Widerruf der Zuwendung wegen VOB/A-Verstoß – produktbezogen und „oder gleichwertig“?
Das Ermessen des Zuwendungsgebers bei Vergabeverstößen in der EU-Förderung ist aufgrund des Unionsrechts und der COCOF-Leitlinien in der Regel in Richtung Widerruf des Förderbescheids intendiert. Wenn Zuwendungsempfänger sich nicht an die im Zuwendungsverhältnis beauflagten Vorgaben der VOB/A halten, ist die Bewilligung in der Regel aufgrund der Überlagerung des Unionsrecht sowie der haushaltsrechtlichen Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu widerrufen und von der Aufhebung und Rückforderung nur in atypischen Fällen abzusehen.
§ 49 Abs. 3, 49a Abs. 1 VwVfG M-V, § 7 VOB/A, COCOF-Leitlinien, Art. 35 Abs. 2 EU/640/2014
Sachverhalt
Die Klägerin begehrt die Aufhebung eines Teilwiderrufsbescheides hinsichtlich einer Zuwendung für den Ausbau eines Weges in ihrem Gemeindegebiet.
Auf Förderantrag der Klägerin bewilligte der beklagte Zuwendungsgeber ihr mit Zuwendungsbescheid für das Vorhaben des Ausbaus eines Gemeindeweges eine nicht rückzahlbare Zuwendung zur Projektförderung als Anteilsfinanzierung aus Mitteln der Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes (ILERL M-V).
Im Zuwendungsbescheid war ausdrücklich geregelt worden: Es darf nicht produktbezogen ausgeschrieben werden. Darüber hinaus sind die ANBest-ILE sowie die NBest-Bau zum Gegenstand des Förderbescheids gemacht worden. Nach diesen Nebenbestimmungen wurde die Einhaltung des Vergaberechts, insbesondere VOB/A, 1. Abschnitt, beauflagt.
Die Klägerin schrieb Bauleistungen öffentlich aus. Das Leistungsverzeichnis enthielt bestimmte Herstellerprodukte, weil diese in einer Betriebsmittelvorschrift benannt waren. Die betreffenden Leistungspositionen waren überdies mit dem Zusatz „oder gleichwertig“ und dem Zusatz versehen: „Sofern ein anderes Fabrikat […] angeboten wird, ist eine ausführliche Produktbeschreibung des Herstellers dieser Ausschreibung beizufügen, mit der die Gleichwertigkeit eindeutig nachgewiesen wird.“ Letztlich sind diese Leistungspositionen nicht erbracht worden.
Im Rahmen der Verwendungsnachweisprüfung widerrief der Zuwendungsgeber den Zuwendungsbescheid teilweise, 5% in Bezug auf die betreffende Ausgabeneinheit, aufgrund von Verstößen gegen § 7 Abs. 2 VOB/A, also den Grundsatz der produktneutralen Ausschreibung, entsprechend den Korrektursätzen der COCOF-Leitlinien.
Die Klägerin erhob gegen den Widerrufs- und Rückforderungsbescheid Widerspruch, der von dem beklagten Zuwendungsgeber durch Widerspruchsbescheid zurückgewiesen wurde. Hiergegen klagte die Klägerin.
Im Rahmen des Klageverfahren ergänzte der Zuwendungsgeber, dass das Vergabeverfahren der Klägerin noch weitere Vergabefehler aufgewiesen hätte. So seien veraltete Formblätter verwendet worden, im Rahmen der Bekanntmachung seien widersprüchliche Angaben getätigt worden und die Niederschrift sei formal falsch ausgefüllt worden.
Die Entscheidung
Das VG hat die zulässige Klage als unbegründet abgewiesen. Der Widerrufs- und Widerspruchsbescheid des Beklagten sei nach Ansicht des VG rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Ein teilweiser Widerruf habe aufgrund des Auflagenverstoßes wegen Vergabefehlern nach § 49 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 VwVfG M-V erfolgen dürfen. Ermessensfehler hätten nicht vorgelegen.
Der Bescheid habe eine ausdrückliche inkorporierte Auflage enthalten, nicht produktbezogen auszuschreiben. Mehrere Leistungspositionen, welche die Klägerin mit bestimmten Herstellerprodukten ausgeschrieben habe, hätten bereits gegen diese inkorporierte Auflage verstoßen.
Darüber hinaus habe die Klägerin auch gegen die zusätzliche Vergabepflicht entsprechend den ANBest-ILE verstoßen, die eine Auflage im Sinne des § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG M-V enthielten. Entgegen § 7 Abs. 2 VOB/A habe die Klägerin produktbezogen ausgeschrieben. Die Voraussetzungen der Ausnahme vom Grundsatz der produktneutralen Ausschreibung würden jedoch nicht vorliegen.
Zwar habe die Klägerin nach Ansicht des VG aufgrund des dem öffentlichen Auftraggeber zustehenden Beurteilungsspielraums davon ausgehen dürfen, dass eine produktbezogene Ausschreibung aufgrund einer Betriebsmittelvorschrift gerechtfertigt sei. Jedoch dürfe dann, wenn die Produktbezogenheit durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt sei, nicht gleichzeitig die Öffnungsklausel „oder gleichwertig“ verwendet werden. § 7 Abs. 2 VOB/A sehe seinem Wortlaut nach zwei voneinander zu unterscheidende Vorgehensweisen vor, bei denen alternativ (Nr. 1) der Produktbezug durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt sei oder (Nr. 2) der Auftragsgegenstand nicht hinreichend genau und allgemeinverständlich beschrieben werden könne. Nur in letzterem Fall seien die Verweise zwingend mit dem Zusatz „oder gleichwertig“ zu versehen. Der Wettbewerb könne verzerrt werden, wenn insbesondere die Parameter der Gleichwertigkeit nicht näher in den Vergabeunterlagen beschrieben seien. Dieses Verständnis werde auch durch die EU-Vergabekoordinierungsrichtlinie gestützt.
Darüber hinaus lägen weitere durch die Klägerin begangene Vergabeverstöße vor. Die Nutzung veralteter Formblätter, widersprüchliche Angaben in der Bekanntmachung sowie die formal fehlerhafte Niederschrift hätten der Klägerin nach Ansicht des VG ebenfalls vorgehalten werden dürfen, weil diese Vergabemängel im verwaltungsgerichtlichen Verfahren haben nachgehoben werden dürfen.
Die Entscheidung des Beklagten sei ermessensfehlerfrei gewesen, da beim Widerruf aufgrund eines Auflagenverstoßes wegen der haushaltsrechtlichen Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit von einem intendierten Ermessen auszugehen sei, wenn nicht außergewöhnliche Umständen des Einzelfalls eine andere Entscheidung rechtfertigen würden. Das intendierte Ermessen ergebe sich insbesondere auch aus dem Unionsrecht, nämlich Art. 35 Abs. 2 EU/640/2014, weil die Zuwendung aus EU-Mitteln gewährt und gegen Vorschriften der öffentlichen Vergabe verstoßen worden sei.
Die Höhe der Kürzung aufgrund der COCOF-Leitlinien sei nicht zu beanstanden. Die COCOF-Leitlinien würden der einheitlichen Festlegung von Finanzkorrekturen bei Verstößen gegen die Vorschriften für die Vergabe öffentlicher Aufträge auf von der Union finanzierte Ausgaben dienen. Obwohl es sich um keinen Rechtssatz handele, dürfte der Zuwendungsgeber diese zwecks einheitlicher Handhabung in seiner Verwaltungspraxis nutzen. Sie würden für technische Spezifikationen, die den Zugang von Wirtschaftsteilnehmern beschränken würden, einen Korrektursatz von 10% vorsehen, der auf 5% reduziert werde, wenn ein Mindestmaß an Wettbewerb hergestellt worden sei, was vorliegend der Fall sei. Dies würde auch dem Wirksamkeitsgrundsatz der EU nach Art. 4 Abs. 3 AEUV (effet utile) entsprechen. Abschließend weist das VG darauf, dass es nicht darauf ankomme, dass die Leistungsposition letztlich nicht erbracht worden sei und dass ausreiche, dass ein Schaden für den EU-Haushalt habe entstehen können. Nicht erforderlich sei, dass ein Schaden tatsächlich Auswirkungen auf den EU-Haushalt habe.
Rechtliche Würdigung
Die Entscheidung reiht sich konsequent in die bisherige Rechtsprechung im Zusammenhang mit Vergabefehlern bei EU-geförderten Vorhaben ein und zeigt auf, dass nach wie vor ein rauer Wind weht, da dem Unionsrecht die größtmögliche Wirksamkeit entsprechend dem effet utile verliehen werden soll. Dadurch besteht auch aufgrund des Unionsrechts ein intendiertes Ermessen, das den Widerruf der Bewilligung für den Regelfall vorsieht. Die Rechtsprechung sieht zwar keinen Reflex bzw. Automatismus zwischen Vergabefehlern und dem hierauf gegründeten Widerruf, bestätigt aber immer wieder die ermessensfehlerfreie Anwendung der COCOF-Leitlinien bei Unregelmäßigkeit im Rahmen der geteilten Mittelverwaltung zwecks einheitlicher Ermessensausübung entsprechend den pauschalen Korrektursätzen, die ins nationale Vergaberecht übersetzt werden.
Vergaberechtlich wird einmal mehr deutlich, was auch viele Vergabestellen immer wieder missachten: produktbezogen einerseits und „oder gleichwertig“ andererseits sind zwei unterschiedliche Alternativen, die nicht vermischt werden dürfen. So nachvollziehbar es aus Sicht der Vergabestelle scheinen mag, bei Unsicherheit über die sachliche Rechtfertigung des Produktbezogenheit zusätzlich den Zusatz „oder gleichwertig“ hinzuzusetzen, so vergabewidrig ist diese Vorgehensweise.
Praxistipp
Vergabestellen und Zuwendungsempfänger tun gut daran, im Rahmen von EU-Förderungen bei der öffentlichen Auftragsvergabe höchste Sorgfalt walten zu lassen, weil hier der berüchtigte raue Wind weht und das nationale Recht durch das EU-Recht überlagert wird.
Bei der Erstellung und Veröffentlichung von Vergabeunterlagen ist außerdem genaustens darauf zu achten und zu differenzieren, dass § 7 Abs. 2 VOB/A zwei unterschiedliche Alternativen enthält, die zwingend voneinander zu trennen sind. Entweder wird gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 1 VOB/A produktbezogen ausgeschrieben, weil der Auftragsgegenstand dies rechtfertigt, oder der Zusatz „oder gleichwertig“ wird gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 2 VOB/A hinzugesetzt, weil die Leistung nicht hinreichend genau und allgemein verständlich beschrieben werden. Dieser in der Förderung regelmäßig anzutreffenden klassische Vergabefehler ist bei genauer Lektüre der Vorschrift vermeidbar.