Die etwas andere Addition bei Referenzen: 1 + 1 ergibt nicht immer 2
Referenzanforderungen, vorliegend eine bestimmte Mindestliefermenge, können nicht per se durch eine Gesamtschau/Addition einzelner, auf mehreren Aufträgen basierenden, Leistungen im Rahmen einer Referenz nachgewiesen werden. Dem Auftraggeber obliegt die Festlegung, ob eine Anforderung an eine Referenz durch einen einzigen Auftrag oder aber zusammengefasst durch mehrere Aufträge nachgewiesen werden kann. Indem der Auftraggeber den Nachweis von Mindestmengen im Rahmen einer Referenz an die Ausführung eines einzigen Auftrags knüpft, stellt er zugleich auf eine längerfristige, dauerhafte sowie ggf. kontinuierliche Lieferverpflichtung und auf die Bewältigung und entsprechende Organisation einer bestimmten Menge ab. Sofern auch für diese Parameter der notwendige Auftragsbezug besteht, ist eine solche Festlegung nicht zu beanstanden.
Sachverhalt
Die Auftraggeberin und zugleich Antragsgegnerin schrieb im offenen Verfahren eine Rahmenvereinbarung über die Lieferung von Drogenschnelltests (Becher-Urintests mit integrierter Testkassette) für die bayerischen Justizvollzugseinrichtungen als abrufberechtigte Stellen aus. Zum Nachweis der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit war in der Bekanntmachung die Einreichung einer Referenz aus den letzten drei Jahren verlangt. Hierzu legte die Auftraggeberin wörtlich Folgendes fest: „Die Vergleichbarkeit bemisst sich insbesondere an der Lieferung von Becher-Urintests zur Feststellung von Drogenkonsum und einer Auftragsmenge von mind. 10.000 Stück“ (Hervorhebungen durch die Autorin). Weiterhin ist für die reguläre zweijährige Laufzeit der Rahmenvereinbarung eine Höchstmenge von 100.000 Stück festgelegt. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Nach dem Ausschluss zweier weiterer Angebote lag die Antragstellerin mit ihrem Angebot auf Platz zwei, was ihr entsprechend mit Informationsschreiben mitgeteilt worden ist. Die Antragstellerin stellte nach Rüge und Nichtabhilfe durch die Antragsgegnerin einen Nachprüfungsantrag und machte hier im Wesentlichen geltend, dass die Beigeladene als Zuschlagsprätendentin nicht über die von der Auftraggeberin geforderte Referenz verfüge und daher auszuschließen gewesen wäre; dies stützte die Antragstellerin auf Erkenntnisse, die sie aus dem Markt erlangt habe. Hintergrund dieser Rüge ist, dass die von der Beigeladenen angegebene Referenz tatsächlich nicht auf einem einheitlichen Liefer- oder Rahmenvertrag beruhte, sondern auf mehreren Aufträgen basierte und Lieferungen an verschiedene Auftraggeber betraf. Die Beigeladene fasste für den Nachweis ihrer technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit mehrere Verträge zu einer Referenz zusammen, um die Referenzanforderung von einer Auftragsmenge von mind. 10.000 Stück durch Addition der jeweiligen (kleineren) Liefermengen pro Auftrag zu erreichen.
Gegen die Zurückweisung ihres Nachprüfungsantrags durch die Vergabekammer München legte die Antragstellerin sofortige Beschwerde ein.
Die Entscheidung
Mit Erfolg!
Denn das Angebot der Beigeladenen ist nach § 57 Abs. 1 Halbsatz 1 VgV mangels Nachweises ihrer technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit und daher wegen Nichterfüllung eines Eignungskriteriums auszuschließen.
Entgegen der Annahme der Vergabekammer München ordnet der Senat die Rüge als hinreichend substantiiert ein und bejaht insgesamt die Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde. Hierbei sei ein großzügiger Maßstab anzulegen, für den es ausreichend sei, zumindest tatsächliche Anknüpfungstatsachen oder Indizien vorzutragen, die einen hinreichenden Verdacht auf einen Vergabeverstoß begründen und in Abgrenzung dazu keine pauschale, „ins Blaue hinein“ erhobene Rüge darstellt, die sich in reinen Vermutungen erschöpft. Vorliegend bezog sich die Rüge der Antragstellerin auf den fehlenden Nachweis einer vergleichbaren Referenzleistung und umfasste damit eine konkrete vergaberechtliche Beanstandung; mit der Berufung auf ihre Marktkenntnisse hat die Antragstellerin zumindest ein Indiz dafür aufgezeigt, weshalb die Beigeladene nicht über eine den Anforderungen entsprechende Referenz verfüge.
Weiterhin ist die sofortige Beschwerde begründet, da die von der Beigeladenen angegebene Referenz nicht den in der Bekanntmachung aufgestellten Anforderungen entspreche. Denn die Beigeladene hätte hier die Anforderungen an die anzugebende Referenz mit Blick auf die Auftragsmenge von 10.000 Stück lediglich durch einen einzigen Auftrag bzw. Rahmenvertrag und nicht stattdessen durch eine Mehrzahl kleinerer Aufträge erfüllen können. Dem stehe auch nicht die Entscheidung des EuGH vom 4. Mai 2017 (C-387/14 – Esaprojekt, NZBau 2017, 741) entgegen, wonach Bieter grundsätzlich ihre Erfahrungen geltend machen könnten, indem sie sich auf zwei oder mehr Verträge zusammen betrachtet als einen Referenzauftrag berufen. Diese Vorgehensweise sei zum Nachweis von Referenzanforderungen nur dann zulässig, wenn sie weder in der Bekanntmachung noch in den Vergabeunterlagen ausgeschlossen wurde.
Vorliegend gehe aber aus der Bekanntmachung und den Vergabeunterlagen im Sinne der maßgeblichen Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont eines verständigen Bieters ausdrücklich und eindeutig hervor, dass die Anforderung an die anzugebende Referenz in Bezug auf den Lieferumfang in Höhe von 10.000 Stück lediglich durch einen einzigen Auftrag und nicht stattdessen durch die Addition der (kleineren) Liefermengen mehrerer Aufträge nachgewiesen werden kann. Diese Auslegung folge etwa aus der in der in der Bekanntmachung verwendeten Formulierung „Auftragsmenge von mind. 10.000 Stück“; „Auftrag“ und „Vertrag“ werden üblicherweise als Synonyme verstanden; „Auftragsmenge“ sei bei einem Lieferauftrag die aufgrund dieses einzigen Vertrags gelieferte Menge. Hierfür spricht auch die Verwendung des Singulars bei der Formulierung in den Vergabeunterlagen, dass eine Beschreibung des „Auftrags“ erforderlich sei sowie Angaben zu dem Umfang „des Auftrags“ zu machen seien.
Ebenso beziehe sich die geforderte Angabe, ob es sich „um Lieferung(en) in einer Menge oder mit Abrufen in Teilmengen“ handele, auf einen einzigen Auftrag bzw. Rahmenvertrag; denn ein Abruf in Teilmengen, nach Bedarf sowie auf Abruf könne auf der Grundlage eines Rahmenvertrags sowie bei einem echten Sukzessionslieferungsvertrag erfolgen. So handele es sich bei Abschlüssen mehrerer Verträge über jeweils kleinere Mengen gerade jeweils nicht um „Teilmengen bzw. Teilleistungen nach § 266 BGB. Zwar könnten auch bei Rahmenverträgen die Lieferungen auf mehreren Einzelverträgen beruhen; maßgeblich hierfür sei aber eine sich aus dem Rahmenvertrag ergebende Verpflichtung, über nach Art, Preis und Menge eingegrenzte Vertragswaren einzelne Lieferverträge zu schließen. Eine verpflichtende und damit tragfähige Grundlage liege bei einer kumulativen Betrachtung einzelner Aufträge in dem jeweils tatsächlich erbrachten Lieferumfang nicht vor. Denn eine längerfristige und dauerhafte wie auch bei entsprechendem Bedarf kontinuierliche Lieferverpflichtung sei nur im Rahmen eines einzelnen Auftrags oder Rahmenvertrags zu bejahen. Diese von der Antragsgegnerin festgelegte Anforderung an die Vergleichbarkeit der Referenzleistung mit der ausgeschriebenen Leistung sei von einem dem Auftraggeber hierfür zukommenden Beurteilungsspielraum gedeckt, welcher durch den erforderlichen Auftragsbezug begrenzt wird. Dieser Auftragsbezug bestehe ebenfalls in einer auf dem ausgeschriebenen Rahmenvertrag angelegten langfristigen und kontinuierlichen Lieferverpflichtung, die mit Blick auf den Lieferumfang auch nicht zu hoch angesetzt sei, da die für den Referenzauftrag vorgesehene Mindestauftragsmenge lediglich einem Viertel der geschätzten jährlichen Liefermenge der vorliegenden Ausschreibung entspreche.
Bewertung und Bedeutung für die Praxis
Der vorliegende Beschluss überzeugt im Ergebnis und in der Begründung. Zwar streitet der Wettbewerbsgrundsatz und auch das Mittelstandsgebot für eine möglichst große Öffnung des Verfahrens für Unternehmen und damit für eine großzügige Auslegung der entsprechenden Referenzanforderung, vorliegend hinsichtlich des Lieferumfangs durch die Addition von tatsächlichen (kleineren) Liefermengen basierend auf mehreren Aufträgen. Jedoch räumt der Wettbewerbsgrundsatz als einer der Vergabegrundsätze nach § 97 Abs. 1 GWB kein konkretes subjektives Bieterrecht ein, sondern dessen Inhalt und Grenzen ergeben sich erst durch die normierten Vergaberegelungen, welche ebenso das Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers berücksichtigen.
Hiernach ist der dem Auftraggeber bei der Festlegung der Eignungskriterien zukommende Beurteilungsspielraum durch die Regelungen der § 46 Abs. 3 VgV in Verbindung mit § 122 Abs. 4 S. 1 GWB begrenzt. Dementsprechend muss für Eignungsnachweise ein Auftragsbezug bestehen und hieran dürfen aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes keine unangemessen hohen Anforderungen gestellt werden. Ein Auftragsbezug bei einem Referenzauftrag und damit eine Vergleichbarkeit zur ausgeschriebenen Leistung liegt gemäß dem bewerteten Beschluss und auch der bisherigen Rechtsprechung (etwa BayOblG, 9.11.2021 – Verg 5/21; OLG Düsseldorf, 27.04.2022 – Verg 25/21) dann vor, wenn die Referenzleistung der ausgeschriebenen Leistung so weit ähnelt, dass sie einen tragfähigen Rückschluss auf die Leistungsfähigkeit des Bieters für die ausgeschriebene Leistung gestattet.
Indem vorliegend der Antragsgegner in seinen Festlegungen in den Vergabeunterlagen den Nachweis einer bestimmten Mindestmenge an einen einzigen Referenzauftrag bzw. Referenzrahmenvertrag knüpft, stellt er für den Referenzauftrag als Parameter für eine Vergleichbarkeit zur ausgeschriebenen Leistung gerade auch auf eine längerfristige, dauerhafte sowie -bei entsprechendem Bedarf- kontinuierliche Lieferverpflichtung bzw. auf die Bewältigung und entsprechende Organisation einer bestimmten Menge ab. Eine solche längerfristige, dauerhafte und kontinuierliche Lieferverpflichtung bzw. die Bewältigung und entsprechende Organisation einer bestimmten Menge ist jedoch lediglich einem einzigen Auftrag oder Rahmenvertrag als vertragliche Grundlage für die Lieferung immanent. Indirekte Folge einer solchen längerfristigen kontinuierlichen Lieferverpflichtung beim Referenzauftrag ist zudem, dass der Bieter in diesem Rahmen zugleich etwa auch logistischen Anforderungen, etwa Lagerungen und Sicherstellung von Lieferketten, unterlag. Dies würde bei einer bloßen Addition/Kumulation von tatsächlichen Lieferleistungen, die auf mehreren Aufträgen beruhen, nicht berücksichtigt werden. Denn in solchen Fällen hätte der Bieter im Rahmen von entsprechenden einzelnen Ausschreibungen die Möglichkeit, auf die Einreichung von Angeboten zu verzichten und müsste sich daher nicht entsprechend langfristig intern organisieren und binden. Damit ist mit der Anforderung, eine bestimmte Liefermenge durch nur einen einzigen Referenzauftrag nachzuweisen, ein anderer Maßstab bzw. andere Parameter an die Vergleichbarkeit des Referenzauftrags gesetzt als bei einer bloßen Addition von Liefermengen durch mehrere Aufträge. Diesen Unterschied hat der Senat überzeugend herausgearbeitet. Da vorliegend die Antragsgegnerin die (auch indirekten) Parameter der Vergleichbarkeit der Referenzleistung an die ausgeschriebene Leistung im Rahmen des ihr zukommenden Beurteilungsspielraums festgelegt hatte, musste sie sich hieran auch messen lassen.
Dies sollte auch übertragbar sein auf den qualitativen Umfang einer Referenzleistung, mithin hinsichtlich bestimmter geforderter Teilleistungen, so dass diese hin zu einer Komplettleistung kumuliert werden müssen und nicht ebenfalls durch mehrere Aufträge nachgewiesen werden können. Eine solche Übertragbarkeit stünde auch nicht in Widerspruch zur Rechtsprechung des OLG Düsseldorf (Urt. v. 04.04.2022 – Verg 35/21), das eine kumulierte Betrachtung von einzelnen Teilleistungen unterschiedlicher Aufträge im Rahmen einer Referenz hat ausreichen lassen. Ein Widerspruch ist nach Auffassung der Autorin deswegen nicht zu verzeichnen, weil Beides, also sowohl eine kumulierte Betrachtung von geforderten Teilleistungen mehrerer Aufträge als auch eine Betrachtung einer zusammengefassten Komplettleistung auf Grundlage eines einzigen Auftrags, im Rahmen des Nachweises einer Referenz -je nach Festlegung des Auftraggebers- zulässig sein dürfte. Entscheidend ist dabei die konkrete Festlegung des Auftraggebers bzw. eine entsprechende objektive Auslegung sowie die Wahrung des dem Auftraggeber hierfür zukommenden Beurteilungsspielraums. Dieser wiederum findet seine Grenze in dem erforderlichen Auftragsbezug und damit in der Vergleichbarkeit der Referenzleistung zur ausgeschriebenen Leistung.
Auswirkungen hat die hier bewertete Entscheidung des BayObLG sowie umgekehrt das zitierte Urteil des OLG Düsseldorf auch auf Eignungsleihe und Nachunternehmereinsatz: Ergibt die Auslegung der Festlegungen des Auftraggebers in Bekanntmachung und Vergabeunterlagen in quantitativer Hinsicht, dass für den Nachweis einer Referenz keine Addition von Liefermengen einzelner Aufträge erfolgen soll, so kann konsequenterweise der Bieter/Bewerber dies insgesamt durch einen einzigen Auftrag selbst nachweisen oder er kann den Nachweis stattdessen durch eine Eignungsleihe durch ein einziges Unternehmen erbringen. Ergibt dagegen die Auslegung der Festlegungen des Auftraggebers in Bekanntmachung und Vergabeunterlagen in quantitativer Hinsicht, dass in Bezug auf entsprechende Liefermengen der Referenzleistung eine Addition von Liefermengen mehrerer Aufträge erfolgen kann, können einzelne Liefermengen zum Teil durch den Bewerber/Bieter selbst sowie zum anderen Teil im Wege der Eignungsleihe auch mehrerer Unternehmen nachgewiesen werden. Zu beachten wäre dann aber, dass im Sinne der Vorschrift des § 47 Abs. 1 S. 3 VgV das eignungsverleihende Unternehmen jedenfalls für die entsprechende Liefermenge, auf die sich die Eignungsleihe bezieht, bei der Ausführung der Lieferung einzusetzen wäre. Diese Vorgehensweise wäre im Sinne eines Gleichlaufs zum zitierten Urteil des OLG Düsseldorf in Bezug auf (qualitative) Referenzanforderungen für einzelne Teilleistungen, für die der erkennende Senat eine (partielle) Eignungsleihe zugelassen hat. Hierfür spricht ebenfalls, dass etwa auch im Rahmen der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit bei der Vorgabe eines Mindestumsatzes eine Addition des Umsatzes zum einen des Bewerbers/Bieters und zum anderen desjenigen des eignungsverleihenden Unternehmens zulässig ist.
Insgesamt ist daher für die Praxis der Beschaffenden wichtig, die Parameter der Vergleichbarkeit von Referenzleistungen exakt und eindeutig zu bestimmen und sich bewusst darüber zu sein, dass für eine Vergleichbarkeit nicht nur auf den Umfang/Mengen der Referenzleistung abzustellen ist, sondern indirekt ebenfalls auf die entsprechend dahinterstehenden dauerhaften und kontinuierlichen Verpflichtungen und Erfordernisse etwa logistischer Natur im Rahmen des Referenzprojekts. Als Kontrollfrage kann dabei auch die Sinnhaftigkeit einer nur partiellen Eignungsleihe dienen, verbunden mit einem entsprechend partiellen Nachunternehmereinsatz.
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