Konferenz „Health 4 EU – ZukunftsDialog Europäische Gesundheit“

Tagesspiegel KonferenzProtektionismus, geopolitische Spannungen, fragile Lieferketten – die Gesundheitsversorgung in Europa steht unter Druck. Auf der Konferenz „Health 4 EU – ZukunftsDialog Europäische Gesundheit“ diskutierten Expertinnen und Experten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft am 10. April in Berlin, wie Europa krisenfester, innovativer und souveräner werden kann. Im Fokus: Digitalisierung, resilientere Lieferketten – und die Frage, warum Gesundheitspolitik künftig genauso sicherheitsrelevant ist wie Verteidigung.

Trumps jüngster Zoll-Zirkus bringt nicht nur die globale Wirtschaft ins Wanken – plötzlich richten sich in Deutschland auch die Blicke jener auf die Frankfurter Börse, die sich sonst kaum für Finanzmärkte interessieren. Frankfurt wird zum Hotspot, während die Welt Live dabei zusieht, wie die Kurse ins Rutschen geraten.

Ein Bereich, der bereits früh mit den protektionistischen Dynamiken der neuen US-Regierung konfrontiert war, ist die Gesundheitsindustrie. Bereits am ersten Tag seiner zweiten Amtszeit unterzeichnete US-Präsident Trump eine Durchführungsverordnung zum Austritt der Vereinigten Staaten aus der Weltgesundheitsorganisation (WHO) – ein Schritt mit Signalwirkung für die globale Zusammenarbeit. Gemeinsam mit neuen Zolldrohungen der USA rückt dieser Rückzug einmal mehr die Frage in den Vordergrund, wie Europa sich geopolitisch und gesundheitspolitisch unabhängiger aufstellen kann.

Die Konferenz „Health 4 EU – ZukunftsDialog Europäische Gesundheit“, veranstaltet vom Tagesspiegel in Kooperation mit Pharma Deutschland, nahm genau diese Themen am 10. April in den Berliner Bolle Festsälen in den Fokus: Wie kann Europa in Fragen der Gesundheitsversorgung, Forschung und Innovation souveräner und krisenfester werden? Und welche Rolle spielt die europäische Gesundheitspolitik in einer Zeit globaler Machtverschiebungen?

Europa auf dem Weg zur gesundheitspolitischen Souveränität

In der Eröffnung betonten Stephan-Andreas Casdorff, Editor-at-Large beim Tagesspiegel, und Dorothee Brakmann, Hauptgeschäftsführerin von Pharma Deutschland, die strategische Bedeutung von Gesundheitspolitik in einem breiteren sicherheitspolitischen Kontext. Während derzeit viel über militärische Aufrüstung und Sondervermögen gesprochen wird, bleibe die Frage einer stabilen, souveränen Gesundheitsversorgung oft unterbelichtet – dabei sei sie mindestens ebenso zentral für die Resilienz Europas.

Ein funktionierendes, unabhängiges Gesundheitssystem sei nicht nur im Krisenfall essenziell, sondern auch ein Standortfaktor für Forschung und Entwicklung. Dafür brauche es attraktive Rahmenbedingungen, weniger Bürokratie und eine bessere Verzahnung zwischen öffentlichem und privatem Sektor. Deutschland, so Brakmann, sei in den vergangenen Jahren häufig mit sich selbst beschäftigt gewesen – etwa in Fragen der Regulierung. Für zukunftsfähige Lieferketten und Produktionsstrukturen brauche es jedoch mehr politische Flexibilität und Mut zur Veränderung.

WHO: Europa muss global Verantwortung übernehmen

Auch Dr. Catharina Boehme, stellvertretende Generaldirektorin der WHO für Außenbeziehungen und Governance, unterstrich in ihrer Keynote, dass Europa international stärker Verantwortung übernehmen müsse. Angesichts geopolitischer Instabilität sei es zentral, dass die EU ein verlässlicher Akteur werde – als „Zentrum des Multilateralismus“, wie Boehme betonte.

Das bedeute auch: Europa muss sich gezielt als attraktiver Standort für medizinische Forschung und Innovation positionieren. Dafür brauche es verlässliche politische Rahmenbedingungen, eine stärkere Beteiligung des öffentlichen Sektors und eine koordinierte europäische Beschaffungspolitik. Es reiche nicht, nur in militärische Kapazitäten zu investieren – auch sogenannte „Soft Power“-Bereiche wie Gesundheit, Wissenschaft und Technologie seien sicherheitsrelevant.

Zeit für gemeinsame Strategien

Dr. Boehme machte in ihrer Keynote deutlich: Europa muss jetzt Verantwortung übernehmen – als verlässlicher Partner in einer fragilen Weltordnung, als zentraler Akteur im globalen Gesundheitsgeschehen. Forschung, Versorgung und Innovation dürfen kein Flickenteppich nationaler Strategien bleiben – sie brauchen eine gemeinsame europäische Linie.

Wie diese konkret aussehen kann, wurde im Anschluss in drei Themenclustern diskutiert – von digitaler Infrastruktur über Innovationsförderung bis hin zur Frage, wie Europas Gesundheitsstandort widerstandsfähiger und unabhängiger aufgestellt werden kann.

Gesundheitsversorgung in Europa

Im ersten Themenblock stand unter anderem die Digitalisierung der Gesundheitsversorgung im Mittelpunkt. Prof. Karl Broich, Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), hob hervor, wie wichtig ein souveräner Umgang mit Gesundheitsdaten sei – sowohl technisch als auch regulatorisch. Der Austausch von Daten über nationale Grenzen hinweg, der Aufbau cloudbasierter Systeme und der verantwortungsvolle Einsatz von Künstlicher Intelligenz seien zentrale Voraussetzungen für eine zukunftsorientierte Gesundheitsinfrastruktur in Europa.

 

Innovation und Forschung

In der Paneldiskussion „Empowerment für Innovation & Digital Health in der EU“ diskutierten Dr. Katharina Ladewig (Robert Koch-Institut), Dr. Florian Fuhrmann (gematik GmbH) und Dr. Michael Lauk (B. Braun SE) darüber, wie sich die EU als Innovationsstandort positionieren kann. Bremsfaktoren wie langwierige Zulassungsverfahren und komplexe regulatorische Anforderungen wurden ebenso thematisiert wie die Notwendigkeit, Forschung, Digitalisierung und Versorgung stärker zusammenzudenken. Ziel sei es, ein Umfeld zu schaffen, in dem neue Technologien schneller zur Anwendung kommen – zum Nutzen der Patientinnen und Patienten wie auch der Standortentwicklung.

Souveränität des Standorts Europa

Der dritte Themenblock fokussierte die geopolitische Dimension von Versorgungssicherheit. In der Diskussion „Abhängigkeit auf den Prüfstand stellen: Eine Arzneimittelstrategie für Europa?“ betonte Prof. Ulrike Holzgrabe (EThICS-Initiative), dass Europa sich bei kritischen Wirkstoffen nicht dauerhaft auf außereuropäische Lieferketten verlassen könne. Susanne Lamminger (Sandoz Germany) und Prof. Rainer Becker (EU-Kommission) sprachen sich ebenfalls für eine neue europäische Strategie aus, die Diversifizierung, politische Flankierung und mehr Flexibilität bei Genehmigungsprozessen in den Mittelpunkt stellt.

Fazit: Gesundheitspolitik als Bestandteil europäischer Resilienz

Die Konferenz machte deutlich: Gesundheitspolitik ist weit mehr als medizinische Versorgung. Sie ist verknüpft mit Standort- und Industriepolitik, Innovationsförderung, Verwaltungsmodernisierung – und nicht zuletzt mit Europas geopolitischer Handlungsfähigkeit.

In vielen Punkten zeigten sich Parallelen zur Debatte um Europas Verteidigungsfähigkeit. Der Appell vieler Diskutierender war hierbei deutlich: Gesundheitspolitik muss künftig genauso strategisch gedacht und priorisiert werden wie klassische sicherheitspolitische Fragen – mit Blick auf Resilienz, Souveränität und eine moderne, handlungsfähige Verwaltung.

Öffentliche Beschaffung auch hier als strategischer Hebel

Ein zentrales Steuerungsinstrument ist dabei die öffentliche Beschaffung: Sie beeinflusst maßgeblich, wie schnell medizinische Innovationen in die Versorgung gelangen, wie widerstandsfähig Lieferketten aufgebaut sind und wie zuverlässig der Zugang zu essenziellen Produkten in Krisensituationen gewährleistet werden kann. Gerade im Zusammenspiel mit Digitalisierung, Forschung und Standortentwicklung wird deutlich: Vergaberechtliche Strukturen müssen so ausgestaltet sein, dass sie strategische Ziele unterstützen – nicht verhindern.

Viele Beiträge auf der Konferenz machten deutlich, dass hier Reformbedarf besteht: Verfahren sind oft zu komplex, und zu langsam. Vor diesem Hintergrund wird deutlich: Soll Europa in der Gesundheitsversorgung resilienter und handlungsfähiger werden, muss auch die öffentliche Beschaffung neu gedacht werden – mit mehr Flexibilität, klaren politischen Leitplanken und einer stärkeren europäischen Abstimmung.