Ist das das Ende der Ex-ante Transparenzbekanntmachung?

EntscheidungDas OLG Dresden äußert sich zu den Anforderungen einer wirksamen Ex-ante Transparenzbekanntmachung: In seiner Entscheidung macht das Gericht deutlich, dass die Vorarbeiten eines öffentlichen Auftraggebers zur Begründung von z.B. technischen Alleinstellungsmerkmalen im Rahmen von Ex-ante Bekanntmachungen fast genauso hoch sind, wie ohne selbige. Insbesondere betont nun auch das OLG Dresden die Verpflichtung zu einer europaweiten Marktrecherche. Darüber hinaus überrascht, dass für die gerichtliche Prüfung des Vorliegens solcher Gründe allein die Ausführungen in der Ex-ante Bekanntmachung relevant sind und auch im Nachprüfungsverfahren nur sehr eingeschränkt ergänzt werden können.  Rein praktisch gesehen könnte angesichts der Entscheidung das bisher beliebte Instrument der Ex-ante Transparenzbekanntmachung für Auftraggeber nicht mehr so attraktiv sein, um innerhalb von 10 Tagen „Sicherheit“ zu haben. Zumindest wäre eine Ex-post Bekanntmachung immer auch erforderlich, um die sechs-Monatsschwelle der Unsicherheit auf insgesamt 40 (10 + 30) Tage zu reduzieren.

1. Sachverhalt

Beschaffungsbedarf der Antragsgegnerin war ein Softwaresystem. Aufgrund des erforderlichen Datenaustausches zwischen dem bei der Antragsgegnerin in der IT – Infrastruktur etablierten Gesamtsystems und dem zu beschaffenden Softwaresystem muss die Softwarelösung vollständig in das Gesamtsystem integrierbar und mit diesem kompatibel sein. Wesentlich war ein funktionierender Datenaustausch über die Schnittstelle. Die Antragsgegnerin entschied sich den Auftrag nicht in den Wettbewerb zu stellen, sondern im Wege eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb an das Unternehmen A zu vergeben, da aus ihrer Sicht nur ein Unternehmen aus technischen Gründen in Betracht kam. Das Unternehmen A ist europaweit das einzige Unternehmen, welches über eine von dem Betreiber des Gesamtsystems zertifizierte Schnittstelle verfügt.

Vor Vertragsschluss veröffentlichte die Antragsgegnerin die beabsichtigte Auftragsvergabe im Wege einer Ex-ante Bekanntmachung und schloss den Vertrag nach erfolgreichem Ablauf der zehntägigen Stillhaltefrist. Erst 5,5 Monate nach Vertragsschluss rügte ein Wettbewerber die Auftragsvergabe und leitete ein Vergabenachprüfungsverfahren mit der Begründung ein, auch er verfüge über ein passendes Softwaresystem mit einer einwandfrei funktionierenden Schnittstelle zum Gesamtsystem.

2. Die Entscheidung

Das OLG Dresden wies die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin zurück. Die Unwirksamkeit des Vertrags wurde festgestellt. Die Entscheidung wird wie folgt begründet:

a. Keine Rügeobliegenheit – keine Präklusionswirkung!

Bei einer Ex-ante Bekanntmachung handle es sich nicht um eine Bekanntmachung im Sinne von § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB, weil diese Transparenzbekanntmachung nicht auf eine Vergabe im Wettbewerb gerichtet sei, sondern nur die Absicht einer Vergabe ohne Wettbewerb mitgeteilt wird. Nach Ansicht des OLG Dresden entfalle die Rügeobliegenheit nach § 160 Abs. 3 S. 2 GWB, auch wenn die beabsichtigte Auftragsvergabe vorher europaweit bekannt gegeben wurde (durch eine Ex-ante Bekanntmachung). Eine Präklusion wegen Ablauf der 30-tägigen Frist nach § 135 Abs. 2 S. 2 GWB wurde verneint, da die Antragsgegnerin die Auftragsvergabe nicht als vergebenen Auftrag veröffentlicht hatte („Keine Ex-post, nur Ex-ante Transparenzbekanntmachung“). Nach Ansicht des OLG Dresden sei daher für die Frage der Präklusion die sechs Monatsfrist nach § 135 Abs. 2 GWB maßgeblich. Diese sei vorliegend von der Antragstellerin eingehalten worden.

b. Voraussetzung des § 135 Abs. 3 Nr. 1 GWB: „der Ansicht ist“ = „der Ansicht sein zu dürfen“?

Das OLG befasst sich in der Entscheidung damit, welche Anforderungen ein Auftraggeber erfüllen muss, um im Sinne des § 135 Abs. 3 Nr. 1 GWB der Ansicht sein zu dürfen, den Auftrag aufgrund von Alleinstellungsmerkmalen an das Unternehmen vergeben zu dürfen. Es sei ein subjektiv-objektiver Sorgfaltsmaßstab anzuwenden, der eine sorgfältige rechtliche Bewertung des Auftraggebers für das Vorliegen der Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift erfordert. Es ginge nicht um eine reine Missbrauchskontrolle. Maßgeblich, ob dieser Sorgfaltsmaßstab eingehalten wurde, seien in erster Linie die Gründe, welche der öffentliche Auftraggeber in der freiwilligen Ex-ante-Transparenzbekanntmachung bekannt gemacht hat. Die Vergabeunterlagen und der Vergabevermerk seien lediglich ergänzend zur Auslegung heranzuziehen.

Interessant ist, dass das OLG Dresden in diesem Zuge zuerst eine objektive Überprüfung bzgl. des Vorliegens der strengen Voraussetzungen des § 14 Abs. 4 Nr. 2b VgV vornimmt.  Der Nachweis sei vorliegend nicht gelungen, da sich aus der Bekanntmachung nicht nachweislich das Vorliegen eines technischen Alleinstellungsmerkmals ergibt. Im Übrigen fehle es für die Erfüllung des § 135 Abs. 3 Nr. 1 GWB und um der „Ansicht sein zu dürfen“ an einer ordnungsgemäßen europaweiten Markterkundung. Diese sei zwingend erforderlich, um belegen zu können, dass es keine Alternativlösungen geben würde (subjektives Element).

3. Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung des OLG Dresden setzt einen neuen Maßstab, um sich als Auftraggeber auf die Wirksamkeit und „Unanfechtbarkeit“ eines Vertragsschluss nach der Ex-ante Bekanntmachung berufen zu können. Die verbreitete Annahme, nach der Ex-ante Bekanntmachung vor Beanstandungen anderer Wettbewerber geschützt zu sein, wird mit der Entscheidung deutlich ins Wanken gebracht. Gleichzeitig gewinnt die Durchführung von europaweiten Markterkundungen an immer mehr Bedeutung. Zusammengefasst sind die Kernaussagen der Entscheidung folgende:

  • Keine Rügeobliegenheit nach § 160 Abs. 3 GWB bei einer Ex-ante Transparenzbekanntmachung.
  • Die vorherige Durchführung einer europaweiten Markterkundung ist im Falle einer Ex-ante Transparenzbekanntmachung zwingend erforderlich, um als Auftraggeber die Alleinstellung und fehlende Alternativlösungen nachweisen zu können und um „der Ansicht sein zu dürfen“.
  • Maßgeblich ist die in der Ex-ante Transparenzbekanntmachung enthaltene Begründung der Alleinstellung.

4. Auswirkungen auf die Praxis

Unter Berücksichtigung der hohen Anforderungen an die Erfüllung des § 135 Abs. 3 Nr. 1 GWB stellt sich nun die Frage:

Wäre es strategisch nicht sinnvoller, den Auftrag ohne eine Ex-ante Bekanntmachung zu vergeben und die Auftragsvergabe nur in einer Ex-post Bekanntmachung zu veröffentlichen?

Ja! Spätestens nach der OLG Dresden Entscheidung steht fest, dass die Ex-post Bekanntmachung einem Auftraggeber aufgrund des geringeren Überprüfungsmaßstabs mehr Rechtssicherheit dafür bieten kann, dass der Vertrag nach Ablauf der 30-tägigen Frist nicht mehr für unwirksam erklärt werden kann. In § 135 Abs. 2 GWB ist die Anforderung „der Ansicht ist“ und einer Überprüfung, ob der Auftraggeber der „Ansicht sein durfte“ (nach dem Wortlaut) nicht enthalten. Spannend bleibt, ob die Rechtsprechung nachlegt und den Überprüfungsmaßstab auch bei der Ex-post Bekanntmachung nach § 135 Abs. 2 GWB nachzieht.

Kontribution

Der Beitrag wurde gemeinsam mit Frau Rechtsanwältin Karoline Kniha verfasst.

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Karoline Kniha

Karoline Kniha ist Rechtsanwältin in der Sozietät Bird & Bird. Als Associate in der Praxisgruppe Öffentliches Wirtschaftsrecht in München berät sie Unternehmen sowie die öffentliche Hand in den Bereichen des öffentlichen Wirtschafts- und Vergaberechts.