Neuer Gesetzesentwurf zur Beschleunigung von Bundeswehr-Vergaben
Am 23.07.2025 hat die Bundesregierung den Referentenentwurf für ein weiteres Gesetz zur Beschleunigung von Vergabeverfahren der Bundeswehr beschlossen. Der gemeinsame Entwurf des BMWE und des BMVg vom 26.06.2025 übernimmt wesentliche Teile des zeitlich befristeten Vorgängergesetzes auf Dauer und geht in Teilen darüber hinaus. Die Rechte von Unternehmen werden erneut empfindlich verkürzt.
Sie hat es wieder getan – Die Bundesregierung legt zum dritten Mal in fünf Jahren einen Gesetzesentwurf vor, mit dem die Vergabe verteidigungs- und sicherheitsspezifischer Aufträge beschleunigt werden soll. Nach dem „Gesetz zur beschleunigten Beschaffung im Bereich der Verteidigung und Sicherheit und zur Optimierung der Vergabestatistik“ vom 25.03.2020 (siehe Vergabeblog Nr. 43328 vom 14.02.2020) und dem „Gesetz zur Beschleunigung von Beschaffungsmaßnahmen für die Bundeswehr (BwBBG)“ vom 11.07.2022 (siehe Vergabeblog Nr. 51485 vom 07.11.2022) soll nun der Entwurf für ein „Bundeswehr-Planungs- und Beschaffungsbeschleunigungsgesetz (BwPBBG) einen raschen Fähigkeitszuwachs der Bundeswehr sicherstellen. Erreicht werden soll das Ziel, indem Beschaffungs- und Genehmigungsverfahren vereinfacht und beschleunigt werden.
Die wichtigsten Inhalte im Überblick:
Neue Ausnahmen
Der Entwurf des BwPBBG baut auf dem nur befristet bis Ende 2026 geltenden BwBBG auf und geht in Teilen darüber hinaus. Während das BwBBG nur für Aufträge gilt, die der unmittelbaren Stärkung der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr dienen, nimmt der neue Entwurf alle Aufträge zur Deckung des Bundeswehrbedarfs in den Blick.
Der Entwurf sieht zunächst weitere Ausnahmen für die Anwendung von Art. 346 AEUV vor. Die hiernach mögliche vollständige Befreiung vom Vergaberecht soll künftig auch dann eintreten, wenn Beschaffungen der Verteidigungsbereitschaft oder der Versorgungssicherheit Deutschlands, der EU oder der NATO dienen. Zudem können deutsche Sicherheitsinteressen schon dann betroffen sein, wenn Sicherheitsinteressen eines anderen EU-Staates oder sonstigen Alliierten betroffen sind oder wenn ein Fall des Art 347 AEUV vorliegt. Ob dies der Fall ist, ist voll gerichtlich nachprüfbar.
Die neuen Regelausnahmen überraschen: Ob Art. 346 AEUV einschlägig ist, ist gerichtlich nachprüfbar. Das OLG Düsseldorf hat – in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des EuGH – bereits in der Entscheidung vom 18.08.2021 über die Beschaffung neuer Marinebetriebsstoffversorger (VII-Verg 51/20) klargestellt, dass die formelhafte Berufung auf gesetzliche Regelfälle oder die „pauschale oder floskelhafte Bezugnahme“ auf nicht spezifizierte Sicherheitsinteressen gerade nicht ausreichen, um von Art. 346 AEUV Gebrauch zu machen. Erforderlich ist vielmehr in jedem Einzelfall der Nachweis, dass der Verzicht auf ein Vergabeverfahren zur Wahrung der wesentlichen Sicherheitsinteressen erforderlich ist. Dabei mag für jedes der neu formulierten Regelbeispiele im Einzelfall gut begründbar sein, weshalb zum Schutz wesentlicher Sicherheitsinteressen von einem Vergabeverfahren abgesehen werden muss. Die Aufnahme in ein Gesetz ist dafür aber gerade nicht erforderlich. Sie bringt deshalb auch keinen Mehrwert. So aber wirkt der Entwurf, als wolle man der Bundeswehr möglichst viele Möglichkeiten aufzeigen, um die Anwendung des Vergaberechts auszusetzen. Dabei wird übersehen, dass es nach der Rechtsprechung auf ganz andere Aspekte als die Formulierung von Regelbeispielen ankommt.
Single-Source-Beschaffung
Ausgeweitet werden auch die Möglichkeiten, bestimmte Unternehmen ohne wettbewerbliches Verfahren direkt zu beauftragen. Ein technisches Alleinstellungsmerkmal soll schon vorliegen, wenn die Bundeswehr dieselbe Ausrüstung beschaffen will, die bereits ein anderer EU-Staat verwendet, soweit dies für eine militärische Zusammenarbeit erforderlich ist. Bei der Frage, ob es marktverfügbare Alternativen gibt, dürfen die Lösungen von Anbietern aus Drittstaaten ohne Abkommen über den gegenseitigen Marktzugang mit der EU ausgeklammert werden.
Haushaltsrecht
Haushaltsrechtlich grundsätzlich verbotene Vorleistungen (§ 56 BHO) sollen gewährt werden dürfen, wenn das die Anzahl der Bieter erhöhen kann. Außerdem soll ein Vergabeverfahren auch dann begonnen werden dürfen, wenn unklar ist, ob die Haushaltsmittel überhaupt zur Verfügung stehen, sofern der Auftraggeber hierauf hinweist.
Losvergabe
Das Gebot, Leistungen in Teil- und Fachlosen zu vergeben, soll für Bundeswehraufträge vollständig aufgehoben werden. Während dies die großen Systemhäuser stärken dürfte, werden KMU vermutlich häufiger als bisher das Nachsehen haben.
Markterkundung
Wie schon § 3 Abs. 7 BwBBG sieht auch der Entwurf des BwPBBG vor, dass im Rahmen einer Markterkundung zunächst am Markt verfügbare Leistungen und Produkte identifiziert werden. Die vielzitierte „Goldrandlösung“, die in großen Beschaffungsverfahren der vergangenen Jahre immer wieder als Kosten- und Zeitfresser ausgemacht wurde, soll die Ausnahme sein.
Beratung im Vorfeld unschädlich
Hat ein Unternehmen den Auftraggeber bereits im Vorfeld beraten und dadurch einen Wettbewerbsvorsprung erlangt, riskiert es, von der eigentlichen Vergabe ausgeschlossen zu werden. Auch deshalb scheuen Unternehmen mitunter eine aktive Beteiligung am Customer Product Management (CPM) der Bundeswehr. Künftig soll ein solcher „Projektant“ selbst dann zur Teilnahme zugelassen werden können, wenn das klar den Wettbewerb verfälscht, sofern Verteidigungs- und Sicherheitsinteressen seine Teilnahme gebieten.
Angebote aus Drittstaaten
Der Entwurf setzt die neuen Urteile des EuGH in den Sachen Kolin (22.10.2024, Rs. C-652/22) und Qingdao Sifang (13.03.2025, Rs. C-266/22) zum Ausschluss von Bietern aus Drittstaaten um. Hiernach darf der Auftraggeber Bieter von Vergabeverfahren ausschließen, wenn ihr Herkunftsstaat kein Abkommen mit der EU über einen gegenseitigen Marktzugang unterhält.
Rechtsschutz
Der Rechtsschutz unterlegener Bieter soll erneut empfindlich verkürzt werden. Das Zuschlagsverbot soll fortan mit sofortiger Wirkung entfallen, wenn die Vergabekammer (VK Bund) einen Nachprüfungsantrag ablehnt. Der Bieter kann dann zwar wie bisher noch den Vergabesenat (beim OLG Düsseldorf) anrufen, um in der Rückschau feststellend zu klären, ob das Vorgehen der Bundeswehr vergaberechtskonform war. Der Auftrag, und darauf kommt es am Ende an, darf aber schon vergeben werden. Im Ergebnis wird der Rechtsschutz auf das Verfahren vor der Vergabekammer verkürzt. Zu Zweifeln an der Zulässigkeit dieses Vorgehens, das in Kürze auch für zivile Beschaffungsvorhaben gelten soll, wurde bereits viel gesagt. Hiervon unabhängig darf bezweifelt werden, dass damit nennenswerte Beschleunigungen zu erzielen sind. Die Praxis zeigt, dass nur eine verschwindend geringe Anzahl von Bundeswehraufträgen überhaupt bis vor den Vergabesenat gebracht werden. Vor allen Dingen aber gibt es auch jetzt schon die Möglichkeit, in Eilfällen den sofortigen Zuschlag zu gestatten.
Schließlich übernimmt der Entwurf des BwPBBG die seit dem BwBBG bestehende Möglichkeit, direkt vergebene Verträge selbst dann für wirksam zu erklären, wenn sie unter Verletzung des Vergaberechts geschlossen wurden, solange zwingende Gründe eines Allgemeininteresses dies rechtfertigen. § 15 Abs. 7 des Entwurfs verpflichtet die Vergabekammern darauf, diese Möglichkeit stets von Amts wegen zu prüfen. Wie sie auch dann zu einer fundierten Einschätzung kommen sollen, wenn die Parteien nichts in diese Richtung vortragen, bleibt offen.
Fazit
Der Entwurf enthält zwar sinnvolle Ansätze. Der Großteil der versprochenen Beschleunigungen und Vereinfachungen soll aber durch Ausnahmen vom Vergaberecht und durch die dritte Beschränkung des Rechtsschutzes innerhalb von fünf Jahren teuer erkauft werden. Zu teuer, wenn man berücksichtigt, dass schon die beiden letzten Gesetze keine spürbare Beschleunigung brachten.
Für die Verbändeanhörung wurde gerade mal eine Woche angesetzt. Fundiertes Feedback der beteiligten Kreise ist so kaum möglich, vermutlich aber auch nicht gefragt.
Zurück bleibt der Eindruck, dass der Gesetzgeber die Verteidigungsfähigkeit gegen ein wirksames Beschaffungsrecht ausspielt, obwohl sich beide Ziele nicht ausschließen und in einem funktionierenden Rechtsstaat zusammengehören. Das gilt gerade jetzt. Zutreffend heißt es im Bericht des Bundesfinanzhofs nach § 99 BHO zum Handlungsbedarf bei der Bundeswehr: „Wenn einer Organisation in kurzer Zeit deutlich mehr finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, steigt das Risiko für unwirtschaftliches Handeln. Dieses Risiko wird verstärkt, weil das BMVg dem Faktor Zeit nun oberste Priorität für das Beschaffungswesen eingeräumt hat.“
Die Gesetzesvorhaben der vergangenen Jahre schieben die Verantwortung für verzögerte Beschaffungen entgegen aller fachlichen Einschätzungen dem Vergaberecht zu. Amtsseitige Optimierungspotenziale müssen so nicht gehoben und unangenehme Entscheidungen können weiter aufgeschoben werden. Und so wird kaum noch jemand daran glauben, dass die Verteidigungsfähigkeit ausgerechnet durch ein „BwPBBG“ entscheidend gestärkt wird. Das sollte nicht nur Vergabejuristen besorgen.