Grundsatz der losweisen Vergabe aus wirtschaftlichen oder technischen Gründen erforderlich erscheint, mit dem Gebot einer Fachlosvergabe und den dagegensprechenden Gründen intensiv auseinanderzusetzen. Er hat eine umfassende Abwägung der widerstreitenden Belange vorzunehmen, als deren Ergebnis die für eine zusammenfassende Vergabe sprechenden Gründen nicht nur anerkennenswert sein, sondern überwiegen müssen.
- Technische Gründe sind solche, die eine Integration aller Leistungsschritte in einer Hand zur Erreichung des vom Auftraggeber angestrebten Qualitätsniveaus notwendig machen (hier verneint).
- Wirtschaftliche Gründe liegen vor, wenn eine Aufteilung in Lose mit wirtschaftlich nachteiligen Folgen für den Auftraggeber verbunden ist, die über das übliche in Kauf zu nehmende Maß hinausgehen (hier verneint).
- Bei seiner Entscheidung hat der öffentliche Auftraggeber einen Beurteilungsspielraum. Der Kontrolle durch die Nachprüfungsinstanzen unterliegt insofern allein, ob die Entscheidung auf vollständiger und zutreffender Sachverhaltsermittlung und nicht auf einer Fehlbeurteilung, namentlich auf Willkür, beruht. Dabei müssen die für eine Gesamtlosvergabe angeführten Gründe auf den konkreten Auftrag bezogen und tatsächlich vorhanden (festzustellen und notfalls erwiesen) sein.
- Eine nachträgliche Heilung von Dokumentationsmängeln ist nur dann möglich, wenn die Vergabestelle ihre Erwägungen im Laufe des Nachprüfungsverfahrens lediglich ergänzt und präzisiert.
Sachverhalt
Eine Auftraggeberin hatte verschiedene Bauarbeiten an einer Autobahn ausgeschrieben. Obwohl die Aufteilung in Fachlose möglich gewesen wäre, entschied sie sich für eine Gesamtvergabe. Dagegen wehrte sich ein Anbieter für sogenannte Weißmarkierungsarbeiten. Er verlangte eine Losaufteilung.
Die Vergabestelle argumentierte, dass die Gesamtvergabe aufgrund von Synergieeffekten und einer verkürzten Bauzeit wirtschaftlicher sei. Die verkürzte Bauzeit führe zudem zu kürzeren Sperrungen der Autobahn und damit zu weniger Umleitungsverkehr. Darüber hinaus sollten Sicherheitsrisiken minimiert und Kompatibilitätsprobleme vermieden werden. Dieser Argumentation folgte die Vergabekammer in der ersten Instanz. Wichtig war dabei, dass sich der Auftraggeber nicht pauschal auf eine Beschleunigung des Bauablaufs berufen hatte, sondern die einzelnen Aspekte sehr konkret auf das vorliegende Bauvorhaben und die Besonderheiten des Streckenabschnitts bezogen hatte.
Als weiteres Argument für eine Gesamtvergabe kam hinzu, dass die Vergabestelle die Gesamtbauzeit für die Ausbaumaßnahme in den Wettbewerb stellte, um das Know-how der Bieter bei diesem Aspekt einfließen zu lassen. Dies erforderte, dass die Bieter selbst den Bauablauf sowie die Koordinierung der einzelnen Teilleistungen in der Hand hatten. Mit einem solchen Zuschlagskriterium war nach Auffassung der Vergabekammer eine Losaufteilung nicht mehr möglich, weil anderenfalls die zeitliche Koordinierung der Gesamtmaßnahme durch das beauftragte Unternehmen nicht mehr möglich wäre.
Nachdem die Vergabekammer die Gesamtvergabe als zulässig erachtete, legte der unterlegene Bieter Sofortige Beschwerde ein.
Die Entscheidung
Das Oberlandesgericht Düsseldorf hob die Entscheidung der Vergabekammer auf und verlangte eine Aufteilung der Leistungen in Fachlose. Sie betont, dass die Losaufteilung als gesetzlicher Regelfall grundsätzlich Vorrang hat.
Aus Sicht des Oberlandesgerichts sind die seitens der Vergabestelle dokumentierten technischen und wirtschaftlichen Gründe nicht ausreichend, um eine Gesamtvergabe erforderlich zu machen.
Die mutmaßliche Erhöhung der Bau- und Verkehrssicherheit bei einer Gesamtvergabe sieht das OLG nicht als derartige technische Gründe an. Das Gericht stellt dabei insbesondere darauf ab, dass die Weißmarkierungsarbeiten in 90% aller Fälle in einem getrennten Fachlos vergeben werden und vorliegend nicht ersichtlich sein, weshalb der konkrete Einzelfall dies nicht zulasse.
Der geringere Koordinierungsaufwand seitens des Auftraggebers kann aus Sicht des OLG Düsseldorf ebenso wenig als wirtschaftlicher Rechtfertigungsgrund herangezogen werden wie eine potenzielle Bauzeitverkürzung. Die Bauzeitverkürzung sei deshalb irrelevant, weil sich hieraus keine unmittelbaren wirtschaftlichen Vorteile für den öffentlichen Auftraggeber selbst ergäben. Dass eine möglichst kurze Bauzeit bei Autobahnbaustellen positive volkswirtschaftliche Auswirkungen mit sich bringt, ist nach Auffassung des Gerichts nicht ausreichend. Ebenso lässt das OLG nicht ausreichen, dass durch kürzere Bauzeiten positive Umweltauswirkungen oder geringere Unfallgefahren im Baustellenbereich resultieren, weil auch dies kein wirtschaftlicher Grund sei, der der Vergabestelle zugute kommt.
Die Vergabekammer stellte in ihrer Entscheidung noch darauf ab, dass das Zuschlagskriterium „Gesamtbauzeit“ nur bei einem Verzicht auf die Losaufteilung möglich ist und sich auch aus dieser – vorgelagerten – konzeptionellen Überlegung eine Rechtfertigung zur Gesamtvergabe ergäbe. Hiermit setzte sich das OLG Düsseldorf nicht auseinander.
Rechtliche Würdigung
Das OLG Düsseldorf legt im vorliegenden Fall einen sehr strengen Maßstab an die Rechtfertigung der Gesamtvergabe sämtlicher Bauleistungen für die Erneuerung eines Autobahnabschnitts an. Die Entscheidung zeigt, dass sich der öffentliche Auftraggeber im Vorfeld einer Gesamtvergabe sehr umfangreich mit den tatsächlichen technischen bzw. wirtschaftlichen Gründen auseinandersetzen muss. Hierzu gehört auch eine umfassende Abwägung und deren Dokumentation.
Gerade in Fällen, in denen die Losaufteilung als „geübte Praxis“ angesehen werden kann, dürfte es Vergabestellen besonders schwerfallen, eine Gesamtvergabe zu begründen.
Auch in anderen Entscheidungen wurde die gesamthafte Vergabe von Bauleistungen jüngst kritisch gesehen (bspw. OLG Rostock, Beschluss vom 10.01.2025 – 17 Verg 4/24).
Aus den jüngsten Entscheidungen zu Gesamtvergaben zeigt sich, dass auf Auftraggeberseite offenbar ein Bedürfnis besteht, komplexe Infrastrukturvorhaben einfacher zu gestalten und hierbei insbesondere auch die bestehenden Schnittstellen zwischen einzelnen ausführenden Unternehmen zu reduzieren. Unter den aktuell geltenden vergaberechtlichen Vorschriften ist dies jedoch nur in Einzelfällen gut begründbar, selbst wenn die rein tatsächlichen Vorzüge auf der Hand liegen. Dies hatte auch der Gesetzgeber erkannt und eine entsprechende Vereinfachung im Vergabetransformationspaket vorgesehen. Nachdem dieses jedoch in der aktuellen Wahlperiode nicht mehr beschlossen wurde, bleibt abzuwarten, ob unter der neuen Bundesregierung dieser „Bremsklotz“ der Beschaffungsprojekte angegangen wird. Die EU-Vergaberichtlinien würden jedenfalls weit größere Spielräume der Vergabestellen erlauben.
Praxistipp
Die gesamthafte Vergabe von (Bau-)Leistungen ist nach § 97 Abs. 4 GWB unter engen Voraussetzungen möglich. Erforderlich ist dabei stets eine auf den Einzelfall bezogene Dokumentation der technischen bzw. wirtschaftlichen Gründe, die für eine gesamthafte Vergabe sprechen sowie eine Abwägung zwischen Gesamtvergabe und Losaufteilung. Eine reine „Generalunternehmervergabe“, bei der einzelne Gewerke gebündelt werden, lässt sich in der Regel nur schwer begründen. Dies gilt umso mehr bei Leistungen, bei denen die Losaufteilung dem marktüblichen Regelfall entspricht. Etwas anderes kann sich bei gesamthafter Vergabe von Planungs- und Bauleistungen auf Basis einer funktionalen Leistungsbeschreibung ergeben. Doch auch hier sollten öffentliche Auftraggeber ein besonderes Augenmerk auf einen ausführlichen Vergabevermerk legen.